OGH 9ObA66/95

OGH9ObA66/956.6.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter OR Mag.Eva Maria Sand und Thomas Mais als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Karl L*****, Arbeiter, ***** vertreten durch Mag.Cornelia Schmidiell-Esterbauer, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Salzburg, Auerspergstraße 11, 5020 Salzburg, diese vertreten durch Dr.Peter Cardona, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei prot. Firma Gregor A*****, Kfz-Mechanikerwerkstätte,***** vertreten durch Dr.Günter Pullmann, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 285.126,64 brutto sA (im Revisionsverfahren S 281.653,78 brutto sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.Februar 1995, GZ 13 Ra 91/94-24, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 22.März 1994, GZ 16 Cga 61/93-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden in dem das Klagebegehren abweisenden Teil aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des bisherigen Verfahrens und des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Unter der Behauptung einer ungerechtfertigten Entlassung begehrt der Kläger S 285.126,64 brutto (Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung und Abfertigung).

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Entlassung sei zu Recht erfolgt, weil der Kläger Autoersatzteile mit nur dem Dienstnehmer und bestimmten nahen Angehörigen vorbehaltenen Firmenrabatt von der beklagten Partei bezogen und damit einen schwunghaften Handel getrieben habe. Er habe weiters Stammkunden der beklagten Partei zu Konkurrenzunternehmen abgeworben und von diesen dafür Provision bezogen. Aus den unberechtigten Personalrabatten wendete die Beklagte eine Gegenforderung von S 30.000 sowie einen Betrag in doppelter Höhe der vom Kläger bezogenen Autoersatzteile (S 165.674,49) als Erlös den die Beklagte erzielen hätte können, wenn sie die den Ersatzteilen entsprechenden Reparaturen ausgeführt hätte,

compensando ein.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang einer restlichen Urlaubsabfindung von S 3.472,86 brutto sA rechtskräftig statt und wies das Mehrbegehren von S 281.653,78 brutto sA nach Feststellung, daß die eingewendete Gegenforderung nicht zu Recht bestehe, ab.

Folgende wesentliche Feststellungen liegen der Entscheidung zugrunde:

Der Kläger war seit 18.7.1977 zunächst als Lehrling und dann als Kraftfahrzeugmechaniker bei der beklagten Partei bis zu seiner Entlassung am 5.1.1993 beschäftigt. Mitarbeitern der Beklagten wurde bei Materialkäufen für sich oder Verwandte Personalrabatt im Ausmaß von 15 bis 40 % gewährt. Zum begünstigten Personenkreis gehörten an sich neben dem Dienstnehmer nur der Ehepartner, die Eltern und Geschwister, doch wurde die Kontrolle nicht so genau gehandhabt. Der Kläger kaufte zahlreiche Ersatzteile für entferntere Verwandte und verschwägerte Personen, ohne daß das Lagerpersonal die Bezugsberechtigung näher prüfte. Zumindest bei einem Kauf war dem Lagerleiter bekannt, daß der verbilligt bezogene Teil für das Fahrzeug eines Cousins des Klägers bestimmt war. Dem Lagerpersonal ist nicht aufgefallen, daß der Kläger im Vergleich zu anderen Mechanikern mehr Teile bezogen hat. Ersatzteilkäufe im Betrag von mehr als 4.000 bis 5.000 S mußten bar bezahlt werden, kleinere Beträge wurden vom Lohn abgezogen. Zum Teil wurde der Kaufpreis auch mit Provisionen für die Vermittlung von Fahrzeugverkäufen verrechnet. Am 3.1.1993 wurde der Kläger von seiner Bekannten Monika V***** telefonisch ersucht, bestimmte Ersatzteile für ihr Fahrzeug zu besorgen. Um den Personalrabatt ausnützen zu können, bestellte der Kläger die gewünschten Ersatzteile im eigenen Namen. Der zur Abrechnung erforderliche Teile-Schein und ein weiterer Zettel mit einer Auflistung der einzelnen Preise wurde vom Lehrling auf den Namen des Klägers ausgefüllt. Der Kläger behob dann die Ersatzteile bei der Ersatzteilausgabe und legte sie seiner Bekannten ins Auto. Der Inhaber der Beklagten beobachtete diesen Vorgang, erfuhr, daß kein Geschäftsfall der Beklagten vorliege und der Kläger die Ersatzteile für sich selbst ausgefaßt habe. Für den Inhaber der Beklagten war damit klar, daß der Kläger verbilligt eingekaufte Ersatzteile weiterverkauft und sprach die Entlassung aus. Daß der Kläger Kunden der Beklagten an Konkurrenzbetriebe vermittelte und Provisionen bezog, konnte nicht festgestellt werden.

