OGH 8Ob505/76 (8Ob506/76)

OGH8Ob505/76 (8Ob506/76)4.2.1976

SZ 49/19

Normen

ABGB §1304
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §255
ABGB §1304
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §255

 

Spruch:

Ein in seiner Erwerbsfähigkeit durch eine Körperverletzung Beschränkter muß sich auf seinen Anspruch auf Ersatz des Verdienstentganges anrechnen lassen, was er aus einem ihm zumutbaren Erwerb zu beziehen schuldhaft unterlassen hat

Dem Geschädigten, der entsprechend den Ausbildungsvorschriften den Beruf eines Malers erlernt und bis zum Unfall ausgeübt hat, ist eine Ersatztätigkeit als Portier nicht zuzumuten

OGH 4. Feber 1976, 8 Ob 505, 506/76 (OLG Wien 7 R 162/75; KG St. Pölten 26 Cg 175/74)

Text

Am 18. März 1964 führte der am 23. Dezember 1923 geborene Kläger als Malergehilfe des Franz S in der Halle I der Werksanlagen der Zweitbeklagten Malerarbeiten durch. Dabei stürzte er aus Verschulden des Erstbeklagten, eines Arbeiters der Zweitbeklagten, von einer Leiter aus etwa 5 Meter Höhe auf den Boden und wurde schwer verletzt. Der Erstbeklagte wurde wegen dieses Unfalles nach § 335 StG rechtskräftig verurteilt.

Mit Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten vom 11. Oktober 1969, GZ 2 Cg 75/67-36, wurden die beiden Beklagten unter anderem schuldig erkannt, dem Kläger ab 24. Juni 1969 eine Rente von monatlich 559.03 S zu bezahlen und es wurde den Beklagten gegenüber festgestellt, daß sie unter Gesamthaftung schuldig seien, dem Kläger allen aus dem oben angeführten Unfall entstandenen Schaden zu ersetzen. Dieses Urteil wurde in diesen Punkten sowohl vom Oberlandesgericht Wien als auch vom OGH bestätigt. Mit seiner am 30. Mai 1974 eingebrachten Klage begehrt der Kläger von den Beklagten nunmehr ab 1. Juni 1974 zusätzlich eine Rente von monatlich 600 S sowie (für die Monate April und Mai 1974) einen Betrag von insgesamt 1.200 S samt Anhang als - den geänderten Verhältnissen entsprechende - Differenz zwischen seinem tatsächlichen durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen von 4.841 S (Sozialversicherungsrenten) und dem durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen von 5.441 S, welches er ab 1. April 1974 bezöge, falls der Unfall nicht erfolgt wäre. Die Beklagten haben bestritten, und - unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Schadensminderungspflicht - eingewendet, daß dem Kläger die Ausübung eines Portierpostens möglich und zumutbar sei. Die Zweitbeklagte hat im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens dem Kläger in ihrem Unternehmen einen Posten als Portier zu einem Wochenlohn von 1.700 S angeboten und sich schließlich bereit erklärt, dem Kläger in unmittelbarer Nähe des Portierpostens auch eine entsprechende Wohnung zur Verfügung zu stellen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es ermittelte den Verdienstentgang des Klägers durch Gegenüberstellung des vom Kläger beziehbaren Verdienstes mit den am "Stichtag", 1. April 1974, bezogenen Sozialrenten. Es stellte auf Grund des medizinischen Sachverständigengutachtens fest, daß der Kläger körperlich und geistig zur Ausübung der angebotenen Portiertätigkeit geeignet sei, verneinte jedoch eine Verletzung der Schadensminderungspflicht durch Nichtannahme der Ersatztätigkeit.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und hob das Ersturteil unter Beisetzung eines Rechtskraftvorbehalts zum Verfahrensergänzung auf. Den Kostenrekurs des Klägers wies das Berufungsgericht zurück.

