Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Die angefochtene Berufungsentscheidung wird dahin abgeändert, so daß sie zu lauten hat:
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 63.896,-- samt 4 % Zinsen seit 19.6.1993 und die mit S 12.847,28 (darin S 1.687,88 USt und S 2.239,-- Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz, weiters die mit S 12.957,76 (darin S 1.352,96 USt und S 4.840,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 10.861,04 (darin S 801,84 USt und S 6.000,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende Partei ist die Kaskoversicherung des PKWs der Marke ***** mit dem Kennzeichen *****. Der Beklagte ist Versicherungsnehmer und Halter (Leasingnehmer) dieses Fahrzeuges. Der Kaskoversicherung liegen die AFIB 1986 zugrunde. Art.5 der AFIB 1986 bestimmt unter Punkt 3: Als Obliegenheiten, deren Verletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles den Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung befreit (§ 6 Abs.3 VersVG 1958) werden bestimmt:
3.1. Nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen.
Der Beklagte hat am 19.2.1993 am Abend zwei Viertel Weißweinmischungen in einem Buschenschank getrunken, was einem Blutalkoholwert von 0,5 %o entspricht. "Um 20,43 Uhr" kam er mit seinem PKW bei Dunkelheit und schmieriger Fahrbahn zufolge leichten Schneefalles in der Gegend von F***** beim Abbiegen in Richtung F***** von der Fahrbahn ab. In der Folge stürzte der PKW nach dem Abknicken eines Straßenbegrenzungspflockes in einen Kanaldurchlaß, wodurch er schwer beschädigt wurde. Der Reparaturschaden am PKW betrug S 68.859,-- und wurde bis auf einen Selbstbehalt von S 5.000,-- vom klagenden Kaskoversicherer beglichen. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes war der Beklagte zum Unfallszeitpunkt nicht alkoholisiert. Der Beklagte erkannte, daß er aus eigenem sein Auto nicht aus dem Graben herausfahren werde können, dachte zunächst jedoch nur daran, seinen vierjährigen Sohn, der im PKW mitgefahren war und den der Verkehrsunfall aufgeregt hatte, zu versorgen. Er ließ sich daher zunächst (von einem zufällig vorbeifahrenden Verkehrsteilnehmer) in einen nahegelegenen, etwa 5 bis 6 km entfernten Buschenschank bringen, da er wußte, daß dort Bekannte saßen, die es ihm ermöglichen würden, sein Kind zu seiner (ca. 10 km entfernt wohnenden) geschiedenen Gattin zu bringen. Nachdem dies geschehen war, nahm der Beklagte bei seiner geschiedenen Gattin zwei oder drei weitere Weinmischungen und einen Cognac zu sich. Er begab sich erst um 22 Uhr wieder zur Unfallsstelle. Inzwischen waren dort jedoch die Feuerwehr und Gendarmerie eingetroffen. Um 22,05 Uhr gab der Beklagte den Gendarmeriebeamten auch sämtliche Daten bekannt, zeigte sich bereit, einen Alkotest zu machen und leugnete auch nicht, selbst der Lenker des Fahrzeuges gewesen zu sein. Beim folgenden Alkotest ergab sich beim Beklagten ein Blutalkoholwert von 1,8 %o. Das gegen den Beklagten wegen § 5 Abs.1 StVO eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren wurde in der Folge mit der Begründung eingestellt, daß zum Unfallszeitpunkt eine Alkoholisierung unter 0,8 %o vorlag.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten den Rückersatz von S 63.896,--. Der Beklagte habe den Verkehrsunfall infolge Alkoholisierung verschuldet und seine Aufklärungspflicht verletzt.
Der Beklagte bestritt und beantragte die Klagsabweisung. Er wendete ein, im Unfallszeitpunkt nicht alkoholisiert gewesen zu sein. Er habe wegen der Sorge um seinen Sohn die sofortige Verständigung der Gendarmerie unterlassen.
