European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0140OS00019.9400000.0426.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit dem angefochtenen Urteil wurden die türkischen Staatsangehörigen Sait K* (geb. am 19. Juni 1943), Necmiye K* (geb. am 9. November 1943), Serdar K* (geb. am 23. November 1970) und Sedat K* (geb. am 1. Juli 1973) des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafen verurteilt, weil sie am 28. Mai 1991 in Absdorf im bewußten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter der Fadime K* mit gegen sie ausgeübter Gewalt, indem Sait K* sie zu Boden stieß, sodaß sie auf dem Rücken zu liegen kam, Necmiye K* sich auf ihren Bauch setzte und Sedat, Serdar und Sait K* sie an Händen und Füßen festhielten, worauf ihr Sait K* sechs Goldringe von den Fingern zog, eine 2 m lange goldene Halskette vom Hals nahm und 10 goldene Armreifen teils über die Hand streifte, teils mit einer Zange abzwickte, wobei er sie leicht verletzte, fremde bewegliche Sachen im Gesamtwert von 72.500 S mit dem Vorsatz weggenommen hatten, sich durch die Zueignung dieser Schmuckstücke unrechtmäßig zu bereichern.
Der Privatbeteiligten Fadime K* wurde gemäß § 369 Abs 1 StPO ein Betrag von 5.000 S als Ersatz "für Schmerzen und Schaden durch Schmuckwegnahme" (US 15) zugesprochen.
Dieses Urteil bekämpfen die Angeklagten mit einer gemeinsam ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerd aus den Gründen der Z 1, 5, 5 a, 9 lit a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO; den Strafausspruch und den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche fechten sie mit Berufung an.
Zum erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund (Z 1) wenden die Beschwerdeführer an sich zu Recht ein, daß der Gerichtshof nicht gehörig besetzt gewesen sei, weil dem Senat entgegen der Vorschrift des § 28 Abs 2 JGG kein Schöffe des Geschlechtes des jugendlichen Angeklagten Sedat K* angehört hat. Dem Hauptverhandlungsprotokoll ist jedoch nicht zu entnehmen, daß dieser offenkundige Mangel sofort gerügt worden wäre, weshalb es an der formellen Voraussetzung zur Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes fehlt (§ 281 Abs 1 Z 1 zweiter Halbsatz StPO). Daß der Verteidiger eine sofortige Rüge deshalb unterließ, weil er diese Besetzungsvorschrift nicht kannte, ändert daran nichts.
Dem weiteren Einwand, das erkennende Gericht sei nach dem Urteilsspruch als allgemeines Schöffengericht (§ 13 Abs 2 StPO) und nicht als Schöffengericht in Jugendstrafsachen (§ 28 JGG) tätig geworden, ist durch die entsprechende Berichtigung des Urteils (ON 71) der Boden entzogen.
Mit dem Vorbringen in der Mängelrüge (Z 5), das Erstgericht habe durch die Unterlassung von Erkundigungen über die für den Eigentumserwerb maßgeblichen Bestimmungen des türkischen Zivilrechtes die ihm obliegende Verpflichtung zur amtswegigen Feststellung der Rechtslage verletzt, wird ein Begründungsmangel in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes in Wahrheit nicht aufgezeigt. Denn die von den Beschwerdeführern damit bekämpfte Urteilsfeststellung, wonach das Tatopfer Eigentum an den gegenständlichen Schmuckstücken erworben hatte, konnte das Erstgericht auf die für glaubwürdig erachteten und die zur Widerlegung der gegenteiligen Verantwortungen der Angeklagten geeigneten tatsächlichen Bekundungen der Zeugen Fadime K* (S 37, 340 ff, 355, 444 f), Mehmet A* (S 97, 358f, 363, 366) und Arif C* (S 387) sowie auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Andre G* (S 129, 245, 247) stützen (US 10), zumal die Beschwerdeführer keineswegs behauptet haben, daß die daraus gezogenen rechtlichen Schlußfolgerungen dem türkischen Recht wiedersprächen.
