OGH 14Os27/94(14Os28/94)

OGH14Os27/94(14Os28/94)10.3.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 10.März 1994 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Obergmeiner als Schriftführerin, in der beim Landesgericht Linz zum AZ 21 Vr 129/94 anhängigen Strafsache gegen Ingrid W***** und einen anderen Beschuldigten wegen des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Grundrechtsbeschwerde dieser Beschuldigten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 1.Februar 1994, AZ 8 Bs 33,34/94 (GZ 21 Vr 129/94-27 des Landesgerichtes Linz) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch den angeführten Beschluß wurde Ingrid W***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Beim Landesgericht Linz ist ua gegen Ingrid W***** die Voruntersuchung wegen des Verdachtes des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Zuhälterei nach § 216 Abs. 2 StGB anhängig.

Mit Beschluß vom 22.Jänner 1994 verhängte der Untersuchungsrichter über die Genannte die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs. 1, Abs. 2 Z 2 und 3 lit. a und b StPO (ON 12).

Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Linz am 1. Februar 1994 (= ON 27) nicht Folge.

Der Gerichtshof zweiter Instanz ging davon aus, daß Ingrid W***** nach der Anzeige der Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Oberösterreich und dem bisherigen Ergebnis der Voruntersuchung dringend verdächtig ist, seit etwa August 1993 das (Animierlokal und) Bordell "W*****" in A*****, betrieben und dabei Frauen aus der Dominikanischen Republik und aus Thailand, die keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland besitzen, der Prostitution dadurch zugeführt zu haben, daß sie diesen Unterkunft gewährte, Räumlichkeiten zur Ausübung der Prostitution bereitstellte und bei der Beschaffung von Meldezetteln und Gesundheitsbüchern etc. behilflich war.

In der gegen diesen Beschluß ausgeführten Grundrechtsbeschwerde behauptet die Beschwerdeführerin zunächst, sie sei entgegen der Vorschrift des § 180 Abs. 1 StPO (nF) vor Verhängung der Untersuchungshaft zu deren Voraussetzungen nicht vernommen worden, obwohl die Einhaltung dieser Vorschrift zu einer für sie günstigeren Beurteilung der Haftfrage geführt hätte; im übrigen wäre bereits zu diesem Zeitpunkt die Frage der Haftverschonung durch Anwendung gelinderer Mittel zu erörtern und die Beschuldigte in dieser Hinsicht zu manuduzieren gewesen. Darüberhinaus bekämpft sie aus rechtlichen Gründen die Annahme eines dringenden Tatverdachtes im Sinne des § 217 Abs. 1 StGB und das Vorliegen der Voraussetzungen für den allein noch aktuellen Haftgrund der Tatbegehungsgefahr.

Die Grundrechtsbeschwerde ist nicht berechtigt.

Ingrid W***** verweigerte bereits vor der Gendarmerie Angaben zum Geschäftsbetrieb des von ihr geführten Bordells (S 83).

Im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung (ON 10) gab sie an, daß sie sich auf ihr der Nachtragsanzeige beigeschlossenes Telefax vom 20. Jänner 1994 beziehe; "das sage sie jetzt auch und wolle derzeit nicht mehr sagen" (S 119 f). In diesem an die Bezirkshauptmannschaft Rohrbach gerichteten Schreiben weist sie darauf hin, daß die Prostitution im Club "W*****" in Übereinstimmung mit den inländischen Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit und demnach mit Genehmigung der österreichischen Behörden (Amtsarzt, Gesundheitsamt, Magistrat, Polizei) ausgeübt werde. Die bei ihr beschäftigten Frauen gingen der Prostitution freiwillig und ohne ihre Beeinflussung nach; "Rat und Tat" hätten sie nicht von ihr, sondern von den Behörden erhalten (S 85 f).

Die Beschuldigte lehnte auch in der Folge bei einer weiteren Vernehmung durch den Untersuchungsrichter am 26.Jänner 1994 eine nähere Verantwortung ab (S 119 a). Die Beschwerdebehauptung, das Gericht habe "ohne Bemühen, den Sachverhalt zu erkunden", von jeder weiteren Vernehmung Abstand genommen, ist demnach unzutreffend.

Solcherart hat es sich die Beschuldigte aber selbst zuzuschreiben, daß sie vom Untersuchungsrichter zur Sache und zu den Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht eingehender vernommen werden konnte. Die behauptete Verletzung der Formvorschrift des § 180 Abs. 1 StPO ist daher nicht gegeben. Selbst die Mißachtung dieser Bestimmung würde eine Grundrechtsverletzung für sich allein nicht bewirken.

Aber auch mit ihren Argumenten gegen den dringenden Tatverdacht ist die Beschwerdeführerin nicht im Recht.

