OGH 14Os81/95

OGH14Os81/9527.6.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 27.Juni 1995 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Ebner, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Eckert als Schriftführer, in der Strafsache gegen Oskar G***** wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 20.März 1995, GZ 27 Vr 300/95-6, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Fabrizy, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlaß wird das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Beurteilung der Tat als Verbrechen des vollendeten räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 erster Fall StGB, demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und es wird - unter Neufassung des Schuldspruchs - im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Oskar G***** hat am 22.Dezember 1994 in Linz versucht, eine fremde bewegliche Sache in einem 25.000 S nicht übersteigenden Wert, nämlich eine Videokassette im Wert von 199,90 S, Gewahrsamsträgern der L*****, Buch- und Schallplatten-Handelsgesellschaft mbH mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei er, bei dem Diebstahl auf frischer Tat betreten, durch einen Stoß vor die Brust Gewalt gegen die Person des Gerhard W***** anwendete, um sich die weggenommene Sache zu erhalten.

Oskar G***** hat hiedurch das Verbrechen des versuchten räuberischen Diebstahls nach §§ 15, 127, 131 erster Fall StGB begangen und wird hiefür nach §§ 37 Abs 1, 41 Abs 1 Z 4, 131 erster Strafsatz StGB zu einer Geldstrafe von 180 (einhundertachtzig) Tagessätzen, für den Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 90 (neunzig) Tagen, verurteilt.

Der Tagessatz wird mit 100 S (einhundert Schilling) bemessen.

Gemäß § 43 Abs 1 StGB wird ihm die Geldstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von 3 (drei) Jahren bedingt nachgesehen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Oskar G***** des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 erster Fall StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 22.Dezember 1994 in Linz eine fremde bewegliche Sache, nämlich eine Videokassette im Wert von 199,90 S Verfügungsberechtigten der L***** Buch- und Schallplatten-Handelsgesellschaft mbH mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei er, bei dem Diebstahl auf frischer Tat betreten, dadurch, daß er dem Angestellten Gerhard W***** einen Stoß gegen die Brust versetzte, Gewalt gegen eine Person anwendete, um sich die weggenommene Sache zu erhalten.

Das Erstgericht stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Als der Angeklagte am 22.Dezember 1994 das L*****-Geschäft in der Landstraße in Linz aufsuchte, fiel ihm eine VHS-Erotik-Videokassette zu einem Verkaufspreis von 199,90 S auf, die er zwar unbedingt haben, aber nicht bezahlen wollte. Zu diesem Zweck steckte er die Kassette unter seine Jacke und klemmte sie unter seiner Achsel ein. Als er die elektronische Sicherungsanlage des Geschäftes passierte, schlug diese an. Der bei der Anlage als Wachorgan eingesetzte Gerhard W***** forderte den Angeklagten auf, stehen zu bleiben. Dieser wandte sich dem Wachorgan zu und versetzte ihm mit der flachen Hand einen nicht unerheblichen Stoß gegen die Brust, wobei er verhindern wollte, daß er angehalten und ihm die Kassette abgenommen werde. Gerhard W*****, der durch den Stoß nicht verletzt wurde, taumelte etwas zurück und geriet vorübergehend aus dem Gleichgewicht. Inzwischen rannte der Angeklagte aus dem Geschäft, kam aber auf der Straße zum Sturz, wodurch die unter der Achsel eingeklemmte Videokassette auf den Gehsteig fiel. Als er - auf dem Boden liegend - den nacheilenden W***** bemerkte, warf er die Kassette in dessen Richtung, um zu erreichen, daß dieser durch das Aufheben der Kassette abgelenkt und aufgehalten werde, damit er selbst so viel Zeit gewinne, um aufzuspringen und seine Flucht fortsetzen zu können. Er ging dabei davon aus, daß er andernfalls von seinem Verfolger an Ort und Stelle eingeholt und festgehalten würde, wobei ihm die zwangsweise Abnahme der Kassette unausweichlich erschien; an eine freiwillige Rückgabe der Kassette dachte er nicht. W*****, der nun die Videokassette aufhob, konnte dadurch den weiterfliehenden Angeklagten nicht mehr einholen und gab die Verfolgung auf. Nach etwa 20 Minuten kam der Angeklagte noch einmal ins Geschäft, um sich bei W***** für die Tat zu entschuldigen und die befürchteten Tatfolgen abzuwenden.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde aus den Gründen der Z 5, 5 a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO.

