OGH 1Ob5/95

OGH1Ob5/9527.3.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Friedrich Wilhelm K*****, vertreten durch Dr.Georg Zanger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen S 126.840 sA und Feststellung (Streitwert S 100.000) infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 19.Dezember 1994, GZ 13 Nc 6/94-6, womit der Ablehnungsantrag der klagenden Partei gegen die Richter des Oberlandesgerichtes Wien Senatspräsident Dr.W*****, Dr.Z***** und Dr.R***** als Mitglieder des Senates ***** in dem zu AZ 14 R 220/94 anhängigen Berufungsverfahren zurückgewiesen wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Das Landesgericht für ZRS Wien stellte mit Teilurteil vom 28.April 1994, GZ 31 Cg 41/93-7, fest, „daß die beklagte Partei der klagenden Partei für Schäden aller Art zu haften hat, die daraus resultieren, daß der Strafvollzug aufgrund des Urteiles des OGH vom 2.7.1986 (wegen) der gegen den Kläger verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe zufolge der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 21.9.1993 festgestellten Verletzung der klägerischen Rechte rechts- und konventionswidrig ist“.

Gegen diese Entscheidung erhob die beklagte Partei Berufung und beantragte die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung. Der Kläger erstattete keine Berufungsbeantwortung. Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht beraumte die Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung auf den 12.Dezember 1994 an. Mit Schriftsatz vom 14.November 1994 - beim Berufungsgericht am 16.November 1994 eingelangt - beantragte der Kläger beim Berufungssenat die „Beiziehung eines Schriftführers/Schriftführerin bzw die Verwendung eines Schallträgers...zur Anfertigung des Protokolles über die mündliche Berufungsverhandlung...“ und begründete diesen Antrag im wesentlichen damit, daß er - mangels Einbringung einer schriftlichen Berufungsbeantwortung - „auf das unzutreffende und rechtlich unhaltbare Vorbringen der gegnerischen Berufung“ ausführlich mündlich erwidern werde. Eine Aufzeichnung dieser Replik im Verhandlungsprotokoll sei erforderlich. Allein die Erwiderung auf das Berufungsvorbringen werde ca 45 bis 60 Minuten in Anspruch nehmen. Das Erforderliche zur Vermeidung von Terminkollisionen möge veranlaßt und allenfalls der Verhandlungstermin auf einen anderen Zeitpunkt verlegt werden. Mit Beschluß vom 23.November 1994 verlegte das Oberlandesgericht Wien die anberaumte Berufungsverhandlung auf den 12.Dezember 1994.

Mit am 9.Dezember 1994 überreichtem Schriftsatz lehnte der Kläger sodann „die in dieser Sache tätigen Mitglieder des Senates 14“ des Oberlandesgerichtes Wien als befangen ab. Die abgelehnten Richter hätten gegen ihn eine persönliche Abneigung, wofür verschiedene Indizien sprächen. Diesen sei zu 14 R 132/94 eine grobe Aktenwidrigkeit unterlaufen. Die ordentliche Revision sei begründungslos nicht zugelassen worden. Mit Beschluß vom 25.Oktober 1994 zu 1 Ob 1020/94 habe der Oberste Gerichtshof die außerordentliche Revision des Klägers „nach erster Prüfung vorläufig angenommen“. Die abgelehnten Richter hätten sich außerdem mit einer unsachlichen, von einem anderen Richter gemachten Äußerung - der Kläger habe das Richteramt nur angestrebt, „um die Parteien zu sekkieren“ - identifiziert. Nach 1982 habe der Kläger von „hohen und offenbar informierten Justizfunktionären“ im übrigen erfahren, die früheren und gegenwärtigen Mitglieder des Senates 14 des Oberlandesgerichtes Wien hätten geäußert, er habe „der Wiener Richterschaft schweren Schaden zugefügt; es ist am besten, wenn er nie mehr aus dem Gefängnis herauskommt“. Einem Rekurs gegen die Zurückweisung einer Klage auf Entlassung aus der Strafhaft sei deshalb vom Oberlandesgericht Wien zu 14 R 243/92 nicht Folge gegeben worden. Die Handlungsweise der abgelehnten Richter Dr.Z***** und Dr.R***** habe also damals zu dem von diesen angestrebten Ziel einer Haftverlängerung für den Kläger geführt. Daß die abgelehnten Richter „(seit langem) von der personalen Schuld des Klägers überzeugt“ seien, sei „insbesondere durch die Erledigung des Rechtsstreites 53 a Cg 1052/86 des Landesgerichtes für ZRS Wien bewiesen“. Diese akzeptierten nämlich nicht, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung von Konventionsrechten im Strafverfahren gegen den Kläger festgestellt habe. Sie identifizierten sich vielmehr mit einem von einem maßgebenden Justizfunktionär in der Österreichischen Richterzeitung verfaßten Artikel (1993, 265), der schließlich zum Ausdruck bringe, die Justiz müsse in Kauf nehmen, „vom EGMR auch einmal zu Unrecht - wie ich dies im Falle K. sehe - gerügt zu werden“. Die gegen die Person des Klägers vorhandene unsachliche Einstellung der abgelehnten Richter werde aber auch durch deren zu 14 Fs 1/94 gefaßten Beschluß vom 23.November 1994 belegt. Es mache nämlich „im hohen Maße betroffen“, wenn nach einem mehr als einjährigen Verfahrensstillstand ein Fristsetzungsantrag mit der Begründung abgewiesen werde, die Erledigung des Rechtsstreites sei nicht besonders dringlich, „weil der Kläger selbst noch nicht in der Lage ist, seinen Schaden zu beziffern, eine unmittelbare Befriedigung der von ihm geltend gemachten Ansprüche ohnedies nicht erwartet werden kann“.

