Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Unterinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung über den Antrag der Mutter auf Regelung des Besuchsrechtes unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Text
Begründung
Die mj. Victoria K***** ist die uneheliche Tochter der Therese K***** und des Wolfgang B*****, der seine Vaterschaft am 22.4.1987 anerkannt hat. Victoria wächst bei ihrer Mutter auf, der auch die Obsorge zusteht.
Am 7.7.1993 beantragte die Mutter, das Besuchsrecht des Vaters gerichtlich zu regeln. Bis Juni 1992 habe sie mit dem Vater des Kindes in Lebensgemeinschaft gelebt, sodaß bislang eine Besuchsrechtsregelung nicht erforderlich gewesen sei. Nun sei sie gegen das Ansinnen der väterlichen Großeltern, daß Victoria zweimal in der Woche ihren Vater bzw. dessen Eltern besuche, weil Victoria schon jetzt nach derartigen Besuchen verstört und unausgeglichen zurückkomme. Sie sei damit einverstanden, daß der Vater oder dessen Eltern das Kind an jedem ersten und dritten Sonntag eines jeden Monats von 9 bis 18 Uhr zu sich nehmen. Sie sei aber auch gegen ein Besuchsrecht über die Nacht, weil sie befürchte, daß der Vater in den Abend- und Nachtstunden durch Alkoholgenuß beeinträchtigt sei.
Auf Anfrage des Erstgerichtes teilte die Mutter mit, daß sie die gerichtliche Regelung des Besuchsrechtes beantrage, weil der Vater seinen Anspruch auf persönlichen Verkehr mit dem Kind geltend mache und weil es diesbezüglich immer wieder zu Zwistigkeiten und Auseinandersetzungen komme. Das Anliegen der Mutter entspreche dem Wohl des Kindes, weil das Kind durch die Streitigkeiten bezüglich des Besuchsrechtes belastet werde.
Das Erstgericht hat den Antrag der Mutter, "dem Antragsgegner...ein Besuchsrecht an jedem ersten und dritten Sonntag von 9 bis 18 Uhr aufzutragen, abgewiesen" (richtig: mangels Antragslegitimation der Mutter zurückgewiesen). Das Anliegen der Mutter auf gerichtliche Regelung des Besuchsrechtes sei zwar verständlich, könne jedoch die fehlende Antragslegitimation der Mutter nicht ersetzen.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Antragslegitimation gemäß § 148 Abs.1 Satz 2 ABGB fehle. Es vertrat die Ansicht, daß für einen obsorgeberechtigten Elternteil, der diese Obsorge auch wahrnehme, kein Bedarf nach einer gerichtlichen Besuchsrechtsregelung bestehe. Es obliege ihm selbst, den Kontakt des nicht obsorgeberechtigten Elternteils mit dem Kind unter Bedachtnahme auf das Kindeswohl und das Recht des anderen Elternteils auf persönlichen Verkehr zu gestalten. Nur der andere Elternteil, der damit nicht einverstanden sei, sei darauf verwiesen, bei Gericht einen Antrag auf Regelung seines Besuchsrechtes zu stellen. Das Gericht habe dieses Recht nur dann einzuschränken oder zu entziehen, wenn die Wahrnehmung des Besuchsrechtes das Wohl des Kindes ernstlich gefährde.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig und berechtigt.
Soweit überblickbar, ist nur eine Entscheidung veröffentlicht, die sich mit der Antragslegitimation des obsorgeberechtigten Elternteiles befaßt, nämlich die das Antragsrecht bejahende Entscheidung des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 15.2.1979, 43 R 194/79 in EFSlg.
33.534. Dieser Ansicht ist beizupflichten.
§ 148 ABGB lautet: "Stehen einem Elternteil nicht die Pflege und Erziehung des minderjährigen Kindes zu, so hat er doch das Recht, mit dem Kind persönlich zu verkehren. Das Gericht hat auf Antrag die Ausübung dieses Rechtes in einer dem Wohl des Kindes gemäßen Weise zu regeln oder nötigenfalls, besonders wenn die Beziehungen des Kindes zu dem Elternteil, bei dem es aufwächst, unerträglich gestört würden, ganz zu untersagen (Abs.1). Die Großeltern haben das Recht, mit dem Kind persönlich zu verkehren, soweit dadurch nicht die Ehe oder das Familienleben der Eltern (eines Elternteils) oder deren Beziehungen zu dem Kind gestört werden; im übrigen gilt der Abs.1 2.Satz sinngemäß (Abs.2)."
