OGH 8ObS21/94

OGH8ObS21/9415.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Rohrer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Scheuch und Mag.Patzak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Wolfgang S*****, vertreten durch Dr.Kurt Klein, Dr.Paul Wuntschek, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Arbeitsamt Graz, 8028 Graz, Babenbergerstraße 33, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen S 1,025.402,30 netto sA, infolge Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11.Mai 1994, GZ 7 Rs 40/94-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 20.Jänner 1994, GZ 37 Cgs 35/93k-9, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war in dem am 23.3.1993 in Konkurs verfallenen Unternehmen in der Zeit vom 29.1.1973 bis 22.4.1993 als Angestellter beschäftigt und bezog zuletzt ein monatliches Bruttogehalt von S 172.553,--. Die Lösung des Dienstverhältnisses erfolgte durch vorzeitigen Austritt gemäß § 25 KO. Am 28.7.1989 hatte der Kläger mit dem Dienstgeber folgende Vereinbarung geschlossen: "Der Ordnung halber bestätigen wir Ihnen auch schriftlich, daß wir Ihnen im Fall einer Kündigung bzw. einer durch den Dienstgeber veranlaßten Auflösung Ihres Dienstverhältnisses oder eines berechtigten vorzeitigen Austrittes bei der Berechnung ihrer Abfertigung sowie der Kündigungsfrist sämtliche Vordienstzeiten aus anderen Dienstverhältnissen anrechnen. Darüber hinaus erhalten Sie eine freiwillige Abfertigung in der Höhe von 12 Monatsbezügen. Die gesamte Abfertigung wird mit Ende des Dienstverhältnisses bzw. mit dem Austritt ausbezahlt...".

Sowohl im Konkurs als auch bei der beklagten Partei meldete der Kläger eine Forderung von S 5,052.032,-- an. Mit Bescheid vom 29.9.1993 sprach die Beklagte dem Kläger an Insolvenzausfallgeld insgesamt S 1,089.155,-- zu, wobei sie unter anderem eine Urlaubsentschädigung für 50,5 Werktage von insgesamt S 113.120,-- (Grenzbetrag gemäß § 1 Abs.4 IESG = S 67.200,-- : 30 x 50,5) und eine Abfertigung von 9 Monatsentgelten im Gesamtbetrag von S 604.800,-- (S 67.200,-- x 9) als gerechtfertigt erkannte. Das Mehrbegehren von S 3,907.019,-- wies sie mit Bescheid vom 11.10.1993 ab.

Mit seiner am 25.10.1993 beim Erstgericht überreichten Klage begehrte der Kläger einen weiteren Betrag von S 1,025.402,30 netto, und zwar Abfertigung in der Höhe von drei Monatsentgelten aufgrund der vereinbarten Vordienstzeitanrechnung (S 201.600,--), vereinbarte freiwillige Abfertigung von 12 Monatsentgelten (S 806.400,--), sowie den Differenzbetrag von S 17.402,30 an restlicher Urlaubsentschädigung. Die Urlaubsentschädigung gebühre für den gesamten Urlaubszeitraum incl. der Sonn- und Feiertage, weshalb die richtige Berechnung einen Gesamtbetrag von S 130.522,30 (S 67.200,-- : 26 x 50,5) ergebe.

