Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 28.7.1993 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 25.5.1993 auf Invaliditätspension ab, weil er nicht invalid sei.
Das auf die Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab Stichtag gerichtete Klagebegehren stützt sich im wesentlichen darauf, daß der überwiegend im erlernten Beruf als Karosseriespengler tätig gewesene Kläger als invalid iS des § 255 Abs 1 ASVG gelte.
Die Beklagte beantragte die Anweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß der Kläger weiterhin als Karosseur oder in einem artverwandten Beruf tätig sein könne.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Nach seinen wesentlichen Tatsachenfeststellungen hat der am 29.8.1960 geborene Kläger am 2.10.1979 die Lehrabschlußprüfung im Lehrberuf Karosseur bestanden. In 79 der in der Zeit vom 1.6.1978 bis 31.5.1993 erworbenen 144 Beitragsmonaten übte er die Tätigkeit eines Kfz-Spenglers in verschiedenen Betrieben aus.
Infolge seines etwa seit Ende Oktober 1991 bestehenden, eingehend festgestellten körperlichen und geistigen Zustandes kann der Kläger leichte, bis zur Hälfte der Tagesarbeitszeit auch mittelschwere körperliche Arbeiten ohne überdurchschnittliche Pausen in unregelmäßigem Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen verrichten. Nach etwa 45-minütigem (ununterbrochenem) Sitzen muß ein kurzfristiger Lagewechsel möglich sein, nach dem er wieder die ursprüngliche Körperhaltung einnehmen kann. Heben und Tragen von Lasten über 20 kg, häufiges Bücken und Treppensteigen, Arbeiten an exponierten Stellen, wie auf Leitern und Gerüsten, Akkord- und Fließbandarbeiten und ständige Kälte-, Nässe- und Zugluftexposition sind zu vermeiden. Die Arbeiten müssen "vorwiegend" in geschlossenen Räumen vor sich gehen, doch kann der Kläger "bis zur Hälfte" auch im Freien arbeiten. Bezüglich der Erreichbarkeit der Arbeitsstätte bestehen keine Beschränkungen.
Ein Karosseriespengler muß auch mehr als 20 kg wiegende größere Karosserieteile heben und tragen und häufig in vornübergebeugter Körperhaltung bzw in Zwangshaltungen, teilweise auch unterhalb eines Fahrzeuges arbeiten.
Die Tätigkeit eines Kundendienstbetreuers in größeren Kfz-Spenglerbetrieben umfaßt die Fahrzeugannahme, die Einteilung zur Reparatur und die Ausfolgung des reparierten Fahrzeuges. In Österreich gibt es 100 derartige Arbeitsplätze. Von einem Kundendienstbetreuer werden die praktischen und theoretischen Kenntnisse eines Karosseriespenglers, wie sie dieser während der Lehre erlernt, Kenntnisse in der Kalkulation und im kaufmännischen Bereich verlangt. Diese Kenntnisse werden insbesondere dazu benötigt, den Kunden über die Kosten und die ungefähre Dauer einer Reparatur zu informieren. Die Kenntnisse im Kalkulieren und die erforderlichen kaufmännischen Kenntnisse werden in der Regel im Rahmen einer innerbetrieblichen Schulung vermittelt, die längstens sechs Monate dauert. Die Ablegung der Meisterprüfung als Karosseriespengler wird in der Praxis von einem Kundendienstbetreuer nicht verlangt.
Weil der Kläger noch als Kundendienstberater in einem größerern Kfz-Spenglerbetrieb arbeitsfähig sei, gilt er nach Ansicht des Erstgerichtes nicht als invalid iS des § 255 Abs 1 ASVG.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge.
Es verneinte den behaupteten Verfahrensmangel (Nichteinholung eines berufspsychologischen Gutachtens) und führte zur Rechtsrüge im wesentlichen aus: Einem überwiegend als Facharbeiter tätig gewesenen Versicherten dürfe nicht der Erwerb von Kenntissen und Fähigkeiten eines wegen unähnlicher Ausbildung und anderen zur Ausübung erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten fremden Berufes zugemutet werden, weil es sich dann um die Ausbildung zu einem neuen Beruf, also um eine Umschulung handeln würde. Gehe es hingegen bloß um eine Nachschulung iS des § 19 Abs 1 lit b dritter Fall Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG), dann bezögen sich deren Maßnahmen nur auf die Weiterentwicklung oder Spezialisierung im bisherigen Beruf bzw in der bisherigen Berufsgruppe, also nicht auf den Erwerb völlig neuer Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern auf die Auffrischung und Ergänzung der aufgrund der Ausbildung und Ausübung im bisherigen Beruf erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten und damit auf die Hebung der beruflichen Leistungsfähigkeit durch Vervollkommnung der Fachkenntnisse. Durch diese Nachschulungsmaßnahmen würden daher Kenntnisse und Fähigkeiten erworben, die bei Versicherten im selben erlernten Beruf, die eine entsprechende Tätigkeit ausüben, üblicherweise verlangt würden. Ein überwiegend in einem erlernten Beruf tätig gewesener Versicherter dürfe auch auf Teiltätigkeiten (s)einer Berufsgruppe verwiesen werden, durch die er den erworbenen Berufsschutz nicht verliere. Die Verweisungstätigkeit eines Kundenbetreuers in entsprechenden Betrieben sei eine qualifizierte Tätigkeit des Karosserieberufes. Bei den zusätzlichen kaufmännischen Kenntnissen handle es sich um relativ einfache Kenntnisse, die bei einer innerbetrieblichen Schulung im Rahmen der Tätigkeit erworben werden können und die gegnüber den erlernten Fachkenntnissen untergeordnet seien. Bei den Kalkulationen der voraussichtlichen Reparaturkosten handle es sich abgesehen von den dafür erforderlichen Fachkenntnissen (auf dem eigentlichen Fachgebiet des Karosseurs) um relativ einfache Berechnungen. Der fachspezifische Schwerpunkt dieser Tätigkeit beruhe auf der Einschätzung der erforderlichen Arbeiten und der Abschätzung ihrer Dauer. Gerade dies zähle zu den durch Berufsausbildung und -ausübung erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten eines Karosseurs. Deshalb könne der Kläger auf die Tätigkeit eines Kundendienstbetreuers in größeren Kfz-Spenglerbetrieben verwiesen werden. Daß eine Einschulungszeit bis zu sechs Monaten festgestellt wurde, sei kein Hinweis dafür, daß der Kläger umfangreiche Kenntnisse außerhalb seines bisherigen Berufes erwerben müßte, weil es sich um eine rein innerbetriebliche Schulung handle. Deren angenommene Höchstdauer berücksichtige, daß nach höchstens sechs Monaten die volle Einsetzbarkeit als Kundenbetreuer jedenfalls erreicht sei.