Es ging davon aus, daß dem Kläger trotz seines bis zum Unfall ausgeübten, erlernten Berufes als Maler die Tätigkeit eines Portiers bei der Zweitbeklagten zuzumuten wäre, billigte die Auffassung, daß der Kläger körperlich und geistig zur Ausübung dieses Berufes in der Lage sei, erachtete jedoch zur Beurteilung der Zumutbarkeit der Ersatzbeschäftigung weitere Feststellungen als erforderlich, und zwar insbesondere über die Höhe der Entlohnung, die dem Kläger bei Ausübung dieser Tätigkeit zukäme, über die Entfernung zwischen dem Wohnort des Klägers und dem angebotenen Arbeitsplatz, darüber, ob eine angemessene Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln existiere sowie allenfalls auch darüber, ob dem Kläger die Übersiedlung in eine entsprechende Wohnung in der Nähe des Arbeitsplatzes (Dienstwohnung?) zugemutet werden könnte.

Auch bei Verneinung der Zumutbarkeit der angebotenen Ersatzbeschäftigung sei das erstinstanzliche Verfahren ergänzungsbedürftig: Für die Zuerkennung der begehrten erhöhten Rente seien die Verhältnisse im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz maßgebend. Es seien für den maßgeblichen Zeitraum vom 1. April 1974 bis zum Verhandlungsschluß die Veränderungen in der Höhe der dem Kläger zugeflossenen Invaliditätspensionen und Versehrtenrenten ebenso zu berücksichtigen wie allfällige Erhöhungen des Verdienstes, den der Kläger ohne den Unfall erzielt hätte. In diesem Zusammenhang wies das Berufungsgericht auf aufklärungsbedürftige Divergenzen in den Beurteilungsgrundlagen hin und führte aus, daß auch die Höhe des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes näher zu klären sei.

Der Oberste Gerichtshof wies den Rekurs des Klägers, insoweit er die Zurückweisung des Kostenrekurses bekämpft, zurück und gab ihm im übrigen nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Ein in seiner Erwerbsfähigkeit durch eine Körperverletzung Beschränkter muß sich auf seinen Anspruch auf Ersatz des Verdienstentganges anrechnen lassen, was er aus einem ihm zumutbaren, von ihm aber ausgeschlagenen Erwerb zu beziehen schuldhaft unterlassen hat (ZVR 1961/177; 2 Ob 297/71 u. a.). Die Behauptungs- und Beweislast für die Verletzung der Schadensminderungspflicht durch den Geschädigten trifft den belangten Schädiger. Um eine Verletzung der Schadensminderungspflicht feststellen zu können, muß der Schädiger den Nachweis erbringen, daß der Geschädigte eine konkrete Erwerbsmöglichkeit (EvBl. 1965/127; ZVR 1971/126 u. a.) oder eine zu einer solchen konkreten Erwerbsmöglichkeit führende Umschulung ohne zureichende Gründe ausgeschlagen hat (vgl. 8 Ob. 259/71; 2 Ob 297/71 u. a.).

Im vorliegenden Fall haben die Beklagten dem Kläger den Posten eines Portiers bei der Zweitbeklagten zu bestimmten Bestimmungen angeboten. Ausschlaggebend ist zunächst die Frage, ob dem Kläger als gelerntem Facharbeiter die angebotene Ersatztätigkeit als Portier zumutbar war.

