Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.058,88 (darin S 676,48 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der beklagten Partei vom 1.10.1990 bis 7.9.1993 als Schweißer beschäftigt. An diesem Tag wurde er unbegründet entlassen. Unter Einhaltung der kollektivvertraglichen Kündigungsfrist hätte sein Arbeitsverhältnis bei ordnungsgemäßer Kündigung am 1.10.1993 geendet.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger unter anderem eine (für das Revisionsverfahren nicht mehr wesentliche) Kündigungsentschädigung und eine der Höhe nach nicht bestrittene Urlaubsentschädigung für 36 Werktage.
Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger habe nur Anspruch auf Urlaubsentschädigung für sieben Werktage. Davon entfielen sechs Werktage als Alturlaub auf das Urlaubsjahr vom 1.10.1992 bis 30.9.1993. Im neuen Urlaubsjahr vom 1.10.1993 bis 30.9.1994 hätte der Kläger bei Einhaltung der Kündigungsfrist nur einen Werktag Urlaub verbrauchen können, so daß ihm eine Kündigungsentschädigung nur für einen Tag zustehe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Gemäß § 2 Abs 2 UrlG idF vor der Beschäftigungssicherungsnovelle 1993 sei der Anspruch auf Urlaub im ersten Arbeitsjahr nach Zurücklegung einer ununterbrochenen Dienstzeit von sechs Monaten (Wartezeit), sonst mit Beginn des Arbeitsjahres entstanden. Lehre und Judikatur hätten dazu die Ansicht vertreten, daß die Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nur im ersten Arbeitsjahr erforderlich sei; ab dem zweiten Arbeitsjahr entstehe der neue Urlaubsanspruch im vollen Ausmaß jeweils mit dem ersten Tag des neuen Urlaubsjahres (Arb 4170, 7705, 7636, 9010, 9264, 10.095 ua). Dem Urlaubsgesetz sei eine der Dauer des Arbeitsjahres entsprechende Aliquotierung des Urlaubsanspruches grundsätzlich fremd. Da bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeit nicht mehr möglich sei, könne der Arbeitgeber nur mehr die zweite Seite des Urlaubsanspruches (Doppelnatur) erfüllen, nämlich den Anspruch des Arbeitnehmers auf das Urlaubsentgelt.
Lediglich Tomandl (ZAS 1987, 1 ff, 45 ff) und ihm folgend Schrank (ZAS 1992, 181 ff) seien der Meinung gewesen, daß der Urlaubsanspruch nicht in voller Höhe mit dem ersten Tag des neuen Urlaubsjahres entstehe, sondern quotenmäßig von Arbeitstag zu Arbeitstag erworben werde. Diese Lösung ergebe sich aus dem Kompromißcharakter des sozialpartnerschaftlich beschlossenen Gesetzes, dem nichts Unmögliches unterstellt werden könne. Mit der seit 1.8.1993 geltenden Fassung des § 2 Abs 2 UrlG, wonach der gesamte Urlaubsanspruch ab dem zweiten Arbeitsjahr mit Beginn des Arbeitsjahres entstehe, habe der Gesetzgeber eine authentische Interpretation im Sinne der bisherigen Rechtsprechung vorgenommen. Damit sei auch die angeführte Minderheitenmeinung zur Makulatur geworden. Da der Kläger nach seiner fiktiven Beschäftigungsdauer den vollen Urlaubsanspruch am ersten Tag des neuen Urlaubsjahres erworben habe, stehe ihm die begehrte Urlaubsentschädigung zu.