OGH 11Os145/94

OGH11Os145/9414.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.Februar 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Hager, Dr.Schindler, Dr.Mayrhofer und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Braunwieser als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Arnold Z***** und eine andere wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 und Abs 2 erster Fall SGG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Angeklagten Arnold Z***** und Eva H***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 22.August 1994, GZ 34 Vr 2384/93-29, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Presslauer, der beiden Angeklagten und des Verteidigers Dr.Kusatz zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Arnold Z***** und Eva H***** von der wider sie wegen (A) des Verbrechens nach § 12 Abs 1 und Abs 2 erster Fall SGG sowie der Vergehen (B) nach § 16 Abs 1 SGG und (C) der gewerbsmäßigen Abgabenhehlerei nach §§ 37 Abs 1 lit a, 38 Abs 1 lit a FinStrG erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Gegenstand der Anklage war der Vorwurf, sie hätten in der Zeit von Februar bis August 1993 in Linz und Kremsmünster

(A) den bestehenden Vorschriften zuwider gewerbsmäßig in zahlreichen Angriffen Suchtgift in einer großen Menge, nämlich insgesamt ca 1,7 kg Haschisch, durch Verkauf an zahlreiche Personen in Verkehr gesetzt;

(B) außer den Fällen der §§ 12 und 14 a SGG den bestehenden Vorschriften zuwider weitere ca 720 Gramm Haschisch für den Eigengebrauch erworben und besessen;

(C) durch die zu A und b genannten Handlungen gewerbsmäßig Sachen, hinsichtlich welcher ein Schmuggel begangen worden ist, gekauft, an sich gebracht und verhandelt.

Die Anklage hatte sich im wesentlichen auf die niederschriftlichen Angaben des abgesondert verfolgten Roland Peter K***** vor der Bundespolizeidirektion Linz vom 1.September 1993 gestützt, wonach K***** im Zeitraum von Februar bis August 1993 wiederholt an verschiedene Abnehmer insgesamt ca 12 kg Haschisch, darunter an Arnold Z***** und die von ihm als "Oma" bezeichnete Eva H***** ca 2,5 kg Haschisch verkauft habe (27 ff, insbesondere 37). In der Hauptverhandlung berief sich der als Zeuge geladene Roland Peter K***** (129), der schon bei seiner gerichtlichen Vernehmung als Zeuge im Vorverfahren, bei der den Verfahrensparteien keine Gelegenheit zur Teilnahme geboten worden war, seine die Angeklagten Z***** und H***** belastenden Polizeiangaben widerrufen hatte (vgl ON 4), auf sein Entschlagungsrecht nach § 152 (zu ergänzen: Abs 1 Z 1) StPO. Ein Antrag der Staatsanwaltschaft, ihn dennoch zur Zeugenaussage zu verhalten, wurde abgewiesen. Der Anklagevertreter behielt sich nach Verkündung dieser Entscheidung die Nichtigkeitsbeschwerde vor. Offenkundig im Hinblick auf § 252 Abs 1 Z 2 a StPO unterblieb auch eine Verlesung der niederschriftlichen Polizeiaussage des Zeugen K*****.

Den Freispruch der leugnenden Angeklagten begründete das Erstgericht mit dem Mangel an verwertbaren Beweisergebnissen. Dazu führt es aus, daß auch nach der rechtskräftigen Verurteilung K***** die Voraussetzungen für das Entschlagungsrecht gemäß § 152 Abs 1 Z 1 StPO vorlägen, wonach Personen, die sich durch ihre Aussage der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung aussetzen würden oder die im Zusammenhang mit einem gegen sie geführten Strafverfahren Gefahr liefen, sich selbst zu belasten, von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses befreit sind, auch wenn sie bereits verurteilt worden sind. Da sich K***** sohin berechtigt der Zeugenaussage entschlagen habe, sei auch eine Verlesung seiner die beiden Angeklagten belastenden Polizeiangaben nicht mehr möglich gewesen (US 4).

