European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0140OS00065.9400000.0517.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Gabor H* wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Über Gabor H* wurde im oben bezeichneten Strafverfahren am 23.September 1993 wegen des Verdachtes des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB aus den Haftgründen der Flucht‑ und Tatbegehungsgefahr nach § 180 (Abs 1 und) Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b (infolge eines offensichtlichen Versehens auch nach dem hier nicht anzuwendenden § 180 Abs 7) StPO die Untersuchungshaft verhängt (ON 6).
Seinen Enthaftungsantrag vom 3.November 1993 (ON 24) wies die Ratskammer mit Beschluß vom 18.November 1993 (ON 28) ab. Eine Ausfertigung der Entscheidung wurde dem Verteidiger des Angeklagten am 23.November 1993 zugestellt (S 120).
In der gleichfalls an diesem Tage durchgeführten Hauptverhandlung wurde H* (nur) des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig erkannt, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt (ON 29 und 31) und über Anordnung des Einzelrichters noch am selben Tag enthaftet (ON 36).
Seine gegen den Beschluß der Ratskammer am 1.Dezember 1993 erhobene Beschwerde (ON 40) wies das Oberlandesgericht mit Beschluß vom 18.Jänner 1994 zum AZ 25 Bs 9/94 (= ON 49 des Vr‑Aktes) im Hinblick auf die zwischenzeitig erfolgte Enthaftung mangels Beschwer zurück.
Am 7.Dezember 1993 brachte Gabor H* die an den Obersten Gerichtshof gerichtete, diesem jedoch erst am 26.April 1994 vorgelegte Grundrechtsbeschwerde ein, in der er sich einerseits gegen die Entscheidung der Ratskammer (ON 28) wendet, zum anderen aber unter Bezugnahme auf § 2 Abs 2 GRBG die Enthaftungsverfügung vom 23.November 1993 als verspätet ‑ und daher grundrechtsverletzend ‑ releviert.
Zur Beschwerde gegen den Ratskammerbeschluß:
Nach den zum hier maßgebenden Zeitpunkt geltenden Bestimmungen der Strafprozeßordnung stand dem Beschwerdeführer gegen den Beschluß der Ratskammer gemäß § 195 Abs 7 StPO ‑ an sich ‑ die binnen vierzehn Tagen zu erhebende Beschwerde an das Oberlandesgericht offen. Die noch am Tag der Zustellung des Ratskammerbeschlusses ‑ und damit innerhalb der Rechtsmittelfrist ‑ vorgenommene Enthaftung hatte aber, weil das Oberlandesgericht, anders als nach § 179 Abs 6 StPO nF zur Feststellung einer allfälligen Gesetzesverletzung nicht verhalten war, den Wegfall des speziellen Rechtsschutzinteresses zur Folge. Damit war eine Beschwerdeerhebung mangels Beschwer unzulässig und der Instanzenzug erschöpft, sodaß der Beschluß der Ratskammer unmittelbar mit Grundrechtsbeschwerde angefochten werden konnte.
Dieser ‑ rechtzeitig erhobenen - Grundrechtsbeschwerde, mit welcher das Vorliegen aktenmäßiger Grundlagen für die Annahme gewerbsmäßiger Tatbegehung im Sinne des § 130 erster Fall StGB bestritten und die Unverhältnismäßigkeit der Dauer der Untersuchungshaft behauptet wird, kommt indes keine Berechtigung zu.
