OGH 7Ob14/95

OGH7Ob14/955.4.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herbert P*****, vertreten durch Dr.Siegfried Leitner, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei V***** Versicherungs AG, ***** vertreten durch Dr.Rainer Kurbos, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 66.000 sA (Revisionsinteresse S 52.200,-), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 9.Jänner 1995, GZ 1 R 416/94-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 6.September 1994, GZ 45 C 183/93m-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Zwischen den Streitteilen besteht für den Pkw Honda Prelude, Baujahr 1983, eine Kaskoversicherung, der ua. die Allgemeinen Bedingungen für die Fahrzeug-Elementarkaskoversicherung (EKB 1986) zugrundeliegen. Gemäß Art 1.3 EKB 1986 ist ua. der Verlust des Fahrzeugs durch Diebstahl versichert.

Art 2.4 und 5 EKB 1986 lauten:

"4. Werden gestohlene .............. Gegenstände erst nach Ablauf eines Monates nach Eingang der Schadensanzeige wieder zur Stelle gebracht, werden sie Eigentum der Versicherers.

5. Wird das Fahrzeug aufgefunden, werden die tatsächlich aufgewendeten Rückholkosten im Höchstausmaß von 2 % des Wiederbeschaffungswertes ohne Abzug einer vereinbarten Selbstbeteiligung vergütet."

Am 31.10.1992 parkte der Kläger sein Fahrzeug vor seinem Wohnhaus. Als er wegen einer Verkühlung seine Wohnung erst wieder am 2.11.1992 gegen 11 Uhr 30 verließ, stellte er das Verschwinden seines Fahrzeuges fest. Um 11 Uhr 40 desselben Tages erstattete der Kläger die Diebstahlsanzeige bei der Polizei. Am selben Tag meldete der Kläger den Diebstahl auch einem Mitarbeiter der Beklagten. Am 23.11.1992 nahm dieser Vertreter der Beklagten mit dem Kläger eine schriftliche Schadensanzeige auf, welche am 30.11.1992 bei der Beklagten einlangte.

Mit Schreiben vom 28.1.1993 wurde der Kläger vom Bürgermeister der Stadt Graz informiert, daß sein Fahrzeug in Krakau zum Verkauf angeboten werde; ein polnischer Staatsbürger habe sich bei ihm erkundigt, ob er das Fahrzeug, das noch mit Grazer Kennzeichen versehen sei, kaufen könne. Am 28.3.1993 übermittelte der Kläger der Beklagten den Typenschein und die Fahrzeugschlüssel. Die Beklagte lehnte am 2.7.1993 die Deckung im Hinblick auf divergierende Angaben des Beklagten über Zeit und Ort des Diebstahls in der ursprünglichen Diebstahlsanzeige und einem am 3.11.1992 aufgenommenen Protokoll ab.

Am 14.7.1993 empfahl die Beklagte dem Kläger, sein Fahrzeug selbst aus Polen zurückzuholen oder damit ein Unternehmen zu beauftragen. Da der Kläger erfahren hatte, daß sein Fahrzeug beschädigt war, hatte er kein Interesse an einer Rückholung.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Entschädigungsleistung für das in Verlust geratene Fahrzeug in der Höhe von S 66.000 sA.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Ein Nachweis, daß das Fahrzeug durch Diebstahl abhanden gekommen sei, liege nicht vor. Der Kläger habe sein Fahrzeug unversperrt abgestellt und den Diebstahl dadurch wesentlich erleichtert. Das Fahrzeug, dessen Standort der Kläger kenne, stehe nach wie vor in dessen Eigentum. Gemäß Art 2.5 EKB 1986 habe der Kläger nur Anspruch auf die Rückholkosten mit der dort angegebenen Betragsbeschränkung. Überdies sei die Beklagte leistungsfrei, weil der Kläger weder die Anzeige bei der Sicherheitsbehörde noch die Schadensmeldung rechzeitig bzw. fristgemäß erstattet habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Dem Kläger sei es zwar gelungen, den Diebstahl seines Fahrzeuges - als Versicherungsfall in der vorliegenden Kaskoversicherung - zu beweisen. Dafür, daß der Kläger sein Fahrzeug nicht versperrt hätte, lägen keinerlei Anhaltspunkte vor. Auch habe er nicht gegen die Obliegenheit verstoßen, die Schadensmeldung fristgemäß zu erstatten. Da das Fahrzeug aber innerhalb der Frist des Art 2.4 EKB 1986 zwar gefunden, aber nicht zur Stelle gebracht worden sei, weil der Kläger dessen Standort in Polen erfahren habe, sei es nicht ins Eigentum der Beklagten übergegangen, so daß es Sache des Klägers sei, es zurückzuholen. Rückhol- und Reparaturkosten, auf deren Deckung der Kläger an sich Anspruch hätte, seien aber noch nicht aufgelaufen.

