OGH 14Os91/95

OGH14Os91/9520.6.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.Juni 1995 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Stöckelle als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Muhammed Ali B***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall und § 15 StGB sowie anderer strafbarer Handlungen, AZ 6 Vr 234/95 des Jugendgerichtshofes Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Kamran M***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 19.Mai 1995, AZ 21 Bs 144/95 (= ON 85), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Kamran M***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht Wien einer Haftbeschwerde des am 26.Feber 1979 geborenen, des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall und § 15 StGB sowie der Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB, der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 2 und Abs 3 StGB und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB als dringend verdächtig bezeichneten jugendlichen Beschuldigten Kamran M***** nicht Folge gegeben und die Fortsetzung der am 17.März 1995 (Festnahme am 14.März 1995) über ihn verhängten Untersuchungshaft aus den Gründen des § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO angeordnet (Ende der Haftfrist 19.Juli 1995).

Nach dem Inhalt der von der Staatsanwaltschaft mittlerweile eingebrachten (nach der Aktenlage allerdings noch nicht rechtskräftigen) Anklageschrift vom 23.Mai 1995 habe er in Wien

A) mit Gewalt gegen Personen und durch Drohung mit gegenwärtiger

Gefahr für Leib oder Leben anderen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern,

I) weggenommen, und zwar:

1) am 3.Feber 1995 im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit Muhammed Ali B***** und Ersin B***** als Beteiligten unter Verwendung einer Waffe in einem Straßenbahnzug dem Martin M***** zwei Goldketten mit einem Kreuz im Wert von ca 3.000 S, indem sie ihn umringten, ihm ein Stanleymesser an den Bauch hielten, ihn zur Herausgabe von Geld aufforderten und ihm schließlich die Ketten abrissen;

2) am 16. oder 23.Feber 1995 im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit zwei unbekannt gebliebenen Beteiligten dem Richard H***** Zigaretten und 100 S, indem sie ihn umstellten und äußerten, sie würden ihn niederschlagen, sollte er die Gegenstände nicht herausgeben;

II) wegzunehmen versucht, und zwar:

1) .......... (betrifft nur Muhammed Ali B*****)

2) im Feber 1995 im Bereich des Westbahnhofes in zwei Angriffen unbekannt gebliebenen Jugendlichen Bargeld, indem er ihnen Schläge und Tritte versetzte, wobei die Tatopfer jedoch kein Bargeld bei sich führten;

B) am 23.Jänner 1995 den Richard H***** und den Peter Z***** mit

Gewalt und durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper sowie mit einer Vergewaltigung zur Unterlassung der Anzeigeerstattung bzw Polizeiaussage hinsichtlich des Faktums A/I/2 zu nötigen versucht, indem er Peter Z***** eine brennende Zigarette an den Hals hielt, dem Richard H***** eine Tritt in den Bauch versetzte und äußerte, er werde sie "ficken", wenn sie der Polizei etwas sagten;

C) vorsätzlich andere im bewußten und gewollten Zusamenwirken mit

nachgenannten Beteiligten durch Schläge und Tritte am Körper verletzt, und zwar jeweils in verabredeter Verbindung und in drei selbständigen Taten ohne begreiflichen Anlaß unter Anwendung erheblicher Gewalt, nämlich:

1) am 21.Jänner 1995 mit den gesondert verfolgten Mehmet Ö***** und Atlan Y***** den Helmut H*****, wodurch dieser Hautabschürfungen im Gesicht und Prellungen der Jochbeinbögen und des Schädels erlitt;

2) am 16.Jänner 1995 mit dem gesondert verfolgten Mehmet Ö***** bzw den diesbezüglich nicht verfolgten Atlan Y*****, Arif T***** und Cemil A***** den Oswald Sch*****, wodurch dieser zahlreiche Prellungen und Blutergüsse erlitt;

3) am 3.Feber 1995 mit Muhammed Ali B***** und Ersin B***** den Ashok K*****, wodurch dieser eine Platzwunde an der Unterlippe und eine Prellung der rechten Hand erlitt;

D) im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit dem gesondert

verfolgten Mehmet Ö***** sowie weiteren Beteiligten vorsätzlich fremde Sachen beschädigt, und zwar:

1) am 12.Jänner 1995 den PKW des Helmut H*****, indem er mehrmals heftig am Türgriff anzog, sodaß dieser ausriß, und gegen das Fahrzeug trat, wodurch an diesem Dellen entstanden;

2) am 16.Jänner 1995 Einrichtungsgegenstände des Pfarrheimes Wien-Hernals, nämlich einen Tischtennistisch und Gläser.

Rechtliche Beurteilung

Die Grundrechtsbeschwerde - in der die Dringlichkeit des beschriebenen Tatverdachtes nicht bestritten wird - ist unbegründet.

1. Angesichts des Umfanges und der Schwere der gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfe kann auch unter Berücksichtigung seiner weitgehend geständigen Verantwortung, seiner bisherigen Unbescholtenheit und seines jugendlichen Alters keine Rede davon sein, daß die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichtes gerade erst zwei Monate andauernde Untersuchungshaft zu der zu erwartenden Strafe bereits außer Verhältnis stünde (§ 180 Abs 1 StPO).

2. Ob eine strafbare Handlung mit schweren Folgen verbunden ist, ist nach allen konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu beurteilen, sohin nach Art, Ausmaß und Wichtigkeit sämtlicher aus der Tat resultierenden (auch außertatbestandsmäßigen) effektiven Nachteile sowohl für den betroffenen Einzelnen als auch für die Gesellschaft im Ganzen, deren Gewicht durch die in der Sozietät bestehenden, insofern normativen (durchschnittlichen) Wertvorstellungen der mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen bestimmt wird (SSt 48/2). Bei dem hier in Rede stehenden bewaffneten Raubüberfall auf einen Straßenbahnfahrgast sind derartige Auswirkungen ungeachtet des Umstandes zu bejahen, daß das Opfer weder verletzt worden ist noch einen besonders hohen Schaden erlitten hat. Angesichts der dem Beschuldigten sonst zur Last liegenden Aggressionsdelikte, insbesondere auch eines in einem gesonderten Strafverfahren unter Anklage gestellten weiteren Raubüberfalles (siehe AZ 4 Hv 9/95 des Jugendgerichtshofes Wien), wurde zu Recht die Gefahr angenommen, daß der Beschuldigte ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens eine strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen könnte, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm angelastete strafbare Handlung mit schweren Folgen (§ 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO).

3. Ebenso zutreffend hat das Beschwerdegericht angesichts der Häufung von Gewaltdelikten innerhalb kürzester Zeit die Gefahr beurteilt, daß der Beschuldigte ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens eine strafbare Handlung mit nicht bloß leichten Folgen begehen werde, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm hier angelasteten wiederholten Delikte (§ 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO).

4. Schließlich ist nach der Aktenlage auch kein Grund ersichtlich, daß die mit der Untersuchungshaft verbundenen Nachteile für die Persönlichkeitsentwicklung und für das Fortkommen des jugendlichen Beschwerdeführers außer Verhältnis zur Bedeutung der Tat und zu der zu erwartenden Strafe stünden (§ 35 Abs 1 JGG).

Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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