Spruch:
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Rekursgericht eine Entscheidung über das Rechtsmittel der Patientenanwältin aufgetragen.
Text
Begründung
Die Kranke, eine 76-jährige Pensionistin, wurde am 9.1.1995 ohne deren Verlangen - mit der Diagnose einer Multimorbidität im Senium mit nun aufgetretener Verwirrtheit und Fehlorientierheit bei gegebener Selbstgefährdung - im LNKH Graz untergebracht. In der am 12.1.1995 durchgeführten Erstanhörung wurde die Unterbringung vorläufig für zulässig erklärt und die Tagsatzung zur Überprüfung der Unterbringung für den 26.1.1995 anberaumt. Wegen Verhinderung des bei der Erstanhörung beigezogenen Sachverständigen Univ.Doz.Dr.B***** wurde gleichzeitig Dr.M***** als Sachverständiger bestellt. Die Patientenanwältin verzichtete nicht auf die Erstellung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Die für den 26.1.1995 anberaumte Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung wurde auf den 9.2.1995 erstreckt, weil es bedingt durch die Urlaubsabwesenheit des Sachverständigen Dr.B***** zu dem Sachverständigenwechsel gekommen war. Ein schriftliches Gutachten für diese Verhandlung war nicht erstattet worden.
Gegen den Beschluß auf Erstreckung der Tasgsatzung erhob die Patientenanwältin Rekurs mit dem Antrag, die Unterbringung der Kranken für unzulässig und die Erstreckung der Tagsatzung vom 26.1.1995 für nichtig zu erklären. Die Erstreckung der Tagsatzung sei zu Unrecht erfolgt, weil die urlaubsbedingte Abwesenheit des ursprünglich beigezogenen Sachverständigen bereits zum Zeitpunkt der Erstanhörung bekannt und die rechtzeitige Erstattung eines schriftlichen Gutachtens durch einen anderen Sachverständigen möglich gewesen sei. Die Voraussetzungen zur Unterbringung seien bei der mündlichen Verhandlung am 26.1.1995 nicht mehr vorgelegen.
Das Rekursgericht wies diesen Rekurs als unzulässig zurück. Die Unterbringung ohne Verlangen habe am 31.1.1995 geendet, wodurch die Beschwer weggefallen sei. Ein rechtliches Interesse an der ausnahmsweisen Feststellung des in seinen Rechten Beeinträchtigten, nach Aufhebung der freiheitseinschränkenden Maßnahmen, ob die Anhaltung zu Recht erfolgte, sei nicht gegeben, da mit dem angefochtenen Erstreckungsbeschluß das Grundrecht des Kranken auf persönliche Freiheit nicht berührt worden sei. Nach dem Unterbringungsgesetz sei die Erstreckung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung nicht ausgeschlossen. Im übrigen sei das Rechtsmittel schon deshalb unzulässig, weil sich § 141 ZPO nur auf eine "bewilligte Erstreckung", nicht aber auf amtswegige Erstreckungen einer Tagsatzung beziehe.
Dagegen richtet sich der von der zweiten Instanz zugelassene Revisionsrekurs der Patientenanwältin mit dem Antrag, die Erstreckung der Tagsatzung vom 26.1.1995 als nichtig zu erklären bzw. festzustellen, daß die Erstreckung einen Verfahrensmangel darstelle und unzulässig sei und die Unterbringung der Kranken ab dem 26.1.1995 für unzulässig zu erklären.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch gerechtfertigt.
Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels in dem hier maßgeblichen Verfahren außer Streitsachen (§ 12 Abs 2 UbG) setzt voraus, daß der Rechtsmittelwerber noch im Zeitpunkt der Entscheidung über sein Rechtsmittel durch die bekämpfte Entscheidung beschwert ist. In Fällen, in welchen der gerichtliche Beschluß das Grundrecht des Menschen auf persönliche Freiheit berührt, billigt die Rechtsprechung dem in diesem Recht Beeinträchtigten auch noch nach Aufhebung der Unterbringung ein rechtliches Interesse an der Feststellung zu, daß die freiheitsbeschränkende Vorkehrung zu Unrecht erfolgt sei (SZ 60/12; EvBl 1993/33; RdM 1994, 28; NZ 1994, 253; zuletzt 2 Ob 507/95).
