OGH 1Ob516/95

OGH1Ob516/9527.3.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Aljoscha A*****, infolge Revisionsrekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgerichtes vom 21.Dezember 1994, GZ 22 a R 229/94-92, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St.Johann im Pongau vom 31.August 1994, GZ P 36/92-82, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Antrag des Kindes vom 23.August 1994, ihm gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG einen monatlichen Unterhaltsvorschuß von S 3.500,-- zu gewähren, abgewiesen wird.

Text

Begründung

Am 23.8.1994 beantragte der Minderjährige die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG, benannte als Unterhaltsschuldner seinen in Italien wohnhaften Vater, und führte aus, daß ihm aufgrund eines Beschlusses des Erstgerichtes vom 28.12.1992 (GZ P 36/92-21) ein monatlicher Unterhaltsbeitrag von S 3.500,-- zustehe. Die aufgrund des genannten Unterhaltstitels zu führende Exekution scheine besonders deshalb aussichtslos, weil im Inland ein Drittschuldner oder ein Vermögen, dessen Verwertung einen die laufenden Unterhaltsbeiträge deckenden Ertrag erwarten ließe, nicht bekannt sei (AS 57 in Bd.II).

Das Erstgericht bewilligte die begehrten Unterhaltsvorschüsse für die Zeit vom 1.8.1994 bis 31.7.1997.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Zum Einwand, es bestünden Bedenken im Sinne des § 7 Abs.1 Z 1 UVG, daß der im Exekutionstitel festgesetzte Unterhalt der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechend festgesetzt sei, führte das Rekursgericht aus, daß nach der Lebenserfahrung davon ausgegangen werden könne, daß der Vater als promovierter Chemiker und als Marketing-Manager für die B***** AG in Deutschland arbeitend über ein durchschnittliches Nettoeinkommen von etwa S 22.000,-- verfüge, das ihn in die Lage versetzte, den festgesetzten Unterhaltsbeitrag zu bezahlen. Es hege daher keine begründeten Bedenken im Sinne des § 7 Abs.1 Z 1 UVG gegen die Höhe der festgesetzten Unterhaltspflicht. Es sei aber davon auszugehen, daß die Exekutionsführung in Italien aussichtslos erscheine. Zwar führe die Notwendigkeit einer Exekution im Ausland nicht schon für sich allein zur Gewährung von Unterhaltsvorschüssen, doch bestünden in Italien nach den praktischen Erfahrungen der österreichischen Jugendwohlfahrtsträger erhebliche praktische Probleme in der Durchsetzung von österreichischen Exekutionstiteln. Es vergehe mehr als ein Jahr ab Antragstellung, bis - möglicherweise - tatsächlich konkrete Maßnahmen in Italien gesetzt werden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

In Übereinstimmung mit dem Rekursgericht teilt der erkennende Senat die Ansicht des Revisionsrekurswerbers, es bestünden begründete Bedenken, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht zu hoch festgesetzt sei (§ 7 Abs.1 Z 1 UVG), nicht. Die genannte Bestimmung bezweckt die Verhinderung der mißbräuchlichen Inanspruchnahme von Unterhaltsvorschüssen, insbesondere die Auszahlung offensichtlich überhöhter Vorschüsse. Bedenken im Sinne des § 7 Abs.1 Z 1 UVG sind dann gegeben, wenn nach der Sachlage bei der Entscheidung über den Vorschußantrag mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht schon bei der Schaffung des Titels unangemessen war oder infolge nachher eingetretener Änderung der Bemessungsgrundlage unangemessen geworden ist (EF 72.527; 1 Ob 633/94 uva). Dem Argument des Gerichtes zweiter Instanz, daß von einem monatlichen Nettoeinkommen des Vaters im Betrag von etwa S 22.000,-- ausgegangen werden könne, hat der Revisionsrekurswerber nichts entgegengehalten. Er verweist lediglich darauf, daß das Kind zum Zeitpunkt der Fassung des angefochtenen Beschlusses erst knapp vier Jahre alt gewesen sei. Dieser Umstand erweckt keine Bedenken im Sinne des § 7 Abs.1 Z 1 UVG, weil - wenngleich der Regelbedarfssatz überschritten wurde - jedes Kind an überdurchschnitttlichen Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen teilnehmen soll und dies im vorliegenden Fall bei dem angenommenen Einkommen durchaus im üblichen Rahmen geschieht. Die geforderte hohe Wahrscheinlichkeit (siehe EF 72.527), daß die festgesetzte Unterhaltspflicht zu hoch angesetzt sei, ist nicht gegeben.

Berechtigt ist aber der Einwand, daß im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden könne, die Führung einer Exekution aufgrund des bestehenden Unterhaltstitels in Italien scheine aussichtslos.

