OGH 4Ob140/94

OGH4Ob140/9417.1.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*****verband ***** vertreten durch Saxinger-Baumann & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Gerhard B*****, vertreten durch Dr.Klaus Plätzer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert S 245.000), infolge Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 23.September 1994, GZ 6 R 147/94-31, womit das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 14.April 1993, GZ 1 Cg 280/91-21, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit S 109.587,10 bestimmten Kosten (darin S 16.147,90 USt und S 12.700,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist ein Verein, dessen Zweck es (ua) ist, den freien wirtschaftlichen Wettbewerb zu überwachen und zu sichern, insbesondere unlauteren Wettbewerb jeglicher Art zu bekämpfen. Mitglieder des Klägers sind ausschließlich Gremien, Fachgruppen und Innungen der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Oberösterreich.

Der Beklagte handelt nebenberuflich mit BMX-Rennrädern, deren Ersatzteilen und Zubehör sowie mit BMX-Rennhemden und Rennhosen. Er besitzt eine Gewerbeberechtigung für Deutschland und eine Reisegewerbekarte, welche ihn berechtigt, sein Gewerbe in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auszuüben. 1991 wurde der Beklagte vom Vereinsvorstand des BMX-Clubs P***** eingeladen, bei einem BMX-Rad-Rennen in W***** bei W***** seine Produkte auszustellen. Zuvor hatte er die von ihm vertriebenen Waren bereits bei einem Rennen in B***** ausgestellt. Bei dem am 7.7.1991 veranstalteten Radrennen in W***** beriet der Beklagte Rennteilnehmer und führte kleinere Reparaturen durch. Die notwendigen Bestandteile verkaufte er zum Einkaufspreis. Der Beklagte führte die nach Österreich als Messe- und Ausstellungsgut eingeführten Waren wieder nach Deutschland aus. Österreichische Teilnehmer an BMX-Rennen kaufen ihre Ausrüstung im Ausland. Der Beklagte erhielt von der Handelskammer in München die Auskunft, daß er seine Waren in Österreich ausstellen dürfe.

Für die vom Beklagten vertriebenen BMX-Rennräder werden hochwertige Metalle verwendet. Sie unterscheiden sich daher sowohl durch die Qualität als auch durch den Preis von herkömmlichen BMX-Rädern. BMX-Rennräder werden in Österreich nur in geringer Stückzahl gekauft. Das Erstgericht konnte nicht feststellen, ob es außer der Firma B***** in W***** noch andere Anbieter der vom Beklagten vertriebenen Produkte gibt. Die Firma B***** vertreibt nur Rennradteile der Marke GT, und diese - bei einer Lieferzeit von zirka einem halben Jahr - nur auf Bestellung.

Der Kläger begehrt, dem Beklagten zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr, insbesondere beim Handel mit Fahrrädern und Fahrradersatzteilen, eine gewerbliche Tätigkeit durchzuführen, ohne im Besitz einer entsprechenden Gewerbeberechtigung zu sein, insbesondere außerhalb seiner Betriebsstätte eine gewerbliche Tätigkeit durchzuführen, ohne über eine entsprechende Standortgewerbeberechtigung für eine weitere Betriebsstätte zu verfügen. Der Kläger stellt weiters ein Veröffentlichungsbegehren.

Der Beklagte habe in W***** BMX-Sporträder und Ersatzteile angeboten und verkauft. Dadurch habe er eine gewerbliche Tätigkeit entfaltet, ohne über eine entsprechende Gewerbeberechtigung zu verfügen. Mit seinem Verstoß gegen die Gewerbeordnung habe der Beklagte sittenwidrig iS des § 1 UWG gehandelt.

Der Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen.

