OGH 7Ob14/94

OGH7Ob14/9413.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** F***** GmbH, ***** vertreten durch Dr.Horst Auer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei E***** Versicherungs AG, ***** vertreten durch Dr.Gottfried Zandl und Dr.Andreas Grundei, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 600.000 sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 21.Oktober 1993, GZ 1 R 150/93-35, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 24.Dezember 1992, GZ 16 Cg 22/91-28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur allfälligen neuerlichen Verhandlung und neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Die Klägerin war Pächterin des Gasthauses "H*****" in W*****. Am 9.1.1987 schloß sie mit der Beklagten für diesen Betrieb eine Bündelversicherung ab, welche auch eine Feuerversicherung mit einer Laufzeit von zehn Jahren und einer Versicherungssumme von S 600.000 umfaßt. Im Rahmen dieses Versicherungsvertrages wurde ua die Geltung der Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung 1972 (ABS) vereinbart. Art 12 Abs. 1 ABS lautet wie folgt:

"Wenn der Versicherungsnehmer oder eine der in leitender Stellung für die Betriebsführung verantwortlichen Personen den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt, oder sich bei der Ermittlung des Schadens oder der Entschädigung einer arglistigen Täuschung schuldig macht, ist der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber von jeder Verpflichtung zur Leistung aus diesem Schadenfall frei."

Wegen Nichtzahlung des Bestandzinses erwirkte die Bestandgeberin der Klägerin einen Räumungstitel; ein Räumungstermin war für den 5.6.1987 angeordnet. Am 31.5.1987 wurde an mehreren Stellen des Gasthauses ein Brand gelegt, welcher an den Inventargegenständen und an dem Gebäude Schäden anrichtete. Die Geschäftsführerin der Klägerin, deren Ehegatte und deren Sohn wurden wegen des Verdachtes der Brandstiftung bis 31.7.1987 in Untersuchungshaft genommen. Das Strafverfahren gegen die genannten Personen wurde am 16.3.1990 eingestellt. Schon im Februar 1987 hatte die Klägerin ein anderes Geschäftslokal erworben und dort zunächst Speiseeis und sodann Lebensmittel vertrieben.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten auf Grund des Feuerversicherungsvertrages die Zahlung des Betrages von S 600.000 sA. Das Gastlokal sei zum Zeitpunkt des Brandes völlig eingerichtet gewesen; alle vorhandenen Einrichtungsgegenstände und Warenvorräte seien durch den Brand unbrauchbar geworden. Die von der Beklagten ausgesprochene Ablehnung, die bedungene Versicherungsleistung zu erbringen, sei nicht begründet.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Die Klägerin habe sich im Jahr 1987 in finanziellen Schwierigkeiten befunden. Wegen des bevorstehenden Räumungstermines seien alle nennenswerten Inventarsgegenstände am 27. und 28.5.1987 aus dem Lokal verbracht worden. Die Behauptung der Klägerin, daß Inventar durch den Brand beschädigt worden sei, sei daher unrichtig. Die Klägerin habe erst am 7.9.1987 die Schadenmeldung erstattet, als über Schadensursache und -höhe keinerlei Feststellungen mehr möglich gewesen seien. Die Klägerin habe sich daher bei der Ermittlung des Schadens oder der Entschädigung einer arglistigen Täuschung im Sinn des Art 12 ABS schuldig gemacht, was zur Leistungsfreiheit der Beklagten führe.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Neben dem bereits eingangs wiedergegebenen Sachverhalt traf es noch folgende Feststellungen:

