OGH 2Ob503/95

OGH2Ob503/9526.1.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dipl.Ing.Wolfgang M*****, 2. Marcel M*****, beide vertreten durch Dr.Utho Hosp, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Patrick O*****, vertreten durch Dr.Paul Kreuzberger, Mag.Markus Stranimaier, Rechtsanwälte in Bischofshofen, wegen S 88.203,60 sA, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 6.November 1994, GZ 22 R 484/94-21, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St.Johann/Pongau vom 2.September 1994, GZ 3 C 599/94w-15, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird hinsichtlich des Zweitklägers zurückgewiesen. Der Antrag des Zweitklägers auf Ersatz von Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird abgewiesen.

Im übrigen (hinsichtlich des Erstklägers) wird dem Revisionsrekurs nicht Folge gegeben. Der Beklagte ist schuldig, dem Erstkläger die mit S 4.038,45 (darin S 673,07 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Kläger sind deutscher, der Beklagte ist niederländischer Staatsangehörigkeit. Die Kläger wohnen in Deutschland, der Beklagte in den Niederlanden. Im Februar 1993 hielten sich sämtliche Streitteile einige Tage lang als zahlende Urlaubsgäste in St.Johann/Pongau auf. Am 20.2.1993 kam es im Freizeitbereich (Whirlpool) des Hotels zu einer Auseinandersetzung zwischen den Streitteilen, welche mit Verletzungen der beiden Kläger endete. Beim Landesgericht Salzburg behängt gegen den Beklagten aufgrund eines Strafantrages der Staatsanwaltschaft ein bislang nicht abgeschlossenes Strafverfahren wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs 1, § 84 Abs 1 StGB.

Im vorliegenden Verfahren macht der Erstkläger ein Schmerzengeld von S 40.000, von ihm für ärztliche Behandlung geleistete Zahlungen von S 6.803,60 sowie Ersatz für Kost und Logis, wofür er trotz vorzeitiger Abreise habe zahlen müssen, von S 6.400, das sind zusammen S 53.203,60, der Zweitkläger ein Schmerzengeld von S 35.000 geltend. Die Zuständigkeit des Erstgerichtes wird auf § 92a JN gestützt.

Der Beklagte erhob die Einrede der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit sowie der mangelnden örtlichen Zuständigkeit des Erstgerichtes.

Das Erstgericht hob das bisherige Verfahren als nichtig auf und wies die Klage mangels inländischer Gerichtsbarkeit zurück. Zur Begründung führte das Erstgericht aus, es schließe sich der in der Rechtsprechung nunmehr überwiegend vertretenen Indikationentheorie an, wonach inländische Gerichtsbarkeit in Zivilsachen für alle Rechtssachen, die durch positiv-gesetzliche Anordnung, durch völkerrechtliche Regeln oder zufolge eines durch die inländischen Verfahrensanordnungen anerkannten Anknüpfungspunktes an das Inland vor die österreichischen Gerichte verwiesen seien, bestehe. Wenn jedoch zwar ein inländischer Gerichtsstand vorliege, eine hinreichende Nahebeziehung zum Inland aber fehle, sei trotzdem die inländische Gerichtsbarkeit zu verneinen. Zwar seien die Voraussetzungen des § 92a JN gegeben, weil sich der Ort der Schadenszufügung, also der Ort der tätlichen Auseinandersetzung, im Inland befunden habe, jedoch existierten weitere inländische Nahebeziehungen nicht, weil die Beteiligten ausländische Staatsangehörige seien, ihren Wohnsitz jeweils im Ausland hätten und auch inländische Zeugen nicht bekannt seien.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kläger Folge, änderte den angefochtenen Beschluß dahingehend ab, daß die Einrede der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit verworfen wird, und trug dem Erstgericht die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht für zulässig. Es führte folgendes aus:

