OGH 10ObS102/94

OGH10ObS102/9426.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Edith Söllner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Martin Pohnitzer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ali V*****, ohne Beschäftigung, ***** wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr.Anton Rosicky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18.Jänner 1994, GZ 5 Rs 128/93-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 7. Oktober 1993, GZ 43 Cgs 43/93k-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit (§ 503 Z 2 ZPO) liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 leg cit).

Die rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes durch das Berufungsgericht ist richtig.

Das Geburtsdatum eines Versicherten, aus dem sich ergibt, ob er an einem Stichtag ein bestimmtes Lebensjahr vollendet hat, ist eine biologische Tatsache und kein Recht oder Rechtsverhältnis, welches den Regeln über das internationale Privatrecht unterliegt. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung SSV-NF 4/11 ausgesprochen, daß das Geburtsdatum eines Versicherten dem Tatsachenbereich zuzuordnen ist und die Richtigkeit des von den Vorinstanzen festgestellten Geburtsdatums des Versicherten im Revisionsverfahren nicht überprüft werden kann. Zu dieser Entscheidung wurde angemerkt (SoSi 1992, 41), daß sie in Sozialrechtssachen auf den ersten Blick etwas sonderbar klinge und auf einen in den letzten Jahren "relativ beliebten Trick" zurückzuführen sei, der im Zusammenhang mit den Altersgrenzen im Pensionsversicherungsrecht stehe: Es gebe (auch in Europa) Länder, in denen das Personenstandsrecht in den Dreißiger- und Vierzigerjahren unseres Jahrhunderts noch nicht sehr ausgefeilt gewesen sei, was dazu geführt habe, daß bei manchen Personen das Geburtsdatum (manchmal auch das Geburtsjahr) unklar sei. Dazu komme noch, daß es (zB in der Türkei) unter Umständen relativ einfach sein könne, ein Geburtsdatum amtlich berichtigen zu lassen und sich damit allenfalls auch mehrere Jahre älter zu machen als man bisher (laut Personenstandsurkunde) gewesen sei.

Die Geburtsdaten türkischer Versicherter können nach türkischem Personenstandsrecht nur auf Anordnung eines Richters berichtigt werden (Art 38 des türkischen bürgerlichen Gesetzbuchs vom 17.2.1926, zitiert bei Bergmann-Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Türkei S 22). Diese Bestimmung wurde aus dem schweizerischen Recht übernommen und entspricht dem Art 45 Abs 1 des schweizerischen ZGB. Nach türkischem Recht hat jeder Türke einmal im Leben die Möglichkeit, durch Gerichtsurteil bzw Beschluß (die türkische Sprache unterscheidet nicht genau zwischen dem Wort "Beschluß" und "Urteil") sein Geburtsdatum berichtigen zu lassen. Dies setzt eine entsprechende Klage voraus, die beim zuständigen Zivilgericht erhoben werden kann. Im Tenor der Entscheidung wird die Berichtigung des Personenstandsregisters angeordnet. Der Prüfungsmaßstab, den türkische Gerichte anwenden, ist großzügig. In der Regel zieht das Gericht ärztliche Gutachten bei, denen eine radiologische Altersbestimmung der Knochen zugrundeliegt, und verschafft sich einen Eindruck vom äußeren Erscheinungsbild des Klägers. Meistens reicht es aus, wenn Zeugen bestätigen, daß sich ein Verwandter oder Bekannter an das Geburtsdatum erinnert. Die Entscheidungsgründe sind meistens wenig aussagekräftig, entsprechend kurz ist die Verfahrensdauer. Die großzügige Handhabung scheint insofern verständlich, als die Geburtsdatenänderung in der Türkei für das entscheidende Gericht, aber auch für viele andere staatliche Stellen in der Regel keine finanziellen Auswirkungen hat (Semperowitsch, Die Festlegung des Geburtstages bei türkischen Versicherten und die Auswirkungen auf das Recht der deutschen Rentenversicherung, Mitteilungen der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken 1989, 164 ff, 167). Die für den türkischen Sozialversicherungsträger geltenden Vorschriften des türkischen Sozialversicherungsgesetzes Nr 506 differenzieren bei der Frage des anzuwendenden Geburtsdatums zwischen Unfallversicherung und Rentenversicherung (Art 120). Für die Unfallversicherung ist in der Regel das Geburtsdatum maßgeblich, welches am Tage des Arbeitsunfalles oder der erstmaligen Feststellung der Berufskrankheit im Personenstandsregister eingetragen war. Bei der Anwendung der Bestimmungen der Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung ist hingegen das Geburtsdatum zugrundezulegen, welches beim Eintritt in die Versicherung im Personenstandsregister eingetragen war (Semperowitsch aaO 169). Nach der im bezogenen Artikel aaO dargestellten Rechtsprechung des deutschen Bundessozialgerichtes unterliegt die Berücksichtigung von ausländischen Registereintragungen im Bereich des Sozialrechts der freien Beweiswürdigung der deutschen Behörden und Gerichte; gleiches gilt für die Anerkennung des der berichtigten Eintragung zugrundeliegenden Urteils. Da dieses lediglich die Berichtigung des türkischen Personenstandsregisters anordne, könne es keine weiteren Wirkungen als die berichtigte Eintragung im türkischen Personenstandsregister selbst entfalten. Mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung hat sich das Bundessozialgericht gegen eine pauschale Ablehnung oder Übernahme des geänderten Geburtsdatums ausgesprochen und die skizzierte Problematik unter dem Aspekt der Einzelfallgerechtigkeit entschieden. Es wurde auch darauf verwiesen, daß zur Bestimmung des tatsächlichen Geburtsdatums bereits der Rentenversicherungsträger eine Reihe von Ermittlungen durchführen könne, wobei der durch die zusätzliche Ermittlungsarbeit gesteigerte Verwaltungsaufwand im Hinblick auf die bedeutsamen sozialen und finanziellen Auswirkungen für den Versicherten und die Rentenversicherung gerechtfertigt sein dürfte.