In der Revision macht der Kläger unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Er beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.
Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die nach § 46 Abs 3 ASGG zulässige Revision ist nicht berechtigt.
Ein - wie der Kläger - überwiegend als gelernter Facharbeiter tätig gewesener Versicherter gilt erst dann als invalid iS des § 255 Abs 1 ASVG, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und (mindestens) gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist. Dabei ist als Vergleichsgröße die Arbeitsfähigkeit eines gesunden Versicherten heranzuziehen, der die Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, die von gelernten Facharbeitern des jweiligen Berufes in dessen auf dem Arbeitsmarkt gefragten Varianten (Berufsgruppe) unter Berücksichtigung einer betrieblichen Einschulungszeit verlangt werden (SSV-NF 2/122, 7/6).
Einem überwiegend als Facharbeiter tätig gewesenen Versicherten darf daher - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte - nicht der Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten eines wegen unähnlicher Ausbildung und anderen zur Ausübung erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten fremden Berufes zugemutet werden, weil es sich dann um die Ausbildung für einen neuen Beruf handeln würde. Von einem Facharbeiter ist aber grundsätzlich zu verlangen, daß er sich einer Nachschulung zum Erwerb von Spezialkenntnissen im erlernten Beruf unterzieht, wenn er diesen nur mehr in dieser spezialisierten Form ausüben kann. Auch dann handelt es sich nämlich nur um eine Weiterentwicklung oder Spezialisierung im bisherigen Beruf (sa die bisher zit Rsp).
Ein Versicherter, der überwiegend in einem erlernten oder angelernten Beruf tätig war, darf auch auf Teiltätigkeiten seines Berufes, besser seiner Berufsgruppe, verwiesen werden, durch die er den bereits erworbenen Berufsschutz nicht verliert (SSV-NF 7/6 mwN).
Die vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zu Grunde gelegten Ergebnisse der erstgerichtlichen Verhandlung und Beweisführung (§ 498 ZPO) ermöglichen die verläßliche Beurteilung, daß die Tätigkeit eines Kundendienstbetreuers in größeren Kfz-Spenglerbetrieben eine qualifizierte Variante des Karosseurberufs ist. Es handelt sich dabei um eine Aufstiegsmöglichkeit, von denen das vom österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung verfaßte Berufslexikon I (Lehrberufe)14, 178 Gruppenleiter, Vorarbeiter, Lagerleiter, Partieführer, Abteilungsleiter und Meister nennt.
Auch von einem Kundendienstbetreuer werden in erster Linie die praktischen und theoretischen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Karosseurs, also die Kenntisse und Fähigkeiten verlangt, die von gelernten Facharbeitern dieses Berufes üblicherweise erwartet werden. Die zusätzlichen Kenntnisse kaufmännischer Art werden nach den Feststellungen insbesondere dazu benötigt, den Kunden über die Kosten und die ungefähre Dauer einer Raparatur zu informieren. Diese kaufmännischen Kenntnisse wurden vom Berufungsgericht zutreffend als relativ einfach und den handwerklichen untergeordnet bewertet. Einerseits können sie während einer innerbetrieblichen Einschulung im Rahmen der Tätigkeit als Kundendienstbetreuer erworben werden. Andererseits sind für die Schätzung der voraussichtlichen Reparaturkosten und -dauer in erster Linie die Fachkenntnisse eines Karosseurs notwendig. Von einer Umschulung auf einen fremden Beruf kann daher keine Rede sein. Vom Kläger, der am Stichtag das 33. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, kann gefordert werden, daß er sich einer Nachschulung unterzieht, damit er seinen erlernten Beruf in einer spezialisierten Form weiter ausüben kann. Selbst wenn diese Schulung sechs Monate dauerte, wäre sie schon deshalb nicht unzumutbar, weil es sich um eine innerbetriebliche Schulung handelt.
Daß der Kläger als Kundendienstbetreuer allenfalls Angestellter wäre, stünde seiner Verweisung auf diese Berufssparte nicht entgegen. Der Wechsel von besonders qualifizierten Facharbeitern in Angestelltenpositionen, etwa zum Leiter einer Werkstätte (Arb 5629 und 8300) oder Werkmeister (Arb 3878), führt zu keinem Verlust des Berufsschutzes. Ein Angesteller gilt nämlich nach § 273 Abs 1 ASVG - ähnlich wie ein überwiegend in erlernten oder angelernten Berufen tätig gewesener Facharbeiter, dessen Berufsschutz nach § 255 Abs 1 leg cit dem der Angestellten nachgebildet ist, - als berufsunfähig, wenn seine Arbeitsfähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist (sa 20.9.1994, 10 Ob S 178/94).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
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