OGH 10Ob515/95

OGH10Ob515/9520.6.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier, Dr.Bauer, Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Rudolf Z*****, Rechtsanwalt, ***** als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der P***** GesmbH, wider die beklagten Parteien 1.) Ch***** & K***** GesmbH, ***** 2.) Hans Ch*****, Kaufmann, ***** 3.) Josef K*****, Kaufmann, ***** alle vertreten durch Dr.Herbert Gartner und Dr.Thomas Furherr, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 1,132.753,65 s.A., infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 18.November 1994, GZ 3 R 170/94-17, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 14.April 1994, GZ 17 Cg 122/93-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt aus der mit den Beklagten abgeschlossenen Vereinbarung vom 25.September 1990 die mit der Übernahme des unfertigen Bauvorhabens durch die Beklagten und Legung der Schlußrechnungen fällig gewordene Umsatzsteuer, zu deren Ersatz die Beklagten sich verpflichtet hätten.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten ein, daß die Gemeinschuldnerin bereits Teilrechnungsbeträge, die die Umsatzsteuer enthielten, kassiert habe und die Bezahlung der Umsatzsteuer durch die Beklagten von der Vereinbarung nicht umfaßt sei.

Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei S 1,132.753,65 s.A. (die begehrte Umsatzsteuer) zu bezahlen. Es stützte sich auf folgende wesentliche Feststellungen:

Die Gemeinschuldnerin schloß mit Wohnungseigentumsbewerbern Werkverträge über die Errichtung von Reihenhäusern, an denen Wohnungseigentum begründet werden sollte, ab. Diesen Werkverträgen lag die Vereinbarung eines bestimmten Herstellungspreises zugrunde, in dem die gesetzliche Umsatzsteuer enthalten war und der nach einem vereinbarten Zahlungsplan nach Legung von Teilrechnungen entsprechend dem Baufortschritt zu begleichen war. In zwei Teilrechnungen wurde die Vertragssumme und der gemäß dem Zahlungsplan vorgesehene Prozentsatz der Teilzahlung dargestellt und der sich daraus ergebende Teilrechnungsbetrag ausgewiesen. Ein Hinweis, daß in diesem Teilrechnungsbetrag die gesetzliche Umsatzsteuer enthalten sei, findet sich in den Teilrechnungen nicht.

Nach der am 21.8.1990 erfolgten Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Gemeinschuldnerin sah sich der Masseverwalter nicht in der Lage, die Reihenhausanlage fertig zu stellen. Es kam zwischen ihm und den Beklagten zu einer Vereinbarung, wonach die Beklagten das von der Gemeinschuldnerin begonnene Bauwerk fortführen sollten. Der Zweck dieser Vereinbarung (Beilage A) war, daß alle jene Beträge, die die Gemeinschuldnerin auf Grund gelegter Teilrechnungen tatsächlich schon kassiert hatte, in der Masse verbleiben sollten, daß die Masse aber auch von allen wie immer gearteten Verbindlichkeiten befreit werden sollte. Die beklagten Parteien sollten hingegen die noch offenen Verbindlichkeiten, insbesondere gegenüber den eingesetzten Professionisten zur eigenen Erfüllung übernehmen. Als Gegenleistung sollten sie einerseits die bereits errichteten "Gewerke" übernehmen, andererseits jene Beträge erhalten, die die Kunden der Gemeinschuldnerin auf Grund bereits gelegter und fälliger Teilrechnungen schuldeten. Zur Sicherung der Freizeichnung von allen wie immer gearteten Verbindlichkeiten ist in Punkt V) der Vereinbarung eine Klag- und Schadloshaltungserklärung zugunsten des Klägers bezüglich aller derzeitigen und künftigen, bekannten oder unbekannten Verbindlichkeiten vereinbart und in Absatz 2 dieser Bestimmung ausdrücklich festgehalten, daß die Schad- und Klagloshaltung auch die mit dem Bauprojekt, dessen Abgrenzung und die mit dieser Vereinbarung verbundenen Steuern, Abgaben und Gebühren jeder Art betrifft.