Beide Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht erklärte die Revision für unzulässig. Beide Vorinstanzen vertraten die Ansicht, daß dem Beklagten der Nachweis gelungen sei, im Unfallszeitpunkt nicht alkoholisiert gewesen zu sein. Das Berufungsgericht erachtete dabei die Behandlung der Beweisrüge der Klägerin, mit der diese die Feststellung bekämpfte, daß der Beklagte im Unfallszeitpunkt nicht alkoholisiert war, deshalb als entbehrlich, weil das Gericht an die Begründung jenes Bescheides der Verwaltungsbehörde gebunden sei, mit dem dem Beklagten zwar die Lenkerberechtigung vorübergehend entzogen, aber festgehalten worden sei, daß der Beklagte im Unfallszeitpunkt nicht alkoholisiert gewesen sei. Der Umstand, daß der Beklagte zunächst sein Kind versorgt habe, könne ihm nicht als Obliegenheitsverletzung vorgeworfen werden.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen die Berufungsentscheidung gerichtete Revision der klagenden Partei ist zulässig und berechtigt.
Im vorliegenden Fall hat der Versicherer den objektiven Tatbestand der dem Beklagten angelasteten Verletzung der Obliegenheit im Sinne des Artikels 5.3.1 der AFIB 1986, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen, nachgewiesen, weil für den Beklagten nach Übergabe des Kindes an Bekannte im nahegelegenen Buschenschank und Verständigung der Mutter des Kindes keinerlei Veranlassung mehr bestanden hätte, die Verständigung der nächsten Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall wegen des dabei verursachten Sachschadens (Beschädigung eines Straßenbegrenzungspflockes) nach § 4 Abs 5 StVO zu unterlassen. Statt dessen aber hat der Beklagte über eineinviertel Stunden bis zur Rückkehr an die Unfallstelle verstreichen lassen (dies ausgehend von den Feststellungen; nach den Angaben der Gendarmerie über den Verkehrsunfall geschah nicht der Unfall um 20 Uhr 43, sondern es erfolgte zu dieser Zeit die Mitteilung der Freiwilligen Feuerwehr F***** an die Gendarmerie, daß sich ein Unfall ereignet habe) und in dieser Zeit nach seiner Darstellung weitere zwei bis drei Weißweinmischungen und einen Cognac getrunken.
Die Obliegenheit, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen, verpflichtet den Versicherten, alles Zweckdienliche zur Aufklärung des Unfallsereignisses selbst dann vorzunehmen, wenn es seinen eigenen Interessen zum Nachteil gereichen sollte. Die Aufklärungspflicht soll nicht nur die nötigen Feststellungen über den Unfallsablauf, die Verantwortlichkeit der Beteiligten und den Umfang des entstandenen Schadens ermöglichen, sondern auch die Klarstellung aller jener Umstände gewährleisten, die für allfällige Regreßansprüche des Versicherers von Bedeutung sein können. Darunter fällt aber auch die objektive Prüfung der körperlichen Beschaffenheit des an einem Unfall beteiligten Versicherungsnehmers hinsichtlich einer allfälligen Alkoholisierung (SZ 50/37). Dient die Aufklärungspflicht iS der genannten Bestimmung aber dazu, die Angaben des Versicherten überprüfbar zu machen, schließt dies die Möglichkeit aus, daß der Versicherte vorerst durch sein Verhalten die Aufklärung verhindert, dann aber durch seine eigenen Angaben ersetzt.