Schon aus dem Wortlaut der Bestimmung ist herauszulesen, daß das Antragsrecht auf Besuchsrechtsregelung nicht auf jenen Elternteil beschränkt ist, dem die Pflege und Erziehung nicht zustehen. Im ersten Satz wird das grundlegende Elternrecht des nicht betreuenden Elternteils festgelegt, mit dem Kind persönlich zu verkehren. Dieses Recht steht aber nicht jederzeit, an jedem Ort und unter allen Umständen zu, sondern nach Zeit, Ort, Art und Weise bestimmt, sei es aufgrund einer (unverbindlichen) Einigung der Eltern, sei es aufgrund deren gerichtlich genehmigter Vereinbarung oder - wie dies im 2.Satz des § 148 Abs.1 ABGB vorgesehen ist - auf Antrag mindestens eines (irgendeines) Elternteils (Pichler in Rummel2 I, Rz 2 zu § 148 ABGB mwN).
Im Besuchsrechtsstreit kommt unzweifelhaft sowohl dem nicht zur Pflege und Erziehung berechtigten als auch dem hiezu berechtigten Elternteil unabhängig davon, ob er das Kind tatsächlich in Pflege und Erziehung hat, Beteiligtenstellung zu (EvBl. 1974/284). Der betreuende Elternteil hat ebenso wie der nicht betreuende Elternteil das Recht, Vorschläge zur Besuchsrechtsregelung zu erstatten, einen entsprechend konkreten Regelungsantrag zu stellen und gegen einen Beschluß, der diesem Antrag nicht entspricht, Rekurs zu erheben. Es läßt sich kein Argument dafür finden, daß und warum der betreuende Elternteil erst auf einen Regelungantrag des nicht betreuenden Elternteils warten müßte, um diesem dann einen eigenen Regelungsantrag entgegenhalten zu können. Abgesehen davon ist das Regelungsbedürfnis (auch) des betreuenden Elternteils in jenen Fällen evident, in denen sich der andere Elternteil an keine Abmachungen hält und das Besuchsrecht jeweils nach seinem Belieben oder in einer für das Kind und den betreuenden Elternteil unzumutbar exzessiven Weise ausüben will.
Würde der betreuende Elternteil das Kind zu den ihm genehmen Zeiten zum Ausgang mit dem anderen Elternteil bereithalten, die aber der andere Elternteil gar nicht in Anspruch nimmt, dem anderen Elternteil das Kind aber zu jenen Zeiten, zu denen dieser seinerseits das Besuchsrecht ausüben will, vorenthalten, müßte sich der betreuende Elternteil den Vorwurf gefallen lassen, das grundlegende Recht des anderen Elternteils auf persönlichen Verkehr mit dem Kind zu mißachten. Das Gericht hat daher auf Antrag des einen oder anderen Elternteils regelnd einzugreifen, wobei es keinen Unterschied machen kann, ob sich der die Obsorge innehabende Elternteil gegen die allzu weitgehende Einschränkung seines Obsorgerechtes durch die willkürliche Besuchsrechtsausübung des anderen Elternteils oder ob sich der die Obsorge nicht ausübende und daher besuchsberechtigte Elternteil gegen eine ungerechtfertigte Einschränkung seines Besuchsrechtes zur Wehr setzen will.
Es gehört zu den wesentlichen Aufgaben des Pflegschaftsgerichtes, in Fragen, die das Kindeswohl betreffen, lenkend einzugreifen, wenn ein Mißbrauch der Elternrechte in der einen oder anderen Weise aufgezeigt wird (§§ 176, 178 Abs.2 ABGB) oder sich die Eltern in wichtigen Angelegenheiten nicht einigen können. Überhaupt steht dem Pflegschaftsgericht in Angelegenheiten Minderjähriger und sonstiger Pflegebefohlener ein in vielen Bestimmungen zum Ausdruck kommendes Aufsichtsrecht zu (vgl. §§ 146b, 147, 150 Abs.3, 154 ABGB; § 2 Abs.1 AußStrG). Zu diesen Bestimmungen zählt auch § 148 ABGB, der zudem ausdrücklich eine Regelungspflicht des Gerichtes normiert, wenn ein Elternteil oder die Großeltern einen Antrag auf gerichtliche Regelung des Besuchsrechtes einzubringen, wobei das Schutzinteresse des Kindes im Kollisionsfall gegenläufigen Interessen der Elternteile grundsätzlich vorzugehen hat (vgl. auch § 21 Abs.1 ABGB).
Das Erstgericht wird daher über den Antrag der Mutter auf Regelung des Besuchsrechtes unter Einbeziehung insbesondere des Vaters, dem ebenfalls Parteistellung zukommt, inhaltlich zu entscheiden haben.
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