OGH 3Ob160/94(3Ob161/94)

OGH3Ob160/94(3Ob161/94)21.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Graf, Dr.Gerstenecker und Dr.Pimmer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Werner S*****, vertreten durch Dr.Stefan Petrofsky, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Werner W***** und 2. Alexander W*****, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie 21.Bezirk, Wien 21, Am Spitz 1, als Sachwalter, dieses vertreten durch Dr.Walter Schuppich, Rechtsanwalt in Wien, wegen Einwendungen gegen den Anspruch, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 9.November 1993, GZ 44 R 2064/93-29, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 15. Juli 1993, GZ 13 C 242/92t-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil und das Urteil des Erstgerichtes, dieses, soweit damit über das Erlöschen des Unterhaltsanspruchs der Beklagten für die Zeit vom 1.8.1990 bis 31.7.1992 und über die Verfahrenskosten entschieden wurde, werden aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällenden Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz.

Text

Begründung

Aus Anlaß der Scheidung seiner Ehe mit der Mutter der am 1.3.1975 und 2.1.1977 geborenen Beklagten verpflichtete sich der Kläger mit dem pflegschaftsbehördlich genehmigten Vergleich vom 17.10.1989, den Beklagten, seinen ehelichen Kindern, ab 1.11.1989 bis auf weiteres einen monatlichen Unterhaltsbetrag von je S 1.500,-- zu bezahlen. Als Vergleichsgrundlage wurde angeführt, daß der Kläger einkommenslos sei. Ferner wurde vereinbart, daß bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse der gesetzliche Unterhalt geschuldet werde.

Das Erstgericht bewilligte den Beklagten aufgrund dieses Vergleiches zur Hereinbringung von S 194.950 an rückständigem Unterhalt für die Zeit vom 1.11.1989 bis 30.11.1992 und der ab 1.12.1992 fällig werdenden monatlichen Unterhaltsbeträge von je S 1.500 die Forderungsexekution.

Der Kläger begehrte auszusprechen, daß der Anspruch der Beklagten aus dem Vergleich für bestimmte, näher bezeichnete Zeiträume zur Gänze oder teilweise erloschen sei. Hievon ist hier nur mehr der Zeitraum vom 1.8.1990 bis 31.7.1992 von Bedeutung, für den der Kläger den Ausspruch des vollständigen Erlöschens des Unterhaltsanspruchs der Beklagten begehrte. Er wendete ein, daß sich sein Gesundheitszustand nach Abschluß des Vergleiches wegen seiner fortgeschrittenen Zuckerkrankheit noch wesentlich verschlechtert habe und daß er zumindest seit 17.10.1989 nunmehr vollständig erwerbsunfähig sei.

Die Beklagten brachten vor, daß der Kläger schon zur Zeit des Abschlusses des Vergleiches einkommenslos gewesen sei, weshalb sich die Verhältnisses in dem angeführten Zeitraum nicht geändert hätten.

Das Erstgericht sprach in teilweiser Stattgebung des Klagebegehrens aus, daß der Unterhaltsanspruch der Beklagten für bestimmte Zeiträume vollständig oder teilweise erloschen ist, darunter im Zeitraum vom 1.8.1990 bis 31.7.1992 zur Gänze. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:

Der Kläger bezog zur Zeit des Abschlusses des den Exekutionstitel bildenden Vergleiches weder Arbeitslosengeld noch Notstandshilfe. Er konnte damals wegen seiner schweren Zuckerkrankheit und eines Herzinfarkts, den er 1984 erlitten hatte, keiner geregelten Arbeit nachgehen. Aufgrund von Gelegenheitsarbeiten, die den zuständigen Stellen nicht bekanntgegeben wurden, verdiente er jedoch etwa S 5.000 bis S 6.000 im Monat. Wegen der Zuckerkrankheit verschlechterte sich sein Gesundheitszustand in der Folge. Im Juli 1990 kam es durch einen Insektenstich zu einer gangränösen Eiterung seiner linken Großzehe, die ihm das Gehen unmöglich machte und am 21.10.1991 die Amputation der Zehe erforderte. Spätestens seit dieser Infektion war der Kläger auch zu den früheren ausgeführten Gelegenheitsarbeiten nicht mehr imstande. Er hatte seit Juli 1990 keine Einkünfte mehr und wurde bis Mai 1991 finanziell von seiner Lebensgefährtin unterstützt. Diese verdiente etwa S 8.000 im Monat. Ab März 1991 war sie jedoch arbeitslos. Ab 15.5.1991 erhielt der Kläger vom Sozialreferat (der Gemeinde Wien) eine Geldaushilfe in der Höhe von S 5.012 im Monat. Seit August 1992 bezieht er die Invaliditätspension zuzüglich der Ausgleichszulage.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, daß der Unterhaltsanspruch der Beklagten in der Zeit vom 1.8.1990 bis 31.7.1992 infolge der vollständigen Erwerbsunfähigkeit des Klägers und der darin gelegenen wesentlichen Änderung der Verhältnisse erloschen gewesen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung, welche die Beklagten gegen den Ausspruch des Erlöschens ihres Unterhaltsanspruchs in der Zeit vom 1.8.1990 bis 31.7.1992 erhoben, nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Der Kläger habe seit 1.8.1990 kein Einkommen bezogen, worin eine wesentliche Änderung der Verhältnisse gegenüber jenen zur Zeit des Vergleichsabschlusses gelegen sei. Er habe vor dem 15.5.1991 keinen Anspruch auf Sozialhilfe gehabt, weil nach der ständigen Praxis der Sozialhilfeträger keine Sozialhilfe gewährt werde, solange der Anspruchswerber in Lebensgemeinschaft lebe und sein Lebensgefährte über ein ausreichendes Einkommen verfüge. Der durch die Änderung der Verhältnisse erloschene Unterhaltsanspruch der Beklagten sei nicht dadurch wieder aufgelebt, daß der Kläger ab Mitte Mai 1991 etwa in der Höhe seines Einkommens zur Zeit des Vergleichsabschlusses Sozialhilfe bezogen habe. Eine neuerliche wesentliche Änderung der Verhältnisse führe nicht notwendig zum Wiederaufleben der früheren Unterhaltsverpflichtung, sondern rechtfertige nur eine Neubemessung des Unterhaltsanspruchs. Ein Unterhaltsanspruch der Kinder habe aber trotz Bezug der Sozialhilfe nicht bestanden, weil diese nur den eigenen notwendigen Lebensbedarf des Vaters gedeckt habe.

