Spruch:
Keine abstrakte Rente, wenn der Arbeitsplatz des Verletzten nicht gefährdet ist.
Entscheidung vom 21. November 1968, 2 Ob 308/68.
I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Der bei der Klägerin sozialversicherte Georg P. wurde bei einem Verkehrsunfall verletzt, der sich am 26. Mai 1964 auf der Bundesstraße Nr. 1 ereignete. Gegen den Erstbeklagten als Lenker eines am Unfall beteiligten LKW-Zuges, dessen Halter die Zweitbeklagte war, erging aus diesem Anlaß eine rechtskräftige Strafverfügung wegen Übertretung nach § 335 StG.
Die Klägerin hat den Unfall ihres Versicherungsnehmers als entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall anerkannt. Sie gewährte ihm seit 1. März 1965 eine vorläufige Versehrtenrente von 30% der Vollrente. An deren Stelle wurde ihm mit Bescheid vom 2. Mai 1966 eine Dauerrente von 20% der Vollrente ab 1. Juli 1966 zuerkannt.
Mit der Behauptung, Georg P., der auch heute noch an den Unfallsfolgen leide, habe zwar derzeit keinen effektiven Verdienstentgang, es lägen jedoch die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer sogenannten abstrakten Rente vor, begehrte die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von an jedem Monatsersten fälligen 400 S, beginnend vom Schluß der Verhandlung in erster Instanz. Mit dem Leistungs- verband sie ein Feststellungsbegehren.
Die Beklagten wendeten gegenüber dem Begehren auf Ersatz einer abstrakten Rente ein, daß eine solche nur der Geschädigte selbst verlangen könne. Da Georg P. einen Verdienstentgang nicht erleide, fehlten die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer solchen an die Klägerin. Das Feststellungsbegehren sei nicht schlüssig.
Das Erstgericht erkannte gemäß dem Klagebegehren.
Das Berufungsgericht wies die Berufung der Beklagten, soweit sie sich gegen den Feststellungsausspruch richtete, zurück. Im übrigen gab es der Berufung keine Folge.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und wies das Leistungsbegehren ab.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach den Feststellungen des Erstgerichtes, die auch dem Berufungsurteil zugrunde liegen, haben die Verletzungen, die Georg P. bei dem Unfall erlitt, Dauerfolgen nach sich gezogen. Er kann infolge der Atrophie des linken Oberarms schwere Gegenstände, die mit beiden Händen gehalten werden müssen, nicht mehr heben. Auch wird sich die Bewegungseinschränkung der linken Schulter bei verschiedenen Arbeiten auswirken. Eine Verschlechterung der Bewegungsfähigkeit der linken Schulter in zehn Jahren ist möglich. Georg P. ist als Niederlagsleiter einer Brauerei tätig. Am Vormittag ist er mit Büroarbeiten beschäftigt, am Nachmittag besucht er Kunden. In Ausnahmefällen verrichtet er auch manuelle Arbeiten für seine Firma. Die Unfallsverletzungen wirken sich besonders bei Witterungsumschlägen und beim Lenken eines Kraftfahrzeuges aus. Georg P. spürt ein Krampfgefühl im linken Arm. Derzeit hat er keine Gehaltseinbuße. Bei Büroarbeiten ist er nicht behindert, wohl aber beim Lenken eines Kraftfahrzeuges.
Rechtlich folgerten beide Vorinstanzen aus diesen Feststellungen, daß Georg P. mehr Energie aufwenden müsse, um das zu leisten, was er früher geleistet habe, und daß er auch an Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt verloren habe. Wenn er mit zunehmendem Alter nicht mehr in der Lage sein werde, die Schwierigkeiten bei Ausübung seines Berufes durch erhöhte Anstrengung zu überwinden, dann sei es nicht ausgeschlossen, daß er gezwungen sein könnte, mit anderen Arbeitnehmern in Konkurrenz zu treten.
Der Oberste Gerichtshof vermag sich dieser Begründung nicht anzuschließen.
Nach ständiger Rechtsprechung ist bei ungeschmälertem Diensteinkommen des Verletzten eine abstrakte Rente für die Zukunft auch bei körperlichem Dauerschaden nur dann zuzusprechen, wenn die Einkommensminderung in der Zukunft als wahrscheinlich anzusehen ist (2 Ob 298/55, 2 Ob 363/61, ZVR. 1963 Nr. 47 und 68 u. a.). Theoretisch richtig verweisen die Vorinstanzen auf die der abstrakten Rente zukommende Ausgleichs- und Sicherungsfunktion. Die Ansicht jedoch, daß die Rente den Geschädigten gegen ein künftig eintretendes Absinken seines Einkommens sichern soll, ist im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung ZVR. 1967 Nr. 235 den nicht nur für den hier zugrunde liegenden Fall, sondern allgemein anwendbaren Rechtssatz ausgesprochen, daß der Umstand allein, daß für den Geschädigten gewisse nur fallweise in Betracht kommende Arbeiten mit körperlichen Beschwerden verbunden sind, für den Zuspruch einer abstrakten Rente nicht ausreicht. Die bloße Erschwernis ist eher der Kategorie des Schmerzengeldes zuzurechnen und wird durch dieses abgegolten. Die Erschwernis allein vermag den Sicherungszweck nicht zu ersetzen, dieser ist vielmehr unerläßliche Voraussetzung für den Anspruch auf eine abstrakte Rente. Erst wenn die Erschwernis dazu führt, daß der Geschädigte wahrscheinlich Gefahr läuft, im Konkurrenzkampf benachteiligt zu werden, kann der Anspruch auf eine abstrakte Rente bejaht werden. Nun ist der 53 Jahre alte Georg P. nach seiner eigenen Parteiaussage, der die Vorinstanzen gefolgt sind, bereits seit 28 Jahren bei demselben Dienstgeber beschäftigt. In seiner Stellung als Niederlagsleiter ist er, wie das Berufungsgericht auf Grund dieser Parteiaussage zusätzlich feststellte, infolge der anzunehmenden Kulanz seines Dienstgebers nicht gefährdet. Diese Umstände lassen die Annahme einer künftigen Minderung seines Diensteinkommens nicht nur nicht wahrscheinlich, sondern nahezu ausgeschlossen erscheinen.
Könnte aber Georg P. eine abstrakte Rente nicht verlangen, dann steht ein solcher Anspruch auch der Klägerin auf Grund des § 332 ASVG. nicht zu.
In Abänderung des angefochtenen Urteils war daher das allein noch revisionsverfangene Leistungsbegehren abzuweisen.
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