Der Kläger sei nicht aktiv legitimiert. Die vom Beklagten vertriebenen Waren würden in Österreich nicht angeboten. Da es somit im Tätigkeitsbereich des Beklagten in Österreich keinen Wettbewerb gebe, habe der Beklagte mit der Ausstellung von BMX-Rennrädern nicht wettbewerbswidrig gehandelt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Ein Verstoß gegen gewerberechtliche Vorschriften sei nur dann sittenwidrig, wenn der Täter dauernd und planmäßig in der Absicht handle, sich damit einen Vorteil gegenüber den gesetzestreuen Mitbewerbern zu verschaffen. Der Kläger habe nicht bewiesen, daß der Beklagte Mitbewerber habe. Schon aus diesem Grund sei das Klagebegehren nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es dem Unterlassungsbegehren stattgab. Die Abweisung des Veröffentlichungsbegehrens wurde bestätigt. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes jeweils 50.000 S übersteige und die Revision zulässig sei. Auch ein nicht planmäßiger Verstoß gegen gewerberechtliche Vorschriften sei sittenwidrig iS des § 1 UWG, weil die Gewerbeordnung (auch) den Wettbewerb regle. Ein Wettbewerbsverhältnis fehlte nur bei durchgreifender Warenverschiedenheit. Rennräder und Bestandteile anderer Marken könnten aber in Österreich erworben werden. Für die Entscheidung sei die Sach- und Rechtslage bei Schluß der Verhandlung erster Instanz maßgebend. Daß die Tätigkeit des Beklagten nunmehr gemäß § 373g GewO 1994 erlaubt sei, sei daher nicht zu berücksichtigen. Auch für die Beurteilung der Frage, ob die Rechtsansicht des Beklagten mit guten Gründen vertretbar sei, und für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr sei auf den Schluß der Verhandlung erster Instanz (27.1.1992) abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt habe in Österreich noch nicht EU-Recht gegolten; es habe auch noch Wiederholungsgefahr bestanden.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision ist berechtigt.

Der Beklagte vertritt die Auffassung, daß das Unterlassungsgebot den Zielsetzungen des EWR-Vertrages und auch den einschlägigen EU-Richtlinien widerspreche. Es sei zu berücksichtigen, daß das Verhalten des Beklagten nunmehr erlaubt sei. Eine Wiederholung des ihm angelasteten Verstoßes gegen die Gewerbeordnung sei im Hinblick auf die gegenwärtige und zukünftige Rechtsentwicklung ausgeschlossen.

Der Beklagte hat seinen Wohnsitz in Deutschland. Sein als wettbewerbswidrig beanstandetes Verhalten hat sich auf den österreichischen Markt ausgewirkt; es ist daher österreichisches Recht anzuwenden (§ 48 Abs 2 IPRG).

Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum BGBl 1993/909 (EWRA) ist mit 1.Jänner 1994 in Kraft getreten. Im Zusammenhang damit wurden (ua) die Bestimmungen der Gewerbeordnung dem EWRA angepaßt. In diesem Sinn verfügt § 373g Abs 1 GewO 1994, daß Staatsangehörige einer EWR-Vertragspartei, die in einem EWR-Vertragsstaat ansässig sind und eine Tätigkeit befugt ausüben, auf welche die Bestimmungen der Gewerbeordnung anzuwenden wären, bestellte gewerbliche Arbeiten im Inland unter den gleichen Voraussetzungen wie Inländer ausführen dürfen. Seit 1.Jänner 1995 ist Österreich Mitglied der Europäischen Union. Damit ist im Verhältnis zwischen Österreich und den EG-Ländern der EWR überholt (s Schweitzer/Hummer, Europarecht4, 173; auch Hummer, Vorrang für EWR-Recht in der österreichischen Rechtsordnung ÖBl 1994, 243 [246]). Die Rechtsstellung deutscher Staatsangehöriger in Österreich bestimmt sich seit 1.Jänner 1995 nach den mit dem Beitrittsvertrag übernommenen Verträgen und Rechtsakten. Mit diesem Zeitpunkt ist für Österreich (ua) der EWG-Vertrag (EGV) in Kraft getreten (Art 2 des Beitrittsvertrages).

Die Art 59 bis66 EGV regeln die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs. Gemäß Art 60 Abs 3 EGV umfaßt die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs die Freiheit des Leistenden, seine Tätigkeit nach dem Grundsatz der Inländergleichbehandlung vorübergehend in dem Staat auszuüben, in dem die Leistung erbracht wird. Art 60 Abs 2 nennt als Beispiele für eine Dienstleistung iSd EGV gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten. Die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs gem Art 59 und 60 ist seit Ende der Übergangszeit unmittelbar anwendbar (s Schweitzer/Hummer aaO 289ff).