Die Beklagte wendete ein, daß die Vordienstzeiten des Klägers schon durch das enorm hohe Monatsgehalt ausreichend berücksichtigt seien. Eine darüber hinausgehende Anrechnung sowie die Geltendmachung der vereinbarten Abfertigung von 12 weiteren Monatsentgelten zu Lasten des Fonds sei als sittenwidrig anzusehen. Auch wenn die Anfechtungsfrist des § 29 KO verstrichen sei, bleibe die Anfechtung nach §§ 870 f ABGB möglich, sodaß keine gesicherte Forderung nach dem IESG vorliege. Die Urlaubsentschädigung sei derart zu berechnen, daß für jeden Werktag offenen Urlaubes der tägliche Grenzbetrag zustehe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren vollinhaltlich statt. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß sich dem IESG eine Überprüfungsbefugnis hinsichtlich der Angemessenheit der vereinbarten Entgelte nicht entnehmen lasse. Da keine anfechtbare Handlung im Sinne der KO vorliege, werde die Leistung nur durch die Höchstbeträge des § 1 Abs.4 IESG begrenzt. Gesichert seien jene Ansprüche des Arbeitnehmers, die er auch gegen den Arbeitgeber durchsetzen könne. Als Urlaubsentschädigung gebühre das Entgelt für den Urlaubszeitraum, in den auch die Sonn- und Feiertage einzurechnen seien. Es habe sich in der Judikatur eine annäherungsweise Berechnungsmethode entwickelt, wonach der durchschnittliche Monatslohn durch 26 zu dividieren und mit der Anzahl der offenen Urlaubstage (Werktage) zu multiplizieren sei. Auch die mit dem Grenzbetrag zu limitierende Urlaubsentschädigung sei nach dieser Berechnungsmethode festzustellen.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge. Es erkannte sie mit Teilurteil schuldig, dem Kläger die Differenz an Urlaubsentschädigung von S 17.402,30 netto sA zu bezahlen und wies das Mehrbegehren auf Zahlung der freiwillig vereinbarten Abfertigung basierend auf 12 Monatsentgelten von insgesamt S 806.400,-- sA ab. Hinsichtlich der aufgrund der Vordienstzeitanrechnung begehrten Abfertigung von drei Monatsentgelten im Gesamtbetrag von S 201.600,-- hob es das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht in diesem Umfang die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes verwies das Berufungsgericht im Rahmen der Erledigung der Rechtsrüge auf den Zweck des IESG, die Arbeitnehmer vor der Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer Entgeltsansprüche, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhaltes sowie des Lebensunterhaltes ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind, abzusichern. Würde man die Belastung des Insolvenzausfallgeldfonds mit beliebigen frei vereinbarten Abfertigungsforderungen als zulässig erachten, liefe dies dem klar erkennbaren Gesetzeszweck einer betragsmäßigen Begrenzung der Ansprüche unter dem Blickwinkel der Existenzsicherung des Arbeitnehmers zuwider und könnte auch eine Umgehungsmöglichkeit des gesetzlich festgelegten Grenzbetrages eröffnen. Diese Überlegungen seien allerdings nicht auf die vereinbarte Vordienstzeitanrechnung zu übertragen, da eine derartige Vereinbarung auch bei hohem Einkommen durchaus üblich sei und im Rahmen der Anerkennung tatsächlich zurückgelegter Vordienstzeiten Manipulationsmöglichkeiten weitgehend ausgeschaltet seien. Diesbezüglich bedürfe es allerdings noch eines nach Erörterung zu präzisierenden Parteivorbringens und der Beweisaufnahme. Die Berechnung der Urlaubsentschädigung durch das Erstgericht sei nicht zu beanstanden. Ein Urlaubsanspruch von 26 Werktagen entspreche 30 Kalendertagen. Solle sich die Urlaubsentschädigung am Urlaubsentgelt orientieren, müsse daher für einen Urlaubsanspruch von 26 Werktagen die Urlaubsentschädigung für einen Monat zustehen, da auch das Urlaubsentgelt für den vollen Urlaubszeitraum unter Einschluß der Sonn- und Feiertage gebühre. Es stehe daher dem Kläger auch nach § 1 Abs.4 Z 1 IESG der Grenzbetrag für den gesamten Entlohnungszeitraum zu, der im Falle der Urlaubsentschädigung dem Urlaubszeitraum entspreche.

Rechtliche Beurteilung

Den gegen das Teilurteil erhobenen Revisionen beider Parteien kommt keine Berechtigung zu.

