OGH 7Ob552/95

OGH7Ob552/9510.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen Tobias B*****, Ulrike B*****, und Christoph B*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Minderjährigen, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Rohrbach, Jugendwohlfahrt Neufelden, als Unterhaltssachwalter, diese vertreten durch Sabine B*****, diese vertreten durch Dr.Wolfgang Graziani-Weiss, Rechtsanwalt in Linz, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 24.Oktober 1994, GZ 18 R 747, 748 und 749/94-63, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Neufelden vom 26.September 1994, GZ P 7/91-60, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung einschließlich des rechtskräftigen Teiles wie folgt zu lauten hat:

Der Antrag des Vaters Andreas B*****, die zuletzt mit Vergleich vom 12.2.1992 für die minderjährigen Kinder Tobias, Ulrike und Christoph B***** festgesetzten monatlichen Unterhaltsbeträge von S 3.000,--, S 2.750,-- und S 2.750,-- auf S 1.400,--, S 1.300,-- und S 1.300,-- herabzusetzen, wird abgewiesen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern der drei Minderjährigen wurde am 27.11.1990 einvernehmlich geschieden. Die Kinder sind in der Obsorge der Mutter. Der Vater verpflichtete sich im Scheidungsvergleich zu monatlichen Unterhaltsbeträgen von S 3.200,--, S 2.750,-- und S 2.750,--. Mit Vergleich vom 12.2.1992 wurde der für den mj. Tobias festgesetzte Unterhaltsbetrag auf S 3.000,-- herabgesetzt.

Der Vater hatte im Jahr 1991 aus unselbständiger Arbeit rund S 11.700,-- und aus selbständiger Erwerbstätigkeit rund S 6.075,-- jeweils im Monat verdient. Im September 1992 gab der Vater die unselbständige Arbeit ohne besonderen Grund auf. Zum selben Zeitpunkt meldete er auch sein Gewerbe ruhend. Der vom Vater aus diesem Grunde erhobene Herabsetzungsantrag wurde mit Beschluß vom 6.10.1992 (ON 26) abgewiesen.

Im November 1992 vermietete der Vater sein Geschäftslokal seiner Lebensgefährtin mit einem als "Pachtvertrag" bezeichneten Vertrag um einen monatlichen "Mietzins" von S 1.000,--. In dem darin seither von seiner Lebensgefährtin geführten gleichartigen Gewerbe hilft der Vater laut eigenen Angaben ca 6 bis 7 Stunden pro Woche mit. Ab 1.6.1993 nahm er eine unselbständige Erwerbstätigkeit auf, weil ihm sonst die Notstandshilfe entzogen worden wäre. Der monatliche Durchschnittsverdienst einschließlich Sonderzahlungen betrug damals S 10.512,--. Am 30.11.1993 wurde der Vater "aus innerbetrieblichen Gründen" wieder gekündigt. Seither bezieht er wieder die Arbeitslosenunterstützung (vom 2.12.1993 bis 6.6.1994 S 6.255,--; seit 7.6.1994 S 8.289,-- monatlich).

Im April und Mai 1994 versuchte der Vater mit ca 38 Bewerbungsschreiben einen neuen Arbeitsplatz zu finden, was ihm aber nicht gelang.

Am 13.7.1993 beantragte der Vater neuerlich die Herabsetzung der Unterhaltsbeträge. Aufgrund seiner nunmehrigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse sei er nicht mehr in der Lage, die bisher geleisteten Unterhaltsbeträge zu zahlen.

Das Erstgericht setzte - im zweiten Rechtsgang - die Unterhaltsbeträge antragsgemäß herab. Der Vater habe seinen neuen Arbeitsplatz unverschuldet verloren, beziehe seither wieder die Arbeitslosenunterstützung und erziele aus der Vermietung seines Geschäftslokals Einkünfte von S 1.000,--/Monat. Bei diesen Einkommensverhältnissen sei ein höherer Unterhalt nicht zumutbar. Eine Anspannung habe nicht zu erfolgen, weil der Vater den neuen Arbeitsplatz nicht aus eigenem Verschulden verloren habe.

Das Rekursgericht setzte die Unterhaltsbeträge auf S 1.800,--, S 1.600,-- und S 1.600,-- herab und wies die weiteren Herabsetzungsbegehren von S 400,--, S 300,-- und S 300,-- ab. Weiters sprach es aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Anspannung auf das im Jahr 1991 erzielte Einkommen habe nicht stattzufinden, weil der Vater den neuen Arbeitsplatz ohne eigenes Verschulden verloren habe. Die Suche nach einem anderen Arbeitsplatz sei zwar zeitlich erst nach dem Aufhebungsbeschluß im ersten Rechtsgang aufgenommen worden, in dem Ausführungen über das Erfordernis der Arbeitsplatzsuche enthalten gewesen seien, aber ohne Erfolg geblieben. Daß dem Vater - wie im Rekurs behauptet wurde - mehrmals der Arbeitslosenbezug eingestellt wurde, weil er zumutbare Arbeiten nicht angenommen habe, könne ihm nicht schaden, weil hier nur sein Verhalten seit seiner Kündigung zum 30.11.1993 zu prüfen sei. Die Anzahl der Vermittlungsversuche sage über die Arbeitswilligkeit aber auch nichts aus. Daß er sein ruhendes Gewerbe nicht wieder aufnehme, könne dem Vater ebensowenig vorgeworfen werden, weil er sonst die Arbeitslosenunterstützung verlieren würde. Als weiterer Einkommensbestandteil sei jedoch die Tätigkeit des Vaters im Gewerbe seiner Lebensgefährtin zu berücksichtigen. Nach seinen eigenen Angaben helfe er dort ca 6 bis 7 Stunden pro Woche aus, wofür ein Entgelt von S 2.800,--/Monat zu veranschlagen sei. Nach der Prozentmethode errechneten sich zwar geringfügig höhere Unterhaltsbeträge, doch sei diese Bemessungsart bei geringem Einkommen nicht voll auszuschöpfen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von den Minderjährigen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil zu der vom Gericht zweiter Instanz zur Anspannung vertretenen Rechtsansicht entgegenstehende (unveröffentlichte) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes besteht.

