OGH 6Ob621/94

OGH6Ob621/9420.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helene Heidrun T*****, vertreten durch Dr.Walter Breitwieser, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte Partei Karl ***** H*****, vertreten durch Dr.Stefan Hoffmann, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, wegen 914.709 S samt Nebenforderungen, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den die Berufung des Rechtsmittelwerbers gegen das Versäumungsurteil des Landesgerichtes Wels vom 17.Dezember 1993, GZ 5 Cg 313/93-3, zurückweisenden berufungsgerichtlichen Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 4.August 1994, AZ 2 R 127/94 (ON 18), den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs gegen den berufungsgerichtlichen Zurückweisungsbeschluß wird stattgegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Berufungsgericht wird aufgetragen, das Verfahren über die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund fortzuführen.

Die Kosten des Rekurses sind Kosten des Berufungsverfahrens. Die Klägerin hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Eine Ausfertigung des klagsstattgebenden Versäumungsurteiles wurde dem Beklagten am 3.Januar 1994 zugestellt. Im Sinne eines innerhalb der Berufungsfrist gestellten Antrages bewilligte das Prozeßgericht dem Beklagten die Verfahrenshilfe im vollen Umfang unter Beigebung eines Rechtsanwaltes zur Erhebung der Berufung gegen das Versäumungsurteil und für das weitere Verfahren.

Dem mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer bestellten Rechtsanwalt zur Verfahrenshilfe ist der Bestellungsbeschluß samt anzufechtender Entscheidung am 17.Februar 1994 zugestellt worden.

Die Rechtsanwaltskammer bestellte auf Ersuchen des bestellten Verfahrenshelfers an dessen Statt einen anderen Rechtsanwalt zum Verfahrenshelfer und teilte diese Umbestellung auch dem Prozeßgericht mit. Dem neu bestellten Verfahrenshelfer wurde der Umbestellungsbescheid durch die Rechtsanwaltskammer am 24.Februar 1994 zugestellt, eine Ausfertigung des angefochtenen Urteils aber erst am 16.März 1994. Am 28.März 1994 brachte der neu bestellte Verfahrenshelfer namens des Beklagten einen Berufungsschriftsatz an das Prozeßgericht zur Postaufgabe.

Im Sinne des von der Klägerin in ihrer Berufungsmitteilung ausgeführten Standpunktes wies das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten als verspätet zurück. Das Berufungsgericht vertrat dazu die Ansicht, daß auch im Falle einer Umbestellung des Verfahrenshelfers durch die Rechtsanwaltskammer die Rechtsmittelfrist mit der Zustellung der anzufechtenden Entscheidung an den ersten als Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt zu laufen beginne.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen berufungsgerichtlichen Zurückweisungsbeschluß erhobene Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig. Er ist auch berechtigt.

Aus der Neufassung des § 464 Abs 3 ZPO durch das VerfHG, BGBl 1974/569, geht die gesetzgeberische Absicht unverkennbar hervor, daß einer Verfahrenshilfe genießenden Partei zur Wahrung ihrer Rechte ein Rechtsanwalt beigegeben werden soll, dem zur Ausführung des zu erhebenden Rechtsmittels die volle Rechtsmittelfrist in der Weise zu Gebote steht, daß die Frist nicht vor formeller Kenntnisnahmemöglichkeit der anzufechtenden Entscheidung durch den Verfahrenshelfer zu laufen beginne. Daß der Verfahrenshelfer die anzufechtende Entscheidung von der Partei einholen könnte, soll für den Fristbeginn nicht entscheidend sein. Nichts anderes kann aber auch für den Fall einer Umbestellung des Rechtsanwaltes zur Verfahrenshilfe durch die Rechtsanwaltskammer gelten: Demjenigen, der das Rechtsmittel auszuführen hat, soll bei noch nicht abgelaufener Rechtsmittelfrist diese im vollen Ausmaß dadurch nützbar sein, daß die Frist erst ab Kenntnisnahmemöglichkeit der anzufechtenden Entscheidung läuft. Eine etwa bereits erfolgte Zustellung der Entscheidungsausfertigung an eine andere Person, also auch an den zunächst bestellten Verfahrenshelfer, ist ebenso unbeachtlich wie die Zustellung der Entscheidung an die zu vertretende Partei selbst.

Diese grundsätzliche Auffassung legte der Oberste Gerichtshof schon seiner - bisher nicht veröffentlichten - Entscheidung vom 21.Dezember 1993, 1 Ob 595/93, unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien (846 BlgNR 13.GP, 15 f) zugrunde. Der gegenteiligen Ansicht, die der Oberste Gerichtshof in seiner - ebenfalls bisher nicht veröffentlichten - Entscheidung vom 8.April 1992, 2 Ob 529/92, ausgesprochen hatte, vermag sich der erkennende Senat aus den dargelegten Zielen der Novellierung des § 464 Abs 3 ZPO durch das Verfahrenshilfegesetz nicht anzuschließen.

Nach der hier vertretenen Rechtsansicht lief die Berufungsfrist erst ab 16.März 1994 und war daher zum Zeitpunkt der Postaufgabe der Berufungsschrift am 28.März 1994 noch nicht abgelaufen.

In Stattgebung des Rekurses war der berufungsgerichtliche Zurückweisungsbeschluß aufzuheben. Das Berufungsgericht wird sich dem weiteren Verfahren über das von ihm zu Unrecht zurückgewiesene Rechtsmittel zu unterziehen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO. Dabei war zu berücksichtigen, daß das Rekursverfahren einseitig war. Die von der Klägerin dennoch eingebrachte Rekursbeantwortung war zwar nicht unzulässig, aber nach der Verfahrenslage zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig.

Stichworte