OGH 2Ob27/95

OGH2Ob27/9523.3.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Monika G*****, vertreten durch Dr.Peter Steinbauer, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien 1. Edith ***** W*****, und 2. *****Versicherungs-AG, ***** beide vertreten durch Dr.Helmut Destaller, Dr.Gerald Mader und Dr.Walter Niederbichler, Rechtsanwälte in Graz, wegen Zahlung von S 585.280, einer monatlichen Rente von S 2.700 und Feststellung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 29.November 1994, GZ 6 R 235/94-26, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 20.September 1994, GZ 18 Cg 438/93v-20, betätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die vorinstanzlichen Urteile werden dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil insgesamt wie folgt zu lauten hat:

"Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 540.780 samt 4 % Zinsen seit 17.1.1992 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Es wird festgestellt, daß die beklagten Parteien der klagenden Partei zur ungeteilten Hand für alle weiteren, ihr aus dem Verkehrsunfall vom 6.8.1991 in Zukunft entstehenden Schäden haften, die zweitbeklagte Partei jedoch eingeschränkt bis zur Höhe der Versicherungssumme.

Das Mehrbegehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei einen weiteren Betrag von S 44.500 samt 4 % Zinsen seit 17.1.1992 sowie eine abstrakte Rente von monatlich 2.700 S fällig am Ersten eines jeden Monats zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 86.827,16 bestimmten Kosten des Verfahrens (darin enthalten Umsatzsteuer von S 11.662,86 und Barauslagen von S 16.850) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 23.185,76 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.960,96 und Barauslagen von S 11.420) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 6.8.1991 ereignete sich zwischen dem von der Klägerin als Halterin gelenkten PKW Opel Kadett und dem von der Erstbeklagten als Halterin gelenkten und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW Subaru ein Verkehrsunfall, an welchem die Erstbeklagte das Alleinverschulden trifft.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin (nach Klagseinschränkung) die Zahlung von S 585.280 sA, die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle künftigen Schäden sowie die Zahlung einer abstrakten Rente von (nach Klagsausdehnung) 2.700 S monatlich. Zum Rentenbegehren brachte sie vor, ihren Beruf als Kellnerin nur unter wesentlich erhöhten Anstrengungen ausüben zu können, es drohe der Verlust des Arbeitsplatzes und eine Einkommensminderung. Sie laufe in Gefahr, im Konkurrenzkampf benachteiligt zu werden.

Die Beklagten bestritten und wendeten hinsichtlich des Rentenbegehrens ein, der Klägerin drohe kein Verlust des Arbeitsplatzes, weshalb ihr Begehren nicht berechtigt sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im wesentlichen statt, lediglich ein Mehrbegehren auf Zahlung von S 44.500 samt Anhang wurde abgewiesen.

Dabei wurden - soweit sie für das Revisionsverfahren relevant sind - folgende Feststellungen getroffen:

Die Klägerin erlitt durch den Unfall schwere, aber nicht lebensgefährliche Verletzungen, und zwar ein Polytrauma, eine Rißquetschwunde am Kinn, mehrfache Oberarmbrüche links, einen Ellenhakenbruch links, eine Fissur der linken Hüftpfanne, einen Oberschenkelbruch links und einen Bruch des oberen und unteren rechten Schambeines und zwei Zehenbrüche.

Die Klägerin ist ausgelernter Koch- und Kellnerlehrling; sie arbeitete ab Mai 1991 im Gasthaus L***** in G***** und seit ca Juni 1993 in einem Kaffeehaus des Wolfgang L***** in D*****. Trotz des Wechsels der Betriebsstätte nach dem Unfall mußte die Klägerin keine Verdiensteinbuße hinnehmen. Sie erzielt nach wie vor ein Durchschnittsmonatseinkommen von netto S 12.000 und hat im Kaffeehaus des Wolfgang L***** freie Station. Da in dem Kaffeehaus nur kleine Imbisse gereicht werden, kann die Klägerin trotz ihrer unfallsbedingten Behinderung die Arbeiten größtenteils alleine verrichten, weil vor allem die Getränke aus Containern computergesteuert zur Ausschank gelangen und daher keine schweren Arbeiten anfallen. Da der Arbeits- bzw Nachtbetrieb im Kaffeehaus geringer ist, arbeitet die Klägerin in der Nachtschicht. Während Wolfgang L***** vor dem Unfall der Klägerin bei der Arbeit nicht geholfen hat, hilft er ihr jetzt ab und zu, wenn die Klägerin nicht mehr kann. Wolfgang L***** hat der Klägerin bis heute nicht erklärt, daß sie den Arbeitsplatz verlieren und er eine neue Arbeitskraft einstellen werde. Auch Wolfgang L***** hat bemerkt, daß sich die Klägerin seit dem Unfall bei der Ausübung ihrer Tätigkeit als Kellnerin mehr anstrengen muß, um die gleichen Leistungen wie früher zu erbringen. Es besteht aber keine Gefahr, daß er die Klägerin kündigt, weil er sie als gute und ehrliche Kraft einschätzt, er wäre sogar bereit, ihr unter Umständen eine zweite Aushilfskellnerin zur Seite zu stellen.

