Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Antrag, dem Kind für die Zeit vom 1. Mai 1993 bis 30. April 1996 monatliche Unterhaltsvorschüsse von S 1.740,-- zu gewähren, abgewiesen wird.
Text
Begründung
Der Vater des Kindes, seinem erlernten Beruf nach Schlosser, verbüßte vom 28. August 1990 bis 26. Februar 1993 eine Freiheitsstrafe. Dem Kind wurden für die Zeit vom 1. Oktober 1991 bis 28. Februar 1993 Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG gewährt. Am 12.3.1993, also etwa 14 Tage nach der Entlassung aus der Strafhaft, verpflichtete sich der Vater mit einem Vergleich zu monatlichen Unterhaltsleistungen von S 1.740,- -, was dem Regelbedarf des Kindes entspricht.
Am 18.5.1993 beantragte der Jugendwohlfahrtsträger namens des Kindes die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß den §§ 3 und 4 Z 1 UVG in Titelhöhe und führte zur Begründung aus, die auf das Arbeitseinkommen des Vaters geführte Exekution habe den laufenden Unterhalt nicht gedeckt.
Das Erstgericht bewilligte die beantragten Unterhaltsvorschüsse für die Zeit vom 1. Mai 1993 bis 30. April 1996.
Das Gericht zweiter Instanz gab dem vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien erhobenen Rekurs nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs unzulässig sei. Es stellte unter anderem fest, dem Vater hätten an der von ihm bei Abschluß des Unterhaltsvergleichs angegebenen Anschrift Gerichtssendungen nicht zugestellt werden können, er habe aber am 1. Juni 1993 bei einer Stahlbau-Kommanditgesellschaft im selben Ort eine Beschäftigung aufgenommen.
Rechtlich meinte das Rekursgericht, die Bestimmung des § 7 Abs. 1 Z 1 UVG verfolge das Ziel, die Auszahlung von Vorschüssen, die dem gesetzlichen Unterhalt nicht entsprechen, hintanzuhalten, was der Gesetzgeber mit dem Begriff „begründete Bedenken“ umschreibe. Eine der von der Rechtsprechung erarbeiteten Fallgruppen, die diesem Begriff zu unterstellen seien, sei der Zustand des Unterhaltsschuldners nach der Haftentlassung. Der Zeitraum, der diesem nach der Haftentlassung im Sinne der Anspannungstheorie zuzubilligen sei, um einen Arbeitsplatz zu finden, könne nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls bemessen werden. Bei Beurteilung dieser Frage habe das Rekursgericht auf das Kind begünstigende neue Umstände und Tatsachen selbst dann Bedacht zu nehmen, wenn sie erst nach Beschlußfassung durch das Erstgericht eingetreten sind. Wohl habe der Zeitraum vor der Haftentlassung des Unterhaltsschuldners bis zur Beschlußfassung durch das Erstgericht angesichts der Höhe des vereinbarten Unterhaltsbetrags begründete Bedenken gegen die Unterhaltspflicht in dieser Höhe auslösen können, mit Rücksicht auf die mittlerweile erfolgte Arbeitsaufnahme und das Verhalten des Vaters (vor allem die Angabe einer falschen Anschrift) sei aber die gänzliche Versagung der Unterhaltsvorschüsse nicht gerechtfertigt. Der Vater habe etwa drei Monate nach seiner Haftentlassung wieder eine Arbeit gefunden und sei bei Schaffung des Unterhaltstitels offenkundig davon ausgegangen, daß er den Unterhaltsbetrag auch werde leisten können. Ein Mißbrauch liege somit nicht vor.
