OGH 4Ob574/94

OGH4Ob574/947.3.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Theresia P*****, vertreten durch Dr.Karl Krawagna und Dr.Walter Wolf, Rechtsanwälte in Bruck/Mur, wider die beklagte Partei Edmund P*****, vertreten durch Dr.Peter Bartl, Rechtsanwalt in Graz, wegen Unterhalt (Streitwert S 150.000,-), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 29.September 1994, GZ 2 R 299/94-26, womit das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 6.Juni 1994, GZ 28 C 93/93a-19, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei, die mit S 8.370,- bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung (darin enthalten S 1.395,- Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Ehe der Streitteile wurde mit Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 12.11.1979 gemäß § 55a EheG geschieden. Im Scheidungsvergleich verpflichtete sich der Beklagte ua, der Klägerin ab 1.1.1980 einen monatlichen Unterhalt von S 2.000,- zu zahlen.

Im Verfahren 10 C 9/90m des Erstgerichtes erwirkte der Beklagte gegen die Klägerin das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 29.4.1991, daß die mit den Beschlüssen des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 27.2.1990 und vom 8.6.1990 auf Grund des Unterhaltsvergleiches bewilligte Exekution in Ansehung des bis einschließlich 15.1.1990 rückständigen Unterhalts unzulässig ist; das Mehrbegehren, die erwähnten Exekutionen auch in Ansehung des Unterhalts ab 16.1.1990 für unzulässig zu erklären, wurde abgewiesen. Daß der Unterhaltsvergleich vom 12.11.1979 bloß zum Schein abgeschlossen worden sei, um der Klägerin eine Witwenpension nach dem Beklagten zu sichern, wurde darin nicht als erwiesen angenommen. Während der Lebensgemeinschaft der Klägerin mit einem anderen Mann habe ihr Unterhaltsanspruch aus dem Vergleich geruht. Daß die Klägerin während dieser Zeit keinen Unterhalt verlangt habe, könne daher nicht als Verzicht auf den Unterhalt aufgefaßt werden. Der Unterhaltsanspruch sei mit seiner neuerlichen Geltendmachung am 16.1.1990 wiederaufgelebt.

Am 15.1.1993 erhielt der Beklagte eine Abfertigung von zwölf Monatsbezügen in der Höhe von S 450.000,-.

Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage auf Grund des Scheidungsvergleiches ein Drittel dieser Abfertigung als Unterhalt.

Das Erstgericht erkannte den Beklagten im Sinne des Klagebegehrens schuldig. Es erachtete sich an die im genannten Vorprozeß ausgesprochene Ansicht des Berufungsgerichts, daß die Klägerin auf den Unterhaltsanspruch aus dem Vergleich nicht verzichtet habe, für gebunden.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes auf und trug diesem eine nach Verfahrensergänzung zu fällende neuerliche Entscheidung auf. Weiters sprach es aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Eine Bindung an die Ergebnisse des Verfahrens 10 C 9/90m des Erstgerichtes bestehe nicht. Mit der Entscheidung des Berufungsgerichtes seien in diesem Vorprozeß lediglich Exekutionen auf Grund des Unterhaltsvergleiches bis einschließlich 15.1.1990 für unzulässig, ab 16.1.1990 jedoch für zulässig erklärt worden. Die Gründe, die für die Zulässigerklärung weiterer Exekutionen gesprochen hätten, müßten sich nicht notwendig auch auf den Unterhaltsanspruch, der nunmehr wegen geänderter Verhältnisse erhoben worden sei, auswirken. Ob die Klägerin auf den geltend gemachten Unterhaltsanspruch verzichtet habe, sei daher im vorliegenden Verfahren neuerlich zu prüfen.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Klägerin gegen diesen Beschluß erhobene Rekurs ist - ungeachtet des nicht bindenden Ausspruches des Berufungsgerichtes - unzulässig (§ 502 Abs 1 ZPO iVm § 519 Abs 2 ZPO).

Es trifft zwar zu, daß Lehre und Rechtsprechung neben der - nur bei Identität des Anspruches, der Parteien und des rechtserzeugenden Sachverhalts gegebenen - materiellen Rechtskraftwirkung eine inhaltliche Bindungswirkung des Vorprozesses auf den Folgeprozeß anerkennen, wenn zwar keine Identität des Begehrens vorliegt, der rechtskräftig entschiedene Anspruch jedoch eine Vorfrage für den neuen Anspruch ist, oder aber, wenn - als Sonderfall der Präjudizialität - ein im Gesetz begründeter Sachzusammenhang zwischen beiden Begehren besteht und dieser inhaltliche Zusammenhang so eng ist, daß die Gebote der Rechtssicherheit und der Entscheidungsharmonie eine widersprechende Beantwortung derselben, in beiden Fällen entscheidenden Rechtsfrage nicht gestatten (RZ 1977/49; SZ 52/151; SZ 55/74; JBl 1990, 52; NZ 1994, 228). Diese Bindungswirkung schließt die Verhandlung, Beweisaufnahme und neuerliche Prüfung des bereits rechtskräftig entschiedenen Anspruchs aus, nicht aber auch die Verhandlung und Entscheidung über das neue Klagebegehren; der Richter hat hiebei von den bereits rechtskräftig entschiedenen Anspruch auszugehen und ihn ohne weiteres seiner neuen Entscheidung zugrundezulegen. Das Ausmaß der Bindungswirkung wird zwar nur durch den Urteilsspruch bestimmt, doch sind die Entscheidungsgründe zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftigen Anspruches heranzuziehen (SZ 55/74). Das gilt insbesondere, wenn der Umfang der Rechtskraftwirkung eines abweisenden Urteiles festgestellt werden soll (Fasching, LB2 Rz 1523). Nur dann, wenn eine bestimmte Tatsache im Vorprozeß nicht den Hauptgegenstand des Verfahrens bildete, sondern lediglich als Vorfrage zu beurteilen war, kommt der Entscheidung dieser Vorfrage im Vorprozeß keine bindende Wirkung im folgenden Prozeß zu (JBl 1990, 52 mwN; NZ 1994, 228).

Der Oberste Gerichtshof hat aber auch schon ausgesprochen (JBl 1990, 52), daß diese Bindungswirkung jedenfalls bei teilbaren Ansprüchen dann ihr Ende findet, wenn in der ersten Klage nur ein verhältnismäßig kleiner Teil eines Anspruchs geltend gemacht wurde; dann soll es dem Beklagten nicht verwehrt sein, bei der Einklagung des größeren Teiles mehr Verteidigungsmittel vorzutragen; ein verschiedener Verfahrensausgangs sei für teilbare Ansprüche nicht schlechthin logisch undenkbar. Selbst wenn es im zweiten Verfahren zu einem anderen Verfahrensausgang als im Vorprozeß käme, liege kein besonders krasser Fall (einer Unvereinbarkeit) vor.

Hier wurde im Vorprozeß die Exekutionsführung auf den mit Vergleich festgesetzten Unterhaltsbetrag für die Zeit ab 16.1.1990 für zulässig erklärt, ein genereller Unterhaltsverzicht der Klägerin wäre nicht als erwiesen angenommen. Das Berufungsgericht hat daher eine Bindungswirkung dieser Entscheidung auf das vorliegende Verfahren, in dem es um eine Unterhaltserhöhung wegen einer dem Beklagten erst viel später gezahlten Abfertigung geht, nach den vorstehenden Grundsätzen der Rechtsprechung zutreffend abgelehnt. Der Rekurs war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten der Rekursbeantwortung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.

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