Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und dem Erstgericht eine nach Verfahrensergänzung zu treffende neue Entscheidung aufgetragen.
Text
Begründung
Bei der Erstanhörung der in einer geschlossenen Anstalt untergebrachten Silvia K***** stellte die Patientenanwältin den Antrag auf gerichtliche Überprüfung, ob die bei der Untergebrachten angebrachte Nasensonde zulässigerweise gesetzt worden sei. Dabei verwies die Stationsärztin darauf, daß die Patientin bei Diagnose:
"Akute Exazerbation bei Schizoresiduum" die Medikamente nicht genommen habe, sodaß ihr Gesundheitszustand im offenen Bereich der Anstalt zusehends schlechter geworden sei. Es sei mit ihr ausgemacht worden, daß die Medikamente gespritzt werden, was sie aber in der Folge verweigert habe. Die Sonde habe sie, weil es Schwierigkeiten mit der Medikamenteneinnahme gebe. Die Sonde sei keine disziplinäre Maßnahme, sondern werde weggenommen, wenn die Patientin die Medikamente wieder einnehme und nicht mehr ausspucke. Das Erstgericht hielt bei dieser Beweisaufnahme-Tagsatzung fest, daß derzeit nicht gesagt werden könne, daß die Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Untergebrachten gegeben sei und daß daher zur Überprüfung dieser Behandlungsfrage das Gericht nicht zuständig sei (vgl AS 7) und beschloß die vorläufige Unterbringung. Im nachfolgend eingeholten Gutachten stellt der Sachverständige Univ.Prof. Dr.Wolfgang L***** fest, daß die Patientin an Schizophrenie leide und sich ihr Zustand in den letzten Tagen etwas gebessert habe, daß sie aber nach wie vor wenig einsichtig und nicht paktfähig sei (AS 17). Die Unterbringung in der geschlossenen Anstalt wurde am 16.8.1993 aufgehoben.
Das Erstgericht wies den Antrag der Patientenanwältin auf Überprüfung der Zulässigkeit einer (Nasen)Sondensetzung bei der Patientin "ab 3.8.1993" zurück, weil es sich hier nicht um die Zulässigkeit einer medizinischen Behandlung, einer Medikation, sondern lediglich um die Frage handle, auf welche Weise die Medikamente einer Patientin zwangsweise zugeführt würden. Nicht die medikamentöse Therapie stehe zur Frage, sondern der von den Ärzten vorgeschlagene Weg zur Verabreichung der Medikamente. Dafür böten § 36 Abs 1 und 2 UbG keine Prüfungshandhabe.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Patientenanwältin - im Ergebnis - nicht Folge, erklärte aber den Revisionsrekurs für zulässig. Die gerichtliche Überprüfung der Zulässigkeit einer Behandlung - auf Antrag des Patientenanwaltes - könne nur erfolgen, wenn der Patient nicht einsichtsfähig sei, keine gesetzlichen Vertreter habe und keine besondere Heilbehandlung (die ohnedies nur mit vorheriger Genehmigung des Gerichtes zulässig sei) vorliege. Im vorliegenden Fall behauptete die Patientenanwältin in ihrem Rechtsmittel ausdrücklich, daß die Patientin bezüglich der medikamentösen Behandlung einsichts- und urteilsfähig gewesen sei und begehre die Feststellung der Unzulässigkeit der Sondensetzung insbesondere auch aus diesem Grund. Trotz der Amtswegigkeit des Außerstreitverfahrens müsse daher von der Einsichtsfähigkeit der Patientin ausgegangen werden, weil die Patientenanwältin ihr Rechtsschutzbegehren allein auf § 36 Abs 1 UbG stütze. Die Vornahme einer Heilbehandlung an einer einsichtsfähigen Patientin gegen deren Willen sei gemäß § 36 Abs 1 UbG unzulässig und stelle eine Grundrechtsverletzung dar. Für deren Beurteilung sei aber nicht das Unterbringungsgericht, sondern der unabhängige Verwaltungssenat zuständig.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Patientenanwältin ist berechtigt.
Der Revisionsrekurswerberin ist beizupflichten, daß ihre Ausführungen im Rekurs an die 2.Instanz, die Patientin sei im Prüfungszeitpunkt einsichts- und urteilsfähig gewesen, nicht als Außerstreitstellung gleich jener in einem Zivilprozeß angesehen werden dürfen. Wenn auch im Außerstreitverfahren der Sachverhalt grundsätzlich nur im Rahmen der Parteienanträge von Amts wegen wahrzunehmen ist (vgl JBl 1981, 429 = EFSlg 37.489), darf doch nicht übersehen werden, daß die Wahrnehmungen des Erstrichters sowie die Begutachtung durch den psychiatrischen Sachverständigen ein der Disposition der Patientenanwältin in ihrem Rekurs konträres Tatbestandsbild ergeben und daß in einem solchen Fall im Hinblick auf § 23 UbG von Amts wegen Klarheit zu schaffen ist (vgl AB 1202, BlgNR 17.GP, 9). Richtig ist, daß es sich bei der Setzung einer Nasensonde zur Einführung von Medikamenten um eine Zwangsbehandlung im Sinn des § 36 UbG handeln kann, gleichgültig ob die Voraussetzungen für den Tatbestand nach Abs 1 oder Abs 2 dieser Bestimmung vorliegen, kann doch der Kranke keine Kontrolle über die ihm verabreichte Medikamention ausüben, wenn sie ihm auf diesem Wege zugeführt wird.