Rechtlich sei der Entlassungsgrund des § 82 lit d GewO 1859 verwirklicht. Durch die falsche Vorgabe, die Ersatzteile für Monika V***** seien für ihn bestimmt, habe der Kläger die Beklagte zur Gewährung des Dienstnehmerrabattes veranlaßt und damit das Vergehen des versuchten Betruges zu verantworten. Im Hinblick auf die Schadenssumme zwischen 358,41 S und 955,76 S, der leugnenden Verantwortung des Klägers und seiner mangelnden Schuldeinsicht sei auch Vertrauensunwürdigkeit gegeben. Der verbilligte Ersatzteilbezug für Verwandte sei dem Kläger nicht anzulasten, weil der Inhaber der Beklagten jederzeit Einblick in die Rechnungen hatte und der Teilekauf des Klägers leicht überprüfbar war. Der Kläger habe daher davon ausgehen können, daß die Beklagte den verbilligten Teilebezug auch für weitere Verwandte wie Cousins, Schwager und Onkel toleriere.

Das Gericht der zweiten Instanz gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß der Kläger das Vergehen des versuchten Betruges begangen und der Versuch des Erschleichens eines Personalrabatts durch einen Dienstnehmer Vertrauensunwürdigkeit nach sich ziehe.

Gegen dieses Urteil der zweiten Instanz richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagestattgebung im Umfang des restlichen Klagebegehrens von S 281.653,78 brutto abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Während es bei Diebstahl und Veruntreuung keiner Prüfung bedarf, ob eine Vertrauensunwürdigkeit für den Arbeitgeber eingetreten ist, weil diese vom Gesetz als gegeben erachtet wird, muß eine andere strafbare Handlung, auch wenn es nur beim Versuch geblieben ist (WBl 1992, 197), um eine Entlassung zu rechtfertigen, objektiv geeignet sein, den Verlust des Vertrauens des Arbeitgebers herbeizuführen. Ein Arbeitnehmer verliert dann das Vertrauen des Arbeitgebers, wenn sich dieser mit Rücksicht auf die strafbare Handlung nicht mehr darauf verlassen kann, daß der Arbeitnehmer seine Pflichten getreulich erfüllen werde. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Einstellung des Arbeitgebers an, sondern darauf, ob das Verhalten des Arbeitnehmers nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise objektiv Vertrauensunwürdigkeit bewirkt, wobei auch das bisherige Verhalten des Arbeitnehmers nicht unbeachtlich bleiben darf (ZAS 1993/19). Nur bei besonderen Umständen wird die Weiterbeschäftigung im Falle eines Diebstahls oder einer Veruntreuung, bei denen die Vertrauensunwürdigkeit subintellegiert wird, ausnahmsweise nicht unzumutbar sein (DRdA 1991/48 [Pfeil]).

Im vorliegenden nachgewiesenen Fall hat der Kläger die Weisung, daß Dienstnehmer Personalrabatt bei Einkauf nur für sich oder bestimmte nahe Verwandte in Anspruch nehmen dürfen, dadurch mißbraucht, daß er, um den Personalrabatt in Anspruch nehmen zu können, auf eigenen Namen für eine nicht dem begünstigten Personenkreis angehörige Bekannte Ersatzteile bestellte. Selbst wenn der Kläger damit den Versuch einer strafbaren Handlung vollendet haben sollte, wie die Vorinstanzen annahmen, ist damit die in diesem Fall vom Gesetz nicht als gegeben angesehene Vertrauensunwürdigkeit entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht eingetreten.