Der vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gegen diesen Beschluß erhobene Revisionsrekurs ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Das Gericht zweiter Instanz hat den vom Rechtsmittelwerber ins Treffen geführten Versagungsgrund gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 UVG - begründete Bedenken gegen die in einem 14 Tage nach Entlassung des Unterhaltsschuldners aus der Strafhaft in der Dauer von zweieinhalb Jahren abgeschlossenen Vergleich festgesetzte Unterhaltspflicht - verneint, weil der Vater bei Vergleichsabschluß eine unrichtige Anschrift angegeben habe und am 1. Juni 1993 eine Beschäftigung in seinem erlernten Beruf aufgenommen habe. Zu Recht macht der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien dagegen geltend, daß gerade die vom Rekursgericht gegen die Bejahung des in Anspruch genommenen Versagungsgrunds ins Treffen geführten Umstände diesen nur erhärten:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 UVG hat das Gericht die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit - unter anderem - im Falle der §§ 3 und 4 Z 1 UVG begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht besteht. Dieser Versagungsgrund setzt nicht die offenkundige Abweichung des Unterhaltstitels von der (geänderten) materiellen Rechtslage voraus, sondern ordnet die Versagung der Unterhaltsvorschüsse für den Fall an, daß begründete Bedenken gegen die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht bestehen (3 Ob 544/92). Solche Bedenken sind dann gegeben, wenn nach der Sachlage bei der Entscheidung über den Vorschußantrag mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht schon bei der Schaffung des Titels unangemessen war oder infolge nachher eingetretener Änderung der Bemessungsgrundlagen unangemessen geworden ist (EvBl. 1993/34).
Der Vater des Kindes verpflichtete sich mit einem Vergleich zu Unterhaltsleistungen in Regelbedarfshöhe, obwohl er erst 14 Tage vorher eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zweieinhalb Jahren verbüßt hatte, zu der er unter anderem wegen Diebstahls verurteilt worden war (ON 7). Die Beschaffung eines Arbeitsplatzes begegnet in aller Regel größten Schwierigkeiten, wenn der Stellensuchende erst kurz vorher aus einer mehrjährigen Strafhaft - noch dazu wegen Diebstahls - entlassen wurde und überdies die bekannt angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt in Rechnung gestellt wird. Einem solchen Unterhaltsschuldner muß daher selbst bei Anspannung seiner Kräfte (§ 140 Abs. 1 ABGB) jedenfalls ein Zeitraum von mehreren Monaten für die Wiedereingliederung und vor allem für die Beschaffung eines Arbeitsplatzes, der ihn zu Unterhaltsleistungen und schon gar zu Leistungen in üblicher Höhe befähigt, zugebilligt werden. Folgerichtig muß dann aber auch mit hoher Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, daß ein solcher Unterhaltsschuldner innerhalb dieses Zeitraums außerstande ist, nennenswerte Unterhaltsleistungen zu erbringen, selbst wenn er sich - 14 Tage nach Haftentlassung und demgemäß ohne jedwede reale Grundlage - zu durchschnittlichen Einkünften entsprechenden Unterhaltsbeträgen verpflichtet hat.
Obgleich sich das Rekursgericht seinen Ausführungen zufolge durchaus zu diesen Grundsätzen bekennt, meinte es den ins Treffen geführten Versagungsgrund dennoch verneinen zu müssen, weil der Unterhaltsschuldner - was zugunsten des Kindes zu berücksichtigen sei, obschon erst nach der erstinstanzlichen Beschlußfassung eingetreten - wenig mehr als drei Monate nach der Entlassung aus der Strafhaft eine Beschäftigung aufgenommen hat, die ihn augenscheinlich zu den vergleichsweise übernommenen Unterhaltsleistungen befähigt. Dieser Umstand - den das Erstgericht der zeitlichen Abfolge entsprechend noch nicht berücksichtigen konnte - zeigt aber, worauf der Revisionsrekurswerber zutreffend hinweist, gerade im Gegenteil mit aller Deutlichkeit auf, daß begründete Bedenken gegen die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Beschlußfassung berechtigt waren, sodaß die Voraussetzungen für die ab 1. Mai 1993 bewilligten Unterhaltsvorschüsse bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben waren und seither nicht mehr gegeben sind, weil der Unterhaltsschuldner nach den rekursgerichtlichen Feststellungen nun über ein laufendes Arbeitseinkommen verfügt und daher ganz augenscheinlich zu den übernommenen (durchschnittlichen) Unterhaltsleistungen - mindestens im Exekutionsweg - verhalten werden kann.
Da gegen die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht jedenfalls begründete Bedenken bestehen, ob man nun zugunsten des Kindes berücksichtigt, daß der Unterhaltsschuldner (nach der erstinstanzlichen Beschlußfassung) eine Beschäftigung aufgenommen hat, oder diese Tatsache - weil sie sich gegen den Standpunkt des Kindes wendet - unberücksichtigt läßt, ist der Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß den §§ 3 und 4 Z 1 UVG in Stattgebung des Revisionsrekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien abzuweisen.
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