Die abgelehnten Richter verneinten in ihren zum Ablehnungsantrag erstatteten Äußerungen eine gegenüber dem Kläger bestehende Befangenheit. Sie hätten sich in ihren Entscheidungen immer nur von sachlichen Erwägungen leiten lassen. Es bestehe keine aus persönlicher Abneigung gegen den Kläger folgende Motivation, in dessen Rechtssachen Entscheidungen nicht allein nach sachlichen Kriterien zu fällen.

Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Oberlandesgericht Wien den Ablehnungsantrag des Klägers im wesentlichen mit der Begründung zurück, es könne aus keiner der im Ablehnungsantrag herangezogenen Entscheidungen auf eine unsachliche Einstellung der abgelehnten Richter gegen den Kläger geschlossen werden. Für deren Verhalten seien vielmehr sachliche Gründe maßgebend gewesen, möge diesen der Oberste Gerichtshof auch nicht immer beigetreten sein. Den „letztlich allgemein gehaltenen Vorwürfen“ des Klägers, seien „die eindeutigen und unbedenklichen Stellungnahmen“ der abgelehnten Richter entgegenzuhalten. Weder „eine bestimmte Rechtsansicht noch unrichtige Beweiswürdigung oder Verfahrensmängel“ stellten einen Ablehnungsgrund dar, es sei denn, diesen lägen „besonders schwerwiegende Verstöße“ zugrunde; solche habe der Kläger jedoch nicht aufgezeigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Klägers ist nicht berechtigt.