Das Oberlandesgericht Linz verneinte - ausgenommen bei der mit einem Österreicher verheirateten thailändischen Staatsangehörigen Ploenphit L***** - einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland bei allen im genannten Club beschäftigten ausländischen Prostituierten. Die bisherigen Verfahrensergebnisse sprächen gegen die Annahme, daß diese Prostituierten Österreich vor und während der Tätigkeit in dem von der Beschwerdeführerin geführten Bordell freiwillig zum Mittelpunkt ihres Lebens, ihrer wirtschaftlichen Existenz und ihrer sozialen Beziehungen erwählt hätten. Die Frauen gingen der Prostitution nur unter dem Druck der in ihrer Heimat herrschenden Armut (vorübergehend) nach, um dadurch ihre Not und die ihrer Kinder zu lindern.

Nach der Aktenlage handelt es sich bei diesem Personenkreis um die thailändische Staatsangehörige Wirat P***** sowie die dominikanischen Staatsangehörigen Brijida B*****, Perez A***** (beide verreisten angeblich um den 10.Jänner 1994 und sind seither unbekannten Aufenthaltes, S 17), Martina Josefina E***** sowie Juana L*****. Aus den Vernehmungen der beiden Letztgenannten ergibt sich, daß diese Frauen - von Beruf Hausfrau bzw. Krankenschwester und jeweils Mutter eines Kindes, für das sie sorgepflichtig sind und das sie in ihrer Heimat in der Obhut von Verwandten zurückließen - seit Ende 1991 in Österreich aufhältig sind, die Reise teils durch Kredite finanzierten, ungeachtet ihres (angeblichen) Wunsches, wenn möglich in einem Krankenhaus bzw. Restaurant zu arbeiten, unmittelbar nach ihrer Ankunft im Inland in verschiedenen Clubs kurz als Tänzerin und dann ständig als Prostituierte zu arbeiten begannen, monatlich dadurch 6.000 bis 7.000 S (E*****) und 6.000 bis 10.000 S (L*****) verdienen, von diesem Betrag etwa die Hälfte für ihre Kinder nach Hause schicken; daß sie weiters - ohne über eine eigene Wohnung zu verfügen - lediglich gemeinsam ein Zimmer im Club bewohnen, mit Ausnahme von Kleidung kein Hab und Gut besitzen und der deutschen Sprache nicht kundig sind. Relevante - nicht berufliche - Kontakte im Inland sind derzeit den Akten nicht zu entnehmen.

Diese Angaben lassen - auch entgegen der Auffassung der Generalprokuratur - unter Berücksichtigung der zur Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes im Zusammenhang mit § 217 StGB ergangenen neueren Rechtsprechung, insbesondere der in der Entscheidung 11 Os 134/93 (auf welche sich die Beschwerdeentscheidung ausdrücklich stützt) dargelegten Kriterien (vgl. EvBl. 1994/30), nach der gegenwärtigen Aktenlage den Schluß zu, daß zumindest diese beiden Frauen mit der vom § 180 Abs. 1 StPO geforderten erhöhten Wahrscheinlichkeit nur einen mit ihrem Abhängigkeitsverhältnis spezifisch verknüpften Aufenthalt im Inland haben. An dieser Beurteilung ändern auch die rund zweijährige Dauer dieses Aufenthaltes sowie die Tatsache nichts, daß die Frauen sich angeblich ohne Beeinflussung durch Inländer nach Österreich begeben haben und die Initiative zur Arbeit in (verschiedenen) einschlägigen Clubs von ihnen ausgegangen sein soll. Der Wunsch nach einer anderen Beschäftigung - sollte er überhaupt jemals ernstlich vorhanden gewesen sein - ließ sich jedenfalls niemals aktualisieren, vielmehr führte die auf die äußerst schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse im Heimatstaat zurückzuführende Aufenthaltnahme in Österreich - nach der gegebenen Verdachtslage - in kürzester Zeit zu einem Abhängigkeitsverhältnis in einem Bordell. In diesem Zusammenhang darf auch nicht übersehen werden, daß das von den Zeugen angegebene Durchschnittseinkommen unter Berücksichtigung der Sorgepflicht nicht einmal die Höhe des derzeit geltenden Existenzminimums erreicht und demnach im gegenwärtigen Beurteilungszeitpunkt von einer auch nur einigermaßen gefestigten wirtschaftlichen Situation - der Beschwerdeauffassung zuwider - ebensowenig die Rede sein kann, wie von der in der Beschwerde behaupteten Möglichkeit, im Inland auch einem anderen Erwerb nachzugehen.

Hinsichtlich Wirat P***** ist zu dieser Frage derzeit - auf Grund der ohne Dolmetsch durchgeführten und infolge Verständigungsschwierigkeiten mangelhaft gebliebenen Vernehmung - eine abschließende Beurteilung nicht möglich, doch ist jedenfalls davon auszugehen, daß auch in Ansehung ihrer Person die Verhältnisse nicht wesentlich anders gelagert sein dürften.