Für die Beurteilung der Zumutbarkeit reicht die Annahme, daß der Kläger zur Ausübung der Ersatzbeschäftigung körperlich und geistig in der Lage ist, nicht aus. Es kommt vielmehr auf die Verkehrssitte und dieUmstände des zu entscheidenden Falles an. Zu den für die Beurteilung der Zumutbarkeit maßgebenden Umständen gehören insbesondere die Berücksichtigung des erlernten und bisher ausgeübten Berufes mit dessen Aufstiegschancen; eine nennenswerte Verschlechterung der sozialen Lebensstellung und der Art seines Berufes muß der Geschädigte dabei nicht hinnehmen (vgl. 8 Ob 145/72; 8 Ob 110/73; Koziol, JBl. 1972, 233; Wussow, Das Unfallhaftpflichtrecht[12], Textziffer 1017). Wenn auch dem Berufungsgericht zuzugeben ist, daß die Bestimmungen des ASVG im Verhältnis der Beteiligten nicht unmittelbar anwendbar sind, so kommt der Bestimmung des § 255 ASVG i. d. F. der 9. Novelle (BGBl. 1962/13) für die Beurteilung der gesellschaftlichen Wertung der Tätigkeit eines gelernten Facharbeiters doch Bedeutung zu. Durch diese Novelle sollte, wie in der Begründung des Initiativantrages ausdrücklich ausgeführt, unter Berücksichtigung der technischen und wirtschaftlichen Weiterentwicklung und der dadurch erforderlich gewordenen grundlicheren Ausbildung des Facharbeiters auf dem Gebiete der Berufsunfähigkeit der Unterschied zwischen Angestellten und Facharbeitern weitgehend abgebaut werden (517 BlgNR, IX. GP). Andererseits wurde die Stellung des gelernten Facharbeiters, wie die Gegenüberstellung des Abs. 1 und des Abs. 3 leg. cit. deutlich macht, gegenüber jener des ungelernten Hilfsarbeiters außerordentlich herausgehoben. Diese vom Gesetzgeber selbst zum Ausdruck gebrachte Höherbewertung der Tätigkeit eines gelernten Facharbeiters gegenüber jener eines ungelernten Hilfsarbeiters kann bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Ersatzbeschäftigung im Sinne der eingangs wiedergegebenen Rechtssätze nicht unbeachtet bleiben. Hiezu kommt, daß eine entsprechend lange Ausübung der Tätigkeit eines Portiers unter Umständen zu einer pensionsrechtlichen Schlechterstellung des Klägers führen könnte. Unter diesen Umständen kann dem Kläger, der entsprechend den Ausbildungsvorschriften den Beruf eines Malers erlernt und bis zum Unfall ausgeübt hat, die Annahme eines ihm von der Zweitbeklagten angebotenen Portierpostens nicht zugemutet werden. Die vom Berufungsgericht herangezogene Entscheidung ZVR 1957/156 ist vereinzelt geblieben und im übrigen vor der 9. Novelle zum ASVG ergangen. Vergleichsweise sei noch darauf hingewiesen, daß in dem hinsichtlich der sozialen Bewertung derartiger Tätigkeiten vergleichbaren deutschen Rechtskreis ausgesprochen wurde, daß einem Bäckergehilfen, der als Facharbeiter anzusehen sei, nicht zugemutet würde, als ungelernter Arbeiter tätig zu sein (Wussow, Textziffer 1017). Schon aus der angeführten Erwägungen kommt - ohne daß auf die weiterer Rekursausführungen einzugehen gewesen wäre - eine Kürzung der Ansprüche des Klägers unter dem Gesichtspunkt der -Verletzung der Schadensminderungspflicht wegen Nichtannahme der angebotenen Ersatzbeschäftigung nicht in Betracht, so daß es der vom Berufungsgericht für erforderlich angesehenen Verfahrensergänzung in diesem Belange nicht bedarf.

Der Rekurswerber übersieht allerdings, daß das Berufungsgericht auch aus weiteren, die Beurteilungsgrundlagen der Rentenerhöhung betreffenden Gründen, zu denen der Rekurs nicht Stellung genommen hat, zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils gelangte. Die diesbezüglich wiedergegebene rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist zutreffend. Wenn aber das Gericht zweiter Instanz, die zur dargelegten rechtlichen Beurteilung erforderliche Tatsachengrundlage für widerspruchsvoll und ergänzungsbedürftig erachtet, so kann der OGH, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten.

Es hat daher bei der Aufhebung des Ersturteiles zu verbleiben. Zu den nach der Regelung des § 528 ZPO unanfechtbaren Entscheidungen des Gerichtes zweiter Instanz über den Kostenpunkt gehören auch jene, mit denen die zweite Instanz die Entscheidung über einen Kostenrekurs ablehnt. In diesem Umfange war daher der Rekurs des Klägers zurückzuweisen.

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