Die geltend gemachten Begründungsmängel (Z 5) sind nicht gegeben. Soweit der Beschwerdeführer die Urteilsfeststellungen über die Art und Weise seiner Gewaltanwendung rügt, verkennt er das Wesen der freien Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO), welche die Tatrichter nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, Beweisergebnisse in ihrem Zusammenhang zu würdigen, durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu ergänzen und ihrer Überzeugung frei von jeder Beweisregel auf in diesen Prämissen wurzelnde denkrichtige Schlüsse zu stützen. Darnach konnte das Erstgericht auf Grund der von Gerhard W***** in der Hauptverhandlung abgelegten Zeugenaussage, in deren Rahmen er das Versetzen des Stoßes auch demonstrierte (S 27 f), sehr wohl die gerügten Konstatierungen treffen. Gleiches gilt für die Feststellungen über die Entledigung der Kassette, welche sich zwanglos aus den Beweisergebnissen der Hauptverhandlung ableiten ließen, und die das Erstgericht auch einer ausführlichen Erörterung unterzogen hat (US 4 f).

Die Tatsachenrüge (Z 5 a) richtet sich gleichfalls gegen die Urteilsfeststellungen über die Intensität des Stoßes und zur mangelnden Freiwilligkeit der Rückstellung der Videokassette. Erhebliche, sich aus den Akten ergebende Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen vermag der Angeklagte mit seinen Beschwerdeausführungen aber insoweit nicht zu erwecken.

Unberechtigt ist ferner die Rechtsrüge (Z 9 lit b), soweit der Beschwerdeführer seinen Freispruch wegen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat nach § 42 StGB mit der Bergründung anstrebt, daß - mangels Anwendung von Gewalt - bloß das Vergehen der Entwendung nach § 141 Abs 1 StGB vorläge. Er verkennt, daß unter Gewalt in der Bedeutung der §§ 131, 142 StGB (ebenso wie in der Bedeutung aller übrigen Tatbestände, die auf Gewalt als Begehungsmittel abstellen) der Einsatz nicht ganz unerheblicher physischer Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder vermeintlichen Widerstandes zu verstehen ist. Nicht erforderlich ist, daß die Intensität der aufgewendeten physischen Kraft eine zur Willensbrechung beim Opfer geeignete Schwere erreicht. Es genügt vielmehr, daß tätergewollt gerade dieser Krafteinsatz das Opfer zur Abstandnahme von seinem dem Tätervorhaben entgegenstehenden Bestreben veranlaßt und solcherart kausal zu dessen Realisierung führt (EvBl 1991/12 = JBl 1990, 670; ÖJZ-LSK 1987/83). So gesehen stellt sich im gegebenen Fall bereits das Versetzen eines nicht unerheblichen Stoßes mit der Hand gegen die Brust einer Person, sodaß diese etwas zurücktaumelte und vorübergehend aus dem Gleichgewicht geriet, als tatbildliche Gewalt dar. Die Qualifizierung der Tat als räuberischer Diebstahl nach § 131 Abs 1 StGB schließt ihre Beurteilung als Entwendung nach § 141 Abs 1 StGB aus, sodaß die Anwendung des § 42 StGB schon wegen des Strafsatzes ausgeschlossen ist.

Soweit der Beschwerdeführer die Aufhebung der Strafbarkeit seiner Tat wegen tätiger Reue nach § 167 StGB geltend macht, verkennt er, daß es an der Freiwilligkeit der Schadensgutmachung mangelte. Diese liegt nur dann vor, wenn die Gutmachung des Schadens unter Umständen erfolgt, unter denen es dem Täter unbenommen ist, die Schadensgutmachung mit Erfolg zu verweigern. Erfolgt die Rückerstattung aber nur zufolge der Betretung bei der Tat und dem Unvermögen, die Beute in Sicherheit zu bringen, so ist keine Freiwilligkeit gegeben. Da sich der Beschwerdeführer der Videokassette erst entledigte, als er bei seiner Flucht zu Boden gestürzt war, stellte er die Beute nicht freiwillig zurück, sondern war hiezu gezwungen, um seine Flucht fortsetzen zu können (US 3).

