OGH 8ObA325/94

OGH8ObA325/9416.3.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Rohrer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Karlhein Kux und Dipl.Ing.Dr.Peter Israiloff als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Josry S*****, vertreten durch Dr.Gerda Mahler-Hutter, Rechtsanwalt in Berndorf, wider die beklagte Partei S***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Heinz-Eckard Lackner, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 110.434,74 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2.August 1994, GZ 33 Ra 48/94-17, womit das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 11.November 1993, GZ 4 Cga 70/93-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Text

Begründung

Der Kläger war vom 28.7.1986 bis 19.10.1992 als Tofu-Hersteller (Arbeiter) bei der Beklagten, zuletzt mit einem Bruttogehalt von S 14.000,--, 14mal monatlich, beschäftigt. Er erschien wiederholt verspätet zum Arbeitsbeginn. Im Jahre 1992 bis zur Beendigung seiner Tätigkeit kam er insgesamt 36mal zu spät zur Arbeit, wobei die Verspätung in 26 Fällen mehr als eine Stunde betrug und der Kläger sich in der weitaus überwiegenden Anzahl der Fälle nicht im vorhinein entschuldigt hatte und nur in einem Fall eine Dienstverhinderung wegen Erkrankung vorlag. Er wurde deshalb sowohl von seinem unmittelbaren Vorgesetzten als auch vom Geschäftsführer der Beklagten wiederholt ermahnt und zur Pünktlichkeit gemahnt. Dabei wurde er angewiesen, ein Zuspätkommen oder eine Dienstverhinderung bis spätestens 9 Uhr im Betrieb bekanntzugeben. Insbesondere bei einem Gespräch am 31.8.1992 wurde ihm eindringlich vor Augen gehalten, daß sich sein häufiges Zuspätkommen auf das Arbeitsklima ungünstig auswirke. Tatsächlich gab es von anderen Arbeitnehmern Beschwerden dahingehend, daß die Geschäftsleitung den Kläger bevorzuge. Dem Kläger wurde auch die Entlassung angedroht; trotzdem erschien er auch nach dieser Abmahnung noch fünf- oder sechsmal verspätet am Arbeitsplatz.

Arbeitsbeginn des Klägers war 8,30 Uhr. Basis sämtlicher von der Beklagten hergestellten Produkte ist die Tofu-Produktion, für die der Kläger verantwortlich war. Sein Zuspätkommen verursachte eine Verschiebung der folgenden Produktionsabläufe, sodaß die damit beschäftigten anderen Arbeitnehmer ihre Tätigkeit nicht kontinuierlich und zeitgerecht verrichten konnten.

Am 19.10.1992 erschien der Kläger zum Arbeitsbeginn um 8,30 Uhr nicht. Um 9 Uhr sprach der Geschäftsführer der Beklagten die Entlassung aus. Der Kläger hatte wegen Schmerzen in den Beinen den Arzt aufgesucht und war von diesem für die Zeit vom 19.10.1992 bis 23.10.1992 krank geschrieben worden. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung langte zwei oder drei Tage nach dem 19.10.1992 im Betrieb der Beklagten ein.

Mit seiner am 12.3.1993 beim Erstgericht überreichten Klage brachte der Kläger vor, daß er am 19.10.1992 krankheitsbedingt einen Arzt habe aufsuchen müssen, von welchem Umstand seine Gattin die Beklagte um 7,45 Uhr verständigt habe. Nach dem Arztbesuch habe der Kläger selbst um etwa 15 Uhr im Unternehmen angerufen und sich krank gemeldet. Die Entlassung sei daher ungerechtfertigt erfolgt, weshalb dem Kläger Ansprüche aus der Beendigung des Dienstverhältnisses im Gesamtbetrag von S 112.005,02 sA zustünden.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte dessen Abweisung und brachte vor, der Kläger sei im Jahr 1992 insgesamt 36mal zu spät gekommen und habe am 19.10.1992 die Anordnung des Dienstgebers, eine Arbeitsverhinderung bis 8,30 Uhr bekanntzugeben, nicht befolgt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte den eingangs zusammengefaßt wiedergegebenen Sachverhalt und darüber hinaus fest, daß der Kläger am 19.10.1992 sein Fernbleiben bis 9 Uhr nicht entschuldigt habe, worauf der Geschäftsführer der Beklagten die Entlassung ausgesprochen habe. Erst nach 12,30 Uhr habe seine Ehefrau die Erkrankung des Klägers durch Anruf bei der Beklagten bekanntgegeben. Gegen 15,30 Uhr habe der Kläger selbst im Betrieb angerufen und mitgeteilt, daß ihm die Beine weh tuen, weshalb er beim Arzt gewesen und von diesem krank geschrieben worden sei.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß der Kläger ungeachtet wiederholter Abmahnungen seinen Dienst nicht pünktlich angetreten und die Dienstverhinderung nicht bis 9 Uhr bekanntgegeben habe. Er habe sich am 19.10.1992 über die Anweisungen des Dienstgebers hinweggesetzt und somit ein Verhalten gezeigt, daß einer Arbeitsverweigerung gleichkomme.