Um ihren Beruf weiterhin ausüben zu können, muß die Klägerin eine vermehrte physische und psychische Anstrengung einsetzen, weshalb sie im Konkurrenzkampf benachteiligt ist. Sie kann zwar derzeit ihren Beruf als Kellnerin ausüben, kann aber keine Tabletts mit Speisen in üblicher Weise balancierend tragen. Es liegt auf dem linken Fuß eine erhebliche Verletzung des Lymphsystems vor, so daß das heute noch vorhandene Anschwellen des linken Fußes auf eine Verschlechterung des Abflusses bzw Blutrückflusses zurückzuführen ist und der stehende Beruf der Klägerin hauptsächlich dieses Anschwellen bewirkt.

Da bei der Klägerin an Spätfolgen aus diesem Unfall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit dem Entstehen einer posttraumatischen Arthrose im Bereich des linken Schultergelenkes sowie auch im Bereiche des linken Ellenbogengelenkes aber auch im Zehengrundgelenk zu rechnen ist, wird aufgrund dieser Bewegungseinschränkung sowie der statischen Beschwerden ein Berufswechsel nicht zu vermeiden sein.

Zum Zuspruch einer abstrakten Rente führte das Erstgericht aus, eine solche bilde eine Ausnahme für Härtefälle, in denen der Verletzte trotz körperlicher Dauerschäden leer ausgehen müßte, weil ihm zufällig und vorläufig kein ziffernmäßig erfaßbarer Verdienstentgang erwachsen sei, jedoch die Einkommensminderung in der Zukunft als wahrscheinlich anzunehmen sei. Diese Voraussetzungen seien bei der Klägerin, welche durch größere Anstrengungen eine Einkommensminderung derzeit verhindern könne, gegeben, weil die Gefahr bestehe, daß dadurch ihre Arbeitskraft schneller verbraucht sein werde. Durch die abstrakte Rente solle der Verletzte in die Lage versetzt werden, für den infolge seiner Verletzungen zu befürchtenden Fall eines späteren Arbeitsplatzverlustes sich schon jetzt durch Rücklagen einen Fonds zur Deckung des Ausfalles zu schaffen.

Gegen den Zuspruch einer abstrakten Rente erhoben die beklagten Parteien Berufung. Das Berufungsgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht schloß sich der Rechtsansicht des Erstgerichtes, es seien die Voraussetzungen für den Zuspruch einer abstrakten Rente gegeben, an. Da sich die Klägerin bei der Ausübung ihrer Berufstätigkeit unfallsbedingt nunmehr mehr anstrengen müsse, stehe die Ausgleichsfunktion einer abstrakten Rente fest. Auch das Vorliegen der Sicherungsfunktion bejahte das Berufungsgericht, weil der Arbeitsplatz der Klägerin trotz der Erklärung ihres Arbeitgebers, sie derzeit nicht zu entlassen und ihr allenfalls eine Aushilfskraft zur Verfügung zu stellen, gefährdet sei; gerade im Gastgewerbe könne bei einer Verschlechterung des Zustandes der Klägerin durch das Auftreten von Schmerzzuständen ein Wechsel des Arbeitsplatzes nicht ausgeschlossen werden, er sei nach dem Gutachten des Sachverständigen sogar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erforderlich.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß das Begehren auf Zuspruch einer abstrakten Rente abgewiesen werde.

Die Klägerin hat in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, dem Rechtsmittel der beklagten Parteien nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Parteien ist zulässig, weil - wie im folgenden noch darzulegen sein wird - das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, sie ist auch berechtigt.

