OGH 10ObS161/94

OGH10ObS161/9419.7.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Elmar Peterlunger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wilhelm Hackl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karl R*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr.Günter Philipp, Rechtsanwalt in Mattersburg, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6.April 1994, GZ 32 Rs 14/94-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 6.Oktober 1993, GZ 17 Cgs 1127/93h-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 27.Mai 1993 anerkannte die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt die Erkrankung, die sich der Kläger als Spritzlackierer zugezogen hatte, als Berufskrankheit gemäß § 177 Abs 1 ASVG, Nummer 41 der Anlage 1, stellte als Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles den 22.Juni 1992 fest und gewährte ausgehend von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % ab 23.Juni 1992 eine Versehrtenrente von monatlich S 3.195,50 als vorläufige Rente.

Der Kläger begehrt im vorliegenden Rechtsstreit auf Grund dieser Berufskrankheit eine Versehrtenrente im Ausmaß von 50 v.H. der Vollrente (zuzüglich Zusatzrente) im gesetzlichen Ausmaß, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtigerweise 50 % betrage.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger eine Versehrtenrente von 30 v.H. als Vollrente ab 23.Juni 1992 (in bescheidmäßiger Höhe) als Dauerrente zu gewähren und wies das Mehrbegehren auf Gewährung der Versehrtenrente von 50 v.H. der Vollrente samt Zusatzrente ab. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Bei dem am 18.November 1943 geborenen Kläger besteht eine histologisch nachgewiesene berufsbedingte allergische Alveolitis. Daneben finden sich in der Lunge eine inaktive postspezifische fibrös cirrhotische Oberlappenveränderung links, fibrös idurierte Spitzenherde rechts und geringe basale Adhäsionen links. Die narbigen Veränderungen in der Lunge bestehen nach einer nicht berufsbedingt durchgemachten Tuberkulose. Die bestehende Lungenerkrankung wurde durch chemisch-irritativ und toxisch wirkende Stoffe, denen der Kläger als Spritzlackierer ausgesetzt war, verursacht. Die durch die Berufskrankheit bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit wird mit 30 v. H., die sowohl durch die Berufskrankheit als auch durch die Tuberkulose insgesamt bewirkte Minderung der Erwerbsfähigkeit zwischen 40 und 50 v.H. eingeschätzt.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß die durch die Berufskrankheit bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers ab 23.Juni 1992 30 v.H. betrage; da der Endzustand der Berufskrankheit erreicht sei, sei eine Dauerrente von 30 v.H. der Vollrente zuzusprechen und das Mehrbegehren abzuweisen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Anspruch auf Versehrtenrente bestehe nur dann, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch eine Berufskrankheit um mindestens 20 v.H. vermindert sei (§ 203 Abs 1 ASVG). Bemessen werde die Versehrtenrente nach dem Grade der durch die Berufskrankheit herbeigeführten Minderung der Erwerbsfähigkeit (§ 205 Abs 1 ASVG). Lege man die Tatsachenfeststellungen der rechtlichen Beurteilung zugrunde, so sei im vorliegenden Fall durch die Berufskrankheit lediglich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers um 30 v.H. bewirkt worden. Die Überlegungen der Berufung zur "wesentlichen Bedingung" gingen am festgestellten Sachverhalt vorbei. Zwischen der Vorschädigung des Klägers (infolge Tuberkulose) und der Berufskrankheit bestehe keine funktionelle Wechselwirkung; sie würden sich auch nicht überschneiden. Nach dem Standpunkt des Berufungswerbers würde jede bestehende Vorminderung der Erwerbsfähigkeit wegen körperlicher Leiden durch den Versicherungsträger abzugelten sein, wenn eine Berufskrankheit hinzutrete. Die gesetzlichen Bestimmungen ließen eine solche weitgehende Auslegung nicht zu.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Unter Berufung auf die in der gesetzlichen Unfallversicherung herrschende Theorie der wesentlichen Bedingung vertritt der Kläger in seinem Rechtsmittel die Auffassung, daß die von der Beklagten zu entschädigende Minderung der Erwerbsfähigkeit insgesamt 50 v.H. betragen müsse. Stelle nämlich die Berufskrankheit eine wesentliche Bedingung für den Eintritt der gesamten Erwerbsminderung dar, so sei unerheblich, ob auf Grund eines anlagebedingten oder sonstigen nicht unter Versicherungsschutz stehenden Leidens das gleiche Krankheitsbild in der gleichen Schwere auch ohne Unfall früher oder später aufgetreten wäre; auch eine Teilung des eingetretenen Schadens in eine anlagebedingte und eine berufskrankheitsbedingte Quote komme nicht in Betracht. Entscheidend sei lediglich ob die Berufskrankheit eine wesentliche Mitbedingung für die vorgenannte Schädigung gewesen oder ob die krankhafte Veranlagung alleinige oder überragende Ursache gewesen sei. Dem kann nicht gefolgt werden.

