OGH 12Os112/94

OGH12Os112/9422.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 22.September 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Schindler, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Reinhart als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Andreas L***** wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18.Oktober 1993, GZ 5 a E Vr 12.357/93-6, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr.Bierlein, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18.Oktober 1993, GZ 5 a E Vr 12.357/93-6, mit welchem die dem Verurteilten Andreas L***** im Urteil desselben Gerichtes vom 8.Jänner 1993, GZ 6 c Vr 9.487/92-18, gewährte Probezeit bei gleichzeitigem Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht verlängert wurde, verletzt das Gesetz in dem im XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft.

Dieser Beschluß wird aufgehoben.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 8.Jänner 1993, GZ 6 c Vr 9.487/92-18, wurde der am 14.Jänner 1971 geborene Andreas L***** des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG (begangen durch Inverkehrsetzen von zumindest 500 g Haschisch), des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG sowie der Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB und der versuchten Bestimmung zur falschen Beweisaussage (vor einer Verwaltungsbehörde) nach den §§ 15 (iVm § 12 zweiter Fall), 289 StGB schuldig erkannt; nach § 43 Abs 1 StGB wurde die über ihn gemäß § 12 Abs 1 SGG verhängte Freiheitsstrafe von acht Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

In der Folge verhängte (abermals) das Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht (unter dem Vorsitz desselben Richters) mit rechskräftigem Urteil vom 17.September 1993, GZ 6 c Vr 1.067/93-21, über Andreas L***** - erneut wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG (vor Fällung des vorangeführten Urteils begangenes Inverkehrsetzen von insgesamt 2,4 bis 3,4 kg Haschisch) unter Bedachtnahme auf das erwähnte Urteil (vom 8.Jänner 1993) eine (Zusatz-)Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten (§§ 31, 40 StGB). Gleichzeitig beschloß der (auch hiezu zuständige) Schöffensenat (vgl EvBl 1990/166; 11 Os 127, 133/90; 16 Os 5, 6/92) gemäß § 55 Abs 1 StGB den Widerruf der dem Verurteilten seinerzeit im Verfahren 6 c Vr 9.487/92 dieses Gerichtshofes gewährten bedingten Strafnachsicht. Auch dieser Beschluß erwuchs in Rechtskraft.

Die im § 494 a Abs 8 (nunmehr Abs 7) StPO vorgeschriebene unverzügliche Ersichtlichmachung des Widerrufs im bezughabenden Akt 6 c Vr 9.487/92 wurde vom Vorsitzenden (erst) am 30.September 1993 verfügt und noch am selben Tag kanzleitechnisch durchgeführt (GZ 6 c Vr 1.067/92-25).

Mit Beschluß vom 30.September 1993, GZ 6 c Vr 9.487/92-26, wurde Andreas L***** - wie am Rande bemerkt sei - gemäß § 23 a SGG im Verfahren Strafaufschub bis 17.September 1995 gewährt.

Schließlich wurde der Genannte mit Urteil vom 18.Oktober 1993, GZ 5 a E Vr 12.357/93-6, des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, rechtskräftig des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (Tatzeit: 22.Mai 1993) schuldig erkannt und hiefür zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt; unter einem faßte der Einzelrichter gemäß § 494 a Abs 1 Z 2 (und Abs 6) StPO (iVm § 53 Abs 2 StGB) den Beschluß, die im eingangs erwähnten Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8.Jänner 1993, GZ 6 c Vr 9.487/92-18, bestimmte Probezeit - unter gleichzeitigem Absehen von einem Widerruf der bedingten Strafnachsicht - auf fünf Jahre zu verlängern. Ersichtlich hat der Einzelrichter hiebei die im angeschlossenen - und in der Hauptverhandlung verlesenen - Akt 6 c Vr 9.487/92 bereits enthaltene Verständigung vom erfolgten Widerruf (s S 30, 35 dA 5 a E Vr 12.357/93 iVm ON 25 dA 6 c Vr 9.487/92) übersehen. Dieser (Verlängerungs-) Beschluß ist unangefochten geblieben.

Das Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht und die Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre durch den zuletzt bezeichneten, gemäß § 494 a Abs 4 StPO gemeinsam mit dem Urteil vom 18. Oktober 1993 verkündeten Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien steht - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Durch diesen Ausspruch hat der Einzelrichter seine Entscheidungskompetenz zu Unrecht in Anspruch genommen, weil er über diesen Gegenstand, über den bereits der Schöffensenat des Landesgerichtes für Strafsachen Wien mit dem - für den Einzelrichter aktenkundigen - Beschluß vom 17.September 1993 im Verfahren AZ 6 c Vr 1.067/93 - rechtskräftig - abgesprochen hatte, wegen des sich aus dem XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung ergebenden Grundsatzes der materiellen Rechtskraft (Verbot des "ne bis in idem") nicht neuerlich erkennen durfte.

Der verfehlte Verlängerungsbeschluß konnte allerdings weder den zuvor bereits ergangenen rechtskräftigen Widerrufsbeschluß beseitigen noch sonst für den Verurteilten Rechtswirkungen erzeugen (vgl EvBl 1964/236; EvBl 1989/64); vielmehr blieb die konstitutive Wirkung des Widerrufsbeschlusses hievon unberührt.

Allerdings erscheint die formelle Beseitigung des gesetzwidrigen Beschlusses über das Absehen vom Widerruf und die Probezeitverlängerung aus Gründen der Rechtsklarheit geboten.

Der Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18.Oktober 1993, GZ 5 a E Vr 12.357/93-6, mit welchem die dem Verurteilten Andreas L***** im Urteil desselben Gerichtes vom 8.Jänner 1993, GZ 6 c Vr 9.487/92-18, gewährte Probezeit bei gleichzeitigem Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht verlängert wurde, verletzt sohin das Gesetz in dem im XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft, weshalb er ersatzlos aufzuheben war.

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