Seit 1.Jänner 1995 ist es demnach Staatsangehörigen der EU-Mitgliedsstaaten und damit auch dem Beklagten gestattet, aufgrund ihrer in ihrem Heimatstaat erteilten Gewerbeberechtigung in Österreich gleich einem Inländer vorübergehend tätig zu werden. Der dem Beklagten vorgeworfene Verstoß gegen die österreichische Gewerbeordnung ist daher - soweit voraussehbar - für die Zukunft ausgeschlossen.

Zu der diese Entwicklung begründenden Rechtsänderung ist es während des Verfahrens, nach Schluß der Verhandlung erster Instanz, gekommen. Für die Beurteilung, ob die Rechtsänderung in diesem Verfahren zu berücksichtigen ist, ist maßgebend, daß sich der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch gegen eine künftige sittenwidrige Wettbewerbshandlung richtet, deren Begehung ernstlich zu befürchten ist (s Baumbach/Hefermehl aaO EinlUWG Rz 258). Fällt die Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr weg, sei es, daß ein wettbewerbswidriges Verhalten aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen ist (zB Veräußerung des Unternehmens und Ausscheiden aus dem Gewerbebetrieb ohne Anzeichen dafür, daß das Geschäft in anderer Form wieder aufgenommen wird: SZ 37/49 = ÖBl 1964, 75 - Heereskraftfahrerabzeichen), sei es, daß es aus rechtlichen Gründen zu keinem Verstoß kommen kann (zB durch Wegfall der Verbotsnorm), dann besteht kein Unterlassungsanspruch. Während für die Beurteilung, ob aus tatsächlichen Gründen Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr besteht, der Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz maßgebend ist (§ 406 ZPO), hat das Gericht auf eine Änderung der Rechtslage in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sind (JBl 1976, 481; EvBl 1977/219 ua). Es ist daher grundsätzlich nach den Übergangsbestimmungen zu beurteilen, ob eine Gesetzesänderung für ein laufendes Verfahren zu beachten ist (4 Ob 87/94 - Urlaub für Schlaue; 4 Ob 106/94 - Verführerschein II).

Der EGV ist mit 1.Jänner 1995 für Österreich wirksam geworden. Seine hier maßgeblichen Bestimmungen über die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs sind mangels gegenteiliger Bestimmung im Beitrittsvertrag seit diesem Zeitpunkt anzuwenden. Demnach ist es dem Beklagten gestattet, aufgrund seiner in Deutschland erworbenen Gewerbeberechtigung in Österreich Tätigkeiten auszuführen, wie er sie 1991 erbracht hat. Gegen den Beklagten kann daher kein Unterlassungsgebot mehr erlassen werden; gegen ihn kann aufgrund des schon ergangenen Unterlassungstitels unter den derzeitigen Umständen auch nicht mehr Exekution geführt werden.

Dennoch ist der Beklagte durch die angefochtene Entscheidung beschwert: Anders als in jenen Fällen, in denen ein künftiger Verstoß wegen Wegfalls der Verbotsnorm (§ 3a NVG) gänzlich ausgeschlossen und eine Exekution aufgrund des schon vorher ergangenen Unterlassungstitels demnach von vornherein aussichtslos war (s ÖBl 1991, 38 = RdW 1991, 11 - Kaffee mwN), ist ein Verstoß gegen einen Exekutionstitel, wie er gegen den Beklagten besteht an sich nach wie vor möglich, wird dem Beklagten doch verboten, ohne entsprechende Gewerbeberechtigung gewerbliche Tätigkeiten durchzuführen. Ein Verstoß des Beklagten wäre etwa möglich, wenn er seine deutsche Gewerbeberechtigung nicht mehr besitzt oder länger als vorübergehend in Österreich tätig wird. Ein Exekutionsantrag wäre daher nicht sofort abzuweisen; der Beklagte müßte vielmehr die Exekution durch eine Oppositionsklage abwehren. Der Beklagte hat daher ein berechtigtes Interesse daran, daß der gegen ihn bestehende Exekutionstitel beseitigt wird, weil er wie oben ausgeführt, nicht mehr der Rechtslage entspricht. Dies wird im vorliegenden Fall nur durch seine Beseitigung ausreichend klargestellt.

Der Revision war Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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