Das Berufungsgericht gab der nur gegen die Abweisung des Teilbetrages

von S 51.200 sA. vom Kläger erhobenen Berufung Folge. Nach Ablauf der

in Art 2.4 EKB 1986 genannten Monatsfrist sei das gestohlene

Fahrzeug ins Eigentum der Beklagten übergegangen. Zu diesem Zeitpunkt

sei das Fahrzeug noch nicht aufgefunden gewesen. Ein Verstoß gegen

die Schadensminderungs- und Rettungspflicht iSd Art 6 AFIB 1986

sei dem Kläger somit nicht anzulasten. Selbst wenn man das Bestehen dieser Pflichten auch noch nach dem Eigentumsübergang annehmen wollte, sei für die Beklagte nichts zu gewinnen, weil es dem Kläger nicht zumutbar gewesen sei, die mit der Rückholung verbundenen Risken auf sich zu nehmen. Das Fahrzeug sei ja nicht bloß von den polnischen Behörden sichergestellt, sondern von Privaten zum Verkauf angeboten worden.

Die dagegen von der Beklagten erhobene außerordentliche Revision ist zulässig, weil weder zur Rückholpflicht iSd § 62 VersVG noch zu Art 2.4 EKB 1986 Rechtsprechung bei einem gleichartig gelagerten oder ähnlichen Sachverhalt besteht; sie ist im Ergebnis auch berechtigt.

Die Beklagte bekämpft in ihrer Revision die Feststellungen des Erstgerichtes. Als in erster Instanz siegreich gebliebene Partei war sie nach der Rechtsprechung (SZ 26/262; SZ 48/9; SZ 51/137 uva) nicht verbunden, in der Berufungsbeantwortung die für sie nachteiligen Feststellungen zu bekämpfen. Das Berufungsgericht hat auch nicht von Amts wegen die erstgerichtlichen Feststellungen auf ihre Richtigkeit geprüft, so daß der Oberste Gerichtshof daran nicht gebunden ist (SZ 54/160; JBl 1986, 121). Der Beklagten kann es aber auch nicht schaden, daß sie die Bekämpfung erstgerichtlicher Feststellungen mit außerordentlicher Revision geltend macht (vgl JBl 1986, 121), weil sie in der Revision eine andere Rechtsfrage mit Erfolg als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt. Das Berufungsgericht wird daher die in der Revision enthaltenen Tatsachenrügen zu behandeln haben (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 5 zu § 468).