Ob die von der Ratskammer für die Annahme gewerbsmäßiger Begehungsweise des verfahrensgegenständlichen Diebstahls angegebenen Gründe nach der Aktenlage tragfähig sind, kann dahingestellt bleiben, weil die Verhängung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft auch unter dem Aspekt des von H* zugestandenen Tatvorwurfes des (einfachen) Diebstahls nach § 127 StGB aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 180 Abs 1 und Abs 2 Z 1 iVm § 452 Z 3 StPO nach Lage des Falles zunächst gerechtfertigt war. Dieser Haftgrund stellte sich angesichts dessen, daß H*, als ungarischer Staatsangehöriger und in Ungarn wohnhaft, über keinerlei Inlandsbeziehungen verfügte und nach der gemeinsam mit einem Komplizen gezielt in Österreich verübten Tat mit der Diebsbeute an der Staatsgrenze unmittelbar vor der Ausreise nach Ungarn betreten wurde, als in einem Maße gefestigt dar (§ 180 Abs 3 StPO), daß der Zweck der Untersuchungshaft durch die Anwendung gelinderer Mittel vorerst nicht erreicht werden konnte. Die Dauer der bis zum Zeitpunkt der Ratskammerentscheidung erlittenen Untersuchungshaft (von knapp zwei Monaten) war auch bei Zugrundelegung nur der Strafdrohung des § 127 StGB (Geldstrafe bis 360 Tagessätze oder Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten) noch nicht als "offenbar unangemessen" (§ 193 Abs 2 StPO aF) anzusehen. Dies selbst dann nicht, wenn man bei der Prognostizierung der zu erwartenden Strafe auch die Möglichkeit einer bedingten Strafnachsicht berücksichtigte (vgl 14 Os 30/94), hängt die Beantwortung dieser Frage doch neben der hier vor der Hauptverhandlung noch nicht gegebenen vollständigen Kenntnis allfälliger (auch ungarischer) Vorstrafen weitgehend von einer auf Grund der Aktenlage allein nicht hinreichend zu beurteilenden Wohlverhaltensprognose ab, die nicht zuletzt auch mit dem persönlichen Eindruck im Zusammenhang steht, den der Angeklagte auf das mit der Straffindung befaßte Gericht hinterläßt.
Durch die Entscheidung der Ratskammer wurde daher der Beschwerdeführer im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Der in der Beschwerde abschließend erhobene Vorwurf, daß der Beschluß der Ratskammer seinerseits verspätet ergangen sei, ist schon deshalb unberechtigt, weil die Ratskammer über den ihr am 15.November 1993 vorgelegten Enthaftungsantrag (vgl ON 25) bereits am 18.November entschieden hat, ein solcher Einwand aber in diesem Zusammenhang nur dann relevant wäre, wenn eine der Ratskammer anzulastende Verspätung der Beschlußfassung eine zur Unverhältnismäßigkeit der Haft führende Verfahrensverzögerung zur Folge gehabt hätte. Dies war aber hier schon im Hinblick darauf nicht der Fall, daß an jenem Tag, an dem der Enthaftungsantrag beim Erstgericht überreicht wurde (4.November 1993), bereits die Hauptverhandlung für den 23.November anberaumt worden war (ON 23).
Zur Beschwerde aus Anlaß der Enthaftungsverfügung:
§ 2 Abs 2 GRBG räumt dem im Grundrecht auf persönliche Freiheit vermeintlich Verletzten auch aus Anlaß einer die Freiheitsbeschränkung beendenden Entscheidung oder Verfügung die Möglichkeit ein, mit der Behauptung, daß die Entscheidung oder Verfügung zu spät getroffen worden sei, eine Überprüfung dieser Frage durch den Obersten Gerichtshof zu verlangen.
Die Behauptung, daß die Enthaftung des Beschwerdeführers durch den Einzelrichter verspätet angeordnet worden sei, blieb im vorliegenden Fall allerdings unsubstantiiert und ist daher einer sachbezogenen Erörterung nicht zugänglich. Im übrigen rechtfertigten bereits der dringende Tatverdacht nach § 127 StGB und der zu Recht angenommene Haftgrund der Fluchtgefahr ‑ wie dargelegt ‑ objektiv die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft, weil erst in der Hauptverhandlung sämtliche Entscheidungsgrundlagen, insbesonders auch für die Beurteilung, ob dem Angeklagten eine bedingte Strafnachsicht zu gewähren war, zur Verfügung standen. Die sogleich nach der Verurteilung (zu einer bedingten Freiheitsstrafe) getroffene Verfügung, den (anschließend in Schubhaft genommenen) Beschwerdeführer zu enthaften, war demnach nicht verspätet.
Da somit Gabor H* im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt ist, war seine Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
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