OGH 3Ob538/94

OGH3Ob538/947.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Graf, Dr.Gerstenecker und Dr.Pimmer als weitere Richter in der Unterbringungssache des Herbert S*****, infolge Revisionsrekurses des Patientenanwalts Mag.Heinz Wagner, Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft, Geschäftsstelle Landesnervenkrankenhaus Graz, Graz, Wagner-Jaureggplatz 1, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgerichtes vom 3.Mai 1994, GZ 1 R 406/93-25, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 30.August 1993, GZ 40 Ub 350/93-16, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß er zu lauten hat:

"Die Unterbringung des Kranken im geschlossenen Bereich des Landesnervenkrankenhauses Graz in der Zeit vom 15.8.1993 bis 27.9.1993 wird für unzulässig erklärt."

Text

Begründung

Der Kranke, der schon zuvor wiederholt im Landesnervenkrankenhaus Graz stationär behandelt wurde, ist am 14.5.1993 über Bescheinigung des zuständigen Arztes erneut in dieses Krankenhaus gebracht worden. Nach Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens erklärte das Erstgericht mit dem rechtskräftig gewordenen Beschluß vom 7.6.1993 die Unterbringung des Kranken bis 14.8.1993 für zulässig. In einem am 12.8.1993 und daher nicht innerhalb der Frist des § 30 Abs 3 UbG beim Erstgericht eingelangten Schreiben teilte die zuständige Abteilungsleiterin diesem mit, daß sie die weitere Unterbringung für erforderlich halte. Der Kranke sei zwar gebessert und einigermaßen lenkbar. Im Fall der Aufhebung der Unterbringung sei aber ein längerfristiges Therapiekonzept nicht durchführbar, weil die Möglichkeit einer gewissen Lenkung nicht mehr gegeben sei, der Patient aller Wahrscheinlichkeit nach das Krankenhaus sofort verlasse und sich an keine Vereinbarung mehr halte.

Das Erstgericht entschied nach Durchführung des gesetzlichen Verfahrens, insbesondere einer mündlichen Verhandlung, daß die Unterbringung des Kranken im geschlossenen Bereich des Landesnervenkrankenhauses Graz bis zum 27.9.1993 zulässig sei. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:

Der Kranke war bei der am 30.8.1993 durchgeführten Verhandlung in psychischer Hinsicht bewußtseinsklar und in sämtlichen Qualitäten orientiert. Sein Gedankengang war formal geordnet, es bestanden keine Einschränkungen des logischen und abstrahierenden Denkvermögens. Inhaltliche Gedankenstörungen in Form von Halluzinationen oder Wahnsinnsideen waren nicht erfaßbar. Die Stimmungslage war indifferent.

Der Kranke leidet an einer chronisch verlaufenden Erkrankung aus dem schizoaffektiven Formenkreis, wobei jedoch bei der Untersuchung am 30.8.1993 keine floride Symptomatik erkennbar war. Er ist eher als kühl und emotionsarm einzustufen. Eine Kritik und Einsichtsfähigkeit in seine Krankheit ist nach wie vor nicht gegeben. Die bereits über Jahre bestehende (durch den Kranken hervorgerufene) exogene Belastungssituation ist für die depressive Verstimmung seiner Mutter verantwortlich. Bei weiterer Belastungen kann eine Verzweiflungstat der Mutter auf Grund der nicht mehr erträglichen Belastung nicht ausgeschlossen werden.

Rechtlich war das Erstgericht der Meinung, daß die Unterbringung der Kranken im geschlossenen Bereich zulässig sei, weil der Kranke, obwohl er darauf hingewiesen worden sei, daß seine Mutter durch sein Verhalten zu sehr belastet werde und eine Trennung vom Elternhaus daher unbedingt notwendig sei, erklärt habe, an den Wochenenden nach Hause zu seinen Eltern zu fahren. Es sei daher davon auszugehen, daß er den Kontakt zu dem Elternhaus nicht abbrechen werde, zumal ihm die Kritik- und Einsichtsfähigkeit in das Krankheitsgeschehen fehle. Es bestehe daher eine erhebliche Gefährdung seiner Mutter.

Der Aktenlage nach wurde die Unterbringung am 31.8.1993 beendet.

Das Rekursgericht bestätigte infolge Rekurse des Kranken und des Patientenanwalts den Beschluß des Erstgerichtes und sprach aus, das der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es stellte ergänzend folgendes fest:

Das Verhalten des Kranken, das er an den Tag legt, wenn er die verordneten Medikamenten nicht einnimmt, schafft jene exogene Belastungssituation, die für die angegriffene psychische Situation (depressive Verstimmung) der Mutter mit der aufgezeigten Möglichkeit der Verzweiflungstat verantwortlich ist.

Rechtlich war das Rekursgericht der Meinung, daß so lange eine ernste und erhebliche Gefahr für die Gesundheit der Mutter, wozu auch deren psychische Gesundheit gehöre, bestehe, als die Behandlung des Kranken nicht abgeschlossen und daher nicht gewährleistet sei, daß er die Mutter mit seinem Verhalten nicht über Gebühr belasten werde. Bei lebensnaher Betrachtung könne von der Mutter nicht verlangt werden, daß sie ihren Sohn nicht mehr in die Wohnung einlasse.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Patientenanwalt gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist trotz Ablaufs der Zeit, für welche die Unterbringung für zulässig erklärt wurde, zulässig (NRsp 1992/280; ÖAV 1988, 109; SZ 60/12 ua) und auch berechtigt.

Gemäß § 3 UbG darf in einer Anstalt nur untergebracht werden, wer

1. an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben und die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet und

2. nicht in anderer Weise insbesondere außerhalb einer Anstalt, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann.

Wie schon das Rekursgericht erkannte, rechtfertigt die bloße Behandlungsbedürftigkeit die Unterbringung nicht (JUS 1994/1504; 4 Ob 513, 514/93; 2 Ob 600/92; 7 Ob 610/91). Daß der Kranke ohne die Unterbringung sein eigenes Leben oder seine Gesundheit ernstlich und erheblich gefährden würden, ist nicht hervorgekommen. Es bleibt also die Gefährdung der Gesundheit seiner Mutter. Aus der Verwendung des Wortes "ausreichend" im § 3 Z 2 UbG ist jedoch abzuleiten, daß die Unterbringung nur gerechtfertigt ist, wenn die vom Kranken ausgehende Gefahr nicht anders als durch eine Unterbringung abgewendet werden kann (4 Ob 513, 514/93; 7 Ob 610/91). Nun sind aber die Vorinstanzen selbst davon ausgegangen, daß der Kranke bereit wäre, aus der Wohnung seiner Eltern auszuziehen. Die von ihnen angenommene Absicht, die Eltern am Wochenende zu besuchen, kann nicht einfach mit dem dauernden Aufenthalt des Kranken bei seinen Eltern gleichgesetzt werden. Es ist daher nicht erwiesen, daß die Mutter des Kranken ohne die Unterbringung weiterhin in ihrer Gesundheit ernstlich und erheblich gefährdet ist, weil angenommen werden kann, daß sich die Situation wesentlich bessern würde, wenn der Kranke mit seiner Mutter nur am Wochenende zusammenträfe. Zutreffend weist der Patientenanwalt in seinen Revisionsrekurs auch darauf hin, daß von der Mutter des Kranken zu verlangen ist, den Kontakt mit ihm weitgehend einzuschränken oder sogar abzubrechen, wenn dies notwendig und geeignet ist, die Gefährdung ihrer eigenene Gesundheit zu vermeiden, und wenn dies nicht zu einer ernstlichen und erheblichen Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit des Kranken führt. Dies ist hier aber nicht hervorgekommen.

Da somit die nach § 3 Z 2 UbG erforderliche Voraussetzung für die Unterbringung des Kranken nicht erfüllt gewesen ist, war die vom Erstgericht für zulässig erklärte Unterbringung für unzulässig zu erklären.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte