OGH 13Os188/93

OGH13Os188/932.3.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. März 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel, Dr. Mayrhofer, Dr. Ebner und Dr. Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Obergmeiner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Martin G* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der teils versuchten, teils vollendeten geschlechtlichen Nötigung nach §§ 202 Abs. 1 und 2 dritter Fall, 15 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Martin G* gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Schöffengericht in Jugendstrafsachen vom 14. Oktober 1993, GZ 14 Vr 196/93‑21, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, des Angeklagten und der Verteidigerin Dr. Mühl, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0130OS00188.9300000.0302.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

 

Rechtliche Beurteilung

Der am 13.April 1978 geborene jugendliche Martin G* wurde mit dem angefochtenen Urteil des Verbrechens der teils versuchten, teils vollendeten geschlechtlichen Nötigung nach §§ 202 Abs. 1 und 2 dritter Fall, 15 StGB (1. und 2.a) und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 2 StGB (3.) schuldig erkannt.

Ihm liegt zur Last, am 27.Oktober 1992 im Landesjugendheim Judenau einen anderen Zögling, der dadurch in besonderer Weise erniedrigt wurde, durch Schläge und deren Androhung dazu genötigt zu haben, zu onanieren, sowie sich einen Finger in den After zu stecken und diesen anschließend abzuschlecken (1.) und gemeinsam mit einem (in erster Instanz rechtskräftig verurteilten) Mittäter das Opfer durch Drohung mit weiteren Schlägen dazu genötigt zu haben, sich eine Haarbürste in den After einzuführen und diese anschließend abzuschlecken (2a). Ferner wurde ihm angelastet, im Oktober 1992 (gemeinsam mit drei weiteren Zöglingen) dasselbe Opfer durch Schläge mit einem Lederband, die Blutunterlaufungen verursachten, vorsätzlich am Körper verletzt zu haben (3.).

Der Angeklagte bekämpft die ihn treffenden Schuldsprüche mit auf § 281 Abs. 1 Z 5 und 9 lit b StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde; indes zu Unrecht.

Die Mängelrüge (Z 5) wendet sich im Grund nicht gegen eine für den Schuldspruch entscheidende Tatsachenfeststellung, sondern gegen die (vom Schöffensenat zutreffend mit der Begründung, daß sich für eine verzögerte Reife im Verfahren keinerlei Anhaltspunkte ergaben, S 118, bejahte) Rechtsfrage, ob der Beschwerdeführer zur Tatzeit reif genug war, das Unrecht der Tat einzusehen und dieser Einsicht gemäß zu handeln.

Die Beschwerde übersieht die Voraussetzung für den (persönlich materiellen) Strafausschließungsgrund nach § 4 Abs. 2 Z 1 JGG 1988, daß ein Jugendlicher, der eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen hat, aus bestimmten Gründen noch nicht reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder dieser Einsicht folgend zu handeln. Auf eine Entwicklungshemmung außergewöhnlichen Grades (ÖJZ‑LSK 1980/13; SSt 46/23) hinweisende Anhaltspunkte sind aber der Aktenlage nicht zu entnehmen (und ergeben sich dem Beschwerdevorbringen zuwider auch nicht aus den erst nach Urteilsfällung beim Erstgericht eingelangten Jugenderhebungen ON 23, wonach der Jugendliche körperlich und geistig normal entwickelt ist und kein auffälliges Verhalten zeigt). Auch aus der Zeugenaussage der Erzieherin Margarethe H* (S 103 ff) sind Hinweise darauf nicht zu entnehmen.

Damit entfernt sich aber auch die Rechtsrüge (Z 9 lit b) vom Urteilsinhalt, der die Voraussetzungen für das Vorliegen des Strafausschließungsgrundes der verzögerten Reife nicht feststellt und entbehrt so einer gesetzmäßigen Darstellung. Denn die prozeßordnungsgemäße Ausführung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes erfordert das Festhalten am gesamten im Urteil konstatierten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf angewendeten Gesetz und den daraus abgeleiteten Nachweis, daß dem Erstgericht dabei ein Rechtsirrtum unterlaufen ist.

Das auf vorläufige Verfahrenseinstellung auf Probe gemäß § 9 Abs. 1 JGG 1988 gerichtete Beschwerdebegehren stellt (verfehlt) unter (einseitigem) Hinweis auf triste familiäre Situation und Heimerziehung auf geringe Schuld des Täters ab. Bei der Prüfung der Frage, ob den Täter schweres Verschulden trifft, ist jedoch der gesamte in seiner Tat verwirklichte Handlungs‑ und Gesinnungsunwert in Betracht zu ziehen, sind also alle unrechts- und schuldrelevanten konkreten Tatumstände (mit Ausnahme des Erfolges) ganzheitlich abzuwägen (Leukauf‑Steininger, Komm3, § 88 RN 11; 15 Os 106/92). Dabei sind auch die Strafzumessungsgründe zu berücksichtigen, wobei schwere Schuld keineswegs das Überwiegen der Erschwerungsumstände voraussetzt (Mayerhofer‑Rieder, Nebengesetze3, ENr 1 zu § 9 JGG 1988).

Nach Lage des konkreten Falles (wiederholte, das Opfer in besonderer Weise erniedrigende, durch Gewalt und gefährliche Drohung bewirkte geschlechtliche Nötigung des in gleicher Weise im Heim Judenau untergebrachten Opfers und dessen Verletzung am Körper in verabredeter Verbindung durch Schläge mit einem Lederband) bleibt demgemäß für eine Verneinung des Vorliegens schwerer Schuld kein Raum. Dem Schöffensenat ist daher auch insoweit kein Rechtsirrtum unterlaufen.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach § 5 Z 4 JGG 1988, §§ 28202 Abs. 2 StGB zu neun Monaten Freiheitsstrafe, die gemäß § 43 Abs. 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Dabei waren erschwerend das Zusammentreffen zweier Delikte und die Rädelsführerschaft des Angeklagten, mildernd hingegen das umfassende Geständnis, die bisherige strafrechtliche Unbescholtenheit, die geringfügige Überschreitung des Strafmündigkeitsalters und die ungünstige Erziehungssituation.

Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten strebt einen Schuldspruch ohne Strafe bzw einen solchen unter Vorbehalt der Strafe, hilfsweise Strafherabsetzung an. Sie ist nicht berechtigt.

Die aus den wiederholten Aggressionen des Angeklagten hervorkommenden verwerflichen Beweggründe und Charaktermängel lassen keinesfalls die Annahme zu, ein Schuldspruch im Sinn des § 12 Abs. 1 JGG 1988 oder der Vorbehalt der über ihn zu verhängenden Strafe nach § 13 Abs. 1 JGG 1988 werde genügen, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Um einen ausreichend präventiven Effekt zu erzielen, bedarf es vielmehr im konkreten Fall des Ausspruches einer Strafe.

Entgegen der von der Berufung vertretenen Auffassung kann den Umstand, daß sich der Angeklagte (während des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens) durch etwa ein Jahr wohlverhalten hat, nicht als weiterer Milderungsgrund gewertet werden (Mayerhofer‑Rieder, StGB3, ENr 57 zu § 34). Mit Ausnahme des nach den konkreten Umständen nicht ins Gewicht fallenden Versuchsstadiums bei einer Tat kann auch die Berufung weitere Milderungsgründe, als sie das Erstgericht anführte, nicht vorbringen. Dieses hat vielmehr die vorhandenen Strafzumessungsgründe im wesentlichen vollständig erfaßt und jedenfalls ihrem Gewicht nach richtig gewertet, weswegen auch die Berufung versagen muß.

Somit war wie im Spruch zu entscheiden.

 

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte