OGH 3Ob549/94

OGH3Ob549/947.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Graf, Dr.Gerstenecker und Dr.Pimmer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Herbert Pfeifer, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei A*****werk, ***** vertreten durch Dr.Ernst Blanke sen., Dr.Ernst Blanke jun. und Dr.Christoph Gernerth Mautner Markhof, Rechtsanwälte in Hallein, wegen DM 13.283,11 (= S 92.981,77) s.A., infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes vom 18.April 1994, GZ 21 R 73/94-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Hallein vom 3.Dezember 1993, GZ 4 C 949/93d-7, aufgehoben und diesem Gericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Prozeßkosten.

Text

Begründung

Die Klägerin, die ihren Sitz in Deutschland hat, brachte vor, im Auftrag der Beklagten im Jahre 1988 an zwei in Wien gelegenen Gebäuden Fassadenverkleidungen vorgenommen zu haben. Sie habe noch im Jahre 1988 jeweils Schlußrechnung gelegt, aus diesen Schlußrechnungen haften insgesamt DM 13.283,11 unberichtigt aus. Eine beim Landgericht Amberg am 30.12.1992 wider die Beklagte eingebrachte Klage habe die Klägerin nach Erheben der Einrede der Unzuständigkeit seitens der Beklagten am 14.4.1993 zurückgenommen, ohne auf den Anspruch zu verzichten. Da weder eine ausdrückliche noch eine schlüssige Vereinbarung hinsichtlich der Anwendung deutschen oder österreichischen Rechts getroffen worden sei, sei auf den vorliegenden Fall deutsches Recht anzuwenden, zumal außer dem Ort der Werkerfüllung keinerlei Beziehung zu Österreich bestehe. Die Klagsforderung sei bei Anwendung deutschen Rechtes nicht verjährt.

Die Beklagte wendete vor allem ein, daß österreichisches Recht anzuwenden sei, zumal alle Leistungen der Klägerin in Österreich erbracht worden seien. Unter Anwendung österreichischen Rechts sei spätestens 1991 Verjährung der Klagsforderung eingetreten. In der Sache selbst wendete die Beklagte ein, die Schlußrechnungen seien überhöht, und es stünden der Beklagten den Klagsbetrag übersteigende Gegenforderungen zu.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren unter Anwendung österreichischen Rechts wegen eingetretener Verjährung ab. Die Klägerin habe mit der Beklagten keine ausdrückliche Vereinbarung über das anzuwendende Recht getroffen. Die Bezahlung der von der Klägerin zu legenden Rechnungen sei in deutschen Mark vereinbart worden. Die Rechnungen seien auch in dieser Währung ausgestellt und - teilweise - bezahlt worden. Die Parteien hätten eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht getroffen. In den Schlußrechnungen der Klägerin sei der Vermerk "Erfüllungsort H*****, Gerichtsstand Amberg" enthalten. In einem Schreiben der Klägerin habe diese für eine Gewährleistungsbürgschaft den Ausdruck "Bankhaftbrief" verwendet. In all diesen Umständen sei eine schlüssige Rechtswahl nicht zu erblicken. Demnach sei § 36 IPRG anzuwenden. Die charakteristische Leistung im Sinne dieser Gesetzesbestimmung sei von der Klägerin erbracht worden, weshalb grundsätzlich deutsches Recht anzuwenden sei. Nach Art.28 Abs.1 EGBGB unterliege der vorliegende Vertrag dem Recht des Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweise. Dabei werde nach Abs.2 leg.cit. vermutet, daß dies bei jenem Staat der Fall sei, wo die die charakteristische Leistung erbringende Partei ihre Niederlassung habe. Auch dies würde zur Anwendung deutschen Rechts führen. Art.28 Abs.2 EGBGB stelle aber nur eine widerlegliche Rechtsvermutung auf, die gemäß Abs.5 leg.cit. nicht gelte, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergebe, daß der Vertrag engere Verbindungen mit einem anderen Staat aufweise. Letzteres sei gegeben, weil die Klägerin an zwei in Wien gelegenen Bauwerken umfangreiche Arbeiten zu verrichten gehabt habe. Demnach sei österreichisches Recht anzuwenden. Gemäß § 1486 Z 1 ABGB seien die klägerischen Ansprüche aber verjährt.

Die Klägerin machte in ihrer Berufung geltend, daß deutsches Sachrecht zur Anwendung kommen müsse. Der Umstand, daß die beiden Verträge österreichische Baustellen betreffen und die Klägerin daher ihre Arbeiten in Österreich erbracht habe, sei nicht geeignet, die Vermutung des § 28 Abs.2 EGBGB zu widerlegen. Die Gesamtheit der Umstände spreche vielmehr für die Anwendung deutschen Rechts.

Das Berufungsgericht ging davon aus, daß die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen nicht ausreichen, um beurteilen zu können, ob ein Abweichen von der gesetzlichen Regel des § 36 IPRG gerechtfertigt wäre bzw. die Vermutung des § 28 Abs.2 EBGBG als widerlegt angesehen werden könne. Von der im § 36 IPRG vorgeschriebenen Anknüpfung an den Sitz der nicht geldleistenden Partei müsse man nach § 1 Abs.1 IPRG Ausnahmen anerkennen, wenn die Regel des § 36 gegen den Grundsatz der stärksten Beziehung verstoße. Sei die charakteristische Leistung außerhalb des Schuldnersitzlandes oder sogar typischerweise am Gläubigersitz zu erfüllen, sei eine Anknüpfung an den Gläubigersitz (gewöhnlicher Aufenthalt bzw. Niederlassung) in Erwägung zu ziehen. Ob eine derartige Korrektur der Verweisungsnorm des § 36 IPRG vorgenommen werden könne, hänge davon ab, ob die Tätigkeit der Klägerin eine reine Montage- bzw. Liefertätigkeit gewesen sei, oder ob sie ihre gesamten Fähigkeiten als natursteinverarbeitender Betrieb eingebracht und das gesamte Material selbst vorbereitet und angeliefert habe. Erst nach konkreter Feststellung der von der Klägerin erbrachten Leistungen werde man beurteilen können, inwieweit die im § 1 IPRG genannte stärkste Beziehung zu Österreich oder zu Deutschland bestehe. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erklärte es für zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Beklagten ist zulässig, im Ergebnis aber nicht berechtigt.

Die Beklagte geht davon aus, daß auf die beiden zwischen den Streitteilen geschlossenen Verträge österreichisches Recht anzuwenden sei. Sie begehrt daher die Abänderung des berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschlusses dahin, daß das die Klage abweisende Ersturteil wiederhergestellt werde.

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Vorweg ist die in der Rekursbeantwortung aufgeworfene Frage zu behandeln, in welchem Verhältnis die Bestimmung des § 1 IPRG zu den einzelnen Verweisungsnormen (hier § 36 IPRG) steht. Rechtsprechung und Lehre sind auch in sich uneinig. Während die Entscheidungen SZ 61/108 und 9 Ob A 24/94 die Ansicht vertreten, daß die im IPRG enthaltenen besonderen Regelungen über die anzuwendende Rechtsordnung (Verweisungsnormen) bereits Ausdruck des im § 1 Abs.1 IPRG normierten Grundsatzes der stärksten Beziehung sind, die Generalklausel daher im wesentlichen nur der Auslegung und Lückenfüllung diene, wird in der Entscheidung IPRAX 1991, 194 dazu entgegengesetzt ausgeführt, daß durch die Bestimmung des § 1 Abs.2 IPRG klargestellt werde, daß die einzelnen Verweisungsnormen diesen Grundsatz nur konkretisieren, ihm daher untergeordnet sind, sodaß der Grundsatz der stärksten Beziehung auch bei der Auslegung der Verweisungsnormen zu berücksichtigen sei. Im Rahmen der stärksten Beziehung sollten daher auch die beteiligten Interessen bewertet und in die kollisionsrechtliche Betrachtung einbezogen werden. In der Entscheidung SZ 61/161 korrigierte der Oberste Gerichtshof die starre akzessorische Anknüpfung des § 45 IPRG, die den berechtigten Interessen der Vertragspartner in casu nicht gerecht werde, aufgrund der Vorschrift des § 1 Abs.1 IPRG dahin, daß nicht nigerianisches, sondern österreichisches Recht anzuwenden sei.

