OGH 2Ob555/94

OGH2Ob555/9425.8.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 4.1.1990 geborenen Selina V*****, vertreten durch den Unterhaltssachwalter Magistrat V*****, Jugendamt, infolge Revisionsrekurses des Unterhaltssachwalters gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom 5.Mai 1994, GZ 2 R 194/94-17, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Villach vom 14.März 1994, GZ 10 P 90/92-14, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der am 16.11.1943 geborene Unterhaltsschuldner Rudolf L***** ist auf Grund eines am 26.1.1990 vor dem Magistrat V***** abgeschlossenen Vergleiches, dem ein monatliches Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen von 10.000 S zugrunde gelegt worden war, verpflichtet, seiner Tochter Selina monatlich 1.500 S an Unterhalt zu bezahlen.

Mit Antrag vom 27.8.1992 begehrte der Unterhaltssachwalter die Gewährung eines monatlichen Unterhaltsvorschusses von 1.500 S wegen Aussichtslosigkeit von Exekutionen gegen den Unterhaltsschuldner, weil dieser in keinem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis stehe und auf Grund der Aktenlage auch sonst einkommens- und vermögenslos sei; vielmehr erhalte er lediglich eine Sozialhilfe von monatlich 4.900 S.

Noch vor der Entscheidung über diesen Antrag teilte der Unterhaltssachwalter dem Erstgericht unter Anschluß eines ärztlichen Gutachtens vom 16.9.1992 mit, daß der Unterhaltsschuldner seit 25.7.1990 Sozialhilfe beziehe, weil er infolge wiederholter Arbeitsunfälle als Holzarbeiter nicht mehr in der Lage sei, schwere und solche Arbeiten auszuführen, bei denen es auf eine manuelle Geschicklichkeit ankomme. Möglich wären jedoch leichte Arbeiten im Sitzen, bei denen es auf manuelle Geschicklichkeit und auf Kraft nicht so ankomme.

Mit Beschluß vom 28.10.1992 bewilligte das Erstgericht für die Zeit vom 1.8.1992 bis 31.7.1995 monatliche Unterhaltsvorschüsse von 1.500

S.

In der Folge stellte das Pflegschaftsgericht Nachforschungen darüber an, ob der Unterhaltsschuldner Einkommen beziehe, doch verblieben diese ohne Ergebnis.

Die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter wies den Antrag des Unterhaltsschuldners auf Gewährung einer Invaliditätspension mit Bescheid vom 26.11.1992 ab. Seit 1993 bezieht der Unterhaltsschuldner eine monatliche Sozialhilfe in der Höhe von 5.070 S.

Ein gegen den Unterhaltsschuldner wegen § 198 Abs 1 StGB eingeleitetes Strafverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft nach § 90 Abs 1 StPO eingestellt. Dieser Entscheidung lagen Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen und eines Sachverständigen für Berufskunde zugrunde, wonach der Unterhaltsschuldner wegen schwerwiegender Unfallsfolgen und Behinderungen nach Arbeitsunfällen als Waldarbeiter nicht mehr eingesetzt werden kann, er kann nur mehr leichte Arbeiten verrichten. Auf Grund seines Alters, seiner schweren Verletzungen, seiner mangelnden Ausbildung und der aktuellen Arbeitsmarktsituation ist er am Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar. Am 22.2.1992 erhielt das Erstgericht Kenntnis von diesem Strafverfahren und von der Einstellung und veranlaßte am 7.3.1994 die Beischaffung des Strafaktes.

Mit Beschluß vom 14.3.1994 stellte das Erstgericht rückwirkend mit 1.8.1992 die Unterhaltsvorschüsse ein, weil nach den Ergebnissen des Strafverfahrens und wegen des geringfügigen monatlichen Einkommens des Vaters von 5.070 S begründete Bedenken bestünden, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht nicht bestehe.

Das vom Unterhaltssachwalter angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig.

Das Rekursgericht führte aus, das Erstgericht sei bei Bewilligung des Unterhaltsvorschusses offenbar von der Möglichkeit der Anspannung des Unterhaltsschuldners ausgegangen. Es sei nämlich nicht auszuschließen gewesen, daß es für den Unterhaltsschuldner eine Beschäftigung gebe, die den medizinischen Erfordernissen der leichten Arbeit im Sitzen gerecht werde. Die Bewilligung des Unterhaltsvorschusses habe nachträgliche amtswegige Erhebungen über die Einkommenslage des Unterhaltspflichtigen und die Gründe des Bezuges der Sozialhilfe nicht ausgeschlossen. Erst nach Beischaffung des Strafaktes habe das Erstgericht ausreichende Sachgrundlagen gehabt, um feststellen zu können, daß der Unterhaltsschuldner nicht vermittelbar war und sei. Zu Recht habe daher das Erstgericht zunächst die beantragten Unterhaltsvorschüsse bewilligt, sodann nähere Erhebungen eingeleitet und nach Vorliegen ausreichender Sachgrundlagen die Unterhaltsvorschüsse rückwirkend ab Eintritt des Einstellungsgrundes eingestellt.

Der ordentliche Revisionsrekurs wurde für zulässig erklärt, weil nach der Rechtsprechung eines Rekursgerichtes Unterhaltsvorschüsse nicht nachträglich wegen Arbeitslosigkeit herabgesetzt oder eingestellt werden könnten, wenn die Vorschüsse bereits in Kenntnis der Tatsache dieser Arbeitslosigkeit bewilligt wurden und zu dieser Rechtsfrage eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht vorliege.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs des Unterhaltssachwalters mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß der Beschluß des Erstgerichtes aufgehoben werde.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Rechtsmittel ist zulässig aber nicht berechtigt.

Der Unterhaltssachwalter vertritt in seinem Rechtsmittel die Ansicht, daß sich in den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Unterhaltsschuldners seit der Gewährung der Vorschüsse keine Änderungen ergeben hätten. Mangels geänderter Verhältnisse, welche den Weiterbezug der Unterhaltsvorschüsse nicht mehr rechtfertigten, sei die rückwirkende Einstellung der Unterhaltsvorschüsse zu Unrecht erfolgt; bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners seien die Grundsätze zur Anspannungstheorie außer Acht gelassen worden.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden:

Wie das Rekursgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, sind im Bewilligungsverfahren nach dem UVG amtswegige Erhebungen aus dem aus § 11 Abs 2 hervorleuchtenden Regelungszweck nur insoweit angemessen, als der Verdacht des Versagungsgrundes augenfällig ist und die Erhebungen ohne größere Verzögerungen durchführbar sind. Diese für das Bewilligungsverfahren geltenden Beschränkungen gelten aber für ein Verfahren zur Herabsetzung der Einstellung bewilligter Vorschüsse nicht. In einem Stadium, in welchem der Unterhalt des Minderjährigen durch Vorschußgewährung in gewissen Grenzen gesichert ist, kommt der Stoffsammlungsgrundsatz des § 2 Abs 2 Z 5 AußStrG voll zum Tragen, sodaß kein Widerspruch darin besteht, daß das Gericht trotz schlüssig begründbarer Zweifel gegen die Angemessenheit der titelmäßig festgelegten Höhe der Unterhaltsverpflichtung die beantragten Vorschüsse bewilligt, gleichzeitig aber von Amts wegen oder auf Antrag im Bewilligungsverfahren nicht durchführbare Erhebungen mit dem Ziel einer Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse einleitet (EvBl 1994/34 = EFSlg 69.486).

Gemäß § 20 Abs 1 Z 4 lit b UVG sind die Vorschüsse einzustellen, wenn sie nach § 7 Abs 1 zur Gänze zu versagen sind. Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat das Gericht Unterhaltsvorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 UVG begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend zu hoch festgesetzt ist. Der Versagungsgrund nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat nicht eine erwiesene oder bescheinigte materielle Unrichtigkeit der titelmäßigen Unterhaltsansprüche zur Voraussetzung, sondern knüpft die Rechtsfolge der Versagung (Herabsetzung oder Einstellung) an das Bestehen begründeter Bedenken gegen den aufrechten materiellen Bestand des zu bevorschussenden gesetzlichen Unterhaltsanspruches im titelmäßigen Ausmaß. Bloß objektiv gerechtfertigte Zweifel reichen zur Versagung nicht hin, vielmehr müßte schon eine zur Zeit der Schaffung des Exekutionstitels bestandene oder durch Änderung der Unterhaltsbemessungsgrundlagen inzwischen eingetretene Unangemessenheit der titelmäßigen Unterhaltsfestsetzung nach den bei der Entscheidung über einen Vorschußantrag zu berücksichtigenden Tatumständen mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein (EvBl 1994/43; 1 Ob 607/93). Sind die Voraussetzungen für eine Anspannung des Unterhaltsschuldners gegeben, liegen keine begründeten Bedenken im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG vor (EFSlg 66.648). Auch der Bezug der Sozialhilfe nach dem Kärntner Sozialhilfegesetz LGBl Nr 30/1981 in der derzeit geltenden Fassung ist für sich allein nicht geeignet, begründete Bedenken im Sinne der zitierten Gesetzesstelle zu erwecken. Gemäß § 4 Abs 1 des Kärntner Sozialhilfegesetzes hat nämlich einen Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes wer diesen für sich und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden und unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann. Die Art, das Ausmaß und die Dauer der Hilfe sind im Einzelfall unter Berücksichtigung des zumutbaren Einsatzes der eigenen Kräfte zu bestimmen (Abs 2). Demgegenüber hat aber der Unterhaltsschuldner alle seine Fähigkeiten und Kräfte zur Erlangung eines entsprechenden Einkommens einzusetzen (Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung, Rz 245). Es ist daher durchaus möglich, daß auch bei rechtmäßigem Bezug der Sozialhilfe die Voraussetzungen für eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen gegeben sind. Im vorliegenden Fall kann jedoch eine Anspannung des Unterhaltsschuldners nicht erfolgen, weil dieser in seinem früher ausgeübten Beruf als Waldarbeiter auf Grund schwerwiegender Unfallsfolgen und Behinderungen nach Arbeitsunfällen nicht mehr arbeiten kann und er auf Grund seines Alters, seiner Verletzungen, seiner mangelnden Ausbildung und der aktuellen Arbeitsmarktsituation mit seiner verbleibenden Arbeitsfähigkeit nicht mehr vermittelbar ist.

Zu Recht haben daher die Vorinstanzen gegründete Bedenken im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG gehabt, sodaß gemäß § 20 Abs 1 Z 4 lit b UVG die Vorschüsse (rückwirkend) einzustellen waren (SZ 63/122 ua).

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