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß diese Ansicht nicht nur durch die grammatikalische, sondern auch durch die historische Auslegung gestützt werde. Nach den EB zu Art VII RV Beschäftigungssicherungsnovelle 1993, 1194 BlgNR 18.GP, 14, sollten durch die Änderung der Urlaubsregelung die sonstigen Grundsätze des Urlaubsrechts nicht berührt werden. Durch die Aliquotierung des Urlaubsanspruches im ersten Arbeitsjahr bei Selbstkündigung des Arbeitnehmers solle verhindert werden, daß kurzfristige Beschäftigungszeiten zu unangemessenen Urlaubsansprüchen führen. Die Höhe der Abfindung (§ 10 UrlG) richte sich nach dem aliquoten Urlaubsanspruch, wie er sich aus § 2 Abs 2 des Entwurfes ergebe; eine zweifache Aliquotierung finde nicht statt. Der Hinweis in den EB, daß eine zweifache Aliquotierung nicht stattfinde, dürfte wohl zur Klarstellung eines sozialpartnerschaftlichen Kompromisses erfolgt sein, weil die ausdrückliche Aufnahme einer Aliquotierungsregel in § 2 Abs 2 UrlG auf eine Forderung der Arbeitgeberseite zurückgehe (AB 1222 18.GP, 7). Durch die Neufassung des § 2 Abs 2 UrlG sei dem Postulat der generellen Geltung des Aliquotierungsprinzips im Urlaubsrecht der Boden entzogen worden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit dem sinngemäß zu erschließenden Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Begehren auf Zuspruch von Urlaubsentschädigung im Ausmaß von 29 Werktagen abgewiesen werde.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Soweit die Revisionswerberin ins Treffen führt, die neuere Judikatur sei der Ansicht Tomandls und Schranks gefolgt (etwa 9 Ob A 38/94 ua), ist ihr entgegenzuhalten, daß sich der vorliegende Fall im Sachverhalt von den erwähnten Fällen unterscheidet. Der Entscheidung 9 Ob A 38/94 lag zugrunde, daß es zufolge Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungszeitraums nach Maßgabe des Ausfallprinzips zu einem entgeltlosen Jahresurlaub gekommen wäre, so daß auch keine Urlaubsentschädigung gemäß § 9 Abs 1 erster Satz UrlG gebühren konnte. Im vorliegenden Fall ist der Rechtsgrund des geltend gemachten Anspruches nicht die entsprechende Bestimmung des § 9 UrlG, sondern der § 1162 b ABGB (§ 29 AngG). Es geht hier nicht um einen Erfüllungs-, sondern um einen Schadenersatzanspruch im Rahmen der Kündigungsentschädigung (Cerny, Urlaubsrecht6 § 9 Erl 6; Mayr in Adametz/Basalka/Mayr/Stummvoll, KommzUrlG § 9 Rz 21, der nach der Dauer der fiktiven Kündigungsfrist differenziert; Kuderna, UrlG2 § 9 Rz 11 mwH; Schwarz/Löschnigg, ArbR4 360; Spielbüchler in Floretta/Spielbüchler/Strasser ArbR3 I 231, auch 221; Arb 9871 = SZ 53/69; Arb 9938, 10.177; RdA 1983, 373; RdW 1988, 137; SZ 62/16; 9 Ob A 192/87, 9 Ob A 1006/88 ua).
Entsteht bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund während der für die Berechnung der Ersatzansprüche nach § 1162 b ABGB (§ 29 AngG) maßgeblichen fingierten Kündigungsfrist ein neuer Urlaubsanspruch (§ 2 Abs 2 UrlG), gebührt dem Arbeitnehmer im Rahmen der Kündigungsentschädigung auch eine Urlaubsentschädigung in voller Höhe, ohne daß die Frage (der ohnehin nur abstrakten) Zumutbarkeit des Urlaubsverbrauches in dieser Zeit relevant wäre (vgl Petrovic, DRdA 1986, 329 f; Arb 9643, 9871, 9938, 10.177, 10.217 uva). Ein derartiger Anspruch ist - so wie ein während der fingierten Kündigungsfrist entstehender Abfertigungsanspruch - bei der Berechnung des dem Arbeitnehmer nach § 1162 b ABGB (§ 29 AngG) gebührenden Ersatzanspruches als Teil der Kündigungsentschädigung zu berücksichtigen (Kuderna aaO; Klein/Martinek, UrlR 109; SZ 62/16 mwH; infas 1988 A 97 uva).
Da es sich dabei nicht um einen Erfüllungsanspruch im Sinne des § 9 UrlG handelt, unterliegt dieser Anspruch sowohl der Verfallsbestimmung des § 1162 d ABGB (§ 34 AngG) als auch den Einrechnungsbestimmungen des § 1162 b ABGB (§ 29 AngG). Derartige Einwände wurden von der beklagten Partei im vorliegenden Fall jedoch nicht erhoben.
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO begründet.
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