Beitzke führt zum Verhältnis der Vorschrift des § 1 IPRG zu den Einzelvorschriften in RabelsZ 1979, 248 aus, daß sich aus dem Grundprinzip nicht nur die Möglichkeit ergebe, zufällige oder absichtliche Lücken des Gesetzes zu füllen, sondern auch die Kollisionsnorm allenfalls verfeinernd weiterzuentwickeln. Es sei auch nicht auszuschließen, daß die Generalnorm sich zur Ausweichklausel entwickle, weil etwa eine Einzelnorm sich in irgendeiner Hinsicht nicht bewähren sollte. Hoyer hat sich mehrmals mit diesem Auslegungsproblem beschäftigt. Noch zum Entwurf des IPRG, der die Formulierung der "engsten Beziehung" verwendete, führt er in ZAS 1977, 171 aus, daß durch eine solche Formulierung das Kollisionsrecht nicht versteinert werde, das System bleibe offen und für neue, dem historischen Gesetzgeber noch unbekannte Anknüpfungspunkte entwicklungsfähig. Das erfordere, daß die engste Beziehung der einzelnen Kollisionsnorm gegenüber insoweit Vorrang habe, als jede engere denn die in der konkreten Kollisionsnorm enthaltene sachliche Nahebeziehung den Vorzug genieße. In FS Beitzke 538 führt er aus, die in den einzelnen Kollisionsnormen gegebenen Anknüpfungsregeln seien jederzeit nach dem Grundsatz der stärksten Beziehung zu überprüfen. Die Beziehungen des internationalen Sachverhaltes seien zu den in Betracht kommenden Rechtsordnungen zu werten, bevor die endgültige Festlegung des anwendbaren Rechts erfolge. In FS Ferid II 189 legt Hoyer dar, der Vorschrift des § 1 IPRG komme die Funktion einer Ausweichklausel zu, die überall dort, wo der Grundsatz im konkreten Einzelfall durch die spezielle Kollisionsnorm verfehlt werde, einzuspringen habe. Die speziellen Kollisionsnormen seien im Einzelfall zu korrigieren. Neuhaus in seiner Besprechung zur MGA Sonderausgabe 53 in ZfRV 1979, 301 differenziert. Dort, wo Einzelbestimmungen nicht an der stärksten Beziehung, sondern am materiellen Ergebnis ausgerichtet seien (§§ 8, 16 Abs.2, 30 Abs.1 Satz 2, 21 Satz 2, 22 Satz 2, 25 Abs.1 Satz 2, 41 Abs.2, 43 Abs.2, 44 Abs.3 Satz 2IPRG) könne man nicht unter Berufung auf § 1 IPRG abweichen. In anderen Punkten mag eine Korrektur des Gesetzes mit Hilfe des § 1 IPRG früher oder später erfolgen. Schwind IPR Rz 145 führt nunmehr aus, daß die stärkste Beziehung tragendes Prinzip sei. Die Konkretisierungen erforderten nur solange unbedingte Anwendung, als sie tatsächlich diesem Prinzip entsprächen. Dort, wo sie aber evident gegen dieses Prinzip verstießen, müsse und werde dieses die Oberhand behalten, auch dann, wenn keine Ausweichklausel ausdrücklich formuliert sei. Der Gedanke, daß die unendliche Vielfalt des modernen Lebens in den Anknüpfungspunkten des IPR einfach nicht mehr für alle Fälle befriedigend generell erfaßt werden könne, sei im Vormarsch. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit von Ausweichklauseln. Ebenroth in JBl 1986, 682 vertritt die Ansicht, daß im Schuldrecht bei objektiver Anknüpfung an den Sitz derjenigen Partei, die die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen hat, es in Ausnahmsfällen aufgrund von § 1 Abs.2 IPRG auch zulässig sei, von der sogenannten Ausweichklausel ("clause d'echappement") Gebrauch zu machen. Auch Schwimann hat mehrmals zu diesem Grundproblem Stellung bezogen. In JBl 1979, 341 führt er aus, daß zwar grundsätzlich jene Rechtsordnung maßgebend sei, zu der die stärkste Beziehung bestehe, der Rechtsanwender müsse aber dies nicht im Einzelfall selbst herausfinden, das Gesetz habe ihm diese Arbeit weitestgehend abgenommen. Zu diesem Zweck habe es für einzelne typische Rechtsverhältnisse jeweils ein Tatbestandselement angegeben, das die stärkste Beziehung anzeige. In Rummel2 Rz 5 zu § 1 IPRG unterscheidet Schwimann: Immanente Widersprüche seien nach dem Grundsatz der stärksten Beziehung aufzulösen; bei Widersprüchen zu gesetzlich nicht konkretisierten Wertungen sollte Korrektur der Anknüpfungen nur in besonderen Ausnahmefällen und mit größter Vorsicht vorgenommen werden, wenn alle anderen Mittel zur Erzielung eines interessengerechten Ergebnisses im Einzelfall versagten. Auf diesen letzten Ausweg sollte man vor allem bei verfehlten gesetzlichen Anknüpfungen im internationalen Vermögensrecht (zB § 36 IPRG) nicht verzichten. Eine unbeschränkte Korrekturmöglichkeit in Form einer allgemeinen Ausweichklausel sei jedoch abzulehnen. In Rz 5 zu § 36 IPRG aaO führt Schwimann aus, von der vorgeschriebenen Anknüpfung an den Sitz der nicht geldleistenden Partei werde man nach § 1 Abs.1 IPRG Ausnahmen anerkennen müssen, wenn die Regel des § 36 IPRG entweder die charakteristische Leistung verfehlt oder aus anderen Gründen gegen den Grundsatz der stärksten Beziehung verstößt. Neben anderen hier nicht interessierenden Beispielen entspreche die gesetzliche Anknüpfung an den Sitz des Schuldners der charakteristischen Leistung nur dann der stärksten Beziehung, wenn Schuldnersitz und Erfüllungsort zusammenfallen, nicht aber auch dann, wenn die charakteristische Leistung außerhalb des Schuldnersitzlandes oder sogar typischerweise im Gläubigersitzland zu erfüllen sei. Bei solchen gläubigersitzgebundenen charakteristischen Leistungspflichten sei eine Anknüpfung an den Gläubigersitz in Erwägung zu ziehen, sei es im Wege einer eingestandenen Korrektur des § 36 IPRG durch das Prinzip der stärksten Beziehung, sei es versteckt durch Unterstellung einer Rechtswahl trotz tatsächlicher Nichterfüllung des Rechtswahltatbestandes, dies sei aber zur Wahrung der Methodenehrlichkeit nicht zu empfehlen (ebenso derselbe IPR 124). In FS Strasser 912 legt Schwimann dar, wenn der Erbringer der Sach- oder Dienstleistung seine Tätigkeit außerhalb des Staates ausübe, in dem er seinen Sitz habe, so werde die Anknüpfung an sein Sitzrecht zumindest zweifelhaft. Dies sei etwa dann der Fall, wenn der Erbringer der charakteristischen Leistung diese typischerweise am Gläubigersitz zu erfüllen hat. Es stelle sich dann die Frage nach möglichen Ausnahmen von der gesetzlich vorgesehenen Anknüpfung. Während eine solche in anderen Rechtsordnungen bei internationalen Vertragswerken vorgesehen sei, gehe das österreichische IPRG von der Fiktion aus, daß alle gesetzlichen Detailanknüpfungen Ausdruck des im § 1 Abs.1 IPRG ausgesprochenen Grundsatzes der Anknüpfung an die stärkste Beziehung seien; durch die vom IPRG erfaßten gesetzlichen Vertragstypen der §§ 36 ff IPRG seien daher Ausnahmen in Form einer Ausweichklausel nicht vorgesehen. Es sei im Prinzip überdies umstritten, ob konkrete Verweisungsvorschriften des IPRG im Einzelfall korrigiert werden dürfen, wenn sie dem im § 1 Abs.1 IPRG verankerten Grundsatz der stärksten Beziehung widersprechen. Wenn man solche Korrekturen ganz vorsichtig einsetze, dann werde man auf sie wohl nicht verzichten, wenn alle anderen Mittel zur Erzielung eines interessengerechten Ergebnisses im Einzelfall versagen.