Auch die von den Beschwerdeführern in diesem Zusammenhang geltend gemachten erheblichen Bedenken (Z 5 a) lassen sich nicht auf die unterbliebene Klärung der Rechtsfrage über die Verpflichtung zur Beistellung einer "Morgengabe" nach türkischem Recht gründen. Steht doch nach der übereinstimmenden Verantwortung der Angeklagten die tatsächlich erfolgte Übergabe von ursprünglich der Necmiye K* gehörenden Schmucksachen an Fadime K* fest. Strittig blieb allein, ob diese Pretiosen geschenkt (so Fadime K*) oder bloß geliehen (so die Angeklagten) wurden. Das Erstgericht hat unter Berücksichtigung der Verfahrensergebnisse im Rahmen freier Beweiswürdigung den Bekundungen der Zeugin Fadime K* (mit überzeugender Begründung) den Vorzug gegeben. Die zum Nachteil der Angeklagten vorgenommene Würdigung der Beweisergebnisse ist aber auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens durchaus unbedenklich.
Daß auf dieser Tatsachengrundlage nach türkischem Zivilrecht die Rechtslage anders zu beurteilen wäre, wird - wie gesagt - in der Beschwerde weder vorgebracht noch trifft dies zu, denn auch nach türkischem Recht wird eine türkische Ehefrau Alleineigentümerin der ihr anläßlich von Heirat und Verlobung gemachten persönlichen Geschenke (zB Schmuck). Sie kann ihre eigenen Vermögensinteressen selbständig und unabhängig von ihrem türkischen Ehemann wahrnehmen. Selbst nach Scheidung der Ehegatten besteht kein Anspruch auf Herausgabe von Schmuckstücken, die der Ehefrau anläßlich der Hochzeit vom Ehemann bzw dessen Verwandten geschenkt wurden (vgl dFamRZ 1992, 1437; 1993, 198).
Es versagt auch der Einwand der Aktenwidrigkeit in bezug auf die nach Auffassung der Beschwerdeführer durch den Inhalt der (im Akt nicht einliegenden) Heiratsurkunde des Standesamtes Aydin‑Ortaklar nicht gedeckte Urteilsannahme, daß Serdar K* und Fadime K* ihre Ehe nach den geltenden Vorschriften des islamischen Glaubens geschlossen haben (US 6), weil selbst nach den Beschwerdebehauptungen die Frage der rituellen Eheschließung auf die zuvor erwähnten vermögensrechtlichen Konsequenzen nach türkischem Zivilrecht ohne Einfluß wäre, der behauptete Mangel sohin keinen entscheidenden Tatumstand betrifft.
Nach Prüfung des weiteren Beschwerdevorbringens (Z 5 a) an Hand der Aktenlage bestehen für den Obersten Gerichtshof auch sonst keine (erheblichen) Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) verfehlt ihre gesetzmäßige Ausführung, weil damit in Wahrheit nicht ein Rechtsirrtum des Gerichtes bei Beurteilung des im Urteil festgestellten Sachverhalts behauptet wird, sondern der Sache nach andere, von den getroffenen Feststellungen abweichende Urteilsannahmen angestrebt werden. Im übrigen würde die als fehlend reklamierte Feststellung, die Angeklagte Necmiye K* habe von ihrer Schwiegertochter den Schmuck zurückgefordert, einen den Angeklagten angelasteten, auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatz keineswegs ausschließen. Auch die von den Beschwerdeführern im Urteil vermißten Ausführungen darüber, welches Recht gemäß den Bestimmungen des IPR‑Gesetzes anzuwenden und wer nach türkischem bürgerlichem Gesetzbuch zur Leistung der Morgengabe verpflichtet ist, ferner darüber, ob die Ehe zwischen Serdar und Fadime K* (nur) nach staatlichem (türkischen) Recht abgeschlossen worden sei, betreffen Umstände, die - wie erwähnt - für die rechtliche Beurteilung der den Beschwerdeführern angelasteten Straftat letztlich nicht entscheidend sind.