Die von der Beklagten in der Berufung gerügte Feststellung, daß die Kontrolle der verbilligten Materialkäufe nicht so genau gehandhabt wurde, bezieht sich, wenn man die Feststellungen im Zusammenhang sieht, ohnehin nur darauf, daß das Lagerpersonal die Bezugsberechtigung nicht näher überprüfte. Ob der Inhaber der Beklagten davon wußte, ist nicht von Bedeutung, weil er sich Mängel der Organisation und der Kontrolle der Einhaltung seiner Weisungen zurechnen lassen muß, selbst wenn der Kläger diese Mängel ausgenützt haben sollte. Da aber der Kläger die Bestellung im eigenen Namen abgab, spielt die Prüfung der Bezugsberechtigung für andere Verwandte ohnehin keine Rolle.

Bei Prüfung der Vertrauensunwürdigkeit ist das bisherige Verhalten des Klägers genauso zu beachten, wie die Handhabung des Personalverkaufes. Hat der Kläger auch bisher schon durch eine unzureichende Kontrolle (ob durch den Lagerleiter oder den Inhaber der Beklagten macht keinen Unterschied) auch für entferntere Verwandte in Mißachtung der Weisung des Beklagten Ersatzteile anstandslos kaufen können, wobei es auf den Umfang der Käufe nicht ankommt, so ist das nunmehr inkriminierte Verhalten des Klägers - Personalkauf im eigenen Namen für eine Bekannte - auch nicht schwerwiegender als die bisherige Mißachtung der Weisung des Beklagten, weil in allen Fällen Schäden in der Preisdifferenz in Kauf genommen wurden. Bei der bislang mangelhaften Organisation der Kontrolle jeder Form des Selbstkaufes kann die bewußte aber nicht heimliche Ausnützung der Gegebenheiten solange nicht die sofortige Entlassung wegen einer mit einer strafbaren Handlung verbundenen Vertrauensunwürdigkeit rechtfertigen, solange die Organisation des Selbstkaufes nicht die Ernstlichkeit des auf Einhaltung der Selbstkaufweisungen gerichteten Dienstgeberwillens erkennen läßt. Im konkreten Fall hätte der Kläger zumindest bisher schon auf die Einhaltung der Weisung ernstlich hingewiesen werden müssen, bevor die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung durch einen wenn auch allenfalls strafbaren aber nicht schwerwiegenderen weiteren Verstoß gegen die Weisungen der Beklagten ins Treffen geführt werden kann.

Eine in den Vorinstanzen obsiegende Partei kann für sie ungünstige relevante Feststellungen oder Verfahrensmängel auch noch in der Revision oder der Revisionsbeantwortung bekämpfen (SSV-NF 6/15; EvBl 1985/113, JBl 1986, 121, 4 Ob 351/78; 6 Ob 736/82; 6 Ob 695/90; 10 ObS 11/94; 10 ObS 46/94). Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteiles, soferne das Berufungsgericht nicht der Beweiswürdigung des Erstgerichtes beitrat (6 Ob 512/81, 10 ObS 11/94, 10 ObS 46/94).

In der Revisionsbeantwortung führt die Beklagte aus, daß das Berufungsgericht eine Beweisrüge im Zusammenhang mit seinen Behauptungen, der Kläger habe in Konkurrenzierung der Beklagten Kaufinteressenten an das Autogeschäft einer Verwandten vermittelt und daraus Provisionen bezogen, nicht erledigt habe. Seine diesbezüglichen Ausführungen in der Berufungsbeantwortung, auf die er in der Revisionsbeantwortung verweist, erschöpften sich aber bloß darin, einen in erster Instanz nicht beantragten Zeugen zu führen und im Beweisverfahren nicht gedeckte Behauptungen aufzustellen. Eine solche mit dem Neuerungsverbot im Widerspruch stehende Tatsachenrüge (Beweis- und Mängelrüge) ist aber nicht geeignet, einen relevanten Verfahrensmangel zu begründen.

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen erfolgte der Ausspruch der Entlassung unbegründet.

Die Rechtssache ist aber dennoch nicht spruchreif. Im fortzusetzenden Verfahren werden Feststellungen über die Höhe der geltendgemachten Kündigungs- und Urlaubsentschädigung sowie der Abfertigung zu treffen sein. Auch die Diskrepanz zwischen dem vom Erstgericht festgestellten Urlaubsrest von 5,5 Tagen und dem der Berechnung der Urlaubsabfindung zugrundegelegten Urlaubsrest von 17,5 Urlaubstagen ist zu klären.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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