Nach § 177 Abs 1 ASVG gelten die in der Anlage 1 bezeichneten Krankheiten unter den dort angeführten Bedingungen als Berufskrankheiten, wenn sie durch Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung in einem in Spalte 3 der Anlage bezeichneten Unternehmen - das sind bei der unter Nummer 41 bezeichneten Berufskrankheit "durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lunge mit objektiven Nachweis einer Leistungsminderung von Atmung und Kreislauf" alle Unternehmen - verursacht sind. Die in der gesetzlichen Unfallversicherung geltende besondere Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung ist sowohl auf Arbeitsunfälle als auch auf Berufskrankheiten anzuwenden. Nach dieser Theorie ist als Ursache unter Abwägung ihres Wertes im Verhältnis zu mitwirkenden Ursachen nur die Bedingung anzusehen, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen hat. Bei der Verursachung durch mehrere Ereignisse ist Kausalität zu bejahen, wenn eines davon den Kausalverlauf wesentlich mitbeeinflußt hat und der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Tritt eine Ursache gegenüber den anderen erheblich in den Hintergrund, fehlt die Kausalität. Die Rechtsprechung bezeichnet als wesentlich nur jene Bedingungen, ohne deren Mitwirkung der Erfolg zu einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur in einem geringeren Umfang eingetreten wäre (SSV-NF 6/30). Da für den als Anspruchsvoraussetzung erforderlichen Ursachenzusammenhang eine wesentliche Mitwirkung genügt, müssen die schädigenden Einwirkungen und als deren Folge die Erkrankung nicht allein durch die Beschäftigung im Unternehmen verursacht worden sein; auch außerberufliche Einflüsse können mitgewirkt haben, doch muß die versicherte Beschäftigung eine wesentliche Mitursache sein (Brackmann, Handbuch der SV II 58.Nachtrag 490 m II; SSV-NF 4/83, 5/22, 6/30 ua; zuletzt 10 Ob S 49/94).

Ein solcher wesentlicher Zusammenhang ist auch im vorliegenden Fall gegeben. Durch die in der Nummer 41 der Berufskrankheitenliste genannten Schadstoffe verursachte Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lunge gelten aber nach § 177 Abs 1 ASVG nur insoweit als Berufskrankheit, als sie durch Ausübung der die Versicherung begründeten Beschäftigung in einem Unternehmen verursacht sind. Es geht im vorliegenden Fall nicht darum, ob der bestehende Vorschaden (infolge der Tuberkulose) früher oder später zu derselben Folge (nämlich derselben Minderung der Erwerbsfähigkeit) geführt hätte wie die Berufskrankheit, sondern darum, inwieweit die gesetzliche Unfallversicherung für die Folgen der Berufskrankheit einzustehen hat. War durch ein vorheriges Leiden die Erwerbsfähigkeit bereits meßbar gemindert, so ist nicht die Gesamteinwirkung auf die Erwerbsfähigkeit, sondern nur die durch die Verschlimmerung verursachte Steigerung des Grades der Erwerbsunfähigkeit, also der Verschlimmerungsanteil an dem Gesamtzustand zu entschädigen. Im Fall der Verschlimmerung eines bestehenden Leidens durch beruflich bedingte Schädigungen wird das Gesamtleiden rechtlich in den beruflich bedingten und den davon unabhängigen, auf die Anlage bzw. Vorschädigung zurückzuführenden Teil zerlegt; der verschlimmerungsbedingte Anteil wird abgegrenzt und - unter Berücksichtigung des Vorschadens - allein entschädigt, da nur dieser der schädigenden Einwirkung zuzurechnen ist (Lauterbach, Unfallversicherung3 215; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit5 101 jeweils mwN ähnlich SSV-NF 7/111 mwN).

Nach den Feststellungen beträgt die beruflich bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers 30 v.H. Für die darüber hinaus bestehende, durch eine nicht dem geschützten Bereich zuzurechnende Tuberkulose verursachte Minderung der Erwerbsfähigkeit ist die Beklagte nicht entschädigungspflichtig.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an den unterlegenen Kläger aus Billigkeit wurden nicht dargetan und sind nach der Aktenlage nicht ersichtlich.

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