Die beklagten Parteien machen in ihrem Rechtsmittel geltend, daß eine abstrakte Rente nur dann zugesprochen werden könne, wenn eine Einkommensminderung wegen der unfallsbedingten Verletzungen nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu erwarten oder doch wahrscheinlich sei. Die abstrakte Rente gebühre nur dann, wenn sowohl Ausgleichsfunktion als auch Sicherungsfunktion gegeben seien. Es müsse ein so enger Zusammenhang mit einem tatsächlichen Verdienstausfall infolge eines konkret und absehbar drohenden Verlustes der gegenwärtigen Erwerbsgelegenheit vorliegen, daß es schon jetzt geboten sei, durch Rücklagen einen Fonds zur Deckung des Ausfalles zu schaffen. Im vorliegenden Fall könne aber von einer konkreten Gefahr eines drohenden Verlustes des Arbeitsplatzes der Klägerin nicht gesprochen werden, habe doch der Dienstgeber der Klägerin ausdrücklich angegeben, er werde ihr eher eine Aushilfskraft zur Verfügung stellen, als sie zu kündigen.

Diese Ausführungen sind grundsätzlich zutreffend:

Lehre (Reischauer in Rummel2, Rz 30 und 32 zu § 1325; Apathy, Kommz EKHG, Rz 15 zu § 13) und Rechtsprechung gewähren in Ausnahmefällen dem Verletzten auf seinen Antrag eine abstrakte Rente, wenn zunächst kein konkreter Verdienstentgang eintritt, ein künftiger Entgang aber wegen des erlittenen Dauerschadens wahrscheinlich ist (ZVR 1959/149; 1977/16 ua). Für den Anspruch auf eine abstrakte Rente genügt aber nicht eine Verminderung der Erwerbsfähigkeit schlechthin oder eine bloße Erschwernis der Arbeit, es muß vielmehr eine Einkommensminderung wegen der unfallsbedingten Verletzungen nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu erwarten oder doch wahrscheinlich sein (SZ 41/157). Voraussetzung für die Gewährung einer abstrakten Rente ist, daß die Möglichkeit einer früheren Erschöpfung der Arbeitskraft des Verletzten gegeben ist (Ausgleichsfunktion) und der Geschädigte der Gefahr einer Benachteiligung im Wettbewerb mit gesunden Menschen ausgesetzt ist (Sicherungsfunktion). Wenn nur eine dieser Aufgaben erfüllt ist, gebührt die abstrakte Rente nicht, vielmehr muß ein so enger Zusammenhang mit einem tatsächlichen Verdienstausfall infolge konkret und absehbar drohenden Verlustes der gegenwärtigen Erwerbsgelegenheit gegeben sein, daß es schon jetzt geboten ist, durch Rücklagen einen Fonds zwecks Deckung des Ausfalls zu schaffen (ZVR 1993/165 mwN).

Wendet man diese Grundsätze nun auf den vorliegenden Fall an, so ergibt sich aus den Feststellungen des Erstgerichtes, daß eine konkrete Gefahr eines drohenden Verlustes des Arbeitsplatzes der Klägerin nicht gegeben ist. Vielmehr hat ihr Arbeitgeber ausdrücklich erklärt, die Klägerin als gute und ehrliche Kraft einzuschätzen und sogar bereit zu sein, ihr unter Umständen eine zweite Aushilfskellnerin zur Seite zu stellen. Aus der Feststellung des Erstgerichtes, es werde aufgrund der Spätfolgen ein Berufswechsel nicht zu vermeiden sein, läßt sich eine derartige Gefahr nicht ableiten, weil jedenfalls derzeit ein Verlust des Arbeitsplatzes nicht droht. Dazu kommt, daß Anhaltspunkte für eine Minderung des Einkommens bei einem Berufswechsel nicht gegeben sind.

Die für die Zuerkennung einer abstrakten Rente erforderliche Wahrscheinlichkeit der künftigen unfallskausalen Einkommensbuße ist somit nicht gegeben, so daß es an der erforderlichen Sicherungsfunktion einer solchen Rente fehlt.

Es war daher die Entscheidung der Vorinstanten dahin abzuändern, daß das Begehren auf Zuerkennung einer abstrakten Rente abgewiesen wird.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 43, 50 ZPO.

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