Der Rechtsmeinung des Rekursgerichtes, mit dem angefochtenen Erstreckungsbeschluß sei das Grundrecht des Kranken auf persönliche Freiheit nicht berührt worden, weil die Erstreckung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung nicht ausgeschlossen sei, kann aber in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden.
Gemäß § 19 Abs 1 UbG hat sich das Gericht binnen vier Tagen ab Kenntnis von der Unterbringung einen persönlichen Eindruck vom Kranken in der Anstalt zu verschaffen. Es hat ihn über Grund und Zweck des Verfahrens zu unterrichten und hiezu zu hören. Gelangt das Gericht bei der Anhörung zum Ergebnis, daß die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen, so hat es diese vorläufig bis zur Entscheidung nach § 26 Abs 1 UbG für zulässig zu erklären und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, die spätestens innerhalb von 14 Tagen nach der Anhörung stattzufinden hat (§ 20 Abs 1 UbG). Der Verhandlung ist neben dem Abteilungsleiter und dem Patientenanwalt zumindest ein Sachverständiger beizuziehen (§ 22 Abs 1 UbG), der ein schriftliches Gutachten über das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen zu erstatten hat, das dem Gericht, dem Vertreter des Kranken sowie dem Abteilungsleiter rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung zu übermitteln ist (§ 22 Abs 3 UbG). Eine endgültigte Entscheidung über die vorläufige Unterbringung für einen bestimmten Zeitraum soll somit erst nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf wesentlich erweiterter Sachgrundlage gefällt werden. Ziel des UbG ist daher nach den Materialien (JAB 1202 BlgNR XVII.GP, 2 f) ausschließlich der Schutz der Persönlichkeitsrechte, insbesondere des Rechts auf die körperliche Bewegungsfreiheit psychisch Kranker in geschlossenen Bereichen von Krankenanstalten. Danach soll sich das Gericht durch eine rasche Anhörung innerhalb von vier Tagen unter Beiziehung des Patientenanwaltes und des Abteilungsleiters einen unmittelbaren Eindruck vom Kranken verschaffen, um eine sofortige vorläufige Entscheidung über die Unterbringung möglich zu machen. Wird auf Grund dieser Erstanhörung die Unterbringung vorläufig für zulässig erklärt, ist dann bei einer mündlichen Verhandlung innerhalb von 14 Tagen auf Grund eingehender Beweisaufnahmen über die Zulässigkeit der Unterbringung des Kranken endgültig zu entscheidung (Kopetzki, Unterbringungsgesetz Rz 367).
Die Erstreckung der mündlichen Verhandlung, in der über die Zulässigkeit der Unterbringung endgültig entschieden werden soll, bewirkt aber eine weitere Unterbringung über den für vorläufig zulässig erklärten Zeitraum hinaus und kann daher das Grundrecht des Menschen auf persönliche Freiheit berühren. Daraus folgt, daß das Rechtsschutzinteresse des Kranken an der Feststellung, ob er durch diese gerichtliche Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt wurde weiterhin besteht.
Schließlich trifft der Hinweis des Rekursgerichtes, das Rechtsmittel sei schon deshalb unzulässig, weil sich § 141 ZPO nur auf eine "bewilligte Erstreckung", nicht aber auf amtswegige Erstreckungen einer Tagsatzung beziehe, nicht zu. Gemäß § 25 Abs 1 UbG gelten für die mündliche Verhandlung die §§ 239 und 242 AußStrG. Nach § 239 AußStrG sind für die mündliche Verhandlung die Bestimmungen der ZPO anzuwenden. Diese finden sich in den §§ 171 bis 225 ZPO. Die vom Rekursgericht angezogene Rechtsmittelbeschränkung des § 141 ZPO ist daher von dieser Verweisungsnorm nicht umfaßt, sodaß von der allgemeinen Rechtsmittelbefugnis im Sinn des § 9 AußStrG auszugehen ist.
Da das Rekursgericht den Rekurs zu Unrecht mangels Beschwer zurückgewiesen hat, war spruchgemäß zu entscheiden.
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