OGH 8ObA226/94

OGH8ObA226/9419.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Jelinek und Dr.Rohrer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Reinhard Drössler und Gerhard Gotschy als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Werner B*****, vertreten durch Dr.Hellmut und Dr.Brigitte Weiser, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei S***** Fluglinie, ***** vertreten durch Dr.Renate Steiner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung des Fortbestandes eines Dienstverhältnisses (Streitwert S 500.000,-), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3.November 1993, GZ 32 Ra 101/93-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 27.Jänner 1993, GZ 24 Cga 138/91-27, bestätigt wurde,

1.) den

Beschluß

gefaßt:

Die Revision wird, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, verworfen;

2.) zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei, die mit S 19.069,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 3.178,20 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

1.) Die beklagte Partei rügt nunmehr erstmals im Revisionsverfahren, daß in erster Instanz ein Richterwechsel eingetreten sei (ein fachkundiger Laienrichter wurde ausgewechselt); das Verfahren sei deshalb nichtig, weil ungeachtet der Bestimmung des § 412 Abs 2 ZPO, der gemäß § 37 Abs 3 ASGG auch in Arbeitsrechtssachen anzuwenden sei, weder eine Verlesung des bisherigen Akteninhaltes noch ein Verzicht der Parteien auf die gesetzlich erforderliche Beweiswiederholung erfolgt sei.

Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung tritt Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO nur dann ein, wenn nach einem Richterwechsel während oder nach Abschluß des mündlichen Verhandlung von dem neuen Richter ohne jede Verhandlung entschieden wird. Nimmt der neue Richter an einer nach dem Richterwechsel anberaumten und durchgeführten Verhandlung teil, mag sie auch den Voraussetzungen des § 412 ZPO nicht entsprechen, dann ist die darauf beruhende Entscheidung niemals aus den hier geltend gemachten Grund nichtig, sondern höchstens mangelhaft zustandegekommen, was aber nur wahrgenommen werden kann, wenn dieser Umstand rechtzeitig nach § 196 ZPO gerügt wurde (6 Ob 59, 60/72; SZ 49/106 ua; Fasching, Komm III 781, ders, LB2 Rz 674).

Die beklagte Partei hat den Umstand des teilweisen Unterbleibens der Neudurchführung der Verhandlung (protokolliert ist nur der Beschluß auf Neudurchführung des Verfahrens und die Tatsache, daß die Parteienvertreter beantragen und vortragen wie bisher, nicht jedoch, daß der Akteninhalt verlesen wurde, s ON 25 S 1) wegen teilweisen Richterwechsels während des Verfahrens jedoch nicht sofort gerügt, sodaß weder die behauptete Nichtigkeit noch eine noch wahrzunehmende Mangelhaftigkeit des Verfahrens vorliegt (SZ 49/106 ua).

2.) Da die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes zutreffend ist, genügt es, auf diese zu verweisen (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist auszuführen:

a) Auf die von der Revisionswerberin als sekundären Verfahrensmangel gerügte angeblich unrichtige Handhabung des Begriffes der Notorietät ist zu erwidern, daß es sich hiebei um keine Tatsachenfeststellung handelt. Aus den Ausführungen des Berufungsgerichtes, es sei allgemein bekannt, daß das IATA-Kartell in den letzten Jahren erhebliche Auflösungserscheinungen gezeigt habe, was dazu führe, daß das IATA-Reglement nur mehr augenzwinkernd befolgt werde, sodaß vor diesem Hintergrund in Verbindung mit der Erreichung der Umsatzziele die Aussage des Klägers erhöhte Glaubwürdigkeit gewinne, geht deutlich hervor, daß es sich hiebei nur um eine Hilfstatsache im Rahmen der Würdigung der Aussage des Klägers handelt, daß die ihm zur Last gelegte Vorgangsweise üblich gewesen sei: Das Berufungsgericht hat auch aus diesem Grund die Aussage des Klägers für glaubhaft erachtet und die Beweiswürdigung des Erstgerichtes als unbedenklich übernommen. Im Revisionsverfahren ist daher von der unbekämpfbaren Tatsachenfeststellung auszugehen, daß die dem Kläger vorgeworfene Vorgangsweise bei Verschaffung kostenloser oder verbilligter Flugtickets üblich war.