Gemäß § 21 Abs 2 JN kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei demselben, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Diese gesetzliche Bestimmung ist ganz allgemein dahin zu verstehen, daß Ablehnungsgründe sofort nach ihrem Bekanntwerden und nicht erst in dem vom Ablehnungswerber nach prozeßtaktischen Kriterien als richtig angesehenen Zeitpunkt vorzubringen sind. Vermieden soll nämlich eine Prozeßverschleppung werden (RZ 1975/1; EvBl 1992/117; 6 Ob 600/92; Fasching I 205; Mayr in Rechberger, Kommentar zur ZPO Rz 2 zu § 21 JN). Das Ablehnungsrecht ist verzichtbar und verschweigbar (RZ 1975/1; 6 Ob 600/92; Fasching I 206; ders LB2 Rz 161; gleiches gilt nach der identen deutschen Rechtslage: vgl zB Feiber in Münchner Kommentar zur Zivilprozeßordnung Rz 1 zu § 43; Vollkommer in Zöller, Zivilprozeßordnung19 Rz 1 zu § 43; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung53 Rz 1 und 2 zu § 43). Die zeitliche Begrenzung des Ablehnungsrechtes steht auch im Einklang mit Art 6 Abs 1 EMRK (Guradze, Die Europäische Menschenrechtskonvention - Kommentar 96; Miehsler/Vogler in Internationaler Kommentar zur EMRK Rz 306 zu Art 6). Die Kenntnis des Ablehnungswerbers oder seines Prozeßbevollmächtigten vom behaupteten Ablehnungsgrund muß sich auf jene Tatsachen beziehen, die nach Ansicht der Partei die Besorgnis einer Befangenheit begründen; Voraussetzung für die Ausübung des Ablehnungsrechtes ist aber auch die Kenntnis der Person des/der mit der Sache befaßten Richters/Richter, Kennenmüssen reicht nicht aus (6 Ob 600/92; Vollkommer aaO Rz 3; Feiber aaO Rz 3; Hartmann aaO Rz 2; Wassermann in AK-ZPO Rz 2 zu § 43; Bork in Stein/Jonas, Kommentar zur ZPO21 Rz 1 a zu § 43). Ablehnungsgründe können also - wie klar aus dem Gesetzestext folgt - auch dann nicht mehr geltend gemacht werden, wenn der spätere Ablehnungswerber in Kenntnis bestehender Ablehnungsgründe gegen bestimmte Richter bei diesen Anträge stellt, ohne einleitend jene Gründe darzulegen. „Anträge“ im Sinne des Gesetzes sind nicht nur auf die einzelnen Streitpunkte bezogene Sachanträge, sondern auch Anträge zu prozessualen Fragen. Das wird überwiegend auch zur gleichen deutschen Rechtslage vertreten (Vollkommer aaO Rz 5; Feiber aaO Rz 4; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht15 134; Thomas/Putzo, ZPO18 Rz 5 zu § 43). Unterschiedlich beantwortet wird lediglich die Frage, ob auch „reine Verfahrensanträge“ für den Verlust des Ablehnungsrechtes ausreichen, wenn darin die Geltendmachung bereits bekannter Ablehnungsgründe unterbleibt. Überwiegend vertreten wird jedoch, das bloße Vertagungsbitten nicht als „Anträge“ im Sinne des Gesetzes zu verstehen sind (Hartmann aaO Rz 5 und 7 zu § 43; Vollkommer aaO Rz 5 zu § 43; Feiber aaO Rz 4 zu § 43; Wassermann aaO Rz 3 zu § 43; Bork aaO Rz 5 zu § 43; Thomas/Putzo aaO; anderer Ansicht dagegen zB Rosenberg/Schwab/Gottwald aaO).