Für den österreichishcen Rechtsbereich ist zu bemerken, daß Eintragungen in den Personenstandsbüchern immer nur eine beurkundende, aber keine rechtsbegründende Wirkung haben. So ist etwa das Recht zur Führung eines bestimmten Familiennamens nicht eine Folge der Eintragung in den Personenstandsbüchern, sondern findet seinen Rechtsgrund in dem vom Gesetz über den Erwerb des Namens anerkannten Tatbestand, wie insbesondere Abstammung, Legitimation, Eheschließung, Annahme an Kindesstatt und Namensänderungen. Auch einer berichtigten Eintragung in einem Personenstandsbuch kommt keine größere Beweiskraft als einer gewöhnlichen Eintragung zu. Daher ist es auch nicht ausgeschlossen, den Nachweis zu erbringen, daß eine berichtigte Eintragung unrichtig ist, um die nochmalige Berichtigung durchzuführen. Der Eintragung als solcher kommt niemals Rechtskraftwirkung zu (so die Judikatur des VfGH, vgl VfSlg 9729/1983; Zeyringer, Das österreichische Personenstandsrecht [1992], 21 Anm 4 zu § 8 PStG).

Aus den bisherigen Überlegungen ergibt sich kein Einwand gegen die Richtigkeit der Annahme, daß das Geburtsdatum eines Versicherten allein dem Tatsachenbereich zuzuordnen ist. Demnach ist es Sache der Parteien und der Tatsacheninstanzen, welche Beweismittel zur Gewinnung der entsprechenden Tatsachenfeststellung herangezogen werden. Auch wenn der Beweis durch Vorlage einer öffentlichen Urkunde angetreten wird, ist, worauf schon die Vorinstanzen zutreffend hingewiesen haben, nach § 292 Abs 2 ZPO der Beweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges oder der bezeugten Tatsache oder der unrichtigen Beurkundung zulässig (vgl dazu näher Fasching ZPR2 Rz 953). Die Vorinstanzen sind auch zutreffend davon ausgegangen, daß auch ausländische öffentliche Urkunden in Österreich als öffentliche Urkunden angesehen werden, wenn ua formelle Gegenseitigkeit zwischen Österreich und dem Errichtungsstaat besteht. Der ausländische Staat muß eine österreichische öffentliche Urkunde bezüglich ihrer Beweiskraft den eigenen öffentlichen Urkunden gleichstellen; materielle Gegenseitigkeit dh Übereinstimmung des Umfanges der Beweiskraft in Österreich und im ausländischen Staat, wird nicht gefordert (Fasching aaO Rz 946; Kommentar III, 371 Anm 7 zu § 293 ZPO). Ob diese Grundsätze über den Urkundenbeweis vom Erstgericht zutreffend angewendet wurden, könnte nur unter dem Aspekt der Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz untersucht werden. Nach ständiger Rechtsprechung können aber auch in Sozialrechtssachen Mängel des Verfahrens erster Instanz, die in der Berufung nicht geltend gemacht wurden oder die vom Berufungsgericht als nicht gegeben erkannt wurden, in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (SSV-NF 1/32, 1/68 uva). Dies führt zu dem Ergebnis, daß die Richtigkeit des von den Vorinstanzen festgestellten Geburtsdatums des Klägers (5.4.1937) im Revisionsverfahren nicht mehr überprüft werden kann.