Rechtliche Beurteilung

Mit ihrer auf die Z 4 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Abweisung ihres Antrages auf zeugenschaftliche Einvernahme Roland Peter K***** trotz seiner vorangegangenen Inanspruchnahme des Entschlagungsrechtes nach § 152 StPO, weil dadurch auch die Verlesung seiner die beiden Angeklagten belastenden Polizeiaussage nicht mehr möglich gewesen sei (§ 252 Abs 1 Z 2 a StPO).

Zur Begründung des in der Hauptverhandlung verkündeten Zwischenerkenntnisses (129 iVm ON 35) wurde in den Urteilsgründen bloß der Wortlaut des § 152 Abs 1 Z 1 StPO wiedergegeben, ohne auf den konkreten Fall einzugehen (US 4). Dabei übersah das Schöffengericht, daß weder die Tatsache eines anhängigen oder anhängig gewesenen Verfahrens gegen einen Zeugen wegen einer Tat, die in einem rechtlichen oder sachlichen Konnex zu jener Tat steht, die dem Strafverfahren zugrunde liegt, in dem der Zeuge seine Aussage ablegen soll, noch die sich darauf berufende Entschlagungserklärung des Zeugen als solche für sich allein schon eine Zeugnisbefreiung bewirkt.

Ein solches gegen den Zeugen geführtes Strafverfahren stellt nämlich bloß einen Hinweis auf die eine Zeugnisbefreiung gemäß der zweiten Alternative des § 152 Abs 1 Z 1 StPO bewirkende Gefahr der Selbstbelastung dar. Ob letztere tatsächlich vorliegt, hat das Gericht unter Berücksichtigung der erforderlichenfalls zu hinterfragenden Entschlagungserklärung des Zeugen durch Vergleich des Beweisthemas mit dem gegen ihn erhobenen strafgerichtlichen Vorwurf zu prüfen und zu entscheiden. Im Fall einer bereits rechtskräftigen Verurteilung des Zeugen ist in der Regel - von Sonderkonstellationen abgesehen, die der Entschlagungswerber glaubhaft darlegen müßte - eine Zeugnisbefreiung gemäß dem letzten Halbsatz des § 152 Abs 1 Z 1 StPO nur für jenen Zeugen gegeben, der im gegen ihn geführten Strafverfahren trotz seiner bestreitenden Verantwortung verurteilt worden ist. Denn von einem Zeugen, der einen gegen ihn erhobenen Vorwurf als zu Recht bestehend anerkennt, kann im allgemeinen nicht angenommen werden, daß er sich im Umfang seines Geständnisses durch eine wahrheitsgemäße Aussage noch belasten, das heißt ein zusätzliches Beweismittel (im weitesten Sinn) gegen sich schaffen könnte (vgl hiezu 14 Os 82/94 = EvBl 1994/138). Dies hat - der ratio der genannten Gesetzesstelle folgend - auch für den Fall zu gelten, daß der Zeuge in dem seinerzeit gegen ihn geführten Strafverfahren nur im Vorverfahren geständig war, in der Hauptverhandlung aber seine

früheren geständigen Angaben zur Gänze oder teilweise widerruft, sofern das Gericht dieses frühere Geständnis seinem Schuldspruch zugrunde legte. Auch in diesem Fall kann der Zeuge im Umfang dieses Geständnisses durch eine wahrheitsgemäße Aussage gegen sich kein weiteres Beweismittel mehr schaffen.

Der Zeuge kann in einem derartigen Fall ein Entschlagungsrecht auch nicht auf die Behauptung stützen, bei wahrheitsgemäßer Aufrechterhaltung seiner das im Vorverfahren abgelegte Geständnis einschränkenden oder widerrufenden Verantwortung in der Hauptverhandlung bestehe die Gefahr, wegen Verleumdung (des nunmehrigen Angeklagten) erneut strafgerichtlich verfolgt zu werden. Die Bestimmung des § 152 Abs 1 Z 1 erster Fall StPO zielt nämlich darauf ab, jene Personen, die bloß verdächtig sind, eine Tat begangen zu haben, die in einem rechtlichen oder sachlichen Zusammenhang zu jener Tat steht, die dem Beschuldigten/Angeklagten angelastet wird, die deshalb aber noch nicht gerichtlich verfolgt werden, vom Zwang zu einer Selbstbelastung durch eine wahrheitsgemäße Aussage im umschriebenen Rahmen zu bewahren. Sie bezieht sich dagegen nicht auf allfällige strafrechtliche Konsequenzen einer vor der betreffenden Vernehmung in derselben Sache abgelegten Aussage (vgl erneut EvBl 1994/138).

