OGH 8ObA246/94

OGH8ObA246/9414.7.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Adamovic und die fachkundigen Laienrichter Reg.Rat Kubak und Mag.Retzer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Günther F*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Friedrich Krall, Rechtsanwalt in Kufstein, wider die beklagte Partei A*****, Österreichische Versicherung AG, ***** vertreten durch Dr.Karl G.Aschaber und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Feststellung (Streitwert 300.000 S), infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12.Jänner 1994, GZ 5 Ra 4/94-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 19.Oktober 1993, GZ 44 Cga 158/93h-9, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Den Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen mit 8.291,40 S bestimmten Teil der Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.381,90 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 10.1.1971 bis 30.1.1973 bei der Rechtsvorgängerin der beklagten Partei als Versicherungsvertreter angestellt und es stand ihm ein Dienstfahrzeug zur Verfügung. Am 11.9.1972 hat er bei einer Fahrt zu einem Kunden ein zweijähriges, über die Straße laufendes Kind schwer verletzt. Das Strafverfahren gegen ihn wurde eingestellt, in einem Zivilverfahren wurde seine Haftung und jene des Haftpflichtversicherers zur ungeteilten Hand für sämtliche Schäden aus dem Unfall festgestellt. Die für das Firmenauto zur Verfügung stehende Versicherungssumme wurde bereits zur Gänze in Anspruch genommen.

Mit Schreiben vom 13.5.1993 erhob der Geschädigte (erstmals) Ansprüche gegen den Kläger. Mit seiner am 2.7.1993 eingebrachten Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß ihm die beklagte Partei als Dienstgeberin sämtliche Zahlungen, die er auf Grund des Unfalles vom 11.9.1972 an den Geschädigten leisten müsse, zu ersetzen habe.

Das Erstgericht stellte die Verpflichtung der beklagten Partei gegenüber dem Kläger fest, ihm sämtliche Zahlungen aus dem Unfall vom 11.9.1972 an den am 26.7.1970 geborenen Geschädigten zu ersetzen.

Das Berufungsgericht gab der gegen das erstgerichtliche Urteil erhobenen Berufung der beklagten Partei teilweise Folge und verpflichtete sie zum Ersatz der Zahlungen des Klägers an den Verletzten nach Billigkeit gemäß §§ 2 und 3 Abs 2 DHG idF des BGBl 1965 Nr 80 und wies das Mehrbegehren ab.

Rechtliche Beurteilung

Da die Begründung der berufungsgerichtlichen Entscheidung zutreffend ist, genügt es, auf deren Richtigkeit hinzuweisen (§ 48 ASGG).

Darüber hinaus ist den Revisionswerbern zu erwidern:

1.) Zur Revision der beklagten Partei:

Das Feststellungsinteresse an einer Rückgriffsforderung ist schon im Falle der "Heranziehung" des Dienstnehmers zum Ersatz des Schadens zu bejahen (§ 3 Abs 1 DHG). Mag auch ein "Befreiungsanspruch" des Dienstnehmers bezweifelt werden, ist an der Feststellung der Haftung des (früheren) Dienstgebers ein rechtliches Interesse schon vor Entstehen des tatsächlichen Vergütungsanspruches durch tatsächlichen Ersatz gegeben (vgl Dirschmied, DHG3, 152). Dabei ist insbesondere auf die Dauerfolgen der Verletzungen des Unfallopfers Bedacht zu nehmen, deretwegen mit fortlaufenden weiteren Ersatzansprüchen gerechnet werden muß. Wegen des lange zurückliegenden Unfalls und der auch künftig zu erwartenden Ersatzforderungen des nunmehr 24 Jahre alten Geschädigten begegnet eine solche Feststellung den zu erwartenden Beweisschwierigkeiten (Koziol-Welser Grundriß I9, 185), und der Verjährung. Ein Verstoß der Feststellungsklage gegen die Grundsätze der Prozeßökonomie liegt nicht vor, sie dient vielmehr den Obliegenheiten des Dienstnehmers zur Streitverkündigung an den Dienstgeber. Solcherart können die Sachverhaltsvoraussetzungen für einen Rückgriff im Sinne des § 3 DHG auch im Interesse des Dienstgebers schon zu einem Zeitpunkt festgestellt werden, zu dem sich die Beweisschwierigkeiten nicht durch weiteren Zeitablauf noch zusätzlich vergrößert haben. Die Ansprüche des Klägers, für die die künftige Haftung der beklagten Partei festgestellt werden soll, sind nicht verjährt, denn die urteilsmäßig festgestellte Halterhaftung der Rechtsvorgängerin der beklagten Partei besteht 30 Jahre und der Rückgriffsanspruch des Klägers entsteht erst durch seine Schadenersatzleistung (SZ 49/19; Kerschner, DHG, Rz 22 zu § 3), sodaß die Frist des § 6 DHG noch keinesfalls abgelaufen ist.

