OGH 1Ob595/93

OGH1Ob595/9321.12.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christine U*****, vertreten durch Dr. Hans Schönherr, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Heinz M*****, vertreten durch Dr. Heinz-Volker Strobl, Rechtsanwalt in Wien, 2. Roland M*****, vertreten durch Dr. Kurt Wanek, Dr. Michael Kunze, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 356.000,-- s.A., infolge Rekurses der zweitbeklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 14. Juni 1993, GZ 15 R 96/93-49, womit die Berufung der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 19. Oktober 1992, GZ 30 Cg 13/90-30, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluß wird ersatzlos aufgehoben.

Dem Berufungsgericht wird die Entscheidung über die Berufung der zweitbeklagten Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Eine Ausfertigung des Ersturteils wurde dem frei gewählten Prozeßbevollmächtigten des Zweitbeklagten Rechtsanwalt Dr. Egger am 30.10.1992 zugestellt. Mit Schriftsatz, beim Erstgericht eingelangt am 25.11.1992, erhob der Zweitbeklagte „Einspruch“ gegen das Urteil und beantragte gleichzeitig die Bewilligung der Verfahrenshilfe. Einem diesbezüglich erteilten Verbesserungsauftrag entsprach der Zweitbeklagte fristgerecht. Mit Beschluß vom 10.12.1992 wurde ihm die Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs. 1 Z 1 lit.a und f Z 3 ZPO gewährt und ausgesprochen, daß die Beigebung des Rechtsanwaltes für die Erhebung der Berufung und das weitere Verfahren gelte. Mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 23.12.1992 wurde Rechtsanwalt Dr.Kunze als Verfahrenshelfer des Zweitbeklagten bestellt. Der Beschluß auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wurde gemeinsam mit dem Bestellungsbescheid dem Verfahrenshelfer am 4.1.1993 zugestellt, ohne daß dem Zustellstück eine Ausfertigung des Ersturteiles angeschlossen gewesen wäre. Mit Schriftsatz vom 24.3.1993 beantragte Rechtsanwalt Dr. Kunze die Zustellung einer Urteilsausfertigung, welche Zustellung am 2.4.1993 bewirkt wurde. Am 30.4.1993 gab schließlich der Verfahrenshelfer die Berufung des Zweitbeklagten zur Post.

Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Gericht zweiter Instanz die Berufung zurück. Zwar ordne § 464 Abs. 3 ZPO an, daß Voraussetzung für den Beginn des Laufes der Berufungsfrist auch die Zustellung einer schriftlichen Urteilsausfertigung an den zum Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt sei, doch müsse diese Bestimmung entsprechend den Ausführungen des Obersten Gerichtshofes in 2 Ob 529/92 teleologisch dahin reduziert werden, daß die Zustellung einer schriftlichen Urteilsausfertigung dann entfallen könne, wenn diese bereits vorher an den frei gewählten Prozeßbevollmächtigten oder einen als Verfahrenshelfer bestellt gewesenen Rechtsanwalt erfolgt ist. Der Lauf der Berufungsfrist habe daher bereits am 4.1.1993 begonnen, weshalb die am 30.4.1993 zur Post gegebene Berufung verspätet sei.

Der dagegen erhobene Rekurs des Zweitbeklagten, der mangels Aufzählung im § 521a ZPO nicht zweiseitig ist (EFSlg. 57.848; 4 Ob 504/92; 2 Ob 529/92), ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 464 Abs. 3 ZPO beginnt die Berufungsfrist für jene Partei, die innerhalb von vier Wochen ab Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Urteils die Beigebung eines Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer beantragt hat, mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwalts und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an ihn. Wie das Gericht zweiter Instanz zutreffend dargestellt hat, ist es einheitliche Rechtsprechung, daß die Zustellung beider Entscheidungen an den Verfahrenshilfeanwalt erforderlich ist, um den Lauf der Rechtsmittelfrist in Gang zu setzen. Erfolgt diese nicht gleichzeitig, beginnt die Frist erst mit der Zustellung des zweiten Schriftstückes (MietSlg. 39.770; 7 Ob 504/92; 2 Ob 529/92).

Die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 2 Ob 529/92 kann zur Frage des Unterbleibens der Zustellung einer Urteilsausfertigung im gegenständlichen Fall nicht als Entscheidungsgrundlage dienen, da keine Umbestellung des Verfahrenshelfers vorliegt. Hier wurde dem Zweitbeklagten auf dessen Antrag, welcher im Zweifel auch die Anzeige des Erlöschens des bisher bestandenen Vollmachtsverhältnisses in sich schließt (JBl. 1991, 195), erstmals ein Rechtsanwalt im Wege der Bewilligung der Verfahrenshilfe beigegeben. Wollte man die in der vorzitierten Entscheidung dargestellten Erwägungen - ob ihnen im Falle einer Umbestellung zu folgen wäre, kann dahingestellt bleiben - auch auf diesen Fall anwenden, hieße dies, den vom Gesetzgeber mit der Novellierung des § 464 Abs. 3 ZPO verfolgten Zweck, die Vertretung durch den Rechtsanwalt dadurch wirksamer zu gestalten, daß er ab Beginn der Rechtsmittelfrist im Besitz des anzufechtenden Urteils ist (846 BlgNR XIII.GP 16), unterlaufen. Folgt man den Erwägungen des Gerichtes zweiter Instanz, wäre nämlich in jedem Fall, entgegen dem ausdrücklichen Gesetzesauftrag die Zustellung einer Urteilsausfertigung entbehrlich, weil die Berufungsfrist durch die Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Urteils in Gang gesetzt wird (§ 464 Abs. 2 ZPO) und daher zwingend im Zeitpunkt der Antragstellung gemäß § 464 Abs. 3 ZPO entweder die Partei selbst oder deren bisheriger Vertreter eine schriftliche Urteilsausfertigung in Händen hat. Es bedürfte daher zumindest in den Verfahren mit Anwaltszwang niemals der (neuerlichen) Zustellung einer Urteilsausfertigung, da in jedem Falle der Verfahrenshelfer sich diese bei dem bisherigen Prozeßbevollmächtigten besorgen könnte. Dies und die dadurch bewirkte Verkürzung der dem Rechtsanwalt zur Ausarbeitung des Rechtsmittels zur Verfügung stehenden Frist wollte der Gesetzgeber durch die Novellierung aber gerade vermeiden, sodaß es dabei zu verbleiben hat, daß die Berufungsfrist erst durch die Zustellung sowohl des Bestellungsbescheides als auch der Urteilsausfertigung zu laufen beginnt. An dieser Rechtsansicht vermögen auch die Überlegungen Faschings in ZPR2 Rz 500 nichts zu ändern, da diese ausdrücklich nicht auf die geltende Gesetzeslage abstellen, sondern Beschränkungen de lege ferenda fordern.

Gerechnet vom Zustelldatum 2.4.1993 ist aber die am 30.4.1993 zur Post gegebene Berufung des Zweitbeklagten rechtzeitig, weshalb dem Rekurs Folge zu geben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs.1 ZPO.

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