OGH 8ObA230/94

OGH8ObA230/9413.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag und Dr. Adamovic sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Meches und Liedlbauer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. E***** B*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Johannes Grund und Dr. Wolf D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei E***** Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Karl Endl und andere Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 76.390,80 S sA und Feststellung (Streitwert 20.000 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Dezember 1993, GZ 13 Ra 70/93-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. August 1993, GZ 8 Cga 70/93i-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 5.433,60 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich 905,60 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 19. September 1949 bis zum 31. Dezember 1980, dem Zeitpunkt seiner Pensionierung, bei der beklagten Partei beschäftigt, und zwar zuletzt als Betriebsleiter. Er hatte seit vielen Jahren Bereitschaftsdienst in Form der Ruferreichbarkeit (alle 3 Wochen eine Woche lang, jeweils von Montag 7.00 Uhr früh bis Montag der nächsten Woche 7.00 Uhr früh) geleistet. Dafür erhielt er ein monatliches Pauschale in der Höhe eines bestimmten Prozentsatzes seines Monatsbruttogehaltes, 14-mal jährlich, womit auch der Urlaubsvertretungsdienst innerhalb der Gruppe der Bereitschaftsdienst leistenden Personen (Werksgruppenleiter, Werksleiter, Werksassistent) abgegolten wurde. Die vertretungsweise Bereitschaftsdienstleistung im Krankheitsfall sollte nach der weiteren Regelung gemäß "Dienstzettel" vom 8. März 1971 und 17. Dezember 1974 gesondert eingeteilt und gemäß den Sätzen des Kollektivvertrages vergütet, allenfalls zu leistende Überstunden sollten nach Genehmigung gesondert verrechnet werden. Weiters bezog der Kläger auch noch ein Überstundenpauschale, durch das Zeiten einer Tätigkeit im Rahmen der Rufbereitschaft abgedeckt waren. Vertretungen für andere Dienstnehmer im Rahmen der Rufbereitschaft wurden dagegen als Überstunden gesondert entlohnt.

Am 31. Dezember 1974 schlossen die Streitteile einen von der beklagten Partei errichteten und dem Kläger zur Unterfertigung übergebenen Dienstvertrag ab, der in Punkt VI (1) die vom Kläger unstrittigerweise erfüllten Voraussetzungen eines dienstvertraglichen Ruhebezugsanspruches regelt, für dessen Berechnung der Punkt VI (2) folgende Regelung enthält:

"Der monatliche Ruhebezug beträgt nach 10 geleisteten Dienstjahren 30 % des letzten regelmäßigen monatlichen Bruttogehaltes einschließlich aller regelmäßig bezahlten Mehrarbeitsvergütungen. Ausgeschlossen bei der Berechnung des Ruhebezuges bleiben Tantiemen, Bilanzgeld, eventuelle Aufwandsentschädigungen, Sachbezüge und dgl. Die Treueprämie ist mit einem Vierzehntel jenes Prozentsatzes einzubeziehen, auf den Herrn Ing. B***** entsprechend seinen Dienstjahren Anspruch hat.

........."

Besondere Besprechungen zu diesem Dienstvertrag fanden nicht statt; die Streitteile haben seinen Inhalt nicht erörtert.

Die beklagte Partei gewährte dem Kläger seit seiner Pensionierung laufend den vereinbarten Ruhebezug. In die Bemessungsgrundlage für dessen Errechnung hatte sie auch das bisherige Pauschale für die Rufbereitschaft aufgenommen. Mit Schreiben vom 9. Dezember 1992 teilte sie dem Kläger jedoch mit, daß sie der Pensionsbetrag um die Ruferreichbarkeitsvergütung kürzen werde, weil der Oberste Gerichtshof inzwischen ausgesprochen habe, daß Ruferreichbarkeit nicht unter den Begriff der "Mehrarbeit" falle.

Gegen diese Kürzung richtet sich die vorliegende Klage mit dem Begehren nach Bezahlung eines (der Höhe nach unstrittigen) Betrages von 76.390,80 S sA (Differenzbeträge für die Zeit vom 1. Jänner bis 30. April 1993) sowie dem Begehren nach Feststellung, daß dem Kläger aufgrund des Dienstvertrages vom 31. Dezember 1974 eine Firmenpension zustehe, in deren Bemessungsgrundlage das Grundgehalt, das Überstundenpauschale, das Bereitschaftsdienstpauschale und die anteilige Treueprämie einzubeziehen seien. Hiezu wurde vorgebracht, das Entgelt für den Bereitschaftsdienst (Rufbereitschaft) sei immer Gehaltsbestandteil gewesen und daher in die Bemessungsgrundlage für die Pension einzubeziehen. Gegen die nunmehrige Berufung der beklagten Partei auf einen Rechtsirrtum werde der Einwand der Verjährung (§ 1487 ABGB) erhoben. Der Kläger habe auf die Richtigkeit der Berechnung durch die beklagte Partei vertraut und entsprechende finanzielle Dispositionen getroffen. Die Herabsetzung der Pension sei daher zu Unrecht erfolgt.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, in Unkenntnis der wahren Rechtslage die Rufbereitschaftszulage in die Bemessungsgrundlage einbezogen zu haben. Aufgrund der Rechtsprechung, bloße Rufbereitschaft sei nicht als Arbeitszeit zu bewerten, weshalb die dafür gewährte Vergütung auch nicht als Mehrarbeitsvergütung im Sinne der Entlohnung zusätzlicher Arbeitsleistung zu qualifizieren sei, stelle die Kürzung der Bemessungsgrundlage eine zulässige Maßnahme dar, weil sie den richtigen Rechtszustand herstelle.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und stellte im weiteren noch fest:

Der Kläger hatte auf die Art der Berechnung und die Höhe der Pension sowie deren Zuweisung keinen Einfluß. Er vertraute auf die Richtigkeit ihrer Berechnung und ging davon aus, daß sie ihm weiterhin so wie von Anfang an zukommen werde. Er baute ein Haus und ging Schulden ein, die er auf Grund der von der beklagten Partei ermittelten Pension auch zurückzahlen konnte.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der beklagten Partei sei zwar zuzustimmen, daß es sich beim Bereitschaftsdienst in Form einer Rufbereitschaft nicht um "Mehrarbeit" im Sinne einer über ein bestimmtes Ausmaß in zeitlicher Hinsicht hinausgehenden Arbeitsleistung handle, womit auch die dafür gewährte Vergütung nicht als Mehrarbeitsvergütung im Sinne der Entlohnung zusätzlicher Arbeitsleistung zu qualifizieren sei, doch sei dadurch für die beklagte Partei nichts gewonnen. Nach dem Entgeltbegriff des auf das Dienstverhältnis des Klägers anzuwendenden Kollektivvertrages für Angestellte der Energieversorgungsunternehmen Österreichs seien unter Entgelt alle Leistungen zu verstehen, die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber aufgrund seines Arbeitsverhältnisses zustünden, wozu auch Leistungen für die Ruferreichbarkeit und allgemeine Erreichbarkeit gehörten. Der Kläger habe das Pauschale für den Bereitschaftsdienst unabhängig von einer Mehrzeitleistung 14-mal jährlich erhalten. Unter Bedachtnahme auf den Kollektivvertrag handle es sich um weiteres Entgelt, das nicht notwendigerweise unter den Begriff der "Mehrarbeitsvergütung" zu subsumieren sei. Dafür spreche, daß es sich bei Bereitschaftsdienst in Form der Rufbereitschaft nicht um eine Arbeitsleistung selbst, sondern um eine andere Leistung handle, die der Dienstnehmer nicht schon aufgrund der ihn treffenden allgemeinen Treuepflicht zu erbringen habe, sondern die ausdrücklich vereinbart werden müsse. Es handle sich letztlich um Arbeitsleistungen, die auch zu entlohnen seien. Im übrigen sei der beklagten Partei auch die Verjährungsfrist für eine Anfechtung wegen Irrtums nach § 1487 ABGB entgegenzuhalten; die Frist laufe nicht vom Zeitpunkt der "Kenntnis der Rechtslage" an, sondern bereits ab dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Es sei auch nicht so, daß die gegenständliche Frage der Rufbereitschaft erst mit der von der beklagten Partei herangezogenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 9 ObA 96/91 geklärt worden wäre; vielmehr habe schon bei Errichtung des Dienstvertrages eine eindeutige, einhellige und ständige Rechtsprechung und Lehre bestanden. Letztlich habe der Kläger auch auf die Richtigkeit der Bemessungsgrundlage vertraut und im Hinblick darauf Dispositionen getroffen, die eine Minderung des aufgrund einer einseitig von der beklagten Partei ermittelten Bemessungsgrundlage seit mehr als einem Jahrzehnt gewährten Ruhegenusses als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen ließen.

