Spruch:
Es wird festgestellt, daß in Ansehung der strafgerichtlichen Anhaltung des Robert P***** vom 24.Mai 1993, 14.20 Uhr, bis 11.August 1993, 11.00 Uhr, die im § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind und keiner der im § 3 lit a und b StEG bezeichneten Ausschlußgründe vorliegt.
Text
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Robert P***** wurde am 11.Mai 1993 von der Bundespolizeidirektion Graz bei der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachtes der Vergehen der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 Abs 1 StGB und des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB angezeigt (ON 2). Am 17.Mai 1993 erließ der Untersuchungsrichter gegen ihn einen Haftbefehl (ON 5), auf Grund dessen Robert P***** am 24.Mai 1993, um 14.20 Uhr, festgenommen wurde (ON 7). Am 25.Mai 1993 verhängte der Untersuchungsrichter über ihn aus den Haftgründen des § 180 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit c StPO die Untersuchungshaft (S 104 und ON 10), wobei er ihn als dringend verdächtig bezeichnete, in Graz am 14. März 1992 bei der Polizei wissentlich falsch den Diebstahl seines PKW angezeigt und am 13.Mai 1992 unter Erstattung einer entsprechenden Schadensmeldung seiner Versicherung eine Ersatzleistung von 250.508 S betrügerisch herausgelockt zu haben.
Einer Haftbeschwerde des Robert P***** gab die Ratskammer mit Beschluß vom 9.Juni 1993 Folge und hob die Untersuchungshaft wegen Wegfalls der Haftgründe auf (ON 15).
Auf Grund einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft ordnete jedoch das Oberlandesgericht Graz mit Beschluß vom 1.Juli 1993, AZ 9 Bs 255/93 (= ON 19), die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den Haftgründen des § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit c StPO an.
Mit Urteil eines Einzelrichters vom 11.August 1993 (ON 25) wurde Robert P***** von dem wegen der bezeichneten Vergehen erhobenen Strafantrag gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen und um 11.00 Uhr enthaftet (ON 26).
Seinem - undifferenziert auf § 2 StEG gestützten - Antrag auf Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Entschädigung wegen der durch die strafgerichtliche Anhaltung erlittenen vermögensrechtlichen Nachteile (ON 29) gab die Ratskammer mit Beschluß vom 10.November 1993 (ON 33) nicht Folge. Über Beschwerde des Antragstellers hob das Oberlandesgericht die Entscheidung der Ratskammer mit Beschluß vom 5.Jänner 1994, AZ 10 Bs 490/93 (= ON 41), jedoch auf, weil die gemäß § 6 Abs 3 StEG vorgeschriebene Anhörung des Angehaltenen vor Beschlußfassung unterblieben war. Zugleich leitete die Instanz das Erstgericht an, den Antragsteller zu einer Präzisierung des Rechtsgrundes seines Entschädigungsbegehrens zu verhalten und wies es außerdem auf die Zuständigkeitsbestimmungen des § 6 StEG hin (S 251), nachdem im ersten Rechtsgang die Entscheidungskompetenz des Einzelrichters nicht beachtet worden war (Mayerhofer-Rieder Nebenstrafrecht3 E 4 a zu § 6 StEG).
In seiner daraufhin eingeholten Äußerung vom 18.April 1994 (ON 46) erklärte Robert P*****, daß er seinen Ersatzanspruch sowohl auf die lit a als auch auf die lit b des § 2 StEG stütze. Da er demnach implizit auch eine gesetzwidrige Verlängerung seiner strafgerichtlichen Anhaltung durch das Oberlandesgericht Graz zufolge dessen Haftbeschlusses vom 1.Juli 1993, AZ 9 Bs 255/93 (= ON 19), behauptet, hatte vorerst der Oberste Gerichtshof darüber zu befinden (§ 6 Abs 1 StEG), wobei in die Gesetzmäßigkeitsprüfung auch die Haftentscheidung des Untersuchungsrichters mit einzubeziehen war (Mayerhofer-Rieder Nebenstrafrecht3 E 7 d zu § 2 StEG; EvBl 1993/203).
Der Antrag ist berechtigt.
Mag auch der Tatverdacht auf Grund der polizeilichen Erhebungsergebnisse in Verbindung mit den Schlußfolgerungen des Privatgutachters Ing.B***** (ON 2) zunächst als dringend anzusehen gewesen sein, so haben doch sowohl der Untersuchungsrichter als auch das Oberlandesgericht die Haftgründe unrichtig beurteilt und somit die Anhaltung des Geschädigten gesetzwidrig angeordnet bzw verlängert (§ 2 Abs 1 lit a StEG).
Zur Fluchtgefahr
Diesen Haftgrund begründete der Untersuchungsrichter im Haftbefehl und im Beschluß auf Verhängung der Untersuchungshaft damit, daß auf Grund des Vorlebens und der zahlreichen Verurteilungen des Beschuldigten (auch im Ausland) die Gefahr bestehe, er werde sich in Verbindung mit der wegen des gegenständlichen Delikts zu erwartenden Strafe der Strafverfolgung durch Flucht entziehen (S 71, 106).