Der Einsetzung der Versicherungssumme von S 600.000 in den Versicherungsvertrag ging - mit Wissen der Beklagten - keine Schätzung des Inventars voraus. Der Schadensreferent der Beklagten versuchte nach dem Versicherungsfall, selbst den Schaden zu erheben, und kam dabei zum Ergebnis, daß das Objekt zum Zeitpunkt des Brandes schon leer gewesen sei. Auch die Hauseigentümerin bemerkte anläßlich eines Besuches im Geschäftslokal kurz vor dem Brand, daß das Inventar, welches sie bei einem vorangegangenen Besuch ein halbes Jahr zuvor dort gesehen hatte, nicht mehr in dem Lokal war. Es kann nicht festgestellt werden, welche Gegenstände sich zum Zeitpunkt des Brandes in dem Lokal befunden haben. Die Schadenmeldung wurde erst in einem Zeitpunkt erstattet, in dem wegen vorgenommener Reinigungsarbeiten die Ermittlung des Schadens objektiv nicht mehr möglich war. In seiner rechtlichen Beurteilung holte das Erstgericht dazu die weitere Feststellung nach, daß die Klägerin damit die Absicht verfolgt habe, die Liquidierung des Schadens hinauszuzögern und die Versicherungsfrage damit "zu verunklaren".

In rechtlicher Hinsicht nahm das Erstgericht eine Obliegenheitsverletzung der Klägerin im Sinne des Art 12 Abs. 1 ABS an und leitete daraus die Leistungsfreiheit der Beklagten ab.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die Obliegenheit gemäß § 6 Abs. 3 VersVG, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen, verpflichte den Versicherungsnehmer, alles Zweckdienliche zur Aufklärung des Schadensereignisses vorzunehmen. Für eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung genüge das allgemeine Bewußtsein des Versicherungsnehmers, bei der Aufklärung des Sachverhaltes nach besten Kräften mitwirken zu müssen; dieses Bewußtsein sei heute bei einem Versicherungsnehmer regelmäßig anzunehmen. Die Beweislast dafür, nicht vorsätzlich gehandelt zu haben, treffe den Versicherungsnehmer. Die Feststellung des Erstgerichtes, daß die Klägerin die Schadenmeldung bewußt hinausgezögert habe, begegne daher keinen Bedenken. Ob aber die vom Erstgericht angenommenen Motive, nämlich das bewußte und gewollte Abwarten des bekannten Räumungstermins und die nachfolgende Renovierung des Lokals durch den Nachmieter, welche mit der Entfernung noch vorhandenen beschädigten Inventars verbunden gewesen sei, zuträfen, könne dahingestellt bleiben, weil der Klägerin der ihr obliegende Entlastungsbeweis nicht gelungen sei. Wegen der bewußten Hinauszögerung der Schadenmeldung habe die Klägerin gegen die Obliegenheit gemäß § 6 Abs. 3 VersVG, nach Kräften möglichst zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen, verstoßen. Daher trete ex lege die Leistungsfreiheit des Versicherers ein. Es könne daher auch dahingestellt bleiben, welche versicherten Einrichtungsgegenstände durch den Brand tatsächlich beschädigt worden seien.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Klägerin erhobene außerordentliche Revision ist aus dem Grunde der Rechtssicherheit zulässig, weil das Berufungsgericht, ausgehend von einer unrichtigen Rechtsansicht, entscheidungswesentliche Tatsachen nicht geprüft hat; sie ist daher auch im Sinne des darin erhobenen Aufhebungsantrages berechtigt.

§ 6 Abs. 3 VersVG, regelt nicht, wie das Berufungsgericht meint, als Obliegenheit jedes Versicherungsvertrages die Pflicht des Versicherungsnehmers, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen. Das Gesetz bestimmt nur, unter welchen Voraussetzungen eine im Versicherungsvertrag wegen einer Obliegenheitsverletzung vorgesehene Leistungsfreiheit nicht eintritt. Die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung SZ 50/37 erging zu den AKHB, welche tatsächlich eine Aufklärungsobliegenheit und als Folge ihrer Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers enthalten. Die weiteren zum Begriff der Fahrlässigkeit vom Berufungsgericht wiedergegebenen Rechtssätze (entsprechend der Entscheidungen Nr 65, 67 und 69 zu § 6 VersVG in Grubmann, VersVG3) haben nur Bezug auf grob fahrlässig begangene Obliegenheitsverletzungen und die dafür im § 6 Abs. 3 VersVG angeführten Rechtsfolgen. Schließlich betrifft die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung über die Beweislast des Versicherungsnehmers (VersR 1965, 170) nur den Vorsatz im Sinne des § 6 Abs. 3 VersVG, nicht aber die arglistige Täuschung im Sinne des Art 12 ABS. Alle diese Rechtsausführungen können daher zur Lösung des Falles nichts beitragen.