Der gegen das erstgerichtliche Urteil aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei gab das Berufungsgericht nicht Folge. Es verwies auf die Richtigkeit der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und führte ergänzend aus, die Rufbereitschaft sei ortsüblich bzw. angemessen zu entlohnen. Aus der Gegenüberstellung mit den nicht in die Pensionsbemessungsgrundlage einzubeziehenden Leistungen (Tantiemen, Bilanzgeld ua) ergebe sich, daß das Pauschale für Bereitschaftsdienste (Ruferreichbarkeit) als "Mehrarbeitsvergütung" zu verstehen und daher in die Pensionsbemessungsgrundlage einzubeziehen sei. Es erübrige sich daher, auf die Verjährung der Anfechtbarkeit des Vorgangs einzugehen, daß nämlich die beklagte Partei diesen Entgeltsteil irrig in die Pensionsberechnungsgrundlage einbezogen habe.

Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig (§ 46 Abs 1 Z 2 ASGG), aber nicht berechtigt.

Nach der von den Streitteilen getroffenen Vereinbarung (Dienstvertrag vom 31. Dezember 1974, Beilage G), sind "alle regelmäßig bezahlten Mehrarbeitsvergütungen" Bestandteil der Bemessungsgrundlage des Ruhebezuges. Zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser von der beklagten Partei formulierten Vereinbarung bezog der Kläger neben einem pauschalierten Überstundenentgelt ein Bereitschaftsdienstpauschale, das zunächst befristet und sodann auf unbestimmte Zeit gewährt wurde. Hätte man nun den Ausdruck "Mehrarbeitsvergütungen" nur als Synonym für Überstunden verstehen wollen, dann wäre der Gebrauch dieser Mehrzahlform unverständlich.

Eine von diesem Wortlaut abweichende Parteienabsicht wurde gar nicht behauptet. Die beklagte Partei verstand vielmehr die Entschädigung für den Rufbereitschaftsdienst auch selbst als Mehrarbeitsvergütung. Im übrigen ist jeder Vertragspartner berechtigt, der Erklärung den Sinn beizumessen, den sie nach der Sachlage notwendigerweise für ihn haben mußte. Der Kläger konnte somit auf den objektiven Erklärungswert der von der beklagten Partei verwendeten Formulierung vertrauen und ist in diesem Vertrauen geschützt. Unter dem Ausdruck "Mehrarbeitsvergütungen" sind daher das Überstundenentgelt und das Entgelt für Bereitschaftsdienst (Rufbereitschaft) zu verstehen. Für die Auslegung der im Dienstvertrag des Klägers verwendeten Begriffe ist entgegen der Ansicht der beklagten Partei nicht die Begriffsbildung des Arbeitszeitgesetzes mit der Unterscheidung von Überstunden, Mehrarbeit und Rufbereitschaft maßgeblich - worauf in der Entscheidung 9 Ob A 96/91 abgestellt wird - , sondern ausschließlich die entgeltrechtliche Begriffsbildung. Dieser Sprachgebrauch entspricht auch dem Kollektivvertrag f EVU, in dem ab 1.7.1978 in § 4a unter der Überschrift "Entgelt" auch Vergütungen für Anwesenheit, Ruferreichbarkeit und allgemeine Erreichbarkeit angeführt sind (vgl § 25: Anwesenheitsdienst und Erreichbarkeit).

Da sich auf Grund des auszulegenden Vertrages - bestätigt durch die vieljährige Handhabung des Vertrages durch die beklagte Partei - somit ergibt, daß das pauschalierte Entgelt für die Rufbereitschaft als Teil der "Mehrarbeitsvergütungen" und damit als Teil der Bemessungsgrundlage für den Ruhebezug des Klägers zu behandeln ist, erübrigt es sich, auf die allenfalls weitere Anspruchsgrundlage einer betrieblichen Übung einzugehen, wie dies das Erstgericht erwogen hat. Darauf geht die beklagte Partei in ihrer Revision auch nicht mehr ein.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Stichworte