OGH 2Ob540/95(2Ob541/95)

OGH2Ob540/95(2Ob541/95)11.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der am 25.April 1920 geborenen Marianne R*****, infolge Revisionsrekurses der Sachwalterin Liebtraut K*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 4.November 1994, GZ 52 R 150, 162/94-72, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Landeck vom 1.Juni 1994, GZ SW 11/92-58, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die in Ansehung der Bestellung eines Sachwalters an sich und des für diesen umschriebenen Wirkungsbereiches in Rechtskraft erwachsen sind, werden in ihrem Ausspruch über die Person des Sachwalters aufgehoben.

In diesem Umfang wird dem Erstgericht die neue Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Mit Beschluß vom 14.10.1992 bestellte das Erstgericht für die betroffene Marianne R***** Liebtraut K***** vom Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft, Geschäftsstelle I*****, gemäß § 238 Abs 1 AußStrG zum einstweiligen Sachwalter für das Verfahren. Gemäß § 238 Abs 2 AußStrG wurde Liebtraut K***** als einstweilige Sachwalterin der Betroffenen mit der Vertretung in mehreren bestimmten Verfahren vor dem Bezirksgericht L*****, vor Gewerbebehörden aller Instanzen und vor dem Verwaltungsgerichtshof und vor den Finanzbehörden bestellt. Diese Beschlüsse sind in Rechtskraft erwachsen.

Nunmehr hat das Erstgericht über die bereits zitierten Verfahren hinaus den Wirkungsbereich der einstweiligen Sachwalterin gemäß § 238 Abs 2 AußStrG auch auf die Vertretung in den Verfahren 2 C 1342/91 und E 1725/94 des Bezirksgerichtes L***** sowie in allen gerichtlichen Verfahren, die zum Zeitpunkt des gegenständlichen Beschlusses gegen die Betroffene schon anhängig sind oder nach diesem Zeitpunkt gegen sie anhängig werden, bestellt.

Gegen diese Erweiterung ihres Pflichtenkreises erhob die einstweilige Sachwalterin Rekurs und machte geltend, es seien für die ihr übertragenen Aufgaben detaillierte Rechtskenntnisse erforderlich, sodaß ein Rechtsanwalt als einstweiliger Sachwalter zu bestellen sei.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs nicht für zulässig.

Das Rekursgericht vertrat - soweit es die Person der bestellten einstweiligen Sachwalterin betrifft - die Ansicht, es falle in die pflichtgemäße Beurteilung der Sachwalterin, allenfalls zur rechtskundigen Vertretung der Betroffenen einen Rechtsanwalt zu bestellen. Dadurch, daß nicht unmittelbar ein Rechtsanwalt zum einstweiligen Sachwalter gemäß § 238 Abs 2 AußStrG bestellt werde, könne ein wirtschaftlich nicht vertretbarer Kostenaufwand vermieden werden. Im Hinblick darauf, daß sich die Betroffene möglicherweise in einer finanziell ungünstigen Situation befinde, habe die einstweilige Sachwalterin die Voraussetzungen für die Gewährung der Verfahrenshilfe zu überprüfen und allenfalls entsprechende Schritte zu unternehmen. Wenngleich es wünschenswert wäre, einen rechtskundigen Sachwalter zu bestellen, sei doch auf die ungünstige wirtschaftliche Situation der Betroffenen Bedacht zu nehmen, sodaß davon Abstand zu nehmen sei.

Gegen diesen Beschluß - soweit er die Weiterung ihres Pflichtenkreises betrifft - richtet sich der Revisionsrekurs der einstweiligen Sachwalterin mit dem Antrag, einen Rechtsanwalt zum einstweiligen Sachwalter zu bestellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil es zur Bestimmung des § 281 ABGB keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gibt; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die einstweilige Sachwalterin macht geltend, daß bei der Auswahl des einstweiligen Sachwalters für dringende Angelegenheiten die Auswahlkriterien des § 281 ABGB zu beachten seien. Es sei daher, wenn die zu besorgenden Angelegenheiten vorwiegend Rechtskenntnisse erforderten, grundsätzlich ein Rechtsanwalt zum einstweiligen Sachwalter zu bestellen. Da im vorliegenden Fall mehrere Verfahren anhängig seien und die Bestellung für alle künftigen Verfahren ausgesprochen wurde, sei dem Wortlaut des Gesetzes und den Intentionen des Gesetzgebers entsprechend ein Rechtsanwalt zum Sachwalter zu bestellen. Die vom Rekursgericht angeführten wirtschaftlichen Überlegungen könnten allenfalls dann Platz greifen, wenn für andere nicht rechtliche Angelegenheiten ein einstweiliger Sachwalter zu bestellen sei, nicht jedoch dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, der einstweilige Sachwalter ausschließlich rechtliche Angelegenheiten zu besorgen habe.