Das Gericht zweiter Instanz änderte das erstgerichtliche Urteil, das hinsichtlich der Abweisung eines Teilbetrages von S 1.570,29 brutto sA als unangefochten in Rechtskraft erwuchs, im übrigen dahin ab, daß es die Beklagte zur Zahlung des Betrages von S 110.434,10 brutto sA schuldig erkannte und führte aus: Es sei nicht erforderlich, auf die Beweisrüge des Klägers einzugehen, da sich schon aus rechtlichen Erwägungen die Begründetheit des Klagebegehrens ergebe. Gemäß § 4 Abs.1 EFZG sei der Arbeitnehmer verpflichtet, ohne Verzug die Arbeitsverhinderung dem Arbeitgeber bekanntzugeben und auf Verlangen des Arbeitgebers eine Bestätigung über Beginn, voraussichtliche Dauer und Ursache der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen. Gemäß Abs.4 der genannten Gesetzesstelle verliere ein Arbeitnehmer, der seiner Verpflichtung nach Abs.1 nicht nachkomme, für die Dauer der Säumnis den Anspruch auf Entgelt. Es entspreche ständiger Rechtsprechung, daß die Verletzung der Verpflichtung der unverzüglichen Bekanntgabe der krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung im Regelfall nur den Verlust des Entgeltanspruches für die Dauer der Säumnis nach sich ziehe. Ein Verstoß gegen die Meldepflicht könne nur unter besonderen Umständen einen Entlassungsgrund bilden, so etwa dann, wenn dadurch dem Arbeitgeber ein wesentlicher Schade erwachse. In der durch das Verhalten des Klägers bedingten Produktionsverschiebung sei jedoch ein derartiger Schade nicht zu erblicken und im übrigen auch gar nicht substantiiert behauptet worden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision der Beklagten kommt im Sinne einer Aufhebung der Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz Berechtigung zu.

Gemäß der Bestimmung des § 82 lit.f GewO 1859, die gemäß der Übergangsbestimmung des § 376 Z 47 GewO 1994 weiterhin in Geltung steht, kann ein Arbeiter ohne Kündigung unter anderem dann sofort entlassen werden, wenn er die Arbeit unbefugt verlassen hat oder beharrlich seine Pflichten vernachlässigt. Da § 82 lit.f GewO 1859 im Sinne des § 27 Z 4 AngG auszulegen ist (Arb 9106, 9991, 10.427), muß das Dienstversäumnis pflichtwidrig, erheblich und schuldhaft sein und überdies eines rechtmäßigen Hinderungsgrundes entbehren (RdW 1987, 419). Das Fernbleiben vom Dienst ist gerechtfertigt, wenn der Dienstnehmer tatsächlich krank und arbeitsunfähig ist, mag er auch die Krankmeldung verspätet vorgenommen haben. Der Arbeitnehmer ist zwar verpflichtet, ohne Verzug die Arbeitsverhinderung dem Arbeitgeber bekanntzugeben und auf Verlangen des Arbeitgebers eine Bestätigung des zuständigen Krankenversicherungsträgers oder eines Gemeindearztes über Beginn, voraussichtliche Dauer und Ursache der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen (§ 4 Abs.1 EFZG), doch zieht die Verletzung dieser Verpflichtung im Regelfall nur den Verlust des Entgeltanspruches für die Dauer der Säumnis nach sich (§ 4 Abs.4 EFZG; § 8 Abs.8 AngG). Eine verspätete Krankmeldung kann somit die Entlassung nur rechtfertigen, wenn besondere Umstände hinzutreten, etwa wenn der Dienstnehmer wußte, daß dem Dienstgeber dadurch ein wesentlicher Schaden erwachsen werde und ihm die rechtzeitige Meldung leicht möglich gewesen wäre. Nur in diesem Fall kann das Verhalten dem Entlassungstatbestand der beharrlichen Pflichtvernachlässigung unterstellt werden (Arb 10.097; Kuderna, Entlassungsrecht2 106).