Art 12 Abs. 1 der Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS) enthält zwei Tatbestände, an deren Verwirklichung die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit des Versicherers geknüpft ist:

vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführung des Schadens als subjektiven Risikoausschluß und arglistige Täuschung des Versicherers bei der Ermittlung des Schadens oder der Entschädigung (VR 1989, 357). Nur auf die letztgenannte Obliegenheit hat sich die Beklagte berufen. Unter der Sanktion der Leistungsfreiheit stehende, den §§ 33, 34 VersVG entsprechende Obliegenheiten, den Schaden unverzüglich dem Versicherer anzuzeigen und jede Auskunft zu erteilen, enthalten die vorliegenden AVB nicht.

Arglistige Täuschung im Sinne des zweiten Tatbestandes des Art 12 Abs. 1 ABS ist durch jede objektiv falsche Angabe verwirklicht, sofern dadurch die Feststellung des Schadens oder die Entschließung des Versicherers über die Auszahlung der Entschädigung in irgendeiner Weise beeinflußt werden kann; dazu ist es nicht erforderlich, daß der Versicherungsnehmer mit Hilfe der Täuschung einen ungerechtfertigten Vermögensvorteil anstrebt (VR 1990, 350 = SZ 63/54). Arglistige Täuschung kann auch durch das Verschweigen offenlegungspflichtiger Tatsachen bewirkt werden, sofern sie die oben genannte Eignung für die Feststellung des Schadens oder die Entschließung des Versicherers haben können (Prölss-Martin, VVG25, 965 f Anm 2 zu dem gleichartigen Tatbestand im § 16 der deutschen AFB). Art 12 Abs. 1 ABS ist eine Obliegenheit im Sinne des § 6 Abs. 3 VersVG; ist die Täuschung arglistig begangen worden, dann tritt die Leistungsfreiheit des Versicherers wie bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung regelmäßig bedingungslos ein; als einzige Einschränkung wird anerkannt, daß vorsätzliche Obliegenheitsverletzungen, die nach menschlichem Ermessen die Interessen des Versicherers schon abstrakt in keiner Weise gefährden können, außer Betracht bleiben (VR 1988/107; VR 1990, 350).

Auch im absichtlichen Zuwarten mit der Erstattung einer Schadenmeldung bis zu einem Zeitpunkt, in dem das versicherte Objekt bereits geräumt und Erhebungen über die Schadenshöhe nicht mehr vorgenommen werden können, kann eine arglistige Täuschung im Sinne des Art 12 Abs. 1 ABS liegen, wenn dadurch der begründete Verdacht, daß die dem Versicherer vorgelegte Inventarliste auch Gegenstände umfaßt, die zum Zeitpunkt des Brandes nicht mehr vorhanden waren, nicht mehr entkräftet werden kann. Beweispflichtig für die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Tatbestandes des Art 12 Abs. 1 ABS ist der Versicherer (Prölss-Martin aaO 967). Das Berufungsgericht ist insoweit von einer unrichtigen Beweislastverteilung ausgegangen. Aber auch darin, daß die Klägerin der Beklagten wissentlich eine unrichtige Liste über die beim Brand beschädigten (zerstörten) Gegenstände übergeben hat, könnte die genannte Obliegenheitsverletzung liegen. Das Berufungsgericht hat aber die Beweisrüge der Klägerin zu diesem umrissenen Tatsachenbereich nicht behandelt, sodaß entscheidungswesentliche Tatsachen nicht feststehen.

Der außerordentlichen Revision der Klägerin mußte daher im Sinne des darin enthaltenen Aufhebungsantrages ein Erfolg beschieden sein.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte