OGH 7Ob595/94

OGH7Ob595/945.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Redl, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Frieda M*****, vertreten durch Dr.Helfried Rustler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1.) Harald W***** GmbH nunmehr KG, ***** und 2.) Marianne H***** GmbH, ***** beide vertreten durch Dr.Johannes Hübner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 15.März 1994, GZ 41 R 112/94-23, womit infolge Berufungen der klagenden und der erstbeklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 24.Oktober 1993, GZ 4 C 1798/91-17, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1.) den Beschluß gefaßt:

Die Revision der erstbeklagten Partei wird zurückgewiesen.

Das gegen die erstbeklagte Partei gerichtete Begehren der klagenden Partei auf Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.

2.) zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der zweitbeklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 20.610,-- (darin enthalten S 3.435,-- USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Eigentümerin des Hauses in 1160 Wien, *****. Sie betrieb unter der protokollierten Firma K***** & Co, deren Alleininhaberin sie war, einen Handel mit Textilien. Im Dezember 1971 schloß die Klägerin mit der Harald W***** GesmbH, der Rechtsvorgängerin der erstbeklagten Partei, einen als Pachtvertrag bezeichneten Vertrag, nach dessen Formulierung sie ihr Unternehmen an diese Gesellschaft verpachtete. Am 6.7.1983 wurde die Fortsetzung des Pachtverhältnisses mit der erstbeklagten Partei vereinbart. Die zweitbeklagte Partei ist eine persönlich haftende Gesellschafterin der erstbeklagten Partei. Der monatliche Pachtzins betrug im November 1991 S 39.618,17 inklusive Umsatzsteuer. Seit diesem Zeitpunkt bezahlte die erstbeklagte Partei aber bloß S 15.000,-- monatlich.

Die Klägerin begehrte von beiden Parteien die Räumung des Geschäftslokales, weil die erstbeklagte Partei nur einen Teil des Pachtzinses zahle.

Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung. Es sei in Wahrheit ein Mietvertrag geschlossen worden. Der angemessene Mietzins betrage lediglich S 15.000,--. Allenfalls darüber hinausgehende Beträge würden im übrigen mit dem Rückforderungsanspruch hinsichtlich der zu viel geleisteten Mietzinszahlungen aufgerechnet. Die zweitbeklagte Partei sei bloß persönlich haftende Gesellschafterin und als solche nicht passiv legitimiert.

Das Erstgericht gab der Räumungsklage gegen die erstbeklagte Partei statt und wies das Räumungsbegehren hinsichtlich der zweitbeklagten Partei ab. Der Bestandvertrag sei als Unternehmenspacht und nicht als Geschäftslokalmiete zu qualifizieren. Die erstbeklagte Partei befinde sich mit der Zahlung des vereinbarten Pachtzinses in Rückstand, sodaß ihr gegenüber die Auflösung des Pachtverhältnisses zu Recht erklärt worden sei. Die zweitbeklagte Partei sei jedoch nicht passiv legitimiert, weil nur die erstbeklagte Partei die Pächterin des Unternehmens sei und nur sie allein die Gewahrsame über die Bestandräumlichkeiten innehabe.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte den stattgebenden Teil des Urteiles und änderte den abweisenden Teil im Sinn einer Klagsstattgebung auch gegenüber der zweitbeklagten Partei ab. Es billigte die Rechtsansicht, daß eine Unternehmenspacht vorliege und führte hinsichtlich der zweitbeklagten Partei aus, daß der Komplementärgesellschafter einer Kommanditgesellschaft gemäß den §§ 128, 161 Abs 2 HGB für alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft und somit auch für die Erfüllung des Räumungsanspruches hafte. Das Gericht zweiter Instanz erklärte die Revision für zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu dieser Frage fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision der erstbeklagten Partei ist unzulässig.

Zur Frage der Abgrenzung der Unternehmenspacht von der Geschäftsraummiete liegt eine umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung vor (vgl die Zusammenstellung bei Würth in Rummel2 I, Rz 2 zu § 1091 ABGB), die vom Gericht zweiter Instanz richtig wiedergegeben wurde. Wie bereits mehrfach ausgeführt wurde, kommt es jeweils auf die Gesamtheit der Umstände des Einzelfalles an (MietSlg 40.114 ua). Der Lösung der angeführten Frage kommt somit im allgemeinen keine erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 2 ZPO zu, weil die Kasuistik des Einzelfalls dies ausschließt (3 Ob 501/92, 6 Ob 608/92, 8 Ob 1683/93 ua). Es stellten sich im vorliegenden Fall auch keinen neuen, bisher von der Rechtsprechung noch nicht behandelten Detailfragen. Der Oberste Gerichtshof hat bereits sowohl zur Frage der Einbeziehung weiterer Räume in das Pachtverhältnis (MietSlg 31.172 ua) als auch zu dem Gewicht, das der Vereinbarung der Betriebspflicht beizumessen ist (MietSlg 40.111, 40.114, 42.082 ua), Stellung genommen. Darin, daß das Gericht zweiter Instanz die vereinbarte Betriebspflicht nicht als bloße Leerformel angesehen hat, kann schon im Hinblick auf die sonstigen Vertragspunkte und die ebenfalls bereits vom Gericht zweiter Instanz zitierte Rechtsprechung, daß der Beweis dafür, daß es sich bei einem schriftlichen Vertrag um ein Scheingeschäft handle und der Bestandgeber in Wahrheit einen Mietvertrag geschlossen habe, von der sich darauf berufenden (hier: beklagten) Partei zu führen ist (MietSlg 40.111), keine Verkennung der Rechtslage erblickt werden.

Zur Revision der zweitbeklagten Partei:

Diese ist zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage, ob die Räumungsklage auch gegen den Gesellschafter einer OHG bzw den Komplementär einer KG gerichtet werden kann, bisher noch nicht ausdrücklich in einer veröffentlichten Entscheidung befaßt hat und die eine Streitigkeit aus einem Bestandverhältnis betreffenden Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes bereits Jahre zurückliegen (MietSlg 8.609, 8.610).

Die im Außenverhältnis unbeschränkte und unbeschränkbare Haftung des OHG-Gesellschafters - und gemäß § 161 Abs 2 HGB auch jener des Komplementärs der KG - erstreckt sich auf alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft, gleichgültig, ob sie auf Vertrag, Gesetz oder unerlaubter Handlung beruhen und welchen Inhalt sie haben, ob sie bereits vor Eintritt des Gesellschafters oder während dessen Zugehörigkeit zur Gesellschaft entstanden sind. Bestritten ist allerdings der Haftungsinhalt. Es bestehen Meinungsverschiedenheiten darüber, ob die persönliche Inanspruchnahme des Gesellschafters grundsätzlich auf dieselbe primäre Leistung zulässig sei ("Erfüllungstheorie") oder ob der Gesellschafter nur auf das Interesse, dh auf Leistung von Schadenersatz in Geld in Anspruch genommen werden könne ("Haftungstheorie"), oder ob allenfalls der Gesellschafter für die primäre Leistung nur dann einzustehen habe, wenn die Erbringung dieser Leistung zu den gesellschaftlichen Pflichten des Gesellschafters bzw zu der von ihm zu erwartenden Sorge für die Erfüllung durch die Gesellschaft gehört (vgl die Darstellung der Lehrmeinungen samt ihren wesentlichen Begründungen bei Kornblum,

Die Haftung der Gesellschafter für Unterlassungspflichten der OHG und KG in "Der Betriebsberater" 1971/2, 1434 ff; weiters Hämmerle-Wünsch, HR4/2, 211; Koppensteiner in Straube, HGB, 446 ff). Die heute überwiegende, wenn auch in ihrer Begründung differierende Ansicht von Rechtsprechung und Lehre neigt der letzteren, vermittelnden Lösung zu (Nachweise insbesondere bei Koppensteiner aaO, 447).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits in den beiden zitierten Entscheidungen MietSlg 8.609 und 8.610 die Ansicht vertreten, daß dem Vermieter gegenüber (auch) die Gesellschafter der OHG mangels Rechtswirksamkeit der Gesellschaft als Subjekt des Verkehrs und somit auch des Bestandrechtes erschienen und aus dem Bestandvertrag berechtigt und verpflichtet seien. Die Klage könne sowohl gegen die Gesellschaft als auch gegen die einzelnen Gesellschafter gerichtet werden. Es bedürfe keines besonderen Rechtschutzinteresses, um die passive Klagslegitimation der Gesellschafter zu begründen.

Auch die neuere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hat in all den zu behandelnden Fällen, in denen der geltend gemachte Leistungsanspruch in einem anderen als einem Geldanspruch (bei dem die Haftung des OHG-Gesellschafters und des Komplementärs neben der Gesellschaft keiner weiteren Erörterung bedarf) bestand, die Passivlegitimation des Gesellschafters bejaht, und zwar insbesondere auch beim Sonderfall der Haftung des Gesellschafters für die Unterlassung von Wettbewerbsverstößen, selbst wenn er an diesen nicht beteiligt war. Der Kritik Koppensteiners (ua in Straube aaO, 448) wurde entgegen gehalten, daß der Wortlaut des § 128 HGB keine Handhabe biete, einzelne Gesellschafter von der Haftung für deliktische Unterlassungspflichten auszunehmen. Auch bei Unterlassungspflichten bestehe eine Schuld jedes einzelnen Gesellschafters. Es treffe auch nicht zu, daß die Haftung eines am Verstoß nicht beteiligten persönlich haftenden Gesellschafters aus einer Personengesellschaft die Realisierbarkeit von Ansprüchen gegen die Gesellschaft nicht sichern könne; vielmehr werde der bisher am Verstoß nicht beteiligte Gesellschafter umso eher Interesse haben, die Wiederholung derartiger Verstöße im Rahmen der Gesellschaft zu verhindern, wenn auch er für jeden im Rahmen der Gesellschaft begangenen Verstoß ungeachtet seiner Beteiligung hafte (RdW 1989/6; ÖBl 1991, 13 je mwN).

Ein ähnlicher Gedankengang führte auch in der in GesRZ 1976, 94 veröffentlichten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zur Bejahung der Frage, ob ein Herausgabeanspruch neben der KG auch gegen den Komplementär gerichtet werden könne. Auch wenn die eigentlich geschuldete Leistung die Erfüllung der Schuld durch die KG sei, so gehe die Verpflichtung des Komplementärs auch dahin, daß er für die Erfüllung durch die KG zu sorgen habe. Angesichts der Nähe, in der das Rechtsverhältnis von Gesellschaftsverbindlichkeit zur Gesellschafterhaftung bzw zu dem gesamten Schuldverhältnis stehe, sei es notwendig, im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob und inwieweit die Vorschriften über das Gesamthandverhältnis nach ihrem Rechtsgedanken auch hier anwendbar seien.

Der Oberste Gerichtshof hat demnach die Haftung des Gesellschafters für dieselbe primäre Leistung, zu der die Gesellschaft verpflichtet ist, jedenfalls in all jenen Fällen bejaht, in denen die Abwägung des gläubigerschutzbezogenen Zweckes des § 128 HGB einerseits und des Haftungsbegrenzungsinteresses des Gesellschafters andererseits zugunsten des Gläubigers ausschlägt. Der erkennde Senat findet keinen Anlaß, von den bereits vom Obersten Gerichtshof dargelegten Grundsätzen abzugehen. Da zwischen einem Herausgabe- und einem Räumungsanspruch des Bestandgebers kein essentieller Unterschied besteht, ist auch hier die Passivlegitimation des Komplementärs zu bejahen. Gerade beim Räumungsanspruch zeigt sich im übrigen deutlich, daß einerseits ein bloßer Geldersatzanspruch des Gläubigers gegenüber dem Komplementär unbefriedigend wäre und daß andererseits der Gesellschafter durch die Erfüllungshaftung ohnehin in seiner gesellschaftsfreien Sphäre nicht mehr als bei einer Geldleistung beeinträchtigt wird (vgl Hämmerle-Wünsch 4/2, 212). In diesem Sinne hat auch der deutsche BGH die Haftung des persönlich haftenden Gesellschafters neben der Gesellschaft als Mieterin für die Herausgabe der Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses bejaht (Der Betriebsberater 1987/1, 1201). Die Räumung eines Geschäftslokales stellt im Gegensatz zur Ansicht der Revision auch keine unvertretbare Handlung (vgl die Definition des § 354 EO insbesondere im Verhältnis zu § 349 EO) dar.

Das auch die zweitbeklagte Partei zur Räumung verpflichtende Urteil der zweiten Instanz war daher zu bestätigen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Da in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision der erstbeklagten Partei nicht hingewiesen wurde, waren der klagenden Partei Kosten für die Revisionsbeantwortung insoweit (Streitgenossenzuschlag) nicht zuzusprechen.

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