Rechtliche Beurteilung

Zur rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Gemäß Art 2.5 EKB 1986 werden dem Versicherungsnehmer in der

Fahrzeug-Elementarkaskoversicherung im Fall des Verlustes des

Fahrzeuges durch Diebstahl nur die tatsächlich aufgewendeten

Rückholkosten im Höchstausmaß von 2 % des Wiederbeschaffungswertes

ohne Abzug einer vereinbarten Selbstbeteiligung vergütet, wenn das

Fahrzeug "aufgefunden wird". Gemäß Art 2.4 EKB 1986 werden ua.

gestohlene Gegenstände Eigentum des Versicherers, wenn sie erst nach

Ablauf eines Monats nach Eingang der Schadensanzeige "wieder zur

Stelle gebracht" werden. Anders als die Vorgängerbestimmung in Art

11 B Abs 5 AKIB, wonach der Versicherungsnehmer ausdrücklich

verpflichtet ist, entwendete Gegenstände zurückzunehmen, wenn sie

innerhalb zweier Monate nach Eingang der Schadensanzeige wieder zur

Stelle gebracht werden, und diese Gegenstände nach Ablauf der Frist

Eigentum des Versicherers werden, enthält Art 2.5 EKB keine

Befristung für den Eintritt der Beschränkung der

Versicherungsleistung auf die Rückholkosten. Ein verständiger

Versicherungsnehmer (siehe zur Maßgeblichkeit des Empfängerhorizonts

bei der Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen SZ 62/29;

SZ 62/136 ua) kann aber Art 2.4 iVm Art 2.5 EKB 1986 nur dahin

auffassen, daß die Pflicht des Versicherungsnehmers zur Rücknahme der

abhanden gekommenen Sache und die Beschränkung der Ersatzleistung auf

die Rückholkosten nur innerhalb der Frist des Art 2.4 EKB 1986

besteht, so daß nach Ablauf dieser Monatsfrist, nach dem die

Versicherungsleistung auch schon fällig geworden ist (Art 4.1 EKB

1986) die Entschädigung auch nicht auf die Rückholkosten beschränkt

ist. Die Richtigkeit dieser Auslegung ergibt sich auch daraus, daß

die EKB 1986 - anders etwa als Art 13 Abs 3 AEB 1986 -

nicht vorsehen, daß der Versicherungsnehmer die geleistete

Entschädigung zurückzuzahlen hat, wenn die gestohlenen Sachen nach

Leistung der Entschädigung wieder zustandegebracht werden. Eine

zeitlich unbefristete Rücknahmepflicht mit der Folge der Beschränkung

der Entschädigungsleistung auf die Rückholkosten würde aber auch dem

in Art 2.4 EKB 1986 vorgesehenen (Titel zum) Eigentumserwerb durch

den Versicherer widersprechen.

Aber auch die Frage, ob die Beklagte leistungsfrei iSd § 62 Abs 2 VersVG ist, hat das Berufungsgericht richtig gelöst. Die zwar zeitlich unbeschränkte Rettungspflicht des Versicherungsnehmers (Prölss/Martin, VVG25, 474) umfaßt nur die in der jeweiligen Situation möglichen und zumutbaren Rettungsmaßnahmen (Prölss/Martin aaO). Die Grenze des Zumutbaren ergibt sich aus Treu und Glauben; der Versicherungsnehmer braucht insbesondere nicht mit Kriminellen oder deren Mittelsmännern zu paktieren, etwa um gestohlene Gegenstände wieder herbeizuschaffen (Prölss/Martin aaO 475). Ein in Polen nicht bloß von der Behörde sichergestelltes, sondern von einem Händler zum Verkauf angebotenes Fahrzeug könnte der Versicherungsnehmer nicht einfach zurückholen. Es wären vielmehr Verhandlungen mit dem Händler über sein Eigentumsrecht, notfalls sogar eine Klageführung um dieses im Ausland erforderlich. Solche Maßnahmen sind im Rahmen des § 62 VersVG aber nicht zumutbar, schon gar nicht, wenn sie nicht innerhalb

der Frist des Art 2.4 EKB 1986, welche auch für Art 2.5 EKB 1986

gilt, zu einem Erfolg führen könnten (vgl BGH VersR 1982, 135).

Für den Fall, daß sich im weiteren Berufungsverfahren die Tatsachengrundlage nicht verändern sollte, hat es daher bei dieser rechtlichen Beurteilung zu bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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