OGH 6Ob520/95

OGH6Ob520/956.4.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Adolf K*****, vertreten durch Dr.Ewald Jenewein, Dr.Gerhard Zimmermann, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Elisabeth S*****, vertreten durch Dr.Axel Fuith, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Aufhebung einer Miteigentumsgemeinschaft, infolge der Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 16.November 1994, AZ 2 R 281/94 (ON 24), womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 11.Mai 1994, GZ 11 Cg 91/92-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs.1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs.3 ZPO).

Die Parteien haben ihre Kosten des Revisionsverfahrens jeweils selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Parteien sind je zur Hälfte Miteigentümer einer Liegenschaft in der Altstadt von Innsbruck mit einem darauf befindlichen dreistöckigen Haus in der Stiftgasse 4. Im Erdgeschoß befindet sich ein kleines Geschäftslokal, in den Obergeschoßen je eine Wohnung. Der Bauzustand des Hauses entspricht nicht mehr den Anforderungen der heutigen Zeit. Eine Sanierung würde einen Aufwand von S 3 bis 4 Mill. erfordern.

Der Kläger begehrt mit der am 11.11.1992 eingebrachten Klage die Aufhebung der Eigentumsgemeinschaft durch gerichtliche Feilbietung.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und wandte vor allem Unzeit des Aufhebungsbegehrens im Sinne des § 830 ABGB deswegen ein, weil mit einer Liberalisierung der Ausländergrundverkehrsbestimmungen spätestens ab Jänner 1996, einer dadurch bedingten erhöhten Nachfrage nach Grundstücken und in der Folge mit einer Steigerung des allgemeinen Preisniveaus und damit auch des Verkehrswertes der Liegenschaft der Parteien zu rechnen sei.

Das Erstgericht gab der Klage mit der wesentlichen Begründung statt, daß trotz der Gleichstellung von "EWR-Bürgern" mit Inländern noch keineswegs mit einer ins Gewicht fallenden Steigerung der Preise von Liegenschaften zu rechnen sei. Der Beklagten sei ein solcher Nachweis nicht gelungen. Das Abwarten über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren sei für den Kläger unzumutbar. Es sei nicht sicher, ob die von der Beklagten behaupteten Umstände tatsächlich eintreffen werden. Es könne nicht von einem vorübergehenden, absehbaren Ausnahmezustand gesprochen werden.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Beklagten nicht statt. Nur außergewöhnliche volkswirtschaftliche Verhältnisse könnten den Einwand der Unzeit begründen. Gewisse Schwankungen der auf dem Grundstücksmarkt erzielbaren Preise müßten hingenommen werden, weil diese Entwicklungen nicht absehbar seien. Zwar begründete der zum 1.1.1995 bevorstehende Beitritt Österreichs zur Europäischen Union und der Wegfall der Beschränkungen im Grundverkehr für Ausländer außergewöhnliche Verhältnisse, es müßte aber aufgrund konkreter Umstände eine begründete Aussicht auf eine Werterhöhung der im gemeinsamen Eigentum der Parteien stehenden Liegenschaft bestehen. Derartige Umstände hätte die Beklagte beweisen müssen. Der Beweis könne in der Regel nur unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen erbracht werden. Die Beklagte habe sich aber nur auf den Wegfall der Beschränkungen des Ausländergrundverkehrs und des Kapitaltransfers berufen. Aus diesen allgemeinen Überlegungen könne eine Prognose über die Werterhöhung der Liegenschaft nicht abgeleitet werden. Mit einiger Wahrscheinlichkeit werde die Nachfrage nach Liegenschaften und deren Preis in traditionellen Erholungsgebieten steigen, dies könne aber nicht für die Altstadt von Innsbruck vorausgesagt werden. Die Entwicklung hänge von völlig ungewissen Faktoren ab, etwa vom Preisniveau im Vergleich zu ähnlichen Objekten in Ländern der Europäischen Union, der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung, dem Zinsniveau ua Umständen. Eine sofort nach dem 1.1.1996 einsetzende, sprunghafte Entwicklung des Liegenschaftspreisniveaus könne nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Ein Wegfall des geltend gemachten Teilungshindernisses "in Bälde" könne nicht angenommen werden.

Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit über S 50.000,-- und ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Rechtsfrage, inwieweit der bevorstehende Beitritt Österreichs zur Europäischen Union "zum Teilungshindernis der Unzeit nach § 830 Abs 2 ABGB führe", von allgemeiner Bedeutung sei und eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes dazu nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Berufungsgericht zur Zulässigkeit der Revision aufgezeigte Rechtsfrage ist aus nachstehenden Gründen nicht entscheidungswesentlich:

Nach Art 4 des am 1.1.1994 in Kraft getretenen EWR-Abkommens (BGBl 1993/909) ist im Anwendungsbereich des Abkommens jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Der Grundatz der Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern ergibt sich weiters aus den im Abkommen geregelten Individualrechten der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art 28 EWRA), der Niederlassungsfreiheit (Art 31 und 34 EWRA), des freien Dienstleistungsverkehrs (Art 36 EWRA) und der Kapitalverkehrsfreiheit (Art 40 EWRA). Diese Rechte gehörten und gehören zum Rechtsbestand der Euopäischen Gemeinschaften (EG).

