OGH 7Ob4/77

OGH7Ob4/773.3.1977

SZ 50/37

Normen

Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Art6 Abs2 Z2
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug- Haftpflichtversicherung Art8
Straßenverkehrsordnung §4
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Art6 Abs2 Z2
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug- Haftpflichtversicherung Art8
Straßenverkehrsordnung §4

 

Spruch:

Die vorsätzliche Verletzung der Aufklärungspflicht (hier: durch Nachtrunk) führt in der Kfz-Haftpflichtversicherung mangels Kausalitätsgegenbeweises des Versicherungsnehmers zur Leistungsfreiheit des Versicherers bis zum Betrag von 30 000 S, in der Kaskoversicherung hingegen zur völligen Leistungsfreiheit ohne Rücksicht auf den Einfluß der Obliegenheitsverletzung auf die zu erbringende Leistung

OGH 3. März 1977, 7 Ob 4/77 (OLG Linz 4 R 122/76; LG Linz 9 Cg 1304/73)

Text

Der Kläger verschuldete mit seinem bei der Beklagten haftpflicht- und vollkaskoversicherten PKW am 9. Feber 1973 in L dadurch einen Verkehrsunfall, daß er vor dem Hause U Nr. 11 gegen eine Mülltonne stieß. Dadurch wurden sein Fahrzeug und die Mülltonne beschädigt. Mit Schreiben vom 27. April 1973 lehnte die Beklagte die Gewährung des Versicherungsschutzes aus der Haftpflicht- und der Vollkaskoversicherung mit der Begründung ab, daß der Kläger seine Aufklärungspflicht verletzt habe. Unbestritten ist, daß der Kaskoschaden des Klägers 20 154.20 S beträgt.

Mit seiner Klage beantragt der Kläger die Feststellung, daß ihm die Beklagte im Rahmen der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung aus dem vorgenannten Schadensereignis (Verkehrsunfall vom 9. Feber 1973) Versicherungsschutz zu gewähren habe. Er begehrt außerdem von der Beklagten die Zahlung von 20 154.20 S samt Anhang.

Das Erstgericht entschied im Sinne des Klagebegehrens. Nach seinen Feststellungen hielt der Kläger seinen PKW nach dem Unfall nicht an, sondern setzte seine Fahrt in Richtung P fort. Dort stellte er seinen Wagen auf der Straße vor dem Gasthaus W ab und ließ fernmündlich das Gendarmeriepostenkommando P davon verständigen, daß sein PKW von einem fahrerflüchtigen Kraftfahrzeuglenker beschädigt worden sei. Beim Eintreffen des erhebenden Gendarmeriebeamten zeigte der Kläger deutliche Zeichen einer starken Alkoholbeeinträchtigung. Er schwankte beim Gehen und erklärte dem Gendarmeriebeamten wiederholt, daß er einen Rausch habe, behauptete aber, erst im Gasthaus W Alkohol konsumiert zu haben. Erst als dem Kläger am 10. Feber 1973 von dem Gendarmeriebeamten die Unglaubwürdigkeit seiner Darstellung vorgehalten wurde, gab er den wahren Sachverhalt zu. Ob der Kläger im Unfallszeitpunkt alkoholisiert gewesen war und aus welchen Gründen er eine unrichtige Anzeige erstattet hatte, vermochte das Erstgericht nicht festzustellen. Wegen dieser Falschanzeige wurde der Kläger rechtskräftig der Übertretung des Betruges nach § 461/197 StG schuldig erkannt. Die im Eigentum der Stadtgemeinde L stehende Mülltonne hat einen Wert von 354 S. Wegen des umständlichen Verwaltungsaufwandes verzichtete der Magistrat L auf den Ersatz der Reparaturkosten dieser Mülltonne.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß der Kläger zu einer Anzeigeerstattung nicht verpflichtet gewesen sei. Es hätte vielmehr genügt, wenn er noch am nächsten Tag seine Identität gegenüber dem Besitzer der Mülltonne nachgewiesen hätte. Eine Obliegenheit des Versicherten zur Selbstanzeige könne überdies den Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht entnommen werden. Eine allfällige Alkoholisierung des Klägers hätte die Beklagte zu beweisen gehabt. Dem Kläger sei daher eine Obliegenheitsverletzung nicht anzulasten. Zumindest könnte dem Kläger in diesem Zusammenhang keine grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, weil nach der allgemeinen Lebenserfahrung den Versicherungsnehmern die Versicherungsbedingungen nicht so geläufig seien, daß sie sich ihrer auch in überraschend eingetretenen Situationen bewußt sein müßten. Die Beklagte habe daher dem Kläger sowohl aus der Kraftfahrzeughaftpflicht- als auch der Kaskoversicherung Versicherungsschutz zu gewähren.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es war der Ansicht, daß der Kläger die ihm obliegende Aufklärungspflicht (Art. 8 Abs. 2, Z. 2 AKHB, Art. 6 Abs. 2 Z. 2 AKHB) verletzt habe. Schon durch

