OGH 13Os77/94

OGH13Os77/9411.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Mai 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel und Dr. Mayrhofer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Czedik‑Eysenberg als Schriftführer in der bei dem Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 30f Vr 16126/93, Hv 2046/94 anhängigen Strafsache gegen Robert P* wegen des teils vollendeten, teils versuchten Mordes nach §§ 12, 75 und 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 24. März 1994, AZ 27 Bs 100/94 nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0130OS00077.9400000.0511.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Grundrechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

 

Rechtliche Beurteilung

Robert P* ist rechtskräftig in den Anklagestand versetzt. Ihm werden die Verbrechen des teils vollendeten, teils versuchten Mordes nach §§ 12, 75 und 15 StGB, der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB, des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßig schweren Diebstahls durch Einbruch unter Verwendung einer Waffe nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 2 und 4, 129 Z 12 und 4, 130 zweiter Fall und 15 StGB, des teils vollendeten, teils versuchten schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall und 15 StGB und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 StGB sowie das Vergehen nach § 36 Abs. 1 Z 1 und 4 WaffG vorgeworfen (Anklageschrift ON 39).

Seit 8.November 1993 befindet er sich gemäß § 180 Abs. 7 (§ 180 Abs. 1 und 2 Z 1 und 3 lit a bis c) StPO in Untersuchungshaft. Bei Eröffnung des Beschlusses hatte er nach Rechtsmittelbelehrung auf Beschwerde gegen die Verhängung der Untersuchungshaft verzichtet (S 259/I). Im vorliegenden Verfahren fand weder bis 31.Dezember 1993 eine Haftprüfungsverhandlung nach § 195 StPO aF noch seit 1.Jänner 1994 eine Haftverhandlung nach §§ 181, 182 StPO nF statt, weil nach Anberaumung einer Haftverhandlung für den 25.Februar 1994 am 23.Februar 1994 der Beschuldigte durch seinen Verteidiger darauf verzichtet hat (ON 43).

Am 25.Februar 1994 faßte der Untersuchungsrichter einen längstens bis 25.März 1994 wirksamen (s Mayerhofer/Rieder3, ENr 2 zu § 77 StPO) Beschluß auf Fortsetzung der Untersuchungshaft (aus den bereits bei Verhängung der Untersuchungshaft angenommenen Haftgründen; ON 41; S 3 nn verso, 3 oo bis 3 pp verso des Antrags‑ und Verfügungsbogens), dessen schriftliche Ausfertigung am 3.März 1994 in der Geschäftsstelle einlangte (S 3 nn verso). Dieser Beschluß (samt Rechtsbelehrung, S 3 pp) wurde dem Beschuldigten am selben Tag eröffnet und ihm auch eine Ausfertigung übergeben (S 260/I), worauf er auf Beschwerde verzichtete. Am selben Tag wurde über Ersuchen des Verteidigers die Zustellung einer Beschlußkopie an diesen verfügt (S 3 nn verso).

Die Beschwerde des Verteidigers gegen den Beschluß auf Fortsetzung der Untersuchungshaft wurde vom Oberlandesgericht Wien (am 24.März 1994, 27 Bs 100/94; ON 48) im wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, infolge Verzichtes des Beschuldigten auf Rechtsmittel gegen die Fortsetzung der Untersuchungshaft sei eine Beschwerde dagegen ausgeschlossen.

Auch die gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes gerichtete Grundrechtsbeschwerde ist nicht zulässig. Sie erblickt die Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit darin, daß trotz Ablaufs der Haftfrist am 28.Februar 1994 ohne Vorliegen eines rechtswirksamen (rechtzeitigen) Fortsetzungsbeschlusses die Untersuchungshaft fortgesetzt werde. Dieser Beschluß sei erst durch das Einlangen in der Geschäftsstelle am 3.März 1994 wirksam geworden. Auch dessen Zustellung an den Beschuldigten selbst sei unzulässig gewesen, weshalb dieser nicht wirksam auf Rechtsmittel dagegen habe verzichten können.

Diese Ansicht ist verfehlt.

Gemäß § 179 Abs. 3 StPO ist (nunmehr ausdrücklich) der Beschluß auf Verhängung der Untersuchungshaft dem Beschuldigten selbst zu eröffnen und ihm jedenfalls auch zuzustellen. Daß gegen einen solchen dem Beschuldigten derart eröffneten Beschluß dieser ‑ auch ohne Befragung eines Verteidigers ‑ rechtswirksam auf Beschwerde verzichten darf (was P* auch getan hat) bezweifelt der Verteidiger inhaltlich seiner gesamten Rechtsmittelausführungen nicht.

Dieser Entscheidung über die Verhängung der Untersuchungshaft folgte in der Haftfrage im vorliegenden Fall gemäß der Übergangsregelung des Art VI Abs. 3 Z 2 StPÄG 1993 unmittelbar der schriftliche Beschluß auf Fortsetzung der Untersuchungshaft vom 25.Februar 1993. Die Voraussetzungen dafür sind andere als im § 181 Abs. 5 StPO nF: Denn nach dieser Gesetzesstelle kann der Beschuldigte auf die Durchführung einer bevorstehenden Haftverhandlung erst dann verzichten, wenn bereits zwei Haftverhandlungen stattgefunden haben, also bereits zweimal nach kontradiktorischer, parteienöffentlicher, in aller Regel in Anwesenheit des Beschuldigten durchgeführter Verhandlungen auf Fortsetzung der Untersuchungshaft entschieden wurde und diese Entscheidungen auch dem Beschuldigten kundgemacht worden sind (§ 182 Abs. 3 StPO).

Dem Beschuldigten konnte aber im vorliegenden (Übergangs‑)Fall der (erste) Beschluß auf Fortsetzung der Untersuchungshaft, zufolge seines Verzichts auf eine Haftprüfungsverhandlung, nicht im Anschluß an eine solche (gemäß § 182 Abs. 3 StPO) sondern nachdem der Beschluß vorher schriftlich nach der Aktenlage ergangen war nur durch (protokollierte) mündliche Verkündung (hier: samt Übergabe einer Beschlußausfertigung) bekannt gemacht werden. Nach dieser dem § 77 Abs. 1 StPO entsprechenden Bekanntmachung konnte der Beschuldigte (rechtswirksam) auf Beschwerde verzichten. Der Wortlaut des (die Zustellung regelnden) § 79 Abs. 2 StPO steht dem ebensowenig entgegen, wie die Bestimmungen der §§ 466 Abs. 1489 Abs. 1 StPO, die für den vorliegenden Fall nicht geltende Sonderbestimmungen enthalten.

Wohl aber war es später dem Verteidiger, angesichts des vorangehenden Rechtsmittelverzichts des Beschuldigten und gegen dessen zu Protokoll erklärten Willen, verwehrt aus eigenem Beschwerde an das Oberlandesgericht zu erheben. Dieses hat daher zu Recht schon diese Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen.

Gegenstand einer Grundrechtsbeschwerde kann nach § 1 Abs. 1 GRBG eine gerichtliche Entscheidung oder Verfügung nur nach Erschöpfung des Instanzenzuges sein. Wird (wie hier) der Instanzenzug (ausdrücklich durch den Beschuldigten) nicht ausgeschöpft ist die Ergreifung einer Grundrechtsbeschwerde (durch den Verteidiger) nicht zulässig.

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