Mit der Frage, ob das Gemeinschaftsrecht des EWRA in Österreich unmittelbar anwendbar ist, oder aber eine Umsetzung in das nationale Recht durch entsprechende Anpassungsakte notwendig ist, hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung vom 4.10.1994, 4 Ob 88/94, auseinandergesetzt. Die Bestimmungen des EWRA seien als sogenanntes Primärrecht unmittelbar anwendbar. Im Konfliktfall mit entgegenstehenden nationalen Vorschriften dürften diese von den Organen der Vollstreckung nicht angewendet werden. Für die ohne Transformationsvorbehalt in die österreichische Rechtsordnung übernommene Staatsverträge gelte die Regel "lex posterior derogat legi priori".

Die Frage, ob die Bestimmungen des EWRA und des EU-Rechtes (EGV), insoweit in beiden Fällen sogenanntes Primärrecht vorliegt, von österreichischen Gerichten unmittelbar angewendet werden können und müssen oder ob entgegenstehende nationale Bestimmungen zuvor auf ihre Entsprechung zum Völkerrecht und zur österreichischen Verfassung angefochten und überprüft werden müssen, braucht hier aber hinsichtlich des EWRA nicht neuerlich und hinsichtlich des EGV nicht erstmals näher untersucht werden, weil in beiden Fällen der gegen den Teilungsanspruch des Klägers erhobene Einwand der Unzeit nach § 830 ABGB aus folgenden Erwägungen nicht berechtigt sein kann:

Die Beklagte stützt ihren Einwand auf die Erwartung, daß wegen der unbeschränken Zulassung des Grunderwerbs durch bestimmte Ausländer das Preisniveau für Grundstücke ganz allgemein in absehbarer Zeit steigen werde. Sie führt dazu in der Revision ausschließlich den Umstand ins Treffen, daß nunmehr "ein Markt von 500 Millionen potentiellen Käufern statt 8 Millionen potentiellen Käufern" vorliege, sodaß die Prognose einer Steigerung des Preisniveaus notorisch sei.

Diese Folgerung ist durchaus nicht zwingend:

Wenn der Gleichbehandlungsgrundsatz bereits unmittelbar anwendbares österreichisches Recht darstellt, bleibt für einen auf Unzeit gestützten Aufschub der Teilung kein Raum, weil sich der Markt auf die geänderte Rechtslage bereits eingestellt haben müßte. Die von der Beklagten erwartete Steigerung des Preisniveaus wäre schon eingetreten. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre nicht absehbar, wann eine Steigerung des Preisniveaus eintreten wird.

Wenn andererseits noch österreichische Anpassungsgesetze der für den Grundverkehr zuständigen Landesgesetzgeber erforderlich sein sollten, stünde dem Einwand der Unzeit entgegen, daß nach herrschender Lehre und Rechtsprechung nur ein vorübergehender, absehbarer Ausnahmezustand einen Aufschub rechtfertigen kann (Gamerith in Rummel ABGB I2 Rz 6 zu § 830 und die dort zitierte Judikatur; MietSlg 36.043). Den Beklagten trifft die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen von Teilungshindernissen, die konkretisiert werden müssen (EvBl 1966/26; Gamerith aaO Rz 19 mwN). Die Beklagte traf danach die Beweislast, daß der Landesgesetzgeber in Tirol in absehbarer Zeit dem Grundsatz der Gleichbehandlung durch eine Gesetzesänderung Rechnung tragen werde. Derartiges hat die Beklagte im Verfahren erster Instanz nicht vorgebracht. Der Hinweis in der Revision, der Tiroler Landtag werde im März 1995 eine Anpassung des Tiroler Grundverkehrsrechtes an den EU-Vertrag vornehmen, verstößt nicht nur gegen das Neuerungsverbot, er ist auch zu unbestimmt, weil nicht dargelegt wird, welche konkrete Änderung des Landesgesetzgebers geplant ist. Schon aus diesem Grund kann sich die Revisionswerberin auch nicht auf die in SZ 40/171 veröffentlichte Vorentscheidung des Obersten Gerichtshofes berufen. Dieser lag zwar ebenfalls eine geplante Änderung eines Gesetzes als Voraussetzung für eine zu erwartende Steigerung des Preisniveaus auf dem Grundstücksmarkt zugrunde (Änderung der Mietzinsvorschriften ließen eine Ertragswertsteigerung von Miethäusern erwarten), der Fall einer Änderung des Mietrechtes ist aber mit dem vorliegenden Fall der Änderung der Grunderwerbsvorschriften nicht vergleichbar, weil durch diese keine unmittelbaren Einwirkungen auf die vorzüglich preisbestimmende Ertragsfähigkeit von Liegenschaften ausgehen.