Auch wenn im § 36 Abs 1 UbG nicht ausdrücklich festgehalten ist, daß der einsichts- und urteilsfähige Patient, der gegen seinen Willen behandelt wird, das Unterbringungsgericht zur Feststellung einer unzulässigen - weil zwangsweise vorgenommenen - Behandlung anrufen kann, so ergibt sich dies - worauf die Revisionsrekurswerberin zutreffend hinweist - doch aus dem dem Unterbringungsgesetz zugrunde liegenden Rechtsschutzgedanken. Wenn die gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit nach § 36 Abs 2 UbG für den nicht einsichts- und urteilsfähigen Patienten geregelt ist, dann muß nach dem Schutzzweck der Norm diese Möglichkeit umso mehr für den einsichtsfähigen, gegen seinen Willen behandelten Patienten gelten, zumal der Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte weitaus massiver ist. Erfolgte daher entgegen § 36 Abs 1 UbG eine Behandlung gegen den Willen des einsichts- und urteilsfähigen Patienten, dann handelt es sich um eine Grundrechtsverletzung, die vom Gericht im Rahmen des Unterbringungsverfahrens festzustellen ist (vgl 2 Ob 539/93 = EvBl 1994/64). Von dieser Rechtsprechung abzugehen besteht kein Anlaß. Die Berufung des Rekursgerichtes auf Kopetzki (Unterbringungsgesetz, Rz 553) entspricht nur teilweise den insoweit letztlich schwankenden Ausführungen dieses Autors. Nach Kopetzky ergäbe sich zwar aus der Regelung des § 36 UbG der Anschein, daß die Behandlung eines einsichtsfähigen Kranken gegen seinen Willen gerichtlich nicht überprüfbar sei, weil das UbG eine diesbezügliche Entscheidungskompetenz nicht enthält. Da diese Konstellation aber darauf zurückzuführen sein könne, daß die Ärzte ihrerseits die Einsichtsfähigkeit verneinten und daher die Regelung des § 36 Abs 2 UbG in Anspruch nahmen (zwangsweise Behandlung), müsse man auch in diesem Fall ein gerichtliches Verfahren grundsätzlich zulassen; die letzte Entscheidung über das Vorliegen der Einsichtsfähigkeit und damit über die anzuwendenden Behandlungsnormen könne nur beim Gericht liegen, da es andernfalls die Ärzte in der Hand hätten, über den Umfang der gerichtlichen Kontrolltätigkeit zu entscheiden. Sollte das Gericht die Vorfrage der Einsichtsfähigkeit ebenfalls verneinen, stehe einer Zulässigkeitsprüfung nach § 36 Abs 2 nichts im Wege. Sollte das Gericht die Einsichtsfähigkeit aber im Gegensatz zum behandelnden Arzt bejahen, so sei fraglich, ob das Gericht dann die Rechtswidrigkeit der Zwangsbehandlung des einsichtsfähigen Patienten aussprechen könne, weil, wie bereits erwähnt, das Unterbringungsgesetz keine diesbezügliche Entscheidungskompetenz enthält (Kopetzki aaO Rz 553).
Nach der Ansicht Kopetzkis läge es zwar nahe, das Fehlen einer ausdrücklichen gerichtlichen Entscheidungsbefugnis mittels Analogie zu überbrücken, zumal dem Außerstreitgericht gemäß § 2 Abs 1 AußStrG ganz allgemein die Sorge für die unter dem "besonderen Schutz der Gesetze" stehenden Personen anvertraut sei, meint aber dann, es erscheine im Ergebnis unzulässig, die gerichtlichen Kontrollbefugnisse auf diese Weise auszudehnen (wiewohl er im Folgenden, Rz 554, die Beschwerde an die Unabhängigen Verwaltungssenate als "bloß subsidiäres Rechtsmittel" ansieht und hiebei auf seine Ausführungen zu Rz 552 - Einschränkung des Empfangs von Paketen, des Schriftverkehrs, des Wahlrechtes und einer Einsicht in die Krankengeschichte - verweist). Nach Ansicht des erkennenden Senates erscheint es weder gerechtfertigt noch sinnvoll, dem Gericht zwar die Befugnis zuzugestehen, ein Verfahren darüber durchzuführen, ob der Kranke den Grund und die Bedeutung einer Behandlung einsehen und seinen Willen nach dieser Einsicht bestimmen kann und über das Vorliegen dieser Einsichtsfähigkeit auch eine Entscheidung zu treffen, ihm im Fall einer Bejahung der Einsichtsfähigkeit die Kompetenz über den (sich sodann zwangsläufig ergebenden !) Ausspruch der Rechtswidrigkeit einer Zwangsbehandlung aber abzusprechen. Der erkennende Senat schließt sich daher insoweit den Ausführungen Kopetzkis, es "erscheine unzulässig, die Zuständigkeit der Unabhängigen Verwaltungssenate durch eine entsprechende Entscheidungsbefugnis der Gerichte weiter zu beschränken", nicht an.
Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren festzustellen haben, ob die Einsichtsfähigkeit der untergebrachten Patientin bei Setzung der Nasensonde vorlag und ob die zwangsweise durchgeführte Heilbehandlung zulässig war. Aus diesen Gründen waren die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)