Mänhardt, Kodifikation des österreichischen IPRG 39, schließt sich der Regierungsvorlage an, daß - ausgenommen Lückenfüllung - § 1 Abs.2 IPRG keine weitere den Grundsatz der engsten Beziehung ausführende normative Aussagekraft habe. Damit seien vor allem diejenigen enttäuscht worden, die gehofft hätten, hier ein Notventil zu finden, das die ordentliche Kollisionsnorm ausnahmsweise suspendiere, wenn die Umstände des Einzelfalles die Bestimmung zu einer anderen Rechtsordnung noch enger erscheinen ließen. In § 1 Abs.2 IPRG sollten vielmehr kraft unwiderlegbarer Vermutung die besonderen Rechtsanwendungsregeln als Ausdruck der engsten Beziehung erklärt werden und die abstrakte Regel der engsten Beziehung nur dort ins Spiel treten, wenn es keine besonderen Regeln gebe. Die konsequente Durchführung rechtsstaatlicher Prinzipien im internationalen Privatrecht lasse wohl auch keine andere Wahl. Für Edlbacher wäre es in seiner Besprechung des Handbuches des österreichischen internationalen Privatrechtes von Schwind in ÖJZ 1976, 530 für die Rechtssicherheit abträglich, wenn nicht kraft unwiderlegbarer Vermutung die besonderen Rechtsanwendungsregeln Ausdruck der engsten Beziehung seien und die abstrakte Regel nur dort ins Spiel trete, wenn es keine besonderen Regeln gebe. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht 342, kritisiert, daß die im § 1 IPRG Gesetz gewordene Formel alles und nichts besage, die "stärkste Beziehung" sei bloß eine Leerformel. Die eigentlich entscheidende Frage, was über die Stärke der Beziehung bestimme (die bewerteten kollisionsrechtlichen Interessen nämlich), bleibe offen. Als Hinweis, nach welchen Methoden nicht vorgegangen werden dürfe, sei eine solche Norm wenigstens unschädlich, wenn auch insoweit das Gesamtbild des Gesetzes genaueren und greifbareren Aufschluß geben werde. Als Grundlage einer aus ihr zu entwickelnden Ausweichklausel aber liefere sie auch kein nur annähernd sicheres Fundament. Denn auf der einen Seite werde die Gefahr des voreiligen Schlusses heraufbeschworen, bei einer stärkeren Beziehung könne sogleich ohne Berücksichtigung des kollisionsrechtlichen Trägheitsprinzips zu dem anderen Recht übergegangen werden. Auf der anderen Seite werde auch die Auffassung gedeckt, in den ausdrücklichen Verweisungsnormen sei diese stärkste Beziehung bereits unwiderleglich zu vermuten, sie seien darum in ihrem ganzen Umfang unantastbar. Damit würde die beabsichtigte Flexibilität wieder in Frage gestellt, und der Anwendungsbereich des Grundsatzes auf die "Lückenfüllung" reduziert werden.

