OGH 7Ob2/94

OGH7Ob2/9419.1.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Roland L*****, vertreten durch Dr.Thomas Stampfer, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei I*****-Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Hans Kreinhöfner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 500.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 16.Juli 1993, GZ 5 R 97/93-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 26.Februar 1993, GZ 16 Cg 242/91-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 19.069,20 (darin S 3.178,20 Umsatzsteuer) bestimmten Revisionskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zwischen den Streiteilen besteht ein Unfallversicherungsvertrag, dem die AUVB 1982 zugrundeliegen. Als Versicherungsleistung für den Fall der dauernden Invalidität wurde 1 Mill.S vereinbart. Die Finger des Klägers wurden dabei extra versichert. Am 30.5.1990 hackte sich der Kläger beim Versuch, einen Schweinsknochen zu zerteilen, den linken Zeigefinger ohne Selbstverstümmelungsabsicht ab, weil er während des Ausholens mit dem Beil mit dem linken Fuß in eine Wasserrinne abrutscht, sodaß der Hieb danebenging. Mit Schreiben vom 29.4.1991 lehnte die beklagte Versicherung den Deckungsanspruch des Klägers unter Hinweis auf die Folgen nach § 12 Abs.3 VersVG mit der Begründung ab, daß kein Unfall vorliege.

Der Kläger begehrt (allein) die Feststellung, daß ihm gegenüber der Beklagten aufgrund des Unfalles vom 30.5.1990 wegen eingetretener Invalidität ein Deckungsanspruch zustehe. Der Kläger sei nebenberuflich Heilmasseur (und freiberuflich Musiker) gewesen und habe deshalb Hände und Finger zusätzlich versichert. Es stehe ihm bei Verlust des Zeigefingers der wertgesicherte Betrag von S 1,400.000,-- zu. Dieser Anspruch sei noch nicht fällig, weil das Sachverständigenverfahren weder abgeschlossen noch endgültig gescheitert sei. Dies stehe seinem Leistungsbegehren entgegen. Die beklagte Partei habe den Antrag des Klägers auf Einberufung der Ärztekommission nach Art.14 der AUVB zu Unrecht abgelehnt. Sollten sich aus den Einwendungen der beklagten Partei die Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des Art.14 AUVB aufklären, so daß die beklagte Partei auf ein Sachverständigenverfahren verzichte, werde das Feststellungsbegehren in ein Zahlungsbegehren geändert.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, es liege kein Unfall (sondern eine Selbstverstümmelung) vor. Da der Deckungsanspruch von ihr dem Grunde nach zur Gänze abgelehnt worden sei, lägen die Voraussetzungen für die Einberufung der Ärztekommission nicht vor.

Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren ab. Der Kläger habe durch das Abhacken des linken Zeigefingers am 30.5.1990 einen Unfall im Sinne der AUVB 1982 erlitten, für den die beklagte Partei deckungspflichtig wäre. Da sie jedoch unter Hinweis auf § 12 Abs.3 VersVG ihre Deckungspflicht dem Grunde nach abgelehnt habe, sei das vorliegende Feststellungsbegehren verfehlt, weil der Kläger während der 6monatigen Frist des § 12 Abs.3 VersVG bereits ein Leistungsbegehren hätte erheben können und müssen. Die beklagte Partei habe zudem schon durch die Ablehnung der Deckung und durch die Aufforderung zur Klagsführung konkludent auf die Durchführung des Sachverständigenverfahrens verzichtet.

Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil. Es bewertete den Streitgegenstand als mit S 50.000,-- übersteigend und erklärte die Revision für unzulässig. Nach Art.14.1 der AUVB 1982 habe die Ärztekommission nur im Fall von Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unfallsfolgen oder darüber, in welchem Umfang der eingetretene Schaden auf den Versicherungsfall zurückzuführen ist, ferner über die Beeinflussung der Unfallsfolgen durch Krankheit oder Gebrechen zu entscheiden. Im vorliegenden Fall sei jedoch die Art und der Umfang der Unfallsfolgen, nämlich die glatte Amputation des Zeigefingers der linken Hand, unbestritten. Ein nach Punkt 1 des Art.14 der AUVB 1982 der Ärztekommission vorbehaltener Streitpunkt liege daher nicht vor. Der Kläger habe während des gerichtlichen Verfahrens mehrfach ausdrücklich erklärt, eine Versicherungsleistung von mindestens 1,4 Mill.S fordern zu können. In einem solchen Fall hätte daher dem Kläger ein ein Feststellungsbegehren mitumfassendes Leistungsbegehren auf Bezahlung des sich nach dem Versicherungsvertrag ergebenden und ohne Mitwirkung eines Sachverständigenausschusses rechtlich ableitbaren Geldbetrages all das geboten, was er mit der vorliegenden Klage auf Feststellung der Deckungspflicht erreichen könne.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene ao. Revision ist nicht berechtigt.