Zunächst einmal sprechen gegen die von der Beklagten als geradezu notorisch angesehene Preisentwicklung die vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen. Vor allem konkretisierte die Beklagte nicht, wann nach Aufhebung der landesgesetzlichen Beschränkungen des Erwerbs von Grundstücken durch Ausländer eine signifikante Steigerung des Preisniveaus eintreten werde. Dies hätte die beweispflichtige Beklagte konkret und begründet zu behaupten gehabt. Die Beklagte übersieht ferner - diesem Aspekt kommt nach Ansicht des Revisionsgerichtes entscheidende Bedeutung zu - daß am Grundstücksmarkt im städtischen Bereich aufgrund der sowohl Inländer wie Ausländer gleichermaßen treffenden Beschränkungen des Grunderwerbes keine gravierenden, sprunghaften Preissteigerungen in absehbarer Zeit zu erwarten sind. Nach § 14 Tiroler GrundVerkehrsG ist der Erwerb von Freizeitwohnsitzen, also von Zweitwohnsitzen, verboten. Schon daraus ergibt sich eine entscheidende Schwächung des Argumentes, die Nachfrage am Grundstücksmarkt würde sich durch die Zulassung von Ausländern beim Grunderwerb um ein Vielfaches steigern. In der politischen Debatte vor der Volksabstimmung über den EU-Beitritt Österreichs war der "drohende Ausverkauf von österreichischem Grund und Boden" ein gewichtiger Punkt. Um dieser als Gefahr empfundenen möglichen Entwicklung entgegenzuwirken, aber trotzdem am freien Kapitalverkehr im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft teilnehmen zu können, hat Österreich sich in Art 70 des EU-Beitrittsvertrages (BGBl 1995/45) vorbehalten, die Rechtsvorschriften betreffend Zweitwohnungen fünf Jahre ab Beitritt beibehalten zu können. Es kann erwartet werden, daß die Beibehaltung der landesgesetzlichen Regelungen über Zweitwohnsitze einer gesteigerten Nachfrage nach Grund und Boden durch Ausländer aus den EU-Mitgliedsstaaten bzw. dem Europäischen Wirtschaftsraum dämpfend entgegenwirkt. Daß dies in absehbarer Zeit nicht der Fall sein werde und mit einem Preisanstieg aus konkreten Gründen zu rechnen sei, hätte die Beklagte auszuführen und nachzuweisen gehabt. Sie hätte die besonderen Verhältnisse im Innsbrucker Raum aufzuzeigen gehabt, also die Anzahl ausländischer Unternehmungen, die bisher ihre Betriebsstätten nur im Wege der Pacht oder Miete nutzen konnten, jetzt aber im Rahmen der Niederlassungsfreiheit am Grunderwerb teilnehmen dürfen oder aber die Anzahl von in Innsbruck und Umgebung seit längerer Zeit ansässiger, berufstätiger Ausländer, die nunmehr für ihren Hauptwohnsitz Grund erwerben können.

Entscheidungswesentlich für die Prognose der Grundstückspreise wäre schließlich auch das derzeit herrschende Preisniveau in Innsbruck und Umgebung sowie im benachbarten Ausland. Denkbar wäre schließlich ein Sachverhalt, daß in Innsbruck ohnehin schon Grundstückspreise verlangt und erzielt werden, die sogenanntes "Europaniveau" haben, sodaß eine weitere Steigerung der Preise unwahrscheinlich wäre. Ohne die aufgezeigten essentiellen Parteibehauptungen und Feststellungen darüber kann die Marktlage nicht beurteilt und eine Prognose der Preisentwicklung nicht abgegeben werden. Eine trotzdem angestellte Prognose bliebe reine Spekulation.

Da die Beklagte schon ihrer Behauptungslast nicht ausreichend nachgekommen ist und nur unter Hinweis auf die Rechtslage einen Preisanstieg als notorisch erachtet, braucht auf die weitere Frage, ob der Beweis mit der allein angebotenen Parteienvernehmung überhaupt erbracht hätte werden können, oder ob hiefür nicht der Sachverständigenbeweis erforderlich gewesen wäre (vgl MietSlg 20.042) nicht weiter eingegangen werden. Da aus den dargelegten Gründen nur die zum Teilungshindernis nach § 830 ABGB von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätze entscheidungswesentlich sind, von denen das Berufungsgericht aber nicht abgewichen ist, liegen die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision nicht vor. Diese war daher zurückzuweisen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 40, 50 ZPO. Dem Kläger waren die Kosten der Revisionsbeantwortung nicht zuzusprechen, weil in dieser auf das Fehlen der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Revision nicht hingewiesen wurde.

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