Da durch die Vereinbarung die Leistungen der Gemeinschuldnerin abgeschlossen waren, legte der Kläger mit Wissen der Beklagten hinsichtlich der von den einzelnen Wohnungseigentumswerbern auf Grund gelegter Teilrechnungen bereits bezahlten Beträge jeweils eine Schlußrechnung, in der 20 % Umsatzsteuer ausgewiesen ist. Der einschließlich Umsatzsteuer ausgewiesene Rechnungsbetrag entsprach jeweils der Summe der Teilrechnungsbeträge. Zwischen den Streitteilen war nie ausdrücklich vereinbart, daß der Kläger nach der dargestellten Umwandlung der bereits gelegten Teilrechnung in Schlußrechnungen von den Beklagten die darin auszuweisende Umsatzsteuerbeträge zu fordern haben werde.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, daß die Umsatzsteuerschuld der Gemeinschuldnerin erstmals mit Legung der Schlußrechnungen entstanden sei. Punkt V) der getroffenen Vereinbarungen sei Grundlage für die Stattgebung des Klagebegehrens. Ob der Kläger die Umsatzsteuerbeträge durch Überweisung der vereinbarten Teilrechnungsbeträge schon erhalten habe, sei ohne Belang.

Das Gericht der zweiten Instanz gab der Berufung der beklagten Parteien Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies.

Es vertrat die Rechtsansicht, daß der die Umsatzsteuerpflicht auslösende wirtschaftliche Vorgang nicht die Erbringung der Teilleistungen, sondern die Legung der Teilrechnungen durch den Masseverwalter war. Die zwischen den Streitteilen abgeschlossene Vereinbarung decke eine Rückersatzpflicht seitens der beklagten Parteien nicht. Der Wortlaut des Vertrages, wonach sich die Beklagten verpflichteten, den Kläger schad- und klaglos zu halten, stütze zwar bei oberflächlicher Betrachtung den Standpunkt des Klägers. Bei Auslegung von Verträgen sei aber nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern sei die Absicht der Parteien zu erforschen. Aus den Feststellungen des Erstgerichtes sei nicht erkennbar, daß die Parteienabsicht darauf gestützt war, die Umsatzsteuerverpflichtung zu überbinden, die sich nach Umwandlung durch Legung der Schlußrechnung von noch nicht umsatzsteuerpflichtigen Leistungen in solche mit Umsatzsteuerpflicht behaftete ergab. Die von der Gemeinschuldnerin vereinnahmten Teilzahlungen hätten die Umsatzsteuerbeträge insoweit versteckt enthalten, als sie Teilbeträge ja Prozentsätze des Gesamt(-brutto-)werklohns darstellten. Im Wege ergänzender Vertragsauslegung sei die Parteienabsicht zu erforschen. Punkt V) sei daher so aufzufassen, daß noch nicht beglichene Professionistenforderungen einschließlich allfälliger daraus erwachsender Umsatzsteuerpflichten von den Beklagten zu tragen seien. Es könne den Vertragsteilen nicht unterstellt werden, daß sie bei Kenntnis der durch die nachfolgende Rechnungsumwandlung entstehenden Umsatzsteuerpflicht die Erfüllung auf die Beklagten hätten übertragen wollen, zumal doch in den von der Gemeinschuldnerin vereinnahmten Beträgen versteckte Umsatzsteuer enthalten war. Es ließe sich dem Vertrag ein Parteiwille nicht entnehmen, daß ein Mehrverdienst der klagenden Partei dadurch eintreten sollte, daß diese die gesamten vereinnahmten Teilbeträge für sich behalten, die Beklagten hingegen zusätzlich zu den mit ihren eigenen Leistungen entstehenden Umsatzsteuerpflichten auch die von eigenen Leistungen nicht ausgelösten Umsatzsteuern zu tragen hätten.

Gegen dieses Urteil der zweiten Instanz richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen; hilfsweise wird ein Abänderungsantrag im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles gestellt.

Die beklagten Parteien stellen den Antrag, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Auslegungskriterien des § 914 ABGB zwar richtig angeführt aber unrichtig unter Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes angewendet hat.

Die Revision ist auch berechtigt.

