OGH 7Ob38/93

OGH7Ob38/932.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Bernd O*****, 2.) Natale M*****, beide vertreten durch Dr.Arno Kempf, Rechtsanwalt in Spittal/Drau, wider die beklagte Partei W***** AG, ***** vertreten durch Dr.Johann Quendler und Dr.Gerhard Kucher, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen S 500.000,-- sA, infolge Rekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 17.November 1993, GZ 2 R 202/93-18, womit die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 26.Mai 1993, GZ 24 Cg 376/92-10, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Entscheidung über die Berufung der klagenden Parteien unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Eine Ausfertigung des die Klage abweisenden Urteils wurde dem Rechtsanwalt, der für beide Kläger als Prozeßbevollmächtigter aufgetreten war, am 7.6. 1993 zugestellt. Am 2.7.1993, also innerhalb offener Berufungsfrist, langte beim Erstgericht der Antrag beider Kläger ein, ihnen für das weitere Verfahren und die Einbringung der Berufung die Verfahrenshilfe gemäß "§ 64 Abs 1 und 3 ZPO" zu bewilligen, ein. Der Antrag enthält die Ankündigung, daß die Vermögensverzeichnisse nachgereicht würden. Innerhalb der vom Erstgericht gesetzten Verbesserungsfrist langten die Vermögensbekenntnisse beider Kläger beim Erstgericht ein. Mit Beschluß vom 16.8.1993 bewilligte das Erstgericht den Klägern die Verfahrenshilfe im Umfang des "§ 64 Abs 1/3 ZPO". Der Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Kärnten, daß in der vorliegenden Rechtssache der bisherige Vertreter der Kläger zu deren Vertreter im Rahmen der Verfahrenshilfe bestellt werde, wurden diesem am 3.9.1993 zugestellt. Am 1.10.1993 gab er die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt zur Post.

Das Berufungsgericht wies die Berufung als verspätet zurück. Die Unterbrechungswirkung des § 464 Abs 3 ZPO trete nur ein, wenn innerhalb der ursprünglichen Berufungsfrist auch das in § 66 ZPO genannte Vermögensbekenntnis vorgelegt worden sei. Eine gesetzwidrig nach Ablauf der Rechtsmittelfrist gewährte Verbesserungsfrist ändere nichts an der bereits eingetretenen Verspätung. Die Berufung sei daher selbst dann verspätet anzusehen, wenn das Vollmachtsverhältnis zwischen den Klägern und ihrem gewählten Vertreter als aufgelöst betrachtet werde und den Klägern die Nichtbekanntgabe dieses Umstandes nicht zum Nachteil gereiche.

Rechtliche Beurteilung

Der - ohne die Beschränkungen nach §§ 502, 528 ZPO - zulässige Rekurs der Kläger ist berechtigt.

Der vom Berufungsgericht erwähnten Rechtsprechung, wonach die Berufungsfrist nicht iSd § 464 Abs 3 ZPO verlängert werde, wenn nicht auch das Vermögensbekenntnis innerhalb der ursprünglichen Berufungsfrist vorgelegt wurde (SZ 32/9; vgl auch EvBl 1975/77 und EvBl 1976/39) mangelt es seit der ZVN 1983 an der gesetzlichen Grundlage. Durch die Anfügung des letzten Satzes in § 66 Abs 1 ZPO durch diese Novelle wurde klargestellt, daß der Nichtanschluß des Vermögensbekenntnisses ein verbesserungsfähiges Formgebrechen ist. Zutreffend hat das Erstgericht daher den Verbesserungsauftrag nach den §§ 84, 85 ZPO erteilt (SZ 61/175; 3 Ob 512/83; 3 Ob 551/89). Von einer gesetzwidrig nach Ablauf der Rechtsmittelfrist gewährten Verbesserungsfrist, welche an einer Verspätung nicht zu ändern vermag, kann daher nicht die Rede sein.

Wie der dritte Senat des Oberstes Gerichtshofes in der bereits zitierten Entscheidung 3 Ob 551/89 zum Ausdruck gebracht hat, hindert der Umstand, daß die Verfahrenshilfe beantragende Partei bisher durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten war, die Anwendbarkeit des § 464 Abs 3 ZPO nicht. Es ist daher nicht erforderlich, daß das Vollmachtsverhältnis aufgelöst wurde oder daß unterstellt wird, daß der Antrag auf Beigebung des Rechtsanwaltes zur Verfahrenshilfe die Anzeige des Erlöschens des Vollmachtsverhältnisses zum bisherigen Vertreter in sich schließe (vgl SZ 48/93 und RZ 1987/9). Aus dem Gesetz ergibt sich nämlich in keiner Weise, daß die Partei, welche Verfahrenshilfe beantragt, in diesem Verfahrensstadium auf den gewählten Rechtsanwalt verzichten müsse, um des angestrebten, noch ungewissen Vorteils teilhaftig zu werden. Die Partei, welche die Kosten zur Führung des Berufungsverfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhaltes nicht bestreiten oder die erforderlichen Mittel weder selbst noch durch die wirtschaftlich Beteiligten aufbringen kann (§ 63 Abs 1 u Abs 2 ZPO) und deshalb den Prozeßbevollmächtigten nicht mit der Abfassung der Berufungsschrift und der Vertretung im Berufungsverfahren beauftragt, muß das Vollmachtsverhältnis nicht auflösen, wenn es doch zweckmäßig ist, daß der freigewählte Vertreter die Verfahrenshilfe beantragt, die Zustellung der ergehenden Beschlüsse an ihn bewirkt und allenfalls Rechtsmittel gegen solche Beschlüsse ergreift. Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsansicht der genannten Vorentscheidung an. Selbst dann, wenn dem nicht so wäre, müßte davon ausgegangen werden, daß der insoweit nicht deutliche Antrag der Kläger auch die Anzeige des Erlöschens des Vollmachtsverhältnisses zu ihrem bisherigen Rechtsvertreter in sich schließt (SZ 48/93; RZ 1987/9; RZ 1992/72). Der in 1 Ob 744/78 und 6 Ob 799/80 ausgesprochenen Rechtsansicht, daß die Unterbrechungswirkung des § 464 Abs 3 ZPO dann nicht Platz greife, wenn die Verfahrenshilfe beantragende Partei ohnehin bereits durch einen frei gewählten Rechtsanwalt vertreten war, ist demnach nicht beizutreten.

Der in § 471 Z 2 ZPO bezeichnete Zurückweisungsgrund liegt somit nicht vor. In Stattgebung des Rekurses war der Zurückweisungsbeschluß des Rekursgerichtes daher ersatzlos aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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