Die Beklagte führt in ihrer Rechtsrüge aus, daß öffentliche türkische Urkunden nach österreichischen innerstaatlichen Bestimmungen nur dann Rechtswirkungen entfalten könnten, wenn entsprechenden österreichischen Urkunden im gegebenen türkischen Rechtsbereich ebenfalls gleichartig bindende Bedeutung zukäme. Hier müsse aber davon ausgegangen werden, daß ein - nach Aufnahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung - österreichischerseits geändertes Geburtsdatum eines Versicherten durch die bereits zitierte Vorschrift des Art 120 des türkischen Sozialversicherungsgesetzes Nr 506 für die Prüfung versicherungsrechtlicher Anspruchsvoraussetzungen in der Türkei nicht herangezogen werden könnte. Nach Auffassung der Beklagten sei bei Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für die Invaliditätspension der gesamte sozialversicherungsrechtlich relevante türkische Normenkomplex, also auch der zitierte Art 120 heranzuziehen. Daraus folgert die Beklagte, daß die Berichtigung des Geburtsjahres des Klägers von 1939 auf 1937 deshalb in Österreich keine Bedeutung haben könne, weil sie auch im türkischen Sozialversicherungsrecht nicht anerkannt würde.

Dem ist nicht zu folgen. Insbesondere versagt der Hinweis auf die Bestimmung des § 9 IPRG über das Personalstatut einer natürlichen Person. Wie bereits oben dargelegt, geht es im vorliegenden Fall lediglich um die Tatsachenfeststellung des biologischen Geburtstages und nicht um ein nach irgendeiner Rechtsordnung zu beurteilenden Recht oder Rechtsverhältnis. Wird nun das Geburtsdatum eines Versicherten in Österreich mit einem bestimmten Tag festgestellt, ist es nicht zulässig, sich über diese Tatsachenfeststellung mit dem Hinweis darauf hinwegzusetzen, daß nach türkischen sozialrechtlichen Vorschriften von einem anderen Geburtsdatum auszugehen sei. Es besteht insbesondere keine Möglichkeit, den zitierten Artikel 120 des türkischen Sozialgesetzes zu einem Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung zu machen, und zwar weder nach den Bestimmungen des IPRG noch nach den Vorschriften des österreichisch-türkischen Sozialversicherungsabkommens. Eine solche Übernahme der türkischen Bestimmung würde auch zu dem mit dem Gleichheitssatz nicht zu vereinbarenden Ergebnis führen, daß zwar die Berichtigung des Geburtsdatums eines Österreichers im Bereich des Sozialrechtes Geltung finden müßte, nicht jedoch die eines türkischen Staatsbürgers. Wie schon das Erstgericht zutreffend bemerkt hat, ist der österreichischen Rechtsordnung ein "gespaltenes" Alter oder Geburtsdatum fremd ( so auch 22.3.1994, 10 Ob S 185/93).

Im vorliegenden Fall ist der rechtlichen Beurteilung die den Obersten Gerichtshof bindende Feststellung der Tatsacheninstanzen zugrundezulegen, daß der Kläger am 5.4.1937 geboren wurde und demzufolge am Stichtag das 55. Lebensjahr vollendet hatte. Daß er unter diesen Voraussetzungen den Anspruch auf Gewährung der Invaliditätspension nach dem hier noch anzuwendenden, durch die 51. ASVGNov, BGBl 1993/335, seit 1.7.1993 aufgehobenen § 255 Abs 4 ASVG erfüllt, ist nicht mehr strittig.

Daher ist der Revision nicht Folge zu geben.

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