Die Bedeutung einer Willenserklärung richtet sich grundsätzlich nach dem objektiven Erklärungswert. Dieser verliert aber dann seine Bedeutung, wenn der natürliche Konsens der Parteien damit nicht übereinstimmt, wobei es gleichgültig ist, ob die Ausdrucksmittel diesen Willen nach objektiven Kriterien zutreffend wiedergeben (Koziol/Welser, Grundriß I9, 91 mwN). Das bedeutet, daß in erster Linie der dem Vertragspartner zum Ausdruck gebrachte Parteiwille zu erforschen und dann der objektive Erklärungswert zu ermitteln ist (Rummel in Rummel ABGB2 Rz 4 zu § 914; SZ 60/216; EvBl 1992/112; WoBl 1990/59 [Hanel]). Erst wenn sich auf diese Weise kein eindeutiger Sinn ermitteln läßt, ist subsidiär die Willensäußerung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Es ist dann zu fragen, welche Lösung redliche und vernünftige Parteien unter Berücksichtigung der übrigen Geschäftsbedingungen und des von ihnen verfolgten Zweckes der Vereinbarung bei Auftreten des nicht bedachten Konfliktfalles vereinbart hätten (Rummel in Rummel aaO Rz 9 f zu § 914 ABGB; Koziol/Welser aaO, 92). Die Unklarheitenregel des § 915 zweiter Halbsatz ABGB ist ("im Zweifel") erst dann zur Auslegung heranzuziehen, wenn die Ermittlung der (erklärten) Absicht der Parteien ohne ein eindeutiges Ergebnis geblieben ist (Koziol/Welser aaO, 93; 8 ObA 330/94).

Die Urkundenauslegung gehört grundsätzlich zur rechtlichen Beurteilung, es sei denn, daß zur Auslegung des Urkundeninhaltes auch die über die Absicht der Parteien durchgeführten Beweise herangezogen werden (Kodek in Rechberger ZPO Kommentar Rz 2 zu § 498 mwN; 8 ObA 330/94). Dies tat das Erstgericht, als es den Inhalt der "grundsätzlichen Philosophie der Vereinbarung" als von den Parteien beabsichtigten Zweck des Vertrages nach Durchführung eines über die Verlesung der Urkunde hinausgehenden Beweisverfahrens feststellte.

Das Berufungsgericht verneinte hingegen ohne die Beweise zu wiederholen und ohne sich mit dem auch nur kursorisch festgestellten Zweck des Vertrages auseinanderzusetzen, einen Parteiwillen auf "Überbindung" der Umsatzsteuer. Dies kann nicht dahin verstanden werden, daß das Berufungsgericht aus den erstgerichtlichen Feststellungen lediglich andere rechtliche Schlußfolgerungen gezogen hat (Kodek aaO Rz 1 zu § 498 ZPO).

Während das Erstgericht im Hinblick auf den festgestellten Zweck des Vertrages in Verbindung mit der in Punkt V) enthaltenen Klag- und Schadloshaltungserklärung zu einer Klagestattgebung gelangte, wies das Berufungsgericht unter teilweiser Berücksichtigung von Feststellungen und teilweise vorgenommener ergänzender Vertragsauslegung das Klagebegehren ab.

Damit hat das Berufungsgericht in Wirklichkeit die in erster Instanz allerdings nur kursorisch festgestellte Parteienabsicht ohne die zwingend notwendige Beweiswiederholung (Kodek aaO Rz 1 zu § 497 ZPO) diametral umgewürdigt. Dies verstößt gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (Fucik in Rechberger aaO Rz 6 vor § 171 ZPO) und begründet die vom Revisionswerber ausdrücklich gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens. Ohne unmittelbare Erforschung des Vertragsverständnisses der Parteien, das das Erstgericht auf Grund von über die Urkunde hinausgehenden Beweisergebnissen seiner Entscheidung zugrunde legte, fehlte dem Berufungsgericht für die erst subsidiär vorzunehmende ergänzende Vertragsauslegung die Grundlage.

Es wird daher im fortzusetzenden Verfahren den dargelegten Verfahrensmangel zu beheben und zunächst auf Grund des gesamten bereits vorhandenen und allenfalls auch noch zu ergänzenden Beweisergebnisses entsprechende Feststellungen über die für die Entscheidung des Rechtsfalles maßgebliche Parteienabsicht zu treffen haben. Nur wenn sich der Parteiwille danach nicht ermitteln läßt, wird auf die oben dargelegten Auslegungskriterien zurückzugreifen sein.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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