Grundvoraussetzung für die Tätigkeit eines österreichischen Gerichtes in einer bestimmten Rechtssache sei, daß diese Rechtssache auch der inländischen Gerichtsbarkeit unterliege. Darunter werde die Entscheidungsbefugnis österreichischer Gerichte über im Inland anhängig gemachte bzw zu machende Rechtssachen verstanden. Dabei enthielten ausdrückliche innerstaatliche Regelungen über die Abgrenzung der inländischen Gerichtsbarkeit lediglich vereinzelte Normen in personen-, familien- und erbrechtlichen Angelegenheiten, für den weiten Bereich der vermögensrechtlichen Streitigkeiten fehlten hingegen solche Bestimmungen, was zu einem jahrelangen Theorienstreit und einer uneinheitlichen und unübersichtlichen Rechtsprechung geführt habe. Mit dem Erstgericht sei aber davon auszugehen, daß im Hinblick auf die neueste Rechtsprechung diese Kontroversen im wesentlichen als beigelegt angesehen werden müßten. Nach dieser Rechtsprechung, die der Großteil der Lehre billige, sei nunmehr von der bedingten Indikationentheorie auszugehen: Danach bestehe die inländische Gerichtsbarkeit für alle Zivilrechtssachen, die durch positiv-gesetzliche Anordnung, durch völkerrechtliche Regeln oder zufolge eines durch die inländischen Verfahrensordnungen anerkannten Anknüpfungspunktes an das Inland, zB einen inländischen Gerichtsstand, vor die österreichischen Gerichte verwiesen seien. Wenn ein inländischer Gerichtsstand vorliege, eine hinreichende Nahebeziehung zum Inland aber fehle, sei die inländische Gerichtsbarkeit dennoch zu verneinen. Bestehe eine ausreichende inländische Nahebeziehung und fehle es an einem inländischen Gerichtsstand, so habe § 28 JN, sofern dessen Voraussetzungen gegeben seien, Abhilfe zu schaffen (Mayr in Rechberger Rz 4 zu § 28 JN mwN). Weder die Indikationentheorie noch deren Anwendung im vorliegenden Fall werde vom Erstgericht oder von den Klägern im Rekurs in Frage gestellt, desgleichen auch nicht der Umstand, daß grundsätzlich im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen des § 92a JN vorlägen, wonach Streitigkeiten über den Ersatz des Schadens, der aus der Tötung oder Verletzung einer oder mehrerer Personen, aus einer Freiheitsberaubung oder aus der Beschädigung einer körperlichen Sache entstanden sei, bei dem Gericht angebracht werden könne, in dessen Sprengel das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden sei. Strittig sei allerdings, ob § 92a JN für sich eine hinreichende Nahebeziehung zum Inland im Sinne der Indikationentheorie biete. Diese Frage sei vom Oberlandesgericht Linz in EvBl 1987/180 unter Hinweis auf Fasching, ZPR2 Rz 76, bejaht worden und lehre auch Mayr in Rechberger Rz 3 zu § 92a JN, daß der Gerichtsstand der Schadenzufügung jedenfalls eine für die Begründung der inländischen Gerichtsbarkeit ausreichende Nahebeziehung zum Inland repräsentiere. Diesen Auffassungen schließe sich - insbesondere auch mangels gegenteiliger Standpunkte in Lehre und Rechtsprechung - das Rekursgericht an: Richtig sei zwar, daß die Kläger nach den unbekämpften Feststellungen im angefochtenen Beschluß ausländische Staatsangehörige seien und auch im Ausland wohnen sowie daß auch keine inländischen Zeugen den gegenständlichen Vorfall beobachtet hätten. Berücksichtigung finden müsse aber, daß das schädigende Verhalten im Inland stattgefunden habe, daß sich zum Zeitpunkt des Schadenseintrittes somit sämtliche Streitteile zur gleichen Zeit im Inland aufgehalten hätten, daß dies nicht nur ein kurzfristiger, sondern ein mehrere Tage dauernder Aufenthalt gewesen sei und daß schließlich vor dem Landesgericht Salzburg auch ein Strafverfahren gegen den Beklagten behänge. Dabei stütze sich die Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden auf § 51 Abs 1 StPO, wonach das Strafverfahren in der Regel dem Gericht zustehe, in dessen Sprengel die strafbare Handlung begangen worden sei. Danach komme es auf die Staatsangehörigkeit des Täters nicht an. Auch wenn der Anwendungsbereich des § 92a JN über die deliktischen Schadenersatzansprüche hinausgehe und nach nun neuerer Auffassung auch Vertragsverletzungen erfasse (Mayr in Rechberger Rz 1 zu § 92a JN mwN), beziehe sich der Kern des Anwendungsbereiches der angeführten Bestimmung doch auf jene Handlungen, welche in der Regel auch einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu unterziehen seien (Tötung oder Verletzung einer oder mehrerer Personen, Freiheitberaubung, Sachbeschädigungen). Im Hinblick auf den der österreichischen Rechtsordnung innewohnenden Grundgedanken der Einheit der Rechtsordnung vertrete daher das Rekursgericht die Auffassung, daß § 92a JN allein durch die Tatsache der Schadenszufügung eine für die Begründung der inländischen Gerichtsbarkeit ausreichende Nahebeziehung zum Inland repräsentierte. Es erübrige sich damit aber, auf die vom Erstgericht aufgeworfene Frage einzugehen, ob das Oberlandesgericht Linz in EvBl 1987/180 bereits von der Indikationentheorie ausgegangen sei oder nicht.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei für zulässig zu erklären gewesen, weil eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, inwieweit § 92a JN jedenfalls eine für die Begründung der inländischen Gerichtsbarkeit ausreichende Nahebeziehung zum Inland repräsentiere, unter Berücksichtigung der neuesten Rechtsprechung zur Indikationentheorie nicht vorhanden sei, diese Rechtsfrage jedoch an Bedeutung das vorliegende Verfahren übersteige und der Rechtssicherheit und Rechtsfortentwicklung diene (§ 528 Abs 1 ZPO).

Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Kläger beantragen in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist hinsichtlich des Zweitklägers gemäß § 528 Abs 2 Z 1 ZPO unzulässig, weil der Entscheidungsgegenstand insoweit S 50.000 nicht übersteigt. Eine Zusammenrechnung der Ansprüche der beiden, durch Faustschläge des Beklagten verletzten Kläger hat gemäß § 55 Abs 1 Z 2 JN nicht zu erfolgen, weil die Kläger nicht materielle Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind (vgl Fucik in Rechberger § 11 ZPO Rz 1 ff).