seinen Alkoholgenuß zwischen dem Unfall und dem Eintreffen der Gendarmerie habe der Kläger Feststellungen über den Grad seiner Alkoholisierung im Unfallszeitpunkt vereitelt oder zumindest erschwert. Darüber hinaus habe der Kläger dem erhebenden Gendarmeriebeamten vorgetäuscht, sein PKW sei durch einen fahrerflüchtigen Kraftfahrzeuglenker beschädigt worden, bei welcher Unfallsversion seine Alkoholisierung ohne Bedeutung gewesen wäre. Der Kläger hätte zu beweisen gehabt, daß er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung nicht vorsätzlich begangen habe. Diesen Beweis habe er jedoch nicht erbracht. Während bei einer vorsätzlichen Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Versicherungsnehmer der Kaskoversicherer nach Art. 6 Abs. 2 Z. 2 AKHB stets leistungsfrei sei, beschränke sich im Hinblick auf die Regelung des Art. 8 Abs. 2 Z. 2 AKHB die Leistungspflicht des Kraftfahrzeughaftpflichtversicherers auf jenen Betrag, den er bei gehöriger Erfüllung der Obliegenheit zu leisten gehabt hätte. Da der Kläger nicht beweisen konnte, daß er im Unfallszeitpunkt nicht alkoholisiert gewesen sei, sei davon auszugehen, daß die Beklagte im Sinne des Art. 6 Abs. 3 AKHB bis zum Betrag von 30 000 S leistungsfrei geworden sei. Ein diesen Betrag übersteigender Schaden sei jedoch schon deshalb undenkbar, weil durch den Unfall nur eine Mülltonne (im Werte von 354 S) beschädigt worden sei. Die Beklagte sei daher sowohl aus der Haftpflicht- als auch der Kaskoversicherung leistungsfrei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Obliegenheit, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen, verpflichtet den Versicherten, alles zweckdienliche zur Aufklärung des Unfallsereignisses selbst dann vorzunehmen, wenn es seinen eigenen Interessen zum Nachteil gereichen sollte (SZ 42/173; VersR 1973/1179; ZVR 1976/54). Die Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers soll nicht nur die nötigen Feststellungen über den Unfallsablauf, die Verantwortlichkeit der Beteiligten und den Umfang des entstandenen Schadens ermöglichen (VersR 1969/1033; 1973/879 u. a.), sondern auch die Klarstellung aller jener Umstände gewährleisten, die für allfällige Regreßansprüche des Versicherers von Bedeutung sein können. Darunter fällt aber auch die objektive Prüfung der körperlichen Beschaffenheit des an einem Unfall beteiligten Versicherungsnehmers hinsichtlich einer allfälligen Alkoholisierung oder Übermüdung (SZ 46/104; JBl. 1968/572; ZVR 1971/12; 7 Ob 66/76). Verhindert daher - wie hier - der Versicherte durch einen nach dem Unfall, jedoch vor dem Erscheinen der Gendarmerie vorgenommenen Nachtrunk die Feststellung seiner allfälligen Alkoholisierung im Unfallszeitpunkt, so verletzt er hiedurch seine Aufklärungspflicht.

