European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0130OS00129.9400000.0914.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Der Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 24. Jänner 1994, GZ 35 Vr 718/90‑112, verletzt § 23 a SGG.
Gemäß § 292 StPO wird Punkt 2. des bezeichneten Beschlusses aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Gründe:
Franz S* und Angelika M* wurden mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 3. Oktober 1991, GZ 35 Vr 718/90‑62, des Verbrechens nach § 12 Abs 1 und 3 Z 3 SGG, Franz S* allein überdies der Vergehen nach § 16 Abs 1 SGG, der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB, der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach § 224 (§ 223 Abs 1) StGB, der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB und des Gebrauches fremder Ausweise nach § 231 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Die Angeklagten wurden hiefür zu Freiheitsstrafen (Franz S* zwei Jahre, Angelika M* 14 Monate, sh ON 79) verurteilt, auf die im Ausland erlittene Strafen (je vier Monate Freiheitsstrafe) angerechnet wurden (§ 66 StGB).
Mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 19. März 1992 (ON 88) wurde in teilweiser Stattgebung der Anträge der Verurteilten gemäß § 23 a SGG der Vollzug der verhängten Freiheitsstrafen bis vorerst 30. September 1992 aufgeschoben und zugleich eine Überprüfung der Durchführung und des Erfolges der Therapie im Sinne der angeführten Gesetzesstelle nach Ablauf eines halben Jahres angekündigt.
Am 30. September 1992 gaben die beiden Verurteilten dem Gericht bekannt, sie hätten die ihnen zunächst zugesicherten Therapieplätze nicht erhalten, unterzögen sich jedoch einer ambulanten Langzeittherapie, die mehr Erfolg verspreche, was inhaltlich von der Universitätsklinik für Psychiatrie Innsbruck (Drogenambulanz) bestätigt wurde (ON 91). Nach einer Mitteilung des Gesundheitsamtes des Stadtmagistrats Innsbruck (vom 7. Mai 1992, ON 93) besteht bei beiden Verurteilten eine schwere Polytoxikomanie. Danach wurde mit der über vierjährigen Behandlung im Rahmen des Methadon‑Programmes eine psychische Stabilisierung und soziale Integration erreicht und eine Verschlechterung der klinischen Manifestation der HIV‑Infektionen hintangehalten. Aus amtsärztlicher Sicht sei die Substitutionsbehandlung gegenüber der Entwöhnungsbehandlung als gleichwertig zu betrachten. Eine Haftstrafe hätte sicher kontratherapeutische Effekte.
Auf Grund von die Vollzugstauglichkeit beider Verurteilten verneinenden Gutachten (ON 96) wurde gemäß § 5 Abs 1 StVG bei beiden der Vollzug der Freiheitsstrafe bis 1. Juli 1993 aufgeschoben (ON 98) und eine neuerliche Begutachtung veranlasst, die die bedingte Vollzugstauglichkeit beider Verurteilten mit Beginn des Jahres 1994 ergab (ON 100).
Nach Aufforderung zum Strafantritt ersuchten die Verurteilten ihre ambulante Drogentherapie (Reduktion) durch einen unabhängigen Gutachter beurteilen und die Therapie mit ärztlicher Hilfe bis zum erfolgreichen Ende weiterführen zu lassen, um dann einen Antrag gemäß § 23 a Abs 2 SGG (§ 410 StPO) stellen zu können (ON 103). Nach den dazu angeschlossenen Befundberichten der Universitätsklinik für Psychiatrie Innsbruck (S 315, 317/II) stehen die Verurteilten seit Februar 1988 an dieser Klinik in Methadon‑Substitutionsbehandlung. Die ursprüngliche Methadon‑Dosis von 200 Milligramm bei Franz S* bzw 180 Milligramm bei Angelika M* wurde im Laufe der letzten drei Jahre auf eine Tagesdosis von 30 Milligramm reduziert. Eine weitere Reduktion sei nicht indiziert, weil die zeitlich unbefristete Substitutionsbehandlung als eindeutiger Therapieerfolg zu werten ist. S* sei nachweisbar frei von illegalen Drogen und sozial sehr gut stabilisiert bzw integriert. Angelika M* wird als Paradefall einer sozialen Reintegration und Rehabilitation bezeichnet. Die zeitlich unbefristete pharmakologische Unterstützungsbehandlung sei bei ihr einer abstinenzorientierten Therapie gleichzusetzen, zumal sie ständig therapeutischen Kontakten unterliege, frei von illegalen Drogen sei und ihr Leben grundlegend geändert habe. Dazu teilte das Landesgericht Innsbruck den Verurteilten mit (ON 104), eine ambulante Behandlung wäre keine ärztliche Behandlung im Sinne des § 23 a SGG, der Vollzug der Freiheitsstrafen gemäß Abs 1 dieser Gesetzesstelle lediglich bis 30. September 1992 aufgeschoben und der weitere Strafaufschub wegen (zwischenzeitiger) Vollzugsuntauglichkeit gewährt worden. Die Freiheitsstrafe sei nunmehr anzutreten.