Der erkennende Senat hat erwogen:

Soweit sich ein Teil der österreichischen Lehre auf die Ausführungen von Beitzke aaO stützt und darlegt, dieser erblicke in der Bestimmung des § 1 Abs.2 IPRG eine allgemeine Korrekturanordnung im Sinne einer Ausweichklausel, geschieht dies zu Unrecht. Beitzke plädiert nur dafür, daß § 1 Abs.2 IPRG nicht nur zur Lückenfüllung herangezogen werde, sondern auch dazu, die Kollisionsnorm verfeinernd weiterzuentwickeln. Er selbst schließt nur nicht aus, daß sich die Generalklausel (offenbar infolge Erwägungen anderer) zur Ausweichklausel entwickle. Kein Zweifel besteht, daß aus der Grundnorm des § 1 IPRG die Wertung des Gesetzgebers für alle Fälle der Schließung von Gesetzeslücken hervorgeht. Eine solche Lücke könnte auch dadurch entstehen, daß nach dem Inkrafttreten des IPRG sich kraft Parteiautonomie neue schuldrechtliche Vertragstypen herausbilden, an die der historische Gesetzgeber naturgemäß nicht denken konnte und bei der der Rechtsanwender zum Schluß kommt, wären sie ihm bekannt gewesen, hätte er ähnlich den Vorschriften der §§ 38 bis 44 IPRG Sonderanknüpfungsregeln geschaffen. Dann wäre eine teleologische Reduktion, worunter man den Gesetzeszweck unter Berücksichtigung der umfassenden Wertprinzipien nicht gegen einen zu engen, sondern gegen einen überschießend weiten Gesetzeswortlaut Raum verschaffen will (JBl. 1994, 264 mwN) in der Form durchaus am Platz, daß die Anwendung des § 36 IPRG auf solche neuen Vertragstypen ausgeschlossen wird. Insofern ist Hoyer in ZAS 1977, 171, durchaus zu folgen, daß durch eine solche Auslegung das System des internationalen Privatrechtes offen und für neue und dem historischen Gesetzgeber noch unbekannte Anknüpfungspunkte entwicklungsfähig bleibt. Diese Auslegung entspricht durchaus dem Grundgedanken des internationalen Privatrechtes, daß dieses seiner Natur nach immer unfertig und in Bewegung ist (Schurig aaO 175 mwN in FN 566). Eine andere Frage ist es aber, ob bei dem Gesetzgeber sehr wohl bekannten und geläufigen Vertragstypen wie dem Werkvertrag, bei dem es im Zuge der Freiheit der Dienstleistungen immer wieder dazu kommt, daß das Werk nicht im Staat des Sitzes des Unternehmers, sondern in einem Drittstaat oder wie hier im Staat des Werkbestellers herzustellen ist, der klare und eindeutige Gesetzeswortlaut durch eine sogenannte Ausweichklausel, deren Grundlage man im § 1 Abs.2 IPRG zu finden glaubt, einengt. Dies ist zu verneinen. Schurig aaO 201 f führt zutreffend aus, daß teleologische Reduktion jedenfalls nicht schon dann am Platz ist, wenn eine gesetzliche Kollisionsnorm im Einzelfall die Interessenkonstellation nicht mehr deckt. Man könne in einem solchen Fall nicht in die Interessenprüfung eintreten, als gebe es die positive Norm noch gar nicht, und deren Anordnung nur dann folgen, wenn die festgestellten Interessen mit den in der Norm vorausgesetzten voll übereinstimmen. Die Folge sei dann nicht nur Chaos, weil Rechtsanwendung im konkreten Fall nicht vorhersehbar wäre, sondern, da jedes Rechtssystem dem Rechtsunterworfenen durch Kontinuität ein Mindestmaß an Rechtssicherheit zu schaffen hat, die Gefährdung eben dieser Rechtssicherheit und wie hinzuzufügen sein wird, damit des Rechtsstaates überhaupt. Seiner Schlußfolgerung (aaO S.204) ist daher durchaus zu folgen. Anders als bei der Entwicklung von Kollisionsnormen für neu in den kollisionsrechtlichen Gesichtskreis der lex fori tretendes Sachrecht ist bei der Abkehr von einer bisher "geltenden" Kollisionsnorm, besonders aber auch beim Abgehen von jedweder "positiven" Regelanknüpfung wegen "Interessenschwundes" in einer konkreten Fallkonstellation das Trägheitsprinzip im Kollisionsrecht zu überwinden, das das erforderliche Maß an Kontinuität und Rechtssicherheit gewährleistet. Diese Auslegung ist für den zu entscheidenden Fall auch durchaus sachbezogen, stand es den Parteien primär frei, eine Rechtswahl zu treffen. Nahmen sie davon Abstand, hatte es bei der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung des § 36 IPRG, die den Parteien bekannt sein konnte und mußte, zu bleiben. Nach dieser ist aber eine Gesamtverweisung auf deutsches Recht am Platz.

Das IPRG ist gemäß § 5 Abs 1 vom Grundsatz der Gesamtverweisung beherrscht, die Verweisung auf die fremde (deutsche) Rechtsordnung umfaßt daher auch deren Verweisungsnormen. Dies gilt auch für die objektive Anknüpfung von Verträgen (Schwimann, Grundriß des IPR 39; Reithmann-Martiny, Internationales Vertragsrecht4 129). Der im Art 35 EGBGB ausdrücklich normierte Ausschluß einer Rück- oder Weiterverweisung ist für den vorliegenden Fall bedeutungslos, da der österreichische Gesetzgeber im Gegensatz zur deutschen Rechtslage eine Gesamt- und keine Sachnormverweisung bestimmt hat (vgl Hohloch in Erman, Handkomm zum BGB9, 2582; Reithmann-Martiny aaO 129; Kropholler, IPR2 158; Martiny in Münchener Komm2 1827), und es Sache des jeweiligen Gesetzgebers ist, ob er eine Gesamt- oder eine Sachnormverweisung festlegt (Schwind, IPR 47). Die vom österreichischen Gesetzgeber normierte Gesamtverweisung kann nicht durch eine vom deutschen Gesetzgeber normierte Sachnormverweisung derogiert werden.