Nach der Aktenlage übernahm die Beschwerdeführerin am 14.September 1993 die Show-Bar "W*****", nachdem gegen die vorangegangenen Betreiber Günter und Anita F***** sowie Albert S***** und Walter Z***** wegen § 217 StGB ein - zu späteren Verurteilungen führendes - Strafverfahren anhängig geworden war (S 33), und führte das Lokal weiterhin als Bordell. Daß sie bis zu ihrer Verhaftung die genannten Ausländerinnen im Club als (Animierdamen und) Prostituierte anstellte, ihnen dazu Räume und eine Unterkunft zur Verfügung stellte und sie dort polizeilich anmeldete, wird von der Beschuldigten nicht bestritten.

Bei dieser Sachlage bejahte das Beschwerdegericht zu Recht auch den dringenden Tatverdacht des "Zuführens". Es hielt es in Übereinstimmung mit der Aktenlage für erhöht wahrscheinlich (§ 180 Abs. 1 StPO), daß sich diese ausländischen Frauen in einem drückenden Abhängigkeitsverhältnis befanden, weil ihnen bei realitätsbezogener Betrachtung der gesamten Lebensumstände die Möglichkeit einer anderen Art von Erwerb ebenso verschlossen gewesen sein dürfte wie die (ungehinderte) Rückkehr in ihre (ferne) Heimat, und die Beschuldigte diese Lage durch die Eingliederung in das von ihr betriebene Bordell dolos zu ihrem finanziellen Vorteil ausnützte.

Zur Verwirklichung des Tatbestandes bedarf es im Gegensatz zur Beschwerdeauffassung nach jüngerer Rechtsprechung weder der Einwirkung auf das Opfer in Richtung einer Verlagerung der Prostitution in einen Drittstaat durch grenzüberschreitendes Tätigwerden - es genügt, daß das Opfer im Ausland der Prostitution zuführt wird -, noch muß davon der Lebenswandel des Opfers im Sinne einer Umwandlung zur Ausübung der Prostitution betroffen sein. Ohne Bedeutung ist auch, ob diese in Übereinstimmung mit den inländichen Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit - wie im konkreten Fall - erfolgen soll. Unter der Voraussetzung der Ausnützung eines drückenden Abhängigkeitsverhältnisses - wofür nach der Aktenlage derzeit ausreichende Anhaltspunkte vorliegen - entspricht die Eingliederung in einen Bordellbetrieb jedenfalls dem Begriff des Zuführens (vgl. abermals EvBl. 1994/30).

Die Gesamtheit der bisherigen Verfahrensergebnisse zeigt demnach, daß Ingrid W***** des Verbrechens nach § 217 Abs. 1 StGB - entgegen der Beschwerdeauffassung und der Stellungnahme der Generalprokuratur - dringend verdächtig ist. Eine (im einzelnen und im Kontext) abschließende Beurteilung der Beweiskraft dieser Verfahrensergebnisse ist dem Grundrechtsbeschwerdeverfahren verwehrt.

Die Frage des dringenden Tatverdachtes wegen des Vergehens nach § 216 Abs. 2 StGB ließ das Oberlandesgericht offen und kann diese als nicht haftentscheidend auch dahingestellt bleiben; ein Vorbringen dazu ist der Beschwerde nicht zu entnehmen.

Der Gerichtshof zweiter Instanz bejahte auch mit eingehender Begründung die vom Erstgericht angenommenen Haftgründe, von denen nur noch das Vorliegen der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs. 1 und Abs. 2 Z 3 lit. a und b StPO bekämpft wird.

Auch in dieser Hinsicht kommt der Beschwerde keine Berechtigung zu.

Die vom Oberlandesgericht angenommene Gefahr, daß Ingrid W***** das von ihr betriebene Bordell im Falle einer Enthaftung in unveränderter Form weiterführen und demnach in gleichartiger Weise delinquieren werde, erfuhr durch die am 4.Februar 1994 nach der Enthaftung des Mitbeschuldigten Peter W***** durchgeführten Gendarmerieerhebungen (ON 30) sogar noch eine deutliche Verschärfung.

Der Annahme der Tatbegehungsgefahr steht auch die (theoretische) Möglichkeit nicht entgegen, daß die Ausländerinnen in Zukunft in einem anderen Bordell zu ähnlichen Bedingungen arbeiten könnten.

Gelindere Mittel hat das Oberlandesgericht zu Recht als zur Abwendung des Haftgrundes für ungeeignet angesehen. Nach der aktuellen Fallkonstellation ist eine Haftverschonung durch die von der Beschwerdeführerin nunmehr angeregte Weisung, in Hinkunft im Club "W*****" keine Prostituierten tätig sein zu lassen, derzeit nicht zu rechtfertigen.

Da sohin Ingrid W***** durch den angeführten Beschluß im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt wurde, war die Beschwerde abzuweisen.

Auf die Eingaben des Manfred W*****, welche inhaltlich eine Ergänzung des Vorbringens zur Grundrechtsbeschwerde seiner Ehegattin enthalten, war nicht einzugehen, weil das Gesetz nur eine einzige Ausführung des Rechtsmittels kennt (vgl. Mayerhofer-Rieder, StPO3 § 285 ENr. 36) und im übrigen dem Ehegatten ein eigenes Beschwerderecht nicht zukommt.

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