Unzutreffend sind die Ausführungen des Revisionswerbers, daß er zu einer Unfallmeldung gar nicht verpflichtet gewesen wäre. Auch wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, haben die Beteiligten ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zu verständigen (§ 4 Abs. 5 StVO). Eine solche Meldung darf nur dann unterbleiben, wenn die Beteiligten oder jene Personen, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihre Identität nachgewiesen haben (§ 4 Abs. 5, 2. Satz StVO). Kann daher der Kraftfahrzeuglenker den Geschädigten nicht erreichen, so hat er, wenn auch der Sachschaden nur gering ist, ohne unnötigen Aufschub der nächsten Polizei- oder Gendarmeriestelle den Unfall zu melden. Diese Verpflichtung besteht auch im Verhältnis zwischen dem Versicherten und seinem Kaskoversicherer. Nur wenn bei einem Unfall ausschließlich das Fahrzeug des Versicherten beschädigt wurde, besteht keine Verpflichtung zur Unfallsmeldung im Sinne des § 4 Abs. 5 StVO. In diesem Sinne ist auch die vom Revisionswerber zitierte Entscheidung ZVR 1975/202 zu verstehen (7 Ob 72/76). Ob der Revisionswerber auch dadurch seine Aufklärungspflicht verletzt hat, daß er nicht schon von der Unfallstelle aus die zuständige Sicherheitsbehörde von seinem Unfall verständigte und deren Eintreffen abwartete, kann daher dahingestellt bleiben. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß der Revisionswerber seine Aufklärungspflicht (nach Art. 8 Abs. 2 Z. 2 AKHB Art. 6 Abs. 2 Z. 2 AKHB) verletzt hat, ist somit frei von Rechtsirrtum.

Die Beklagte hat demnach den objektiven Tatbestand der dem Revisionswerber angelasteten Obliegenheitsverletzung dargetan, der nun seinerseits zu beweisen gehabt hätte, daß er nicht vorsätzlich gehandelt habe. Für eine vorsätzliche Begehung der Obliegenheitsverletzung nach Art. 8 Abs. 2, Z. 2 und Art. 6 Abs. 2 Z. 2 AKHB reicht aber schon das allgemeine Bewußtsein des Versicherungsnehmers aus, daß er bei der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken hat. Dieses Bewußtsein ist bei einem Versicherungsnehmer in der Regel vorauszusetzen, es sei denn, daß sich aus besonderen, von ihm zu beweisenden Umständen das Gegenteil ergibt (VersR 1958/389, 1973/1179; ZVR 1971/162; 7 Ob 72/76). Da der Revisionswerber einen derartigen Beweis nicht, erbrachte, ist davon auszugehen, daß er seine Aufklärungspflicht vorsätzlich verletzt hat.

Die vorsätzliche Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Versicherten befreit aber den Kaskoversicherer von seiner Leistungspflicht selbst dann, wenn die Obliegenheitsverletzung keinen Einfluß auf die Feststellung oder den Umfang der von ihm zu erbringenden Leistung gehabt hat (VersR 1973/1179 u. a. m.).

Im Bereiche der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung gehört hingegen die Verpflichtung des Versicherten, nach Möglichkeit zur Aufklärung des Sachverhaltes beizutragen, nach ihrer Einordnung in Art. 8 Abs. 2 AKHB zu jenen Obliegenheiten, bei deren Verletzung - selbst wenn sie vorsätzlich erfolgt - sich die Leistungspflicht des Versicherers auf jenen Betrag beschränkt, den er bei gehöriger Erfüllung der Pflicht (durch den Versicherungsnehmer) zu leisten gehabt hätte. Die Beweislast dafür, daß die Obliegenheitsverletzung auf die Leistungspflicht des Versicherers keinen Einfluß hatte, obliegt aber auch hier dem Versicherten (SZ 46/104; 7 Ob 18/76). Der Revisionswerber konnte aber nicht beweisen, daß er sich im Unfallszeitpunkt nicht in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO befunden hat. Er muß sich daher so behandeln lassen, als ob sein pflichtgemäßes Verhalten für ihn das ungünstigste Ergebnis erbracht und er demnach die Obliegenheit nach Art. 6 Abs. 2 lit. c AKHB verletzt hätte (7 Ob 18/76). Diese Obliegenheitsverletzung hat aber die mit 30 000 S begrenzte Leistungsfreiheit des Versicherers zur Folge. Ein durch das Unfallsereignis entstandener, diesen Betrag übersteigender Schaden eines Dritten ist im Hinblick auf die Feststellungen der Unterinstanzen auszuschließen.

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