Tätige Reue setzt zudem voraus, daß ein Schaden bereits eingetreten und das Delikt mithin vollendet ist. Bei einem Versuch ist tätige Reue ausgeschlossen. Im gegebenen Fall hat das Erstgericht allerdings verkannt, daß die Tat nicht über das Versuchsstadium hinaus gediehen war, weil der Angeklagte noch keinen Alleingewahrsam am Diebsgut begründet hatte. Zwar ist ein Diebstahl an verhältnismäßig kleinen Sachen, die leicht in der Kleidung, am Körper oder in mitgebrachten Behältnissen verborgen werden können, schon mit dem Einstecken der Sache vollendet, weil dadurch der bisherige Gewahrsam bereits zur Gänze beseitigt und neuer Alleingewahrsam des Täters begründet wird. Ist aber eine Ware elektronisch gesichert, so verliert der berechtigte Gewahrsamsinhaber die Verfügungsgewalt durch bloßes Einstecken der Ware noch nicht, weil seine Zugriffsmöglichkeit weiterhin gegeben ist. Wird der Täter beim Verlassen des Geschäftes auf Grund des Signales des von einem Bediensteten überwachten Magnetschrankens gestellt, so ist der Diebstahl bloß versucht, weil vor Überwindung dieser Sicherung die Verfügungsgewalt des Gewahrsamsinhabers noch nicht ausgeschaltet war.

Wendet ein solcherart bei einem Diebstahl auf frischer Tat betretener Täter Gewalt (oder Drohung) an, um sich oder einem Dritten die weggenommene Sache zu erhalten, so ist dennoch die - gegenüber § 142 StGB privilegierte - Strafbestimmung des § 131 StGB anzuwenden, sofern der Tatplan nicht von vornherein auf die Anwendung räuberischer Mittel zum Zwecke der Sachwegnahme gerichtet war und sich die Gewaltanwendung typischerweise aus der Situation für den Täter überraschend ergab. Nach herrschender Rechtsprechung (SSt 55/13 = EvBl 1985/6 = JBl 1985, 53, EvBl 1991/12 = JBl 1990, 670, 11 Os 52/94 ua; in diesem Sinn auch Bertel in WK Rz 11 ff, Bertel-Schwaighofer BT I3 Rz 3 und 4 und Mayerhofer-Rieder4 Anm 3, je zu § 131 StGB; Burgstaller Ladendiebstahl 37 sowie in JBl 1985, 54; gegenteilig allerdings Leukauf-Steininger Komm3 RN 3 und 5 sowie Kienapfel BT II3 RN 2, 8 bis 10 und 33, je zu § 131 StGB) kann somit die Qualfikation des Diebstahls als räuberisch im Sinn des § 131 StGB bereits nach Erlangung des bloßen Mitgewahrsams durch den Dieb, also noch im Versuchsstadium, verwirklicht werden.

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes hatte der Beschwerdeführer von vornherein bloß einen auf Diebstahl der Videokassette gerichteten Vorsatz, als er durch Ansichnahme und Verstecken des Gegenstandes unter der Kleidung seinen Mitgewahrsam daran begründete. Den Entschluß zur Gewaltanwendung faßte er erst, als er nach Anschlagen der elektronischen Sicherungsanlage vom Wachorgan gestellt wurde, weswegen sich die Tat als versuchter räuberischer Diebstahl nach §§ 15, 127, 131 erster Fall StGB darstellt. Strafbefreiender Rücktritt vom Versuch im Sinne des § 16 StGB kommt ihm mangels Freiwilligkeit der Abstandnahme von der Deliktsvollendung nicht zustatten, weil er sich des Diebsgutes bloß zur Ermöglichung der weiteren Flucht entledigte.

Indem das Erstgericht dennoch Vollendung des Verbrechens annahm, ist ihm ein Subsumtionsirrtum im Sinne des § 281 Abs 1 Z 10 StPO unterlaufen, welcher gemäß § 290 Abs 1 StPO zu korrigieren war.

Für die Strafneubemessung waren nur Milderungsgründe maßgebend, nämlich der bisher ordentliche Lebenswandel des Angeklagten, dessen Tat mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht; daß er sie nur aus Unbesonnenheit begangen hat; daß es beim Versuch geblieben ist; daß er sich selbst gestellt hat, obwohl er leicht hätte entfliehen können; und schließlich, daß er ein reumütiges und umfassendes Geständnis abgelegt hat.

Die verhängte Geldstrafe entspricht der unrechtsbezogenen Schuld (§ 32 StGB) des Angeklagten, die Höhe des Tagessatzes seinen persönlichen Verhältnissen und seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (§ 19 Abs 2 StGB). Die bedingte Strafnachsicht folgt schon aus dem Verschlimmerungsverbot (§ 290 Abs 2 StPO).

Die Verpflichtung des Angeklagten zum Ersatz der Kosten des Verfahrens über sein Rechtsmittel ist in § 390 a StPO begründet.

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