Vorliegend hat Roland Peter K***** als Angeklagter in dem (zuvor) gegen ihn zum AZ 35 Vr 2055/93 (Hv 35/93) des Landesgerichtes Linz geführten Strafverfahren (das in der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Linz genannte Verfahren AZ 35 Hv 2/94 wurde laut telefonischer Auskunft des Landesgerichtes Linz in dieses Verfahren einbezogen) in der Hauptverhandlung von seinen in der polizeilichen Niederschrift vom 1.September 1993 festgehaltenen Angaben nur mehr jene über den Verkauf von rund 6,5 kg Suchtgift an größtenteils unbekannte Abnehmer aufrechterhalten und - wie auch schon in seiner ohne Verständigung und ohne Zuziehung der Verfahrensparteien erfolgten Zeugeneinvernahme vom 3.November 1993 (ON 4) - den Verkauf von Suchtgift an den nunmehrigen Angeklagten Z***** geleugnet (145 ff, insbesondere 153). Dennoch erkannte ihn das Schöffengericht mit Urteil vom 22.Februar 1994 (unter Ablehnung seiner teilweise leugnenden Verantwortung in der Hauptverhandlung) aufgrund seiner Angaben vom 1.September 1993 im vollen Umfang für schuldig (ON 32). Durch eine Zeugenaussage im vorliegenden Verfahren in bezug auf die Fakten dieses (auf sein Geständnis im Vorverfahren gestützten) Schuldspruches hätte Roland Peter K***** demnach kein zusätzliches Beweismittel gegen sich schaffen können. Zu einer näheren Erklärung aber, worin dennoch eine Belastungsmöglichkeit bestünde, wurde der Zeuge K***** infolge der verfehlten Rechtsansicht des Erstgerichtes nicht verhalten.

Das ohne Überprüfung einer allenfalls bestehenden Gefahr der Selbstbelastung vom Schöffengericht dem Zeugen Roland Peter K***** zugestandene, allein aufgrund der Tatsache des seinerzeit gegen ihn unter anderem wegen des Verkaufs von 2,5 kg Haschisch an die beiden nunmehrigen Angeklagten geführten Strafverfahrens zugebilligte Recht der Zeugnisentschlagung steht mit dem Wesen eines die Strafverfolgung sichernden Verfahrens nicht im Einklang. Diese Formverletzung hatte insofern einen die Anklage beeinträchtigenden Einfluß auf die Entscheidung (§ 281 Abs 3 StPO), als wegen dieser vom Erstgericht als berechtigt angenommenen Zeugnisverweigerung bei gleichzeitigem Fehlen einer zuvor den Verfahrensparteien gebotenen Gelegenheit, sich an einer gerichtlichen Vernehmung des Roland Peter K***** zu beteiligen, auch eine Verlesung der die beiden Angeklagten belastenden Polizeiaussage des Zeugen vom 1.September 1993 ausgeschlossen war (§ 252 Abs 1 Z 2 a StPO).

Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher Folge zu geben und wie im Spruch zu erkennen.

Im fortgesetzten Verfahren wird, sofern sich Roland Peter K***** erneut unter Hinweis auf das gegen ihn seinerzeit geführte Strafverfahren auf sein Entschlagungsrecht gemäß § 152 Abs 1 Z 1 StPO berufen sollte, diese Erklärung zu hinterfragen und sodann zu überprüfen sein, ob für den Zeugen tatsächlich die Gefahr einer Selbstbelastung besteht. Nur in diesem Fall wäre die Zeugnisverweigerung berechtigt und eine Verlesung der polizeilichen Niederschrift des Zeugen K***** vom 1.September 1993 (sowie seiner Zeugenaussage ON 4) ohne Zustimmung der Angeklagten ausgeschlossen. Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, daß gegebenenfalls der Anklagepunkt C hinsichtlich der durch die Tat nach Punkt B (§ 16 SGG) verwirklichten Abgabenhehlerei im Lichte des § 24 a SGG zu prüfen wäre.

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