Hinsichtlich des Erstklägers ist der Revisionsrekurs zulässig, aber nicht berechtigt.

Der erkennende Senat billigt für den vorliegenden Fall die Rechtsmeinung des Rekursgerichtes, auf dessen zutreffende Begründung verwiesen wird (§§ 528a, 510 Abs 3 ZPO). Hinzuzufügen ist noch folgendes:

Den Normen über die örtliche Zuständigkeit wird deswegen grundsätzlich gerichtsbarkeitsbegründende Funktion zuerkannt, weil in ihnen die Wertung des Gesetzgebers zum Ausdruck kommt, daß durch sie eine hinreichend enge Nahebeziehung zum Inland besteht, die ein Tätigwerden des österreichischen Gerichtes als gerechtfertigt erscheinen läßt (JBl 1983, 541,544). Auch wenn es Ausnahmen von diesem Grundsatz gibt (vgl die Judikaturhinweise bei Mayr in Rechberger § 88 JN Rz 14, § 93 JN Rz 4, § 96 JN Rz 4, § 99 JN Rz 10, hiezu jüngst auch 2 Ob 566/94), bei denen eine zusätzliche Inlandsbeziehung gefordert wird, so repräsentiert doch die Mehrzahl der gesetzlichen Gerichtsstände eine ausreichende Inlandsbeziehung und genügt deshalb auch vom Standpunkt der Indikationentheorie durchaus für die Anknüpfung der inländischen Jurisdiktion (Schwimann, örtliche Zuständigkeit und "inländische Gerichtsbarkeit", RdW 1985, 332, 335).

Dies trifft auch auf den Gerichtsstand der Schadenszufügung gemäß § 92a JN zu. Dieser Gerichtsstand wurde in das Gesetz erst durch die ZVN 1983 eingefügt, die andererseits die "ärgsten Auswüchse" in der Anwendung des § 99 Abs 1 JN beseitigen wollte (vgl RdW 1993, 111 mwN). Der Gerichtsstand des Ortes der Schadenszufügung war schon vorher in einigen Sonderhaftpflichtgesetzen vorgesehen; seine Einfügung als genereller Gerichtsstand in die JN folgte einem schon vor Jahren erstatteten Vorschlag und entsprach den, wenn auch in der Regel als "competences indirectes" in zahlreichen Vollstreckungsverträgen Österreichs ausdrücklich vorgesehenen Zuständigkeiten. Das verfahrensökonomische Anliegen der Regelung war es, die Klärung der Schadensverursachung an Ort und Stelle zu ermöglichen (669 BlgNR 15.GP 39). Auch das Lugano-Abkommen sieht in Art 5 Nr.3 einen ähnlichen Gerichtsstand vor (Mayr in Rechberger § 92a JN Rz 5).

Der vorliegende Fall gibt keinen Anlaß in Zweifel zu ziehen, daß der Gerichtsstand der Schadenszufügung bereits eine ausreichende Inlandsbeziehung für die Ableitung der inländischen Gerichtsbarkeit zum Ausdruck bringt. Der erkennende Senat folgt daher der schon vom Oberlandesgericht Linz in EvBl 1987/180 vertretenen und von Mayr in Rechberger § 92a JN Rz 3 übernommenen Auffassung. Ob bei einheitlicher Staatsangehörigkeit der an einer schadensstiftenden tätlichen Auseinandersetzung Beteiligten der Auslandsbezug zu Lasten des Inlandsbezuges derart verstärkt sein könnte, daß bei Fehlen sonstiger Anknüpfungspunkte an das Inland die inländische Gerichtsbarkeit nicht gegeben wäre, kann hier auf sich beruhen.

Dem Rechtsmittelwerber ist noch entgegenzuhalten, daß aus Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen sich eine Eingrenzung der inländischen Gerichtsbarkeit nicht ableiten läßt (JBl 1983, 541, 543; RdW 1985, 340). Soweit der Rechtsmittelwerber auf JBl 1994, 762 und das Erfordernis eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses für die Rechtsverfolgung im Inland Bezug nimmt, verkennt er, daß im damaligen Fall - anders als hier - ein inländischer Gerichtsstand gerade fehlte, weshalb - nachdem eine ausreichende Inlandsbeziehung bejaht worden war - Erwägungen über die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland angestellt wurden. Auf diese Voraussetzung einer Ordination (§ 28 Abs 1 JN) kommt es im vorliegenden Fall aber nicht an.

Dem Revisionsrekurs war demnach ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des Erstklägers auf den §§ 41, 50 ZPO, hinsichtlich des Zweitklägers auf den §§ 40, 50 ZPO, weil in der Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hinsichtlich des Zweitklägers nicht hingewiesen wurde. Die anteiligen Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wurden nach dem Verhältnis der auf die Kläger entfallenden Streitwerte ermittelt.

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