Das Gericht zweiter Instanz hat zur Frage der Sicherung von vereinbarten freiwilligen Abfertigungen zutreffend auf den Zweck des Insolvenz-Entgeltssicherungsgesetzes verwiesen. Die Intention des Gesetzgebers ging dahin, den Arbeitnehmern das Risiko des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer Ansprüche bei einer Insolvenz des Arbeitgebers, auf deren regelmäßige Befriedigung sie typischerweise zur Bestreitung ihres und ihrer Angehörigen Lebensunterhaltes angewiesen sind, zu nehmen (BlgNR 14.GP 464 und 554). Einzelvereinbarungen, die eine unkontrollierte Belastung des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bewirken könnten, sollten der Höhe nach begrenzt werden. Durchschnittliche Verdienste sollten selbst dann gesichert bleiben, wenn sich ein großer Rückstand angesammelt habe; die Vereinbarung eines übermäßigen Entgeltes sollte aber selbst dann nicht zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds gehen, wenn der Arbeitgeber mit den Zahlungen nur für eine kurze Zeit säumig geblieben ist (SZ 61/254; 9 ObS 4/91; 9 ObS 11/92; ARD 4459). Dem gesetzesimmanenten Schutz des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds vor übermäßigen privatrechtlichen Dispositionen vermeinte der Gesetzgeber durch die Bestimmung des § 1 Abs.3 Z 4 IESG in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl 817/1993 sicherstellen zu können, wobei er im Interesse der angestrebten Existenzsicherung der Arbeitnehmer im § 1 Abs.4 IESG lediglich die Basisgröße, nicht jedoch die Summe der gesicherten Ansprüche der Höhe nach begrenzte.

Für den Bereich des IESG ist von den in Lehre und Rechtsprechung angenommenen mehreren Funktionen der Abfertigung (vgl. Martinek/Schwarz/Schwarz, AngG 439 f) jene der Versorgung und Überbrückung nach dem Verlust des Arbeitsplatzes besonders hervorzuheben. Nach dem Verlust der Beschäftigung soll das Auskommen des Arbeitnehmers für die Zeit der Arbeitsplatzsuche gesichert und ihm die Möglichkeit geboten werden, einen seinen Fähigkeiten entsprechenden neuen Tätigkeitsbereich zu finden. Diesem Gedanken trägt die nach Dauer des Dienstverhältnisses gestaffelte, bis zum Zwölffachen des Monatsentgeltes reichende Abfertigungsregelung des § 23 Abs.1 AngG ausreichend Rechnung. Eine darüber hinausgehende Abfertigungsvereinbarung ist zwar ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht schon allein wegen ihrer Höhe sittenwidrig (9 ObA 81/92), entspricht jedoch nicht dem auf Existenzsicherung aufbauenden Grundprinzip des IESG. Der Gesetzgeber hat allerdings ausschließlich den Fall bedacht, daß die zur Bemessung der Abfertigung dienende Basisgröße, somit das Monatsentgelt, einen bestimmten Grenzbetrag übersteigt. Ungeregelt blieb jener Fall, daß entgegen den Intentionen des Gesetzes ein die Versorgungs- und Überbrückungsfunktion der Abfertigung bei weitem übersteigender Betrag dadurch zugestanden wird, daß nicht die Basisgröße, sondern deren Multiplikator erhöht wird. Durch Vereinbarung einer freiwilligen Abfertigung durch Zuerkennung weiterer Monatsgehälter würde aber der aus der Bestimmung des § 1 Abs.3 Z 4 IESG hervorleuchtende klare Gesetzeszweck umgangen werden. Dieser Tatsache hat der Gesetzgeber durch die - im gegenständlichen Fall allerdings noch nicht anzuwendende - Novelle BGBl 817/1993 Rechnung getragen, indem er die Abfertigungsansprüche aus der vorzitierten Bestimmung herausgenommen und im neu geschaffenen Abs.4a des § 1 IESG ausdrücklich auf die Bestimmungen der §§ 23 und 23a AngG oder einer anderen gleichartigen österreichischen Rechtsvorschrift Bezug genommen hat. Diese aufgrund gesetzlicher Vorschrift gebührende Abfertigung unterliegt sodann der Höhe nach gewissen gegenüber der hier anzuwendenden Fassung zumindest in bestimmten Bereichen weitergehenden Beschränkungen. Daß aufgrund der durch die Novelle neu geschaffenen Bestimmung der Abfertigungsanspruch generell erfaßt werden sollte und nicht etwa freiwillig vereinbarte über das gesetzliche Ausmaß hinausgehende Ansprüche als sonstige Entgeltansprüche weiterhin nach der Bestimmung des § 1 Abs.3 Z 4 IESG begrenzt sein sollten, ergibt sich schon aus den Erläuternden Bemerkungen (BlgNR 18.GP 1332) sowie aus der Überlegung, daß dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann, er wollte die gesetzlichen Abfertigungsansprüche in einem höheren Ausmaß begrenzen als freiwillig vereinbarte. Wie sich aus den Erläuternden Bemerkungen ergibt, ging es dem Gesetzgeber bei der Novellierung für den Bereich der Abfertigung ausschließlich darum, diese von anderen Ansprüchen zu unterscheiden und der Höhe nach auf eigene Art zu begrenzen. Daß nunmehr ausdrücklich nur gesetzliche Abfertigungsansprüche der Sicherung zugänglich sein sollen, erweist sich somit als eine am bereits dargestellten Gesetzeszweck orientierte Präzisierung der schon aus der bisherigen Rechtslage hervorleuchtenden klaren Absicht des Gesetzgebers (§ 6 ABGB). Es bestehen daher keine Bedenken, § 1 Abs.3 Z 4 IESG a.F. dahin auszulegen, daß Abfertigungsansprüche nicht nur nach Maßgabe des Abs.4, sondern auch mit dem Umfang begrenzt sind, in welchem sie nach den Bestimmungen des Angestelltengesetzes oder anderer gleichartiger österreichischer Rechtsvorschriften zustehen.