Dem Berufungsgericht ist zwar darin beizupflichten, daß es nicht allein darauf ankommt, daß dem Kläger vom Geschäftsführer der Beklagten für den Fall der nicht rechtzeitigen Meldung einer Dienstverhinderung die Entlassung angedroht worden ist (RdW 1987, 60), jedoch kann ihm insoweit nicht gefolgt werden, als es die Ansicht vertrat, daß das Versäumnis des Klägers keinen wesentlichen Schaden für den Dienstgeber herbeigeführt hätte. Dem Kläger war bekannt, daß er für die Erzeugung des Basisproduktes der Produktion der Beklagten verantwortlich war. Er mußte daher auch wissen, daß sein Fernbleiben eine Verschiebung der Produktionsabläufe verursachte. Es war daher für den Dienstgeber - wie auch dem Kläger leicht einsichtig sein mußte - von ausschlaggebender Bedeutung, so rechtzeitig von einer Dienstverhinderung zu erfahren, daß entsprechende, die Produktion sichernde Dispositionen getroffen werden konnten. Über dieses berechtigte Anliegen des Dienstgebers hat sich der Kläger in einem weit überdurchschnittlich hohen Maß hinweggesetzt. Der dadurch herbeigeführte Schaden bestand nicht nur in Nachteilen aus Produktionsverschiebungen, sondern vor allem auch in einer Verschlechterung des Arbeitsklimas, da andere Mitarbeiter, die durch das Zuspätkommen des Klägers im eigenen Arbeitsrhythmus empfindlich gestört wurden, das Verhalten des Geschäftsführers gegenüber dem Kläger als unrechte Begünstigung empfanden. Jedes weitere unentschuldigte Fernbleiben des Klägers mußte daher vorhersehbar für die Disziplin im Betrieb (vgl. §§ 102 Satz 1, 121 Z 3 ArbVG) und damit für den Arbeitgeber einen schweren Schaden bedeuten.

Im Verfahren hat sich kein Anhaltspunkt ergeben, daß es dem Kläger nicht leicht möglich gewesen wäre, die Verständigung des Dienstgebers zu veranlassen. Wenngleich das Fernbleiben des Klägers auch den übrigen Mitarbeitern im Nachhinein durch die Krankmeldung gerechtfertigt erscheinen konnte, verblieb jedenfalls der Vorwurf, daß sich der Kläger über die aus Betriebsnotwendigkeiten begründete Weisung des Dienstgebers, Verhinderungen rechtzeitig zu melden, ohne triftigen Grund und leichtfertig wiederum hinweggesetzt hatte.

Es erweist sich somit, daß im gegenständlichen Fall die entscheidende Bedeutung nicht der Verletzung der Verständigungspflicht zukommt, sondern dem dadurch herbeigeführten Schaden für die Disziplin im Unternehmen (vgl. Kuderna aaO 107). In einem derartigen Fall kann aber mit der Sanktion des § 4 Abs.4 EFZG nicht das Auslangen gefunden werden, da sich diese nicht als adäquates Mittel zur Schadensbehebung darstellt. Die Entlassung des Klägers müßte daher dann als gerechtfertigt erachtet werden, wenn er tatsächlich erst in der Zeit nach 12,30 Uhr den Dienstgeber von seinem Krankenstand verständigt hat. Die diesbezügliche Feststellung des Erstgerichtes wird aber vom Kläger mit Beweisrüge in seiner Berufung bekämpft. Da sich das Berufungsgericht aufgrund unrichtiger Rechtsansicht mit diesem Rechtsmittelvorbringen nicht befaßt hat war in Stattgebung der Revision das angefochtene Urteil aufzuheben und dem Gericht zweiter Instanz hiemit die Erledigung der Beweisrüge aufzutragen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs.1 ZPO.

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