Nach der Rechtslage vor dem Inkrafttreten der Novelle zum VersVG BGBl 1994/509 mit 1.1.1995 war in der Kaskoversicherung bei ("schlicht") vorsätzlicher Verletzung der Aufklärungspflicht (im Gegensatz zu den in Art 8 Abs 2 AKHB genannten Obliegenheitsverletzungsfällen in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung, vgl SZ 50/37 ua) der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen. Vorsatz iS des § 6 Abs 3 VersVG in der bisherigen Fassung setzte (nur) voraus, daß das die Obliegenheitsverletzung begründende Verhalten bewußt und gewollt war. Dabei genügte für die vorsätzliche Obliegenheitsverletzung nach Art 5.3.1. der AFIB 1986 das allgemeine Bewußtsein des Versicherungsnehmers, daß er bei der Aufklärung des Sachverhalts nach besten Kräften aktiv mitwirken muß, wobei dieses Bewußtsein mangels besonderer Entschuldigungsumstände bei einem Versicherungsnehmer, der selbst Kraftfahrer ist, in der Regel bis zum Beweis des Gegenteils vorauszusetzen ist (SZ 60/139).
Nach § 6 Abs 3, 2.Satz, VersVG idF BGBl 1994/509 allerdings bleibt der Versicherer, wird die Obliegenheit nicht mit dem Vorsatz verletzt, die Leistungspflicht des Versicherers zu beeinflussen oder die Feststellung solcher Umstände zu beeinträchtigen, die erkennbar für die Leistungspflicht des Versicherers bedeutsam sind, zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung Einfluß gehabt hat. Durch diese Änderung sollte das Erfordernis der Kausalität erheblich ausgedehnt werden, und zwar auch auf alle vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen, die jedoch nicht in Schädigungs- oder Verschleierungsabsicht begangen wurden (1553 BlgNR XVIII.GP, 15). Bestand daher Schädigungs- oder Verschleierungsabsicht, ist bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung iS des § 6 Abs 3 VersVG der Kausalitätsgegenbeweis weiterhin ausgeschlossen.
Eine Verletzung der Aufklärungspflicht liegt vor, wenn dadurch im konkreten Fall etwas versäumt wurde, das der Aufklärung des Schadensereignisses im Sinne dieser Ausführungen dienlich gewesen wäre. Es ist also notwendig, daß ein konkreter Verdacht in bestimmter Richtung durch objektives Unbenützbarwerden oder objektive Beseitigung eines Beweismittels infolge der Verletzung im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann (vgl SZ 60/139 mwN). Die unterlassene Meldung bei der Gendarmerie unmittelbar nach dem Einlangen im Buschenschank begründet im Zusammenhang mit dem Nachtrunk eine Sachlage, aus der geschlossen werden muß, daß der Beklagte in Verschleierungsabsicht handelte, daß er vorsätzlich die Feststellung von für die Leistungspflicht des Versicherungsnehmers bedeutsamen Umständen beeinträchtigen wollte.
Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes kann sich der Beklagte in diesem Zusammenhang nicht auf den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 17.6.1993 berufen, der in seiner Begründung von einem unter 0,8 %o liegenden Blutalkoholwert des Beklagten im Unfallszeitpunkt ausgeht, weil die Gerichte nach ständiger Rechtsprechung (vgl MGA ZPO14 § 190/57) und Lehre (vgl Fucik in Rechberger § 190 ZPO Rz 5 mwN) nicht an die Begründung eines Verwaltungsbescheides gebunden sind. Auch die aufgrund der Angaben des Beklagten getroffene "Feststellung" des Erstgerichtes, der Beklagte sei zum Unfallszeitpunkt nicht alkoholisiert gewesen, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich, zumal sie im Widerspruch zur unmittelbar vorangegangenen Feststellung steht, der Beklagte habe zwei Viertel Liter Weißweinmischungen getrunken, was einem Alkoholgehalt von 0,5 %o entspreche (vgl ZVR 1985/94). Damit erweist sich aber die vorliegende Rechtssache als entscheidungsreif im Sinne einer Klagsstattgebung.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 41 ZPO. Der zwei Tage vor der mündlichen Streitverhandlung am 20.1.1994 eingelangte Schriftsatz der klagenden Partei konnte nicht mehr deren Vorbereitung dienen und war daher nicht zu honorieren. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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