Die weiteren Voraussetzungen des Rückgriffsanspruches nach § 3 Abs 2 DHG, nämlich die Schadenersatzleistung an den Dritten "im Einverständnis mit dem Dienstgeber oder aufgrund eines rechtskräftigen Urteils" werden erst im Falle eines konkreten Rückgriffsanspruches zu prüfen sein. Derartige, dem Schluß der Verhandlung erster Instanz nachfolgende Umstände wären erst in einem weiteren Feststellungsverfahren bzw im Verfahren über den Leistungsanspruch über Einwand des grundsätzlich Rückgriffspflichtigen als anspruchsvernichtende Umstände zu berücksichtigen. Daher bedarf es auch nicht eines weiteren Zusatzes im Urteil bzw eines Hinweises auf solche Umstände.

Zuzugeben ist der beklagten Partei, daß das gegen den Kläger ergangene Feststellungsurteil (C 367/73 des BG Kufstein) das im § 3 Abs 2 DHG erwähnte Urteil nicht ersetzt; der Kläger wird vielmehr vor künftigen Leistungen an den geschädigten Dritten das Einvernehmen mit dem beklagten Dienstgeber suchen müssen. Anderenfalls dürfte er nur auf Grund eines rechtskräftigen Urteils leisten, um seinen Rückgriffsanspruch zu wahren.

2.) Zur Revision des Klägers:

Das Berufungsgericht hat das Versehen des Klägers als im mittleren Bereich der leichten Fahrlässigkeit liegend ("minderer Grad des Versehens") beurteilt. Er kann sich hiedurch keinesfalls beschwert erachten, zumal er gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen hat.

Wenn der Kläger zusammenfassend ausführt, es könne ihm, wenn überhaupt, nur ein "minderer Grad des Versehens" zum Vorwurf gemacht werden (Seite 4 der Revision) so ist ihm - abgesehen von einer möglichen Verwechslung mit dem Begriff der entschuldbaren Fehlleistung - zu erwidern, daß der mindere Grad des Versehens (§ 2 Abs 1 DHG; § 1332 ABGB) ohnehin der leichten Fahrlässigkeit entspricht (Kerschner Rz 39 zu § 2 DHG mwN).

Das Berufungsgericht hat schließlich zutreffend erkannt, daß die Anwendung der Mäßigungskriterien des § 2 Abs 2 DHG im Sinne eines "Beweglichen Systems" (vgl F.Bydlinski-Rummel, ABGB2, Rz 13 zu § 6; Ostheim, Arbeitsrechtliche Aspekte des beweglichen Systems in F.Bydlinski ua (Herausgeber), Das bewegliche System 199 ff; Kerschner Rz 42 zu § 2 DHG) erst auf Grund der konkreten Verhältnisse im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung über bestimmte Rückgriffsansprüche erfolgen kann, weshalb im Feststellungsurteil derzeit noch kein bestimmtes Ausmaß einer Mäßigung angeführt werden kann. Die "relative" Unvollständigkeit der Feststellung, nämlich die Feststellung strittiger Teile des Rechtsverhältnisses, macht sie nicht unzulässig (vgl EvBl 1992/120, 511 = Arb 11.001; JBl 1990, 468).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 43 Abs 1 und 50 ZPO.

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