Die als Beschwerden gegen diesen "Beschluß" bezeichneten Eingaben beider Verurteilten (ON 106, 107), worin sie erneut auf den Therapieerfolg hinwiesen und ihre Bereitschaft zu einer stationären Entwöhnungsbehandlung erklärten, wurden vom Landesgericht Innsbruck als (neuerliche) Anträge auf nachträgliche Strafmilderung gemäß § 410 StPO behandelt und mit Beschluß vom 24. Jänner 1994 (ON 112) mit der Begründung abgelehnt, es lägen keinerlei Milderungsgründe vor, die zur Zeit der Urteilsfällung noch nicht vorhanden oder noch nicht bekannt gewesen wären (2.). Zugleich wurde die Gewährung eines weiteren Strafaufschubes nach § 23 a Abs 1 SGG abgelehnt, weil eine ambulante Behandlung keine ärztliche Behandlung im Sinne des § 23 a SGG darstelle und überdies bereits das gesetzliche Höchstmaß eines Strafauschubes überschritten sei (1.).
Über Gnadengesuche der Verurteilten (denen das Erstgericht wegen der Schwere des von beiden Verurteilten begangenen Drogendeliktes und der einschlägigen Vorstrafenbelastung entgegengetreten ist, S 182/III) wurde noch nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 24. Jänner 1994 (ON 112) verletzt, wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht ausführt, das Gesetz.
Nach § 23 a Abs 1 SGG ist einem dem Mißbrauch eines Suchtgiftes ergebenen Verurteilten unter den allgemeinen Voraussetzungen und Bedingungen des § 6 StVG auch ein Aufschub des Vollzuges einer über ihn nach diesem Bundesgesetz verhängten, zwei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe für die Dauer von höchstens zwei Jahren zu bewilligen, soweit dies erforderlich ist, um dem Verurteilten eine notwendige ärztliche Behandlung zu ermöglichen. Abs 2 leg cit verpflichtet das Gericht zu einer amtswegigen Prüfung, ob eine nachträgliche Milderung der nach dem Suchtgiftgesetz verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 410 StPO durch Gewährung einer bedingten Strafnachsicht vorzunehmen ist, wenn ihm zur Kenntnis gelangt, daß sich ein dem Missbrauch eines Suchtgiftes ergebener Rechtsbrecher nach Rechtskraft eines gegen ihn gefällten Strafurteils mit Erfolg einer ärztlichen Behandlung unterzogen hat.
Durch diese Bestimmung soll einerseits ein sonst nicht oder nicht in diesem Ausmaß möglicher Strafaufschub für die Durchführung der ärztlichen Behandlung eines Süchtigen und andererseits die nachträgliche bedingte Strafnachsicht bei erfolgreichem Abschluß der Behandlung vorgesehen werden, womit für den erfaßten Täterkreis ein Anreiz, sich nicht nur einer "Entwöhnungsbehandlung" zu unterziehen, sondern diese Behandlung auch durchzustehen, geschaffen wurde. Die nachträgliche bedingte Strafnachsicht soll dahin wirken, daß sich der erfolgreich Behandelte auch in Zukunft "hält" (JA 586 BlgNR XVI.GP , 7; bei Mayerhofer‑Rieder, Nebenstrafrecht3, Anm 1 zu § 23 a SGG). Unter der notwendigen ärztlichen Behandlung ist jedoch im gegebenen Zusammenhang nicht nur die völlige Entwöhnung als der nach Möglichkeit anzustrebende optimale Behandlungserfolg zu verstehen. Auch eine auf einem weniger weitreichenden Erfolg abzielende ärztliche Behandlung kann einen Aufschubsgrund im Sinne des § 23 a Abs 1 SGG und der Erfolg einer solchen Behandlung einen Anlaß zur amtswegigen Prüfung der Voraussetzungen nachträglicher Strafmilderung im Sinne des Abs 2 leg cit bilden. Notwendig im Sinne des Abs 1 leg cit ist jede und somit auch eine ambulante (EvBl 1992/183) ärztliche Behandlung des Süchtigen, die wegen seiner Sucht zur Hintanhaltung eigenen Suchtgiftmissbrauches medizinisch indiziert ist (vgl auch § 17 Abs 3 Z 2 lit b, Abs 5 Z 1 SGG; zur medizinischen Indikation von oral einzunehmenden suchtgifthältigen Arzneimitteln siehe Richtlinien des Bundeskanzleramtes vom 25. September 1987, Z 61.551/14‑VI 14/87, insbesondere II, in JABl Nr 49/1987).