Gemäß § 4 Z 1 UVG sind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn zwar die Voraussetzungen des § 3 Z 1 UVG gegeben sind, aber die Führung einer Exekution nach § 3 Z 2 UVG aussichtslos scheint, besonders weil im Inland ein Drittschuldner oder ein Vermögen, dessen Verwertung einen die laufenden Unterhaltsbeiträge deckenden Ertrag erwarten läßt, nicht bekannt ist. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in mehreren Entscheidungen ausgeführt, daß § 4 Z 1 UVG zwar die Notwendigkeit einer Exekutionsführung im Ausland als Beispiel einer aussichtslos scheinenden Exekutionsführung heraushebe, doch nicht zweifelhaft sein könne, daß die im Ausland notwendige Exekutionsführung gegen den Unterhaltsschuldner etwa dann nicht aussichtslos sei, aber auch nicht aussichtslos „scheine“, wenn der Aufenthalt und die Beschäftigung des Unterhaltsschuldners bekannt seien und die Vollstreckung durch internationale Verträge nicht bloß geordnet, sondern auch durch die konkrete Behördenpraxis gewährleistet sei. Die Bestimmung des § 4 Z 1 UVG kann - entgegen den vom objektiven Wortsinn dieser Gesetzesstelle nicht gedeckten Materialien (276 BlgNR 15.GP 8), die die vorstehenden Erwägungen außer acht ließen - bei Bedachtnahme auf die Zielsetzungen des Unterhaltsvorschußgesetzes nur so verstanden werden, daß die Annahme der Aussichtslosigkeit einer Exekutionsführung im Ausland zwar naheliege, daß deshalb aber das Gericht nicht von jedweder Prüfung der Aussichtslosigkeit enthoben sei. Hätte der Gesetzgeber die Exekutionsführung im Ausland in jedem Fall einer aussichtslos scheinenden Exekutionsführung im Sinne des § 4 Z 1 UVG gleichsetzen wollen, hätte er dies eindeutig - etwa in Form einer alternativen Aufzählung oder als Fiktion - zum Ausdruck bringen müssen (ZfRV 1993, 215; EvBl 1992/42; ÖA 1992, 61; RZ 1991/23; ÖA 1991, 110, [6 Ob 648/90], 111).

Die Frage der Aussichtslosigkeit ist im dargestellten Sinne in jedem Einzelfall zu prüfen.

Im vorliegenden Fall sind der Aufenthalt des Vaters und dessen Dienstgeber aktenkundig. Dem Akteninhalt ist zu entnehmen, daß sich der Vater nicht mehr in Deutschland aufhält, sondern wieder in Italien (Region Bergamo) wohnhaft und berufstätig ist (siehe Bd.I AS 48, 161, 279, 345, 356, 431). Italien hat das Haager Unterhaltsübereinkommen vom 15.4.1958, BGBl 1961/294, ratifiziert. Zwischen Italien und Österreich bestehen für die Vollstreckung eines österreichischen Exekutionstitels geordnete Rechtshilfebeziehungen (Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Italienischen Republik über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, von gerichtlichen Vergleichen und von Notariatsakten, BGBl 1974/521; Zusatzabkommen zwischen der Republik Österreich und der Italienischen Republik vom 30.6.1975 zum Haager Übereinkommen vom 1.3.1954 betreffend das Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen, BGBl 1977/433). Die Vollstreckung des Exekutionstitels ist daher durch internationale Verträge gesichert. Ob dieser Zustand durch das Luganer oder durch sonstige Abkommen, die jedenfalls zum Zeitpunkt der Fassung des angefochtenen Beschlusses noch nicht dem österreichischen Rechtsbestand angehörten, noch verbessert werden wird, kann dahingestellt bleiben. Liegen geordnete Vollstreckungsbeziehungen vor, könnte eine Exekutionsführung im Sinne des § 4 Z 1 UVG nur dann als aussichtslos erscheinen, wenn das aufgrund von Erfahrungen über die Behördenpraxis de facto befürchtet werden müßte. Diesbezüglich wären konkrete Umstände zu behaupten und zu beweisen (ZfRV 1993, 215; ÖA 1992, 61). In diesem Sinne erliegen im Akt zwei Mitteilungen von Behörden, wonach „es bei der Durchsetzung von Unterhaltstiteln in Italien bisher nur äußerst negative Ergebnisse gegeben habe und die Zusammenarbeit mit den italienischen Jugendbehörden unter jeder Kritik sei, es dauere alles sehr lange und die Rechtshilfe werde entweder überhaupt nicht geleistet und nur äußerst unzufriedenstellend“ (ON 89), bzw daß „es sehr lange dauere, ca. ein Jahr ab Antragstellung, bis sich die italienischen Behörden mit einem Antrag auseinandersetzen, und vor Einleitung des Exekutionsverfahrens noch verschiedenste eher bürokratische Verfahrensschritte durchgeführt werden; zu zählbaren Ergebnissen komme es kaum bzw erst nach einigen Jahren“ (ON 90). Mit diesen Auskünften werden aber keine konkreten Umstände dargestellt, die die Ansicht vertreten ließen, die Vollstreckung des hier maßgeblichen inländischen Unterhaltstitels in Italien würde eine überdurchschnittlich lange Zeit benötigen. Derartiges ist mit den genannten Auskünften nicht belegt und kann auch keinesfalls als gerichtsbekannt unterstellt werden (vgl ÖA 1992, 61).

Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben, der Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG abzuweisen.

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