Das Gericht zweiter Instanz hat zutreffend dargelegt, weshalb sich diese Überlegungen nicht auf die vereinbarte Anrechnung von Vordienstzeiten übertragen lassen. Es kann ihm auch in seiner rechtlichen Beurteilung über die Berechnung der zu sichernden Urlaubsentschädigung gefolgt werden. Es reicht daher in beiden Fällen gemäß § 48 ASGG der Hinweis auf die Beurteilung durch das Berufungsgericht aus. Zur Urlaubsentschädigung ist ergänzend anzumerken:

Gemäß § 2 Abs.1 UrlG wird das Urlaubsausmaß in Werktagen bemessen. Die nach dem Gesetz auf einen Werktag entfallende Urlaubsentschädigung muß daher durch Teilung des Monatsentgeltes einschließlich Sonderzahlungen durch den Faktor 26 ermittelt werden. Eine Teilung durch den Faktor 30 würde dem Willen des Gesetzgebers nicht entsprechen, weil er dem Arbeitnehmer während des Urlaubes die Fortzahlung des regelmäßigen Entgelts gesichert hat. Das für einen Werktag gebührende Urlaubsentgelt kann daher nur dann richtig berechnet werden, wenn die Berechnung auf Werktage abstellt. Das Monatsentgelt ist daher durch die durchschnittliche Zahl der Werktage in einem Monat zu dividieren und mit der Zahl der Urlaubstage (Werktage) zu vervielfachen (SZ 63/191). Die Bestimmung des § 1 Abs.4 IESG verweist bezüglich des Grenzbetrages auf § 45 Abs.1 lit.b ASVG (nunmehr § 45 Abs.1 ASVG). Nach dieser Bestimmung gilt als Höchstbeitragsgrundlage der gemäß § 108b ASVG festgestellte Betrag. Umfaßt der Beitragszeitraum einen Kalendermonat und hat die Beitragspflicht während des ganzen Kalendermonats bestanden, so ist bei der Anwendung der Höchstbeitragsgrundlage der Beitragszeitraum mit 30 Tagen anzusetzen. Es wäre ein zu enges Verständnis der Verweisung des § 1 Abs.4 IESG, wollte man sie ausschließlich auf den Betrag der täglichen Höchstbeitragsgrundlage beziehen. Vielmehr sollte von der Verweisung auch die Regelung der monatlichen Höchstbeitragsgrundlage, der die Summe der Höchstbeitragsgrundlagen von 30 Tagen zugrundezulegen ist, umfaßt werden (9 ObS 26/89). Ist aber bei der Bemessung des Insolvenz-Ausfallgeldes grundsätzlich von der monatlichen Höchstbeitragsgrundlage auszugehen, sind für die Berechnung der zu sichernden Urlaubsentschädigung die oben dargestellten Grundsätze zu befolgen, da anderenfalls - wie bereits das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat - die Urlaubsentschädigung für einen Monat Urlaub geringer wäre als das sonst zustehende Monatsentgelt. Es ist daher in diesem besonderen Fall die monatliche Höchstbeitragsgrundlage nicht durch den Faktor 30, sondern durch den Faktor 26 zu dividieren.

Es war daher den Revisionen ein Erfolg zu versagen.

Stichworte