Ein Erfolg der ärztlichen Behandlung in der Bedeutung des § 23 a Abs 2 SGG liegt vor, wenn das fallbezogen aus der Sicht der medizinischen Wissenschaft mögliche Ziel dieser Behandlung, der sich der Verurteilte freiwillig unterzogen hat, erreicht ist. Daß der Behandlungserfolg so nachhaltig sein müßte, daß es zu dessen Erhaltung keiner ergänzenden ärztlichen Vorkehrung mehr bedarf und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit besteht, daß der Verurteilte in Hinkunft niemals mehr illegale Rauschmittel konsumieren und sich nicht dem Genuss von Suchtgift ergeben werde, ist aus dem Gesetz nicht ableitbar (EvBl 1989/155). Dieser Erfolg darf zwar nicht schon vor Rechtskraft des Strafurteils eingetreten sein, hingegen kann die ärztliche Behandlung durchaus schon vor Urteilsrechtskraft begonnen haben (Foregger‑Litzka, SGG2, Anm II zu § 23 a).
Auch die Substitutionsbehandlung mit Methadon (entsprechend den Richtlinien des Bundeskanzleramtes; siehe insbesondere Punkt 4.) ist (vgl jedoch Mayerhofer‑Rieder, aaO, ENr 10) nicht lediglich ein bloß einen Aufschub nach § 23 a Abs 1 SGG und damit die ärztliche Behandlung erst ermöglichende Vorstufe, sondern selbst sowohl bei stationärer als auch bei ambulanter Durchführung bereits eine ärztliche Behandlung im Sinne dieser Gesetzesstelle. Ihr Erfolg ist nach der Behandlungszielsetzung und keineswegs in jedem Fall darnach zu beurteilen, ob eine Befreiung von jeglicher Suchtgiftabhängigkeit eingetreten ist. Ist das fallbezogen aus Sicht der medizinischen Wissenschaft mögliche Ziel (nach Urteilsrechtskraft; s.o.) erreicht, dann ist dieser Umstand von Amts wegen auf seine Eignung zur Erfüllung der spezialpräventiven Voraussetzungen des § 43 Abs 1 StGB für die Gewährung der bedingten Strafnachsicht (im Wege des § 410 StPO) zu prüfen (zum Ausschluß generalpräventiver Erwägungen im Sinne des § 43 StGB durch die insoweit speziellere Vorschrift des § 23 a Abs 2 SGG vergleiche erneut EvBl 1992/183). Gerade aus der vom Gesetz vorgesehenen Prüfung des Behandlungserfolges auf seine spezialpräventive Wirkung ergibt sich, daß auch das Ergebnis einer Substitutionsbehandlung Grund für eine amtswegige Maßnahme nach § 23 a Abs 2 SGG sein kann. Die erzielte Abstinzenz vom Konsum illegal (auch nicht auf Grund einer nach § 5 SGG zulässigen Verschreibung) erworbenen Suchtgifts kann bei Beurteilung der Aussichten auf künftiges Wohlverhalten des Verurteilten von entscheidender Bedeutung sein. Ein solcher Erfolg ist aus medizinischer wie auch kriminalpolitischer Sicht keineswegs von vornherein für die nachträgliche Gewährung bedingter Strafnachsicht unerheblich.
Indem das Landesgericht Innsbruck auf Grund seiner (in der angefochtenen Entscheidung sowie in ON 104 zum Ausdruck gebrachten) Auffassung, die ambulante Substitutionsbehandlung stelle überhaupt keine ärztliche Behandlung im Sinn des § 23 a SGG dar, ungeachtet zahlreicher (auch aus den medizinischen Sachverständigengutachten über die Vollzugstauglichkeit, ON 96 und ON 100 hervorgehender) Anhaltspunkte für einen günstigen Behandlungsverlauf bei beiden Verurteilten nicht nur von einem amtswegigen Vorgehen nach § 23 a Abs 2 SGG Abstand nahm, sondern sogar darauf bezügliche Gesuche der Verurteilten mit einer nur auf den Wortlaut des § 410 Abs 1 StPO beschränkten, aber auf das Behandlungsergebnis nicht eingehenden Begründung ablehnte, verstieß es gegen § 23 a SGG. Zur Beseitigung der hiedurch den Verurteilten erwachsenen Nachteile ist eine konkrete Maßnahme im Sinne des letzten Satzes des § 292 StPO geboten. Erst durch die Aufhebung des angefochtenen Punktes 2 des Beschlusses ON 112 wird sichergestellt, daß bei neuerlicher Prüfung der Voraussetzungen einer Antragstellung nach § 23 a Abs 2 SGG, § 410 Abs 1 StPO auch der Erfolg der Methadon‑Substitutionsbehandlung beider Verurteilten in die spezialpräventiven Erwägungen (§ 43 Abs 1 StGB) des Erstgerichtes einbezogen wird. Somit war wie im Spruch zu erkennen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)