Die beklagte Partei bestreitet in ihrer Revisionsbeantwortung nicht mehr, daß dem Verlust des Zeigefingers des Klägers ein Unfall zugrundeliegt, sondern geht ausdrücklich von einem Unfall im Sinne der AUVB 1982 aus. Die bisherige Bestreitung kann ihr nicht angelastet werden, da sie ihre Einwendungen gegen den Klagsanspruch auch auf miteinander allenfalls nicht im Einklang stehende Behauptungen stützen darf. Mit Recht aber hat die beklagte Partei geltend gemacht, daß das Begehren des Klägers auf Einberufung der Ärztekommission iSd Art 14.1 der AUVB 1982 nicht gerechtfertigt war und ebenso, daß dem vom Kläger gestellten Feststellungsbegehren das rechtliche Interesse fehlt, weil ein Leistungsbegehren hätte gestellt werden können.

Die Leistungen aus der Unfallversicherung nach den AUVB 1982 sind in der Regel als Kapitalzahlungen und nur in Ausnahmsfällen (vgl Art 11/II. der AUVB) als Rente zu erbringen (vgl. Schauer, Einführung in das österreichische Versicherungsrecht2, 375 f). Der Kläger begehrt nur Kapitalleistungen, nämlich eine Invaliditätsentschädigung in Form einer Kapitalabfindung und ein Tagegeld (vgl. Beilage ./G). Weder in der Revision noch im vorangegangenen Verfahren wird behauptet, es biete ein Leistungsbegehren nicht all das, was mit dem Feststellungsbegehren angestrebt werde, weil etwa noch Spätschäden zu erwarten seien. Tatsächlich erscheinen auch keine weiteren Ansprüche des Klägers als die oben angeführten denkbar.

Nach Art 14 Z 1 der AUVB 1982 entscheidet im Fall von Meinungsverschiedenheiten (nur) über Art und Umfang der Unfallfolgen oder darüber, in welchem Umfang der eingetretene Schaden auf den Versicherungsfall zurückzuführen ist, ferner über die Beeinflussung der Unfallsfolgen durch Krankheit oder Gebrechen die Ärztekommission. Die Frage dagegen, ob überhaupt ein versicherungspflichtiger Unfall vorliegt, ist entsprechend dem Wortlaut der zitierten Versicherungsbedingungen nach Lehre und Rechtsprechung nicht von der Ärztekommission, sondern von den ordentlichen Gerichten zu entscheiden. Soweit ein Versicherungsfall keine Leistungspflicht des Versicherers auslöst, zB wegen schuldhafter Herbeiführung des Versicherungsfalles, wegen Verletzung einer Obliegenheitspflicht oder wegen Nichtzahlung einer Folgeprämie, bleibt kein Raum für die Durchführung des Schiedsverfahrens (SZ 64/102; in diesem Sinn auch das Schreiben der beklagten Partei Beilage ./J). Hat deshalb die beklagte Versicherung den Deckungsanspruch des Klägers abgelehnt, "weil es sich um keinen 'Unfall' handle", und dem Kläger unter einem die Belehrung iSd § 12 Abs 3 VersVG erteilt (./H), wäre der Kläger im Hinblick auf die Art der von ihm geltend gemachten Ansprüche gehalten gewesen, fristgerecht eine Leistungsklage einzubringen.

Ein besonderes Schadensfeststellungsverfahren iSd § 64 Abs 1 VersVG wurde zwischen den Streitteilen mit der Bestimmung des Art 14 Z 1 AUVG nicht vereinbart (vgl dagegen aber den den Entscheidungen SZ 41/104, EvBl 1977/201 uam zugrundeliegenden Sachverhalt!).

Das der Entscheidung 7 Ob 40, 41/89 zugrundeliegende Verfahren ist anders gelagert als das gegenständliche.

Hinsichtlich des Feststellungsinteresses entspricht es der ständigen Rechtsprechung, daß dann, wenn ein Leistungsstreit alles das bringen kann, was mit dem Feststellungsbegehren erreicht werden könnte, oder wenn über das Leistungsbegehren hinausgehende Forderungen nach menschlichem Ermessen auszuschließen sind, das rechtliche Interesse an der alsbaldigen Feststellung der Deckungspflicht zu verneinen ist. Die klagende Partei hat sich nie auf weitere deckungspflichtige Forderungen wie die Invaliditätsabfindung und das Tagegeld berufen. Sie hätte daher eine Leistungsklage erheben können und wäre hiezu verpflichtet gewesen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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