Diese Ausführungen sind zutreffend:

Gemäß § 238 Abs 2 AußStrG hat das Gericht, wenn es das Wohl des Betroffenen erfordert, ihm zur Besorgung sonstiger dringender Angelegenheiten für die Dauer des Verfahrens einen einstweiligen Sachwalter zu bestellen. Dieser Beschluß wird mit der Zustellung wirksam (SZ 64/111), er kann vom einstweiligen Sachwalter insofern angefochten werden, als in seine eigene Interessen eingegriffen wird (Gitschthaler, Verfahrenssachwalter und einstweiliger Sachwalter, ÖJZ 1990, 762 [766]) was im vorliegenden Fall gegeben ist, weil der Pflichtenkreis des einstweiligen Sachwalters erweitert wurde. Da § 238 Abs 2 AußStrG nur auf § 248 verweist, ist § 249 AußStrG nicht anzuwenden, so daß das Rechtsmittelverfahren einseitig ist.

Bei der Auswahl der Person des einstweiligen Sachwalters ist § 281 ABGB anzuwenden (Maurer, Sachwalterrecht in der Praxis, 122; Gitschthaler aaO, 766). Gemäß § 281 Abs 3 ABGB ist, wenn die Besorgung der Angelegenheit der behinderten Person vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert, ein Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder Notar (Notariatskanditat) zum Sachwalter zu bestellen. Wenngleich dem Gericht bei der Auswahl jener Person, welche zum Sachwalter bestellt werden kann, ein Ermessenspielraum eingeräumt ist, ist nach dem zwingenden Wortlaut des § 281 Abs 3 ABGB dann, wenn es klar ist, daß zur Besorgung der Angelegenheiten Rechtskenntnisse vorwiegend erforderlich sind, eine rechtskundige Person im Sinne des § 281 Abs 3 ABGB zum einstweiligen Sachwalter zu bestellen (siehe Gamerith, 3 Jahre Sachwalterrecht, NZ 1988, 61 [67]). § 281 Abs 3 ABGB zeigt, daß bei der Auswahl des Sachwalters besonders auf die Art der Angelegenheiten, die zu besorgen sind, zu achten ist. Soll also der Sachwalter den Behinderten in einem Rechtsstreit vertreten oder fordern die von ihm zu besorgenden Angelegenheiten sonst vorwiegend Rechtskenntnisse, so ist grundsätzlich, je nach den Umständen, ein Rechtsanwalt, Notar, Rechtsanwaltsanwärter oder Notariatskanditat zum Sachwalter zu bestellen (Maurer, aaO, 77). Daß die Vertretung der Betroffenen in den Verfahren 2 C 1342/91 und E 1725/94 des BG L***** sowie in allen gerichtlichen Verfahren, die zum Zeitpunkt des gegenständlichen Beschlusses anhängig sind oder anhängig wurden, vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert, ist evident. Die vom Rekursgericht herangezogenen wirtschaftlichen Interessen sind zwar grundsätzlich, da sie auch das Wohl des Betroffenen betreffen, zu berücksichtigen, sie können aber nicht das in erster Linie maßgebliche Auswahlkriterium der Art der Angelegenheiten, die zu besorgen sind, verdrängen.

Da sich der angefochtene Beschluß nur gegen die Bestimmung der konkreten Person des Sachwalters richtet war er lediglich insoweit aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht eine Person aus dem Kreise des § 281 Abs 3 ABGB zum einstweiligen Sachwalter für die Betroffene zu bestellen haben.

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