Damit wurden keine bestimmten Tatsachen aufgezeigt, die eine solche Gefahr hätten begründen können. Die durchwegs dem unteren Kriminalitätsbereich zuzuordnende Delinquenz des Beschuldigten ließ noch keineswegs ein Ausmaß der ihm mutmaßlich bevorstehenden Strafe prognostizieren, das schon für sich allein zur Befürchtung Anlaß geben konnte, er werde ungeachtet seiner familiären Bindungen und seines ersichtlich seit jeher bestehenden festen Wohnsitzes in Graz ins Ausland flüchten oder sich sonst verborgen halten. Ein Blick auf den Strafregisterauszug (S 11 bis 15) beweist vielmehr, daß Rudolf P***** für die örtliche Gerichtsbarkeit immer greifbar gewesen ist und in der letzten Dekade in Österreich nur zweimal zu Geldstrafen verurteilt werden mußte. Die internationale Kriminalmobilität und Ortsungebundenheit signalisierende Formulierung "zahlreicher Verurteilungen (auch im Ausland)" ist im übrigen irreführend, weil nur eine einzige ausländische Vorstrafe ausgewiesen ist.
Auch die ergänzende Argumentation des Oberlandesgerichtes schlägt nicht durch. Die stigmatisierende Bezeichnung des Beschuldigten als "amtsbekannter Zuhälter" lenkt von der Tatsache ab, daß er seit dem Jahre 1982 in Österreich nicht mehr einschlägig straffällig geworden und offenbar in der Lage ist, die ihm sich in Österreich bietenden Einkommensmöglichkeiten im Rahmen der Legalität wahrzunehmen, womit aus seiner Sicht ein Anlaß weniger gegeben war, die bestehenden Lebensverhältnisse durch eine Flucht aufs Spiel zu setzen. Solches ließen auch die italienische Verurteilung wegen Förderung der Prostitution, Zuhälterei und Gebrauch einer falschen Urkunde aus dem Jahre 1991 und die daraus abgeleiteten Auslandskontakte in Verbindung mit den zugestandenen häufigen Italienaufenthalten nicht als naheliegend vermuten. Im übrigen wäre, da - wie noch auszuführen sein wird - Tatbegehungsgefahr überhaupt nicht in Betracht kam und zum Zeitpunkt der Haftentscheidung des Oberlandesgerichtes eine Kautionsleistung bereits angeboten war (S 111, 117), die Haft insoweit gemäß §§ 180 Abs 5 Z 7, 190 StPO zwingend zu substituieren gewesen.
Zur Verdunkelungsgefahr
Für diesen Haftgrund wurden weder im Haftbefehl noch im Haftbeschluß des Untersuchungsrichters, der dazu nur den Gesetzeswortlaut zitierte, bestimmte Tatsachen angeführt. Angesichts der Sicherstellung und bereits erfolgten Untersuchung des PKW samt den dazugehörigen Schlüsseln bestand zudem keine konkrete Verschleierungsmöglichkeit mehr.
Zur Tatbegehungsgefahr
Auch dazu wird im Haftbefehl und im Haftbeschluß des Untersuchungsrichters nichts Substantielles dargetan. Die Vorverurteilungen wegen Vermögensdelikten liegen schon mehrere Jahrzehnte zurück und waren daher als haftindizierende bestimmte Tatsachen nicht mehr heranziehbar. Entgegen der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichtes sind das Vermögensdelikt des Betruges und gewinnsüchtig motivierte strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit (§§ 214 bis 217 StGB) nicht gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet. Der dafür maßgebende gleichartige verwerfliche Beweggrund "illegaler Bereicherung" begründet zwar eine gleiche schädliche Neigung (§ 71 StGB), vermag aber den geforderten Haftvoraussetzungen des § 180 Abs 2 Z 3 lit c StPO nicht zu genügen. Im übrigen schlossen schon die jahrzehntelangen Intervalle zwischen den - in diesem Sinn - einschlägigen Verurteilungen des Robert P***** die konkrete Gefahr einer Tatbegehung ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens aus.
Da somit die Haft gesetzwidrig angeordnet und verlängert worden ist, waren für die Gesamtdauer der strafgerichtlichen Anhaltung des Antragstellers die Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG festzustellen.
Der bei gesetzwidriger Anhaltung im Fall eines Freispruches allein in Betracht kommende Ausschlußgrund des § 3 lit a StEG liegt - entgegen der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft (S 201) - nicht vor, weil eine Feststellung der vorsätzlichen Verdachtsherbeiführung nicht getroffen werden kann.
Mit der Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 lit a StEG ist der - in die Entscheidungskompetenz des Einzelrichters fallende - Antrag des Robert P***** auf Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen (auch) nach § 2 Abs 1 lit b StEG gegenstandslos geworden.
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