Soweit in der Rechtsrüge Feststellungsmängel in Ansehung des Adhäsionserkenntnisses geltend gemacht werden, übersehen die Rechtsmittelwerber, daß insoweit nur eine Anfechtung mit Berufung, nicht aber mit Nichtigkeitsbeschwerde in Betracht kommt (Mayerhofer‑Rieder StPO3 E 21 zu § 283).
Schließlich liegt auch der Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO (iVm § 32 Abs 1 JGG), den der Angeklagte Sedat K* im Unterbleiben der Anwendung des § 9 JGG erblickt, nicht vor:
Zu den kumulativ geforderten Voraussetzungen einer vorläufigen Verfahrenseinstellung nach § 9 JGG zählt ua, daß die Schuld des Täters nicht als schwer anzusehen ist. Ob dies zutrifft, ist nach Strafbemessungsgrundsätzen (§ 32 StGB) zu beurteilen, wobei schwere Schuld im Sinne dieser Gesetzesstelle keineswegs ein Überwiegen der Erschwerungsumstände voraussetzt (JBl 1992, 197; 15 Os 13/92 ua). Im vorliegenden Fall fehlt es schon am Erfordernis einer nicht als schwer anzusehenden Schuld, weist doch die im § 142 Abs 1 StGB vorgesehene Strafdrohung darauf hin, daß der Gesetzgeber den Unwert einer Raubtat an sich hoch veranschlagt. Die dem Angeklagten Sedat K* zugute kommenden Milderungsgründe wiegen aber den hohen sozialen Störwert der Straftat keineswegs auf.
Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Sait K*, Necmiye K*, Serdar K* und Sedat K* war daher zu verwerfen.
Bei der Strafbemessung wertete der Schöffensenat keinen Umstand als erschwerend; als mildernd bei allen Angeklagten den bisher ordentlichen Lebenswandel, bei Serdar K* überdies sein Alter unter 21 Jahren. Es verhängte nach § 142 Abs 1 StGB über Sait K* und Necmiye K* je 15 Monate, über Serdar K* 12 Monate und über Sedat K* (unter Bedachtnahme auf § 5 JGG) 6 Monate Freiheitsstrafe, die es bei allen Angeklagten für eine Probezeit von je 3 Jahren bedingt nachsah.
Die dagegen erhobene Berufung der Angeklagten ist unbegründet.
Der bisher ordentliche Lebenswandel wurde vom Erstgericht ohnedies berücksichtigt. Davon, daß die Tat nur aus Unbesonnenheit, aus einem die Schuld nicht ausschließenden Rechtsirrtum (§ 9 StGB) oder unter Umständen begangen worden sei, die einem Schuldausschließungs- oder Rechtfertigungsgrund nahe kämen, kann nach der Aktenlage keine Rede sein. Es muß den Angeklagten vielmehr angelastet werden, daß sie die situationsbedingte Wehrlosigkeit der Fadime K* ihrer Übermacht gegenüber ausgenützt haben und die Genannte überdies leicht verletzt worden ist. Der Oberste Gerichtshof hält die vom Erstgericht verhängten Freiheitsstrafen der unrechtsbezogenen Schuld (§ 32 StGB) der Angeklagten für durchaus angemessen.
Auch die Berufung gegen das Adhäsionserkenntnis ist nicht gerechtfertigt.
Einer förmlichen Anschlußerklärung hinsichtlich aller Angeklagten bedurfte es nicht (Mayerhofer‑Rieder StPO3 E 53 zu § 47). Die vorgeschriebene (§ 365 Abs 2 StPO) Vernehmung der Angeklagten zu den geltend gemachten privatrechtlichen Ansprüchen ist erfolgt (S 454; Mayerhofer‑Rieder StPO3 E 21 a zu § 365). Nach den Urteilsfeststellungen ist ein Teilschadenersatzbetrag von 5.000 S keinesfalls überhöht.
Die Kostenersatzpflicht der Angeklagten ist in § 390 a StPO begründet.
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