Die von den Beklagten gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes inhaltlich nur wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache erhobene außerordentliche Revision ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichtes von der - wenn auch erst später ergangenen - Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 1 Ob 550/94 abweicht; sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger brachte nicht nur die hier vorliegende Klage ein, sondern er stellte beim Erstgericht auch den Antrag, ihn für denselben Zeitraum, der den Gegenstand der Klage bildet, von seiner Unterhaltspflicht zu entheben, und stützt diesen Antrag im wesentlichen auf dasselbe Vorbringen wie die Klage.

Das Erstgericht setzte im Außerstreitverfahren in mehreren Beschlüssen die Unterhaltspflicht des Klägers im selben Ausmaß herab und enthob ihn hievon im selben Ausmaß, wie es dem hier zu beurteilenden Klagebegehren stattgab. Es sprach also vor allem auch aus, daß der Kläger für den Zeitraum vom 1.8.1990 bis 31.12.1992 von seiner Unterhaltspflicht zur Gänze enthoben wird. Dabei stellte es im wesentlichen denselben Sachverhalt wie hier fest. Ein Unterschied besteht bloß darin, daß im Außerstreitverfahren angenommen wurde, der Kläger habe zur Zeit des Vergleichsabschlusses außer dem auf Grund von Gelegenheitsarbeiten bezogenen Einkommen noch über Ersparnisse in der Höhe von S 20.000,-- verfügt.

Der Oberste Gerichtshof hob mit Beschluß vom 3.5.1994, 1 Ob 550/94, im Verfahren außer Streitsachen die Beschlüsse der Vorinstanzen infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Kinder auf, soweit sie den Zeitraum vom 1.8.1990 bis 31.7.1992 betrafen, und trug dem Erstgericht in diesem Umfang die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Er war in diesem Beschluß der Meinung, daß infolge Änderung der Verhältnisse über die Unterhaltspflicht des Klägers neu zu entscheiden sei und dabei auch der Bezug der Sozialhilfe und die Möglichkeit, Sozialhilfe zu beziehen, zu berücksichtigen seien. Dem Erstgericht wurde daher die Klärung der Frage aufgetragen, ob der Kläger auf Grund des Sozialhilfebezuges in der Höhe von etwa S 5.000,-- monatlich zur Leistung von Unterhalt an seine Kinder verpflichtet werden könne, wobei zu berücksichtigen sei, daß ihm die zur Deckung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse erforderlichen Mittel verbleiben müßten. Ferner sei zu klären, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe er seit 1.8.1990 Sozialhilfe hätte erlangen können.

Da diese Entscheidung im wesentlichen denselben Sachverhalt wie hier und dieselben Parteien betraf, genügt es, hierauf hinzuweisen. Das Erstgericht wird daher auch hier das Verfahren in derselben Weise wie das Außerstreitverfahren, zu dem Streitanhängigkeit nicht besteht (MGA ZPO14 § 233/2), zu ergänzen haben. Es wird daher in erster Linie zu prüfen haben, ob und in welcher Höhe dem Kläger bereits vor dem 15.5.1991 ein Rechtsanspruch auf Sozialhilfe zustand; einen solchen Anspruch wäre der Kläger nach seinen Kräften geltend zu machen verpflichtet gewesen. Für den gesamten Zeitraum aber, wäre zu prüfen welche unbedingt erforderlichen existenziellen Bedürfnisse er allenfalls im Hinblick auf sein Krankheitsbild mit diesen Leistungen der Sozialhilfe auf jeden Fall hätte abdecken müssen. Anzumerken ist, daß der Unterschied in den Tatsachenfeststellungen über das Vorhandensein von Ersparnissen ohne Bedeutung ist. Es würde nämlich auch für sich allein eine die Neufestsetzung der Unterhaltspflicht rechtfertigende Änderung der Verhältnisse zur Folge haben, wenn der Kläger in dem mit 1.8.1990 beginnenden Zeitraum keine Sozialhilfe bezogen und auch keinen Anspruch hierauf gehabt hätte. Daß es entgegen der in der Revision vertretenen Meinung nicht einfach zur "Wiederherstellung" der früheren Unterhaltspflicht kommt, wenngleich die Verhältnisse mit den früheren wieder vergleichbar sind, wurde schon in der Entscheidung 1 Ob 550/94 ausgesprochen und begründet.

Der Ausspruch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 52 Abs 1 ZPO.

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