Im vorliegenden Fall beantragte der Kläger mit seinem an das Berufungsgericht gerichteten Schriftsatz vom 14.November 1994 gegenüber dem ihm bereits durch die Ausschreibung einer mündlichen Berufungsverhandlung bekannten Berufungssenat die „Beiziehung eines Schriftführers/Schriftführerin bzw die Verwendung eines Schallträgers...zur Anfertigung des Protokolles über die mündliche Berufungsverhandlung...“. Er brachte in diesem Zusammenhang aber auch zum Ausdruck, daß er - mangels Einbringung einer schriftlichen Berufungsbeantwortung - „auf das unzutreffende und rechtlich unhaltbare Vorbringen der gegnerischen Berufung“ ausführlich mündlich bei einem Zeitbedarf von ca 45 bis 60 Minuten erwidern werde. Das Erforderliche zur Vermeidung von Terminkollisionen möge veranlaßt und allenfalls der Verhandlungstermin auf einen anderen Zeitpunkt verlegt werden. Dieser Antrag stellt keine bloße Vertagungsbitte dar; der Kläger machte damit vielmehr auch deutlich, er werde seinen Prozeßstandpunkt in der Sache selbst vor den Richtern des Senates ***** des als Berufungsgericht einschreitenden Oberlandesgerichtes Wien in extenso vertreten. Bringt aber eine Prozeßpartei - wie hier der Kläger - zum Ausdruck, sie werde ihre die Richtigkeit der Ansicht des Prozeßgegners widerlegenden Sachargumente 45 bis 60 Minuten den Richtern des Berufungssenates mündlich darlegen, so ist darin - bei objektiver Auslegung - jedenfalls auch ein Beweis für das Vertrauen in die Unparteilichkeit dieser Richter zu erblicken. Es bedarf demnach keiner Stellungnahme, wie weit sonst prozessuale Anträge ohne Geltendmachung der einer Prozeßpartei bereits bekannten Gründe für eine allfällige richterliche Befangenheit ihr darauf bezogenes Ablehnungsrecht präkludieren. Nach der dargestellten Rechtslage verwirkte also der Kläger durch seine mit Schriftsatz vom 14.November 1994 erfolgte Antragstellung das Recht, einen Ablehnungsantrag gegen die Richter des Berufungssenates mit Tatsachenbehauptungen zu begründen, die ihm am 14.November 1994 bereits bekannt waren. Nach dem Vorbringen im Ablehnungsantrag beurteilt, hatte der Kläger aber bereits am 14.November 1994 mit einer Ausnahme Kenntnis von allen geltend gemachten Ablehnungsgründen. Nur die Argumentation, die abgelehnten Richter hätten ihre „ablehnende Haltung“ gegen die Person des Klägers auch durch den Beschluß vom 23.November 1994 zur AZ 14 Fs 1/94 bewiesen, bezieht sich auf die Behauptung eines nach dem 14.November 1994 eingetretenen Ablehnungsgrundes. Gerade diesen Vorwurf hält jedoch der Kläger im Rekurs - offenbar mit gutem Grund, liest man die relevierte Entscheidung der abgelehnten Richter als ganzes - nicht mehr aufrecht (vgl die Rekursausführungen ab Punkt 5.). Im Ablehnungsantrag berief sich nämlich der Kläger nur auf einen - aus dem Zusammenhang gelösten - Begründungsteil der zu 14 Fs 1/94 ergangenen Entscheidung. Er zitierte diesen Abschnitt zunächst noch richtig, ließ aber dann beim Begründungsversuch der „wahren Einstellung der abgelehnten Richter“ - nämlich den „Klageansprüchen bereits jetzt jeden Erfolg“ abzusprechen - gerade jenes Wort weg, das selbst bei der vom Kläger gewählten isolierenden Betrachtungsweise gegen die im Ablehnungsantrag vertretene Ansicht spricht. Es ist nicht davon die Rede, „eine Befriedigung der....Ansprüche“ könne „nicht erwartet werden“; zum Ausdruck gebracht wurde vielmehr, es fehle an einer besonderen Dringlichkeit des auf ein Feststellungsbegehren bezogenen Rechtsstreites, weil eine „unmittelbare Befriedigung der....Ansprüche ohnedies nicht erwartet werden kann“, sei doch der Kläger selbst noch nicht in der Lage, seinen Schaden zu beziffern. Im übrigen ist aus der sonstigen Begründung - gerade auch im Zusammenhang mit dem vom Kläger allein relevierten Entscheidungsteil - keine Unsachlichkeit der abgelehnten Richter erkennbar. Diese vertraten nämlich - in abstrahierender Zusammenfassung - die richtige Ansicht, ein Verhandeln bloß um des Verhandelns willen sei nicht zielführend, weil es dem Verhandlungsrichter trotz eines entsprechenden Versuches noch nicht gelungen sei, die entscheidungswesentlichen Strafakten beizuschaffen. Der Senat unterbreitete den Parteien aber auch einen Vorschlag, wie diese allenfalls eine Verfahrensbeschleunigung erreichen könnten.

Die Rekursgründe bedürfen somit aus zwei Gründen keiner Erörterung. Zum einen war der Kläger bereits im Zeitpunkt der Einbringung seines Ablehnungsantrages von der Geltendmachung der darin ausgeführten und im Rekursverfahren aufrecht erhaltenen Ablehnungsgründe präkludiert, zum anderen stellt gerade der dem Kläger am 14.November 1994 noch nicht bekannt gewesene, jedoch später als Ablehnungsgrund geltend gemachte Sachverhalt keinen Gegenstand des Rekursverfahrens mehr dar. Es muß daher auch nicht geprüft werden, ob eine nach dem Inhalt ihrer Begründung allein auf sachlichen Erwägungen beruhende Entscheidung im Ablehnungsverfahren überhaupt noch eine schlüssige Behauptung zuließe, jener lägen in Wahrheit verborgen gebliebene unsachliche Motive zugrunde.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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