Im deutschen Recht bestimmt Art.28 EGBGB, welches Recht mangels Rechtswahl anzuwenden ist. Ein solcher Vertrag unterliegt nach Abs.1 leg.cit dem Recht des Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist. Im Abs.2 leg.cit wird die gesetzliche Vermutung aufgestellt, daß der Vertrag die engsten Verbindungen mit dem Staat aufweist, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung zu erbringen hat, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihrer Hauptverwaltung hat. Ist der Vertrag in Ausübung einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Partei geschlossen worden, wird vermutet, daß er die engsten Verbindungen zu dem Staat aufweist, in dem sich deren Hauptniederlassung befindet oder in dem, wenn die Leistung nach dem Vertrag von einer anderen als der Hauptniederlassung zu erbringen ist, sich die andere Niederlassung befindet. Die widerlegliche Rechtsvermutung des Abs.2 leg.cit. würde also dazu führen, daß auf den vorliegenden Vertrag deutsches Recht Anwendung zu finden hat. Im Abs.5 leg.cit. ist allerdings normiert, daß die oben angeführte gesetzliche Vermutung nicht gilt, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, daß der Vertrag engere Verbindungen mit einem anderen Staat aufweist.

Nach § 3 IPRG ist fremdes Recht wie in seiem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden. Entscheidend ist daher die Anwendungspraxis, wenn diese keine eindeutige Antwort gibt, ist der herrschenden fremden Lehre zu folgen (VersR 1986, 1032; Schwimann in Rummel2, Rz 3 zu § 3 IPRG mwN). Soweit ersichtlich, gibt es eine deutsche Rechtsanwendungspraxis, ob es für die Widerlegung der Vermutung des Art.25 Abs.2 EGBGB ausreicht, daß die Werkleistung nicht am Sitz des Unternehmers, sondern in einem Drittstaat insbesondere in dem des Bestellers erfolgt, nicht. Es kommt daher auf die herrschende deutsche Lehre an. Werkverträge unterliegen bei Fehlen einer Rechtswahl nach Art.28 Abs.2 EGBGB dem Recht am Niederlassungsort bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort des Werkunternehmers, da dieser die charakteristische Leistung erbringt (Heldrich in Palandt53 2310 f). Dies gilt insbesondere auch für Bauarbeiten (Martiny aaO 1578; Schnitzer, Handbuch des IPR4 714; Reithmann-Martiny aaO 508). Für internationale Bauverträge gelten grundsätzlich die gleichen Regeln wie für Werkverträge. Auch bei Verträgen über die Errichtung oder Ausbesserung von Gebäuden ist nicht das Recht des "Baustellenlandes" zu berücksichtigen, sondern ist auch in solchen Fällen das Recht der charakteristischen Leistung maßgeblich, wo auch immer das Bauwerk errichtet wird (Reithmann-Martiny aaO 508). Die in der deutschen Literatur geäußerte gegenteilige Ansicht (zitiert in Reithmann-Martiny aaO 508 bzw in Martiny aaO 1578 FN 311), wonach dem Recht des Landes, in dem das Werk ausgeführt wird, der Vorrang zu geben sei, weil hiezu die engste Beziehung im Sinne des Art.28 Abs.5 EGBGB bestehe, stammt aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des (deutschen) Gesetzes zur Neuregelung des internationalen Privatrechts vom 25.7.1986, wodurch eben eine Neuordnung des intertemporalen und internationalen Privatrechts erfolgt ist. Die Entwicklung des deutschen internationalen Vertragsrechts, das erst seit 1986 im EGBGB gesetzlich geregelt ist, hat eben mehrere Stufen durchlaufen, haben sich die Anknüpfungen erst nach und nach entwickelt (siehe Martiny aaO 1490 und 1548), und kommt daher den auf Basis einer historischen gesetzlichen Regelung geäußerten, der Ansicht Martinys entgegenstehenden Lehrmeinungen nur mehr untergeordnete Bedeutung zu.

Es hat daher bei der Anwendung deutschen Rechts auf die vorliegenden Verträge zu bleiben. Demnach erweist sich der Rekurs der Beklagten im Ergebnis als nicht berechtigt. Es hat zwar bei der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Aufhebung des Ersturteils und dem Auftrag an das Erstgericht, nach Verfahrensergänzung neuerlich zu entscheiden, zu verbleiben, doch nicht aus den im Aufhebungsbeschluß genannten Gründen. Eine Wiederherstellung des Ersturteils - wie es die Rekurswerberin begehrt - ist mangels Anwendbarkeit österreichischen Rechts nicht möglich; vielmehr wird das Erstgericht über den Grund und die Höhe des Klagsanspruches Beweise aufzunehmen und unter Anwendung deutschen Rechts zu entscheiden haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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