Die Vertretungsbefugnis der Mutter im Revisionsrekursverfahren ist gegeben. Zwar wurden sämtlichen Minderjährigen noch vor der Entscheidung über den Herabsetzungsantrag des Vaters im ersten Rechtsgang Unterhaltsvorschüsse gewährt. Gemäß § 9 Abs 2 UVG wurde der Jugendwohlfahrtsträger mit der Zustellung dieser Beschlüsse Sachwalter der Minderjährigen zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche. Diese Sachwalterschaft erstreckt sich auf alle Unterhaltsinteressen der Minderjährigen und ist nicht auf die sich aus dem UVG ergebenden Belange beschränkt (EvBl 1992/114). Vertretungshandlungen des bisherigen gesetzlichen Vertreters sind damit - im Gegensatz zur rechtsgeschäftlichen Übertragung der Vertretungsbefugnis an den Jugendwohlfahrtsträger im Sinne des § 212 Abs 2 ABGB (EvBl 1991/51; EvBl 1994/67; ÖAV 1992, 88) - in allen Fragen des Unterhaltsbereiches ausgeschlossen (RZ 1991, 18; EvBl 1992/114; ÖAV 1992, 165). Die - im Rahmen der Verfahrenshilfe anwaltlich vertretene - Mutter ist aber im vorliegenden Fall von der Vertretung der Minderjährigen nicht ausgeschlossen, weil der Jugendwohlfahrtsträger die Mutter ausdrücklich ermächtigt hat (ON 67), eigenverantwortlich gegen den Vater im Unterhaltsherabsetzungsverfahren mit Revisionsrekurs vorzugehen (vgl EvBl 1993/184).

Es trifft zwar zu, daß sogar bei einem verschuldeten Arbeitsplatzverlust nicht in Anwendung des Anspannungsgrundsatzes automatisch davon ausgegangen werden kann, daß dem Unterhaltspflichtigen weiterhin das verlorene Einkommen zur Verfügung stünde; die Anspannung darf nicht zu einer bloßen Fiktion führen, sondern muß immer auf der hypothetischen Feststellung beruhen, welches reale Einkommen der Unterhaltspflichtige in den Zeiträumen, für die die Unterhaltsbemessung erfolgt, unter Berücksichtigung seiner konkreten Fähigkeiten und Möglichkeiten bei der gegebenen Arbeitsmarktlage zu erzielen in der Lage wäre (6 Ob 530/92; 1 Ob 552/93; 7 Ob 596/94). Daß sich der Unterhaltspflichtige selbst in die Lage gebracht hat, einen neuen Arbeitsplatz finden zu müssen, ist regelmäßig solange unerheblich, als ihm nicht nachgewiesen werden kann, es auf den Verlust des Arbeitsplatzes deshalb angelegt zu haben, um seine Unterhaltspflichten nicht erfüllen zu müssen (6 Ob 530/92; 7 Ob 596/94). Gibt aber der Unterhaltspflichtige gut bezahlte Beschäftigungen ohne triftigen Grund auf, dann mag ihm das zwar im Rahmen seiner Erwerbsfreiheit unbenommen bleiben, kann jedoch nicht die Rechtsstellung ihm gegenüber unterhaltsberechtigter Personen, vor allem mj. Kinder, beschweren, die zur Bestreitung ihres Unterhalts auf seinen Erwerb angewiesen sind und ihre Bedürfnisse auf dessen angemessene Unterhaltsleistungen - berechtigterweise - eingerichtet haben (6 Ob 654/90; iglS auch 6 Ob 639/90, beide nur teilweise veröffentlicht in ÖAV 1991, 43).

Auch in einem solchen Fall mag zwar der Unterhaltspflichtige nicht endlos auf das seinerzeitige, aus freiem Entschluß aufgegebene Einkommen angespannt werden können, insbesondere dann nicht mehr, wenn er bemüht ist, den seinerzeitigen Fehler wieder gutzumachen und - wenn auch erfolglos - einen neuen Arbeitsplatz sucht, der ihm wieder die Erzielung eines angemessenen Einkommens ermöglicht. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor:

Der Vater hat im September 1992 nicht nur seinen vormaligen Arbeitsplatz aufgegeben, sondern auch sein Gewerbe, welches ihm ein nicht unbeträchtliches Zusatzeinkommen ermöglichte, ruhend gemeldet. Er ist im Rahmen dieses Unternehmens jedoch weiterhin - wenngleich im Namen seiner Lebensgefährtin - tätig, sodaß er - bei entsprechendem Einsatz - durchaus in der Lage wäre, Einkünfte in dem im Jahr 1991 erwirtschafteten Ausmaß zu erzielen. Auch für diese Art der "Unternehmensübertragung" hat der Vater keinerlei triftige Gründe angeführt. Damit ist aber nur eine Vermögens-Einkommensverschiebung bewirkt worden, die nicht zu Lasten der Minderjährigen gehen kann. Unter diesen Umständen kann der Vater daher ohne weiteres auf das seinerzeitige fiktive Gesamteinkommen, welches auch nicht wesentlich über durchschnittlichen Einkommensverhältnissen liegt - angespannt werden.

In Stattgebung des außerordentlichen Revisionsrekurses war daher der Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters abzuweisen.

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