b) Unter diesen Umständen kann das vom Kläger im Interesse und mit stillschweigender wohlwollender Duldung der beklagten Partei gesetzte, formal weisungswidrige unkorrekte Verhalten keinen Entlassungsgrund bilden, so lange ihm die beklagte Partei nicht ernstlich vor Augen geführt hatte, daß sie sich von ihrer bisherigen, wenn auch nicht offiziellen Verkaufspolitik zu distanzieren gedenke und ab nun Wert darauf lege, daß die IATA-Bedingungen voll eingehalten werden. Als diese Änderungen der Verkaufspolitik dem Kläger unmißverständlich als wahrer Wunsch der Firmenleitung vor Augen geführt wurden, unterließ er die beanstandete Vorgangsweise. Es hätte dem Zweck der damaligen - kartellwidrigen - Politik der beklagten Partei widersprochen, wäre der Kläger offiziell an die Zentrale herangetreten und hätte die von seinem Wiener Vorgesetzten nicht nur geduldete, sondern in etlichen Fällen ausdrücklich geforderte Vorgangsweise dort angezeigt; dann wäre es der beklagten Fluggesellschaft schwer möglich gewesen, gegenüber der IATA "den Schein zu wahren".

c) Daß der Kläger die von Fluggesellschaften und Reisebüros angeforderten Formulare, deren kartellwidrige Verwendung diesen bekannt war oder die sie zumindest in Kauf nahmen, zum Teil selbst paraphierte, ist unerheblich. Er konnte und durfte unter diesen Umständen auch bei objektiver Betrachtungsweise mit deren Zustimmung zur Paraphierung rechnen, war ihnen doch bekannt, daß diese von ihnen dem Kläger übersandten Blankoformulare möglicherweise dazu verwendet würden, Personen, die nicht Angehörige ihrer Organisation (also nicht Angestellte dieser Fluglinie oder dieses Reisebüros) waren, zu kostenlosen oder stark verbilligten Flugtickets zu verhelfen. Wären sie nicht damit einverstanden gewesen, hätten sie die Übersendung der Formulare wohl abgelehnt; die hilfsweise Paraphierung durch den Kläger ersparte in diesen Fällen nur deren zeitaufwendiges Hin- und Herschicken.

Ist jemand bereits zur Zeit der Herstellung der Urkunde ausdrücklich oder konkludent ermächtigt, einen anderen in der Abgabe der Erklärung oder der Leistung der Unterschrift zu vertreten und unterfertigt er oder paraphiert er in Ausübung der ihm erteilten Vollmacht mit dem Namen des anderen, so entsteht eine echte Urkunde, sofern nicht - was hier nicht der Fall ist - eine eigenhändige Unterfertigung erforderlich ist und die Zeichnung mit fremdem Namen nicht eine Identitätstäuschung bezweckt (JBl 1985, 375 ua). Eine strafrechtlich relevante Urkundenfälschung iSd § 223 Abs 1 StGB scheidet daher aus. Die Notwendigkeit eines Schutzes der Allgemeinheit vor Ermächtigung zur Ergänzung von Blankoformularen oder zur Unterfertigung in fremden Namen muß verneint werden; die Paraphierung durch den Kläger bezweckte keine Identitätstäuschung; ob die betreffenden Fluglinien oder Reisebüros durch ihre eigene Unterschrift oder Paraphierung dazu beitrugen, das IATA-Kartell darüber zu täuschen, welche Personen mit den kostenlosen oder verbilligten Tickets fliegen, oder ob sie die Paraphierung durch einen Dritten duldeten, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.

d) Der Kläger hat nicht im Eigeninteresse und auch nicht im Interesse befreundeter Personen, sondern im geduldeten Interesse der beklagten Partei verkaufspolitisch interessante Personen mit kostenlosen oder verbilligten Flugtickets versorgt; dadurch sollte insgesamt eine Umsatzsteigerung bewirkt werden und wurde auch bewirkt; daher liegt in dieser Vorgangsweise kein die Entlassung rechtfertigender Vertrauensbruch. Daß sich der Kläger hiedurch nach der damaligen Verkaufsstrategie der beklagten Partei als besonders tüchtiger Mitarbeiter erwies, kann ihm nun - nach Änderung dieser Verkaufspolitik - nicht zum Nachteil gereichen.

e) Die dem Kläger vorgeworfene - völlig andersartige - Manipulation im Zusammenhang mit der Verschaffung verbilligter Hin- und Rückflugtickets nach Lissabon im April 1991 - die dieser nach Vorhalt unterließ - kann nicht dazu führen, daß er verpflichtet gewesen wäre, von sich aus seinen neuen Wiener Vorgesetzten von anderen formell weisungswidrigen, bisher aber wohlwollend geduldeten Vorgangsweisen zur Verkaufsförderung zu informieren; eine gerechtfertigte Entlassung hätte auch unter Beachtung dieses Aspekts zur Voraussetzung gehabt, daß dem Kläger vorher eindeutig klargemacht worden wäre, daß die beklagte Partein in Hinkunft ein derartiges Vorgehen nicht mehr "